Effekte angewandter deliberativer Verfahren in der Entscheidungsfindung für ein Endlager für hochradioaktive Stoffe

Projektbeschreibung

Die Frage, wie hochradioaktive Abfälle über die benötigten, sehr langen Schutzzeiträume von bis zu einer Million Jahre am sichersten aufbewahrt werden können, wird nie abschließend beantwortet werden. Trotzdem muss eine nach heutigem Wissen bestmögliche Lösung gefunden werden. Viele Länder verfolgen dabei den Weg einer Endlagerung tief unter der Erdoberfläche in geologischen Schichten, die schon seit sehr langer Zeit bestehen und aller Voraussicht nach auch in einer Million Jahre noch bestehen werden.

Die Suche nach einem geeigneten Standort für ein solches Tiefenlager hat in vielen dieser Länder zu einem temporären oder auch länger andauernden gesellschaftlichen Konflikt geführt. In Reaktion auf diese Konflikte haben die zuständigen Entsorgungsorganisationen und Behörden in einigen dieser Länder versucht, ein stärker an Dialog ausgerichtetes Verfahren umzusetzen. An der Umsetzung dieser Ideen von Dialog und ziviler Konfliktbearbeitung wurde teils starke Kritik von Wissenschaftlern und Bürgerinitiativen geäußert, die eine Konfliktbefriedung ohne wirkliche Mitsprachemöglichkeiten für die interessierte Öffentlichkeit vermuteten.

Vor diesem Hintergrund wurde in dieser Arbeit zwei Fragen nachgegangen: Erstens, ob die Ausrichtung von Dialogveranstaltungen bereits zu Öffnungen in der Endlagerpolitik und im massenmedialen Diskurs über diese führt, und zweitens, welche Faktoren sich als fördernd und welche als hemmend für die Entstehung solcher Effekte erweisen. Diese Analyse wurde vergleichend anhand des deutschen und des schweizer Falls durchgeführt. Untersucht wurde der Zeitraum 2001 bis 2010, in welchem in der Schweiz ein neues Standortauswahlverfahren zur Implementierung kam, während in Deutschland ein Versuch einer Neuausrichtung der Standortsuche stattfand, die dann aber nicht realisiert wurde.

Um Effekte auf die Endlagerpolitik und den Diskurs analysieren zu können, wurde zunächst ein theoretisch-konzeptioneller Ansatz entwickelt, der sich auf theoretische Arbeiten zu „Governance“ und „deliberativer Demokratie“ bezieht. Es wurde ein akteurszentriertes Verständnis von Regieren entwickelt, in welchem unter anderem nach der Bandbreite der kollektiven Akteure, die in die Vorbereitung von Entscheidungen mit einbezogen werden, und nach der Qualität des Einbezugs gefragt wird. Anhand dieser und weiterer Kriterien wurden zwei Idealtypen des Regierens identifiziert: Endlager-Management und deliberative Endlager- Governance. An der Bewegung zwischen den für diese beiden Idealtypen festgelegten Kriterien wurden Effekte von Dialogveranstaltungen ausgemacht. Da Effekte immer konkrete Handlungen von kollektiven oder Einzel-Akteuren voraussetzen, wurde auch nach fördernden und hemmenden Faktoren für die Entstehung von Effekten gefragt. Diese können struktureller Art sein, aber beispielsweise ebenso im (fehlenden) Willen von kollektiven und Einzel-Akteuren begründet liegen, sich auf diskursive Grundregeln zu einigen.

In der Erhebung der empirischen Daten wurde mehrstufig vorgegangen: Es wurde eine Medienanalyse mit einem quantifizierenden und einem qualitativen Anteil sowie Interviews mit Schlüsselpersonen als Vertreter verschiedener, am Konflikt beteiligter kollektiver Akteure durchgeführt. Als Hintergrund für die Analyse der Endlagerpolitik wurden zudem Regierungsdokumente gesichtet.

Im Ergebnis zeigte sich, dass Effekte mikro-deliberativer Ereignisse im Sinne eines Wandels hin zu deliberativer Endlager-Governance beobachtet werden können. Diese betreffen aber häufig nur einzelne Kriterien, wie beispielsweise eine erhöhte Pluralität in der Problembeschreibung, und sind insbesondere in Deutschland teilweise temporär begrenzt. Im Ländervergleich zeigt sich, dass institutionalisierte Räume für die Diskussion zwischen verschiedenen kollektiven Akteuren und ein Arbeitsverständnis von Transparenz wichtig sind für einen dauerhaften Wandel hin zu deliberativer Endlager-Governance. Durch die sehr langen Zeiträume der Endlagerung und dadurch, dass diese als „wicked problem“ eingestuft werden muss, ist eine endgültige Lösung des Konflikts nicht möglich. Vielmehr werden Arbeitskompromisse benötigt, welche innerhalb eines Verfahrens, das so gestaltet werden muss, dass Lernprozesse möglich sind, ständig neu verhandelt werden.

Kuppler, S.
Effekte deliberativer Ereignisse in der Endlagerpolitik. Deutschland und die Schweiz im Vergleich von 2001 bis 2010. Wiesbaden: Springer VS 2017, DOI: 10.1007/978-3-658-18360-8

Administrative Daten

Referent: Erstgutachter: Prof. Dr. Ortwin Renn, Institut für Sozialwissenschaften, Abteilung für Technik- und Umweltsoziologie, Universität Stuttgart
Zweitgutachter: Prof. Dr. Armin Grunwald, Institut für Philosophie, KIT
Koreferent: Dr. Peter Hocke
Bezugnehmende Projekte: Konflikte und Entscheidungsblockaden bei der nuklearen Entsorgung und Governance zwischen Wissenschaft und öffentlichem Protest
Doktoranden bei ITAS: siehe Promovieren am ITAS

Kontakt

Dr. Sophie Kuppler
Karlsruher Institut für Technologie (KIT)
Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS)
Postfach 3640
76021 Karlsruhe

Tel.: 0721 608-28007
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