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Colloquium

Zur Validität modellbasierter Energieszenarien. Ein hermeneutischer Versuch

Monday, 13 February 2023, 14:00-15:30
Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS)
Raum 418
Karlstraße 11
76133 Karlsruhe

Moderne Gesellschaften suchen Orientierung für Meinungsbildung und Entscheidung durch Antizipation und Bewertung zukünftiger Entwicklungen. Insbesondere spielen modellbasierte Szenarien zur Beratung von Entscheidungsträgern und Gesellschaft eine große Rolle. In Energiepolitik und Energiewirtschaft sind sie zum wahrscheinlich am häufigsten verwendeten Mittel wissenschaftlicher Entscheidungsberatung geworden. Allerdings ist eine Grundherausforderung in der Nutzung von Energieszenarien wie auch von anderen Zukunftsbildern ihre Diversität aufgrund zwangsläufig involvierter Unsicherheiten und der Offenheit der Zukunft. Mangels Wissen muss vieles in Modellierung und Szenarienentwicklung unter Plausibilitätsaspekten festgelegt werden, was auch teils anders bestimmt werden kann. Energieszenarien können entsprechend instrumentalisiert werden, um partikuläre Ziele zu befördern und politische oder wirtschaftliche Interessen durchzusetzen.

Energieszenarien müssen, zumindest wenn sie öffentliche Fragen betreffen, ergebnisoffen, wissenschaftlich valide und transparent sein. Diese Anforderungen stellen sich für Zukunftswissen anders als für übliches wissenschaftliches Wissen dar. Denn aus der Zukunft liegen keine Daten vor, mit denen Zukunftsaussagen empirisch validiert werden könnten. Stattdessen kann eine erkenntnistheoretische Prüfung ausschließlich durch die Beurteilung ihrer argumentativen Validität erfolgen. Aber wie können Energieszenarien auf ihre Validität untersucht oder daraufhin untereinander verglichen werden?

Da Energieszenarien auf Modellen des Energiesystems und ihrer annahmenabhängigen Extrapolation beruhen, erstrecken sich diese Fragen nicht nur auf die Konstruktion von Szenarien, sondern und gerade auch auf die mit Modellierung und Modellen verbundenen Aspekte der Validität. Wie hängt also die Validität der Szenarien mit der Validität der zugrunde liegenden Modelle zusammen? Wo liegen die Unsicherheiten und Grenzen derartiger Einschätzungen für Szenarien und Modelle? Wie weit ist es möglich, Einseitigkeiten, ideologische Vorannahmen, Interessen und Prämissen aufzudecken, auch in den Modellen, um angesichts umstrittener Aussagen zu Energiezukünften zu einer nachvollziehbaren Beurteilung zu kommen, zumindest zu einem transparenten Konsens im Dissens?

Diese Fragen verlangen nach einer Prüfung des Zustandekommens von Modellen und Szenarien. Statt auf diese als Produkte zu schauen und in Bezug auf ihre Zukunftsaussagen zu vergleichen, muss der Prozess ihrer Erzeugung im Mittelpunkt stehen, also etwa das scenario-building als Tätigkeit wie auch die Modellbildung. Die Frage nach der Validität von Szenarien und Modellen stellt sich auf diese Weise als Frage nach ihrer Konstruktion.

Dieser Perspektivwechsel eröffnet eine hermeneutische Perspektive nicht nur auf Szenarien, sondern auch auf Modelle. Denn der Blick auf ihre Erzeugung zeigt, dass keineswegs bloß Daten und abgesicherte Wissensbestände aggregiert werden, sondern dass auch Annahmen, Prioritäten, Relevanzeinschätzungen, gesetzte Systemgrenzen und Storylines eine Rolle spielen. Im Vortrag werden speziell Narrative als Bestandteile von Modellen in Bezug auf Energieszenarien und im Hinblick auf dadurch entstehende mögliche Einseitigkeiten, Voreinstellungen, Schieflagen etc. und Strategien ihrer Erkennung und Vermeidung betrachtet.

 

Armin Grunwald ist Professor am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Er promovierte an der Universität zu Köln in theoretischer Festkörperphysik. An der Philipps-Universität Marburg wurde er in Philosophie habilitiert und erhielt die venia legendi. Er war Professor für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse an der Universität Freiburg. 1999 übernahm Grunwald die Leitung des Instituts für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) am KIT und ist seit 2002 zudem Leiter des Büros für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag, das vom ITAS geführt wird. Seit 2007 ist er Inhaber des Lehrstuhls für Technikphilosophie und Technikethik am KIT.

 

Der Vortrag findet hybrid statt. Wer Interesse an der Zoom-Übertragung hat, meldet sich bitte bei Meike Hebich.

This event is part of the eventgroup ITAS colloquium
Speaker
Prof. Dr. Armin Grunwald
Organizer
ITAS - Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse
Karlsruher Institut für Technologie (KIT)
Karlstraße 11
76133 Karlsruhe
Tel: +49 721 608-28548
Mail: buero does-not-exist.itas kit edu
https://www.itas.kit.edu/
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