Epistemische Aspekte von Computersimulationen in den Nanowissenschaften

Projektbeschreibung

Im Laufe der vergangenen Jahrzehnte hat die rasante Entwicklung von Computersimulationen den Charakter wissenschaftlichen Experimentierens und Theoriebildens sowie die ingenieurswissenschaftliche Forschung und Gestaltung zunehmend geprägt und verändert. Auch bei der Bewertung der Auswirkungen menschlicher Aktivitäten auf die Umwelt spielen Computersimulationen eine immer wichtigere Rolle.

Dies wirft die zentrale Frage auf, wie und unter welchen Umständen Computersimulationen verlässliche Vorhersagen generieren oder Verstehen ermöglichen können. Ausgehend von der aktuellen Debatte zur Erkenntnistheorie der Computersimulation zielt mein Dissertationsprojekt darauf ab, die epistemischen Herausforderungen im Umgang mit Computersimulationen philosophisch zu beleuchten. Das Dissertationsprojekt ist dem interdisziplinären DFG-Graduiertenkolleg „Tailored Scale-Bridging Approaches to Computational Nanoscience“ (RTG 2450) zugeordnet und nimmt die Materialwissenschaften als Ausgangspunkt für eine philosophische Untersuchung der epistemischen Besonderheiten von Computersimulationen. Die Zusammenarbeit mit Wissenschaftler*innen, die im Zuge ihrer Forschung mit unterschiedlichen Computersimulationen arbeiten, ist ein integraler Bestandteil des Dissertationsprojekts.

In den Materialwissenschaften gibt es eine große Vielfalt an (technologischen) Anwendungen – von Katalysatoren bis hin zu Batterien. Darüber hinaus wirft ihr Einsatz von Computersimulationen eine Reihe philosophischer Fragen auf, die auch für andere Wissenschaftsbereiche von hoher Relevanz sind:

  • Lassen sich die Validierung und Verifikation von Computersimulationen voneinander trennen?
  • Sind Computersimulationen epistemisch opak? Falls ja, was sind die Quellen epistemischer Opazität und wie können wir mit Opazität umgehen?
  • Welche Rolle spielen Simulationen für das Verständnis physikalischer Prozesse auf verschiedenen Zeit- und Längenskalen?
  • Verstehen, erklären, beschreiben? – Welche epistemischen Ziele sind mit dem Einsatz von Computersimulationen verbunden? Wie können diese Ziele erreicht werden? Welche Rolle spielen in diesem Zusammenhang z. B. Visualisierungen?

Ein weiterer interessanter Aspekt von Computersimulationen in den Materialwissenschaften ist, dass Simulationsmethoden trotz ihrer unzähligen erfolgreichen Anwendungen normalerweise eine Reihe heuristischer oder phänomenologischer Annahmen beinhalten und oft auf eine bestimme Zeit- und Längenskala beschränkt sind. Da jedoch viele interessante Forschungsfragen ein breiteres Spektrum an Skalen umfassen, ist es manchmal erforderlich, verschiedene etablierte Simulationsmethoden miteinander zu kombinieren oder von innovativen Multiskalenansätzen Gebrauch zu machen. Ich interessiere mich besonders für die epistemischen Besonderheiten solcher Multiskalenmethoden, z.B. dafür, wie die Strategien zur Überbrückung verschiedener Skalen rationalisiert werden können.

Der Philosoph Eric Winsberg hat zudem darauf hingewiesen, dass Multiskalenmodelle (und -simulationen) eine Reihe interessanter philosophischer Fragen zum Verhältnis zwischen verschiedenen Theorien aufwerfen: Einige Forschungsfragen in den computergestützten Nanowissenschaften scheinen es zu erfordern, verschiedene Theorierahmen im Rahmen von Multiskalenansätzen miteinander zu verknüpfen. Doch wie können wir zuverlässige Multiskalenmodelle auf der Basis verschiedener, vielleicht sogar konfligierender Theorien entwickeln? (vgl. Winsberg 2006) Welche Arten von Beziehungen zwischen verschiedenen Theorien sind überhaupt möglich? Welche Rolle spielen Abstraktionen, Idealisierungen und vielleicht sogar Fiktionen bei der Entwicklung erfolgreicher Computersimulationen? (vgl. ebd.)

Neben einer Beleuchtung der philosophischen Besonderheiten von Multiskalensimulationen und der Fragen, die sie im Hinblick auf intertheoretische Beziehungen aufwerfen, möchte ich mich näher mit der Identifizierung und Charakterisierung von epistemischen Risiken (vgl. Biddle und Kukla 2017) beschäftigen, die bei der Operationalisierung von Begriffen, der Datenaufbereitung und auch z. B. bei der Modellwahl eine Rolle spielen können. Wie verhalten sich diese Risiken zur vielfach konstatierten epistemischen Opazität von Computersimulationen? Wie sollten Wissenschaftler*innen mit epistemischen Risiken umgehen?

Darüber hinaus bin ich daran interessiert, wie in den Nanowissenschaften neues Wissen im Rahmen kollektiver wissenschaftlicher Praktiken generiert werden kann. In der Annahme, dass die Art und Weise, wie Wissen in epistemischen Gemeinschaften hervorgebracht und institutionalisiert wird, eine wichtige Rolle bei der Charakterisierung der Besonderheiten von Computersimulationen spielt, werde ich in diesem Zusammenhang sowohl Überlegungen aus dem Feld der Social Epistemology als auch den STS heranziehen.

Literatur

Biddle, Justin B. und Rebecca Kukla. “The geography of epistemic risk.” In Elliott, K. und T. Richards (Eds.): Exploring inductive risk: Case studies of values in science. Oxford University Press, 2017. 215-237

Winsberg, Eric. „Handshaking your way to the top: Simulation at the nanoscale.“ Simulation. Springer, Dordrecht, 2006. 139-151.

Winsberg, Eric. Science in the age of computer simulation. University of Chicago Press, 2010.

Administrative Daten

Kontakt

Julie Schweer, M.A.
Karlsruher Institut für Technologie (KIT)
Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS)
Postfach 3640
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