Ulrich Riehm, Knud Böhle, Ralf Lindner

Elektronische Petitionen und Modernisierung des Petitionswesens in Europa

Berlin: Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) 2011, TAB-Arbeitsbericht Nr. 146
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ZUSAMMENFASSUNG

Die wissenschaftliche Beschäftigung mit den Modernisierungstendenzen im Petitionswesen ist nur schwach ausgeprägt, obwohl in den letzten Jahren im In- und Ausland, nicht zuletzt durch den Einsatz des Internets ausgelöst, interessante Innovationen in Gang gesetzt wurden. Diese haben im Kontext einer Diskussion um E-Partizipation und E-Parlament einen wichtigen Stellenwert. Außerdem lässt sich die Bedeutung des Themas auch durch die anhaltend hohe, tendenziell zunehmende Inanspruchnahme des Petitionsrechts durch die Bürger begründen. Es handelt sich dabei keineswegs um ein Relikt aus einer längst vergangenen Zeit. Gerade in einer immer komplexer werdenden Gesellschaft können Petitionen für die Bürger eine weitere, manchmal auch eine "letzte" Möglichkeit sein, auf Missstände und Ungerechtigkeiten hinzuweisen, aber auch Vorschläge zur Lösung eines Problems zu unterbreiten.

Anlass für die Beschäftigung mit dem Thema elektronische Petitionen war die Einführung von Öffentlichen Petitionen im Jahr 2005 durch den Deutschen Bundestag. Diese werden elektronisch eingereicht, im Internet veröffentlicht und können auf der E-Petitionsplattform des Bundestages auch mitgezeichnet und diskutiert werden. Das TAB hatte bereits den Modellversuch bis ins Jahr 2007 wissenschaftlich begleitet und dazu einen Bericht veröffentlicht. Diese zweite Studie zum Thema wurde wieder vom Petitionsausschuss angeregt und vom Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung beim TAB in Auftrag gegeben. Sie zeichnet die weitere Entwicklung der Öffentlichen Petitionen des Deutschen Bundestages nach und untersucht darüber hinaus aber auch die Modernisierungstendenzen bei den Petitionsstellen anderer Parlamente in Europa.

ELEKTRONISCHE UND ÖFFENTLICHE PETITIONEN

Was unter elektronischen (oder auch Online-)Petitionen verstanden wird, muss näher bestimmt werden. Häufig wird unter elektronischen Petitionen die elektronische Einreichung von Petitionen an den Petitionsadressaten verstanden. Damit wird ein weiterer, zeitgemäßer Einreichungsweg eröffnet, entweder über E-Mail bzw. ein elektronisches Petitionsformular, das einer E-Mail angehängt werden kann, oder über ein Webformular. Die letzte Variante wird oft als Onlinepetition bezeichnet. Mit der elektronisch eingereichten Petition muss sich am eigentlichen Petitionsverfahren nichts ändern.

Eine zweite Bedeutung von "elektronischer Petition" bezieht sich auf im Internet veröffentlichte Petitionen. Diese müssen aber nicht unbedingt auch elektronisch eingereicht worden sein. Zwar mag die elektronische Einreichung einer Petition die spätere elektronische Nutzung befördern, Einreichungsprozess und das anschließende Petitionsverfahren sind in Bezug auf die Nutzung des Internets aber prinzipiell unabhängig voneinander.

Betrachtet man nur die ins Internet eingestellten Petitionen, kann man eine passive oder rezeptive und eine aktive oder interaktive Nutzungsvariante unterscheiden. Im ersten Fall sind die Petition und gegebenenfalls auch der Petitionsbescheid lediglich nachlesbar. Im zweiten Fall kommen interaktive und kommunikative Möglichkeiten des Internets, die in einem elektronischen Petitionssystem implementiert sind, hinzu. Das können z. B. die Mitzeichnung einer Petition im Internet, die elektronische "Werbung" für eine Petition, die Kontaktaufnahme mit dem oder der Petentin oder die öffentliche Diskussion von Petitionen in Onlineforen sein.

Für die Beschreibung und Analyse elektronischer Petitionssysteme haben sich die folgenden Unterscheidungen bewährt:

MODERNISIERUNG DES PETITIONSWESENS IN DEUTSCHLAND

Im Mittelpunkt der Darstellung der Modernisierungstendenzen des Petitionswesens in Deutschland stehen die Reformen, die der Deutsche Bundestag 2005 begonnen hat. Daneben wird auf die aktuellen Entwicklungen bei den Volksvertretungen der Bundesländer eingegangen, die den Modernisierungsschub beim Deutschen Bundestag zum Anlass nehmen, ihre eigene "Internetstrategie" zu überprüfen. Die Vielfalt der sonstigen staatlichen wie privaten Eingabe- und Beschwerdestellen wird nicht weiter berücksichtigt.

ÖFFENTLICHE PETITIONEN DES DEUTSCHEN BUNDESTAGES

Der Reform von 2005 wird man nur teilweise gerecht, wenn man in ihr nur die Einführung des Internets in das Petitionsverfahren sieht. Bedeutsamer ist, dass der Deutsche Bundestag - unter bestimmten Bedingungen - seitdem Petitionstexte veröffentlicht und - bei Erreichung eines Quorums - öffentliche Ausschusssitzungen mit der Teilnahme von Petenten durchführt. Außerdem können auf der E-Petitionsplattform des Deutschen Bundestages zu den dort veröffentlichten Petitionen unterstützende Mitzeichnungen gesammelt und die Petitionen in öffentlichen Foren diskutiert werden.

Betrachtet man den Zuspruch zur E-Petitionsplattform, dann kann man die Öffentlichen Petitionen nur als Erfolgsmodell bezeichnen. Der Anteil der elektronisch eingereichten Petitionen beim Deutschen Bundestag stieg seit 2006 von 17 auf 34 % im Jahr 2010. Besonders attraktiv aber scheinen für die Bürger die Öffentlichen Petitionen zu sein, denn ihr Anteil unter den eingereichten Petitionen stieg von 5 auf 24 %. Insgesamt wurden von September 2005 bis Ende 2010 mehr als 3 Mio. Mitzeichnungen für etwa 2.100 Öffentliche Petitionen gezählt und mehr als 100.000 Diskussionsbeiträge geschrieben.

Es bleibt aber richtig, was sich schon bei den ersten Analysen des Petitionsaufkommens beim Deutschen Bundestag vor drei Jahren abgezeichnet hatte, dass die elektronischen und die Öffentlichen Petitionen eher die herkömmlichen verdrängen, als dass sie zu einem Zuwachs an Petitionen insgesamt führen. Ein Zuwachs, der auf den Faktor "Internet" zurückzuführen wäre, ist derzeit nicht festzustellen.

Dies mag auch daran liegen, dass es mit dem neuen Angebot nur sehr begrenzt gelungen ist, neue, bisher eher petitionsabstinente Bevölkerungsschichten anzusprechen. Die Einreicher Öffentlicher Petitionen sind zwar deutlich jünger als die Einreicher nichtöffentlicher, herkömmlicher Petitionen, beide Gruppen sind aber weiterhin besser ausgebildet als der Durchschnitt der Bevölkerung und überwiegend männlich.

ZULASSUNG ÖFFENTLICHER PETITIONEN

Die Öffentlichen Petitionen an den Deutschen Bundestag unterliegen einem besonderen Zulassungsverfahren. Die Kriterien der Zulassung sind umstritten und führen in den Nutzerforen der E-Petitionsplattform zu kritischen Diskussionen, in denen die Intransparenz dieses Verfahrens und die niedrige Zulassungsquote beklagt werden. Etwa 60 % der befragten Einreicher von Öffentlichen Petitionen im Jahr 2009 konnten die Begründung für die Nichtzulassung nicht nachvollziehen. Von 4.039 zur Veröffentlichung eingereichten Petitionen wurden 2010 nur 559, das sind 13,8%, als Öffentliche Petition zugelassen. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Gut 50 % der nichtzugelassenen Öffentlichen Petitionen sind Mehrfachpetitionen, also Petitionen, die in gleicher oder ähnlicher Weise schon gestellt wurden. 8 % wurden nicht zugelassen, da sie für eine öffentliche Diskussion als ungeeignet eingestuft wurden, ähnlich viele, weil sie als offensichtlich erfolglos eingeschätzt wurden oder unsachlich waren bzw. von falschen Voraussetzungen ausgingen (6 %). Nur wenige Petitionen wurden als Öffentliche nicht zugelassen, weil es sich bei ihnen um persönliche Bitten und Beschwerden handelte (1,5 %), sie den sozialen Frieden gefährden (0,7 %) oder die internationalen Beziehungen negativ beeinflussen könnten (0,5 %). Nicht als Öffentliche Petition zugelassene Einreichungen werden allerdings im herkömmlichen, nichtöffentlichen Verfahren behandelt.

MITZEICHNUNG VON ÖFFENTLICHEN PETITIONEN

Nach der Veröffentlichung einer Petition kann diese im Internet binnen sechs Wochen unterstützend mitgezeichnet und in einem Onlineforum diskutiert werden. Mehr als 3 Mio. Mal wurden die etwa 2.100 Öffentlichen Petitionen seit 2005 mitgezeichnet. Allerdings sind es ganz wenige Petitionen, die eine entsprechende Aufmerksamkeit in der (Internet-)Öffentlichkeit erzielten, sodass sie auch viele Mitzeichnungen erhielten. Der Mittelwert der Mitzeichnungen pro Öffentlicher Petition lag für den Zeitraum 2005 bis 2010 bei etwa 1.170 Mitzeichnungen. Aber 85 % aller Öffentlichen Petitionen erhielten weniger als 1.000 Mitzeichnungen, nur neun (0,4 %) erreichten auf elektronischem Weg innerhalb der Sechswochenfrist mehr als 50.000 Mitzeichnungen. Der Maximalwert der Onlinemitzeichnungen lag bei 134.015. Dies ist im Übrigen für Massenpetitionen kein Spitzenwert: Bereits in den 1950er und 1960er Jahren gab es Petitionen mit einigen Hunderttausend Unterschriften.

Ein Missbrauch der Mitzeichnungsfunktion wurde nicht festgestellt. Generell erscheint es sinnvoll, die Anforderung an die Überprüfung der Identität von Petenten und unterstützenden Mitzeichnern bei der Nutzung des Internets nicht höher anzusetzen als im herkömmlichen, papiergebundenen Verfahren. Es konnte auch nicht bestätigt werden, dass einige Wenige sehr viele Petitionen mitzeichnen und dadurch vielleicht das Gesamtbild der Unterstützung der Öffentlichen Petitionen verfälschen. Die große Mehrheit der Mitzeichner (83,8 %) hatte in einem Beobachtungszeitraum von 16 Monaten nur eine oder zwei Petitionen gezeichnet. "Heavy users" mit drei und mehr Mitzeichnungen sind eine zu kleine Gruppe, um das Gesamtergebnis der Mitzeichnungen maßgeblich beeinflussen zu können.

Die Mitzeichnungsmöglichkeit elektronischer Petitionen hat allerdings bei den Petenten und in der Öffentlichkeit zu dem Missverständnis geführt, dass das Erreichen des Quorums von 50.000 Mitzeichnungen über den Erfolg oder Misserfolg einer Petition entscheiden würde. Dies ist nicht der Fall. Nichtöffentliche und Öffentliche Petitionen werden unabhängig von der Anzahl der Mitzeichnungen prinzipiell gleich behandelt.

Mit dem Erreichen des Quorums von 50.000 Mitzeichnungen wird den Mitgliedern des Petitionsausschusses sowie den Petenten die Möglichkeit geboten, auf einer öffentlichen Ausschusssitzung das Petitionsanliegen zu erörtern. Die öffentlichen Ausschusssitzungen wurden sowohl von den Petenten als auch den Parlamentariern sehr positiv aufgenommen. Es finden jährlich etwa fünf Sitzungen statt, bei denen je fünf bis zehn Öffentliche Petitionen behandelt werden.

DISKUSSIONSFOREN FÜR ÖFFENTLICHE PETITIONEN

Ein weiterer innovativer Bestandteil der Petitionsreform von 2005 sind die Diskussionsforen, die zu jeder Öffentlichen Petition eingerichtet werden. Mehr als 100.000 Beiträge wurden von einigen 10.000 Teilnehmern seit 2005 geschrieben. Diskussionsbeiträge können durch die registrierten Teilnehmer unmittelbar in ein Forum gestellt werden. Die vom Petitionsausschuss durchgeführte Moderation greift bei Regelverstößen durch Ermahnungen, gegebenenfalls auch durch Löschungen ein. Gravierende Regelverstöße sind allerdings eher selten.

In den Befragungen der verschiedenen Petentengruppen wurde die Einrichtung von Foren prinzipiell von der großen Mehrheit begrüßt und positiv bewertet. Auch die Inhalte der Foren wurden - auf Basis einer Inhaltsanalyse von 19 ausgewählten Diskussionsforen - als überwiegend informativ und sachlich eingeschätzt. Dies entspricht wiederum den Ergebnissen der Befragungen von Petenten und Nutzern der E-Petitionsplattform des Deutschen Bundestages. Von Letzteren hielten in der Befragung 2009 91 % die Diskussion in den Foren für informativ und 87 % für sachlich.

Problematisch ist allerdings, dass Wunsch und Wirklichkeit bei den mit den Foren verfolgten Zwecken auseinanderklaffen. Etwa zwei Drittel der im Jahr 2009 befragten Nutzer der Foren wollten über die Foren einen Kontakt zwischen Abgeordneten und Bürgern herstellen. Dieser findet aber über die Foren nicht statt. Für ähnlich viele sollen die Foren den Petitionsausschuss bei der Beurteilung einer Petition unterstützen. Auch dies ist nicht der Fall, da die Diskussionsforen im Petitionsverfahren nicht systematisch ausgewertet und berücksichtigt werden.

ERFOLGSBEWERTUNGEN ZUM PETITIONSVERFAHREN

Die Vorgaben des derzeitigen Regulierungssystems üben entscheidenden Einfluss auf die zukünftige Entwicklung, Verbreitung und Nutzung möglicherweise leistungssteigernder Substanzen aus. Auch wenn potenzielle Enhancementsubstanzen sehr wahrscheinlich unter das Arzneimittelrecht fallen werden, ist es, um Enhancement in seiner Komplexität zu erfassen, nötig, auch den Grenzbereich zu Lebensmitteln zu thematisieren, da dieser voraussichtlich als Wegbereiter und Wunschverstärker fungiert.

NORMATIVER UMGANG MIT LEBENSMITTELN

Zum ersten Mal können auf Basis der Petentenbefragungen nun auch - neben den Erfolgsbewertungen auf Grundlage der Petitionsstatistik - Angaben zum Erfolg von Petitionen gemacht werden.

Der Tätigkeitsbericht des Petitionsausschusses für das Jahr 2009 gibt auf die Frage nach dem Erfolg von Petitionen die Antwort, dass fast die Hälfte der Vorgänge im weiteren Sinne positiv erledigt werden konnte. Dazu zählen 38,1 % der abschließend behandelten Vorgänge, die durch Rat, Auskunft, Verweisung und Materialübersendung erledigt wurden, 7,6 %, bei denen dem Anliegen entsprochen wurde, und 3,5 %, die an die Bundesregierung überwiesen wurden.

Die Einschätzungen der Petenten sind diesbezüglich deutlich negativer. Nur rund ein Drittel der Befragten Petenten war nach Abschluss des Verfahrens mit der Bearbeitung ihrer Petition durch den Deutschen Bundestag zufrieden. Etwa in einer ähnlichen Größenordnung wurde der Aussage zugestimmt, dass sich die Einreichung der Petition "alles in allem" gelohnt habe. Nur 20,7 % der Petenten mit herkömmlichen Petitionen und 15,2 % der Petenten mit Öffentlichen Petitionen hatten den Eindruck gewonnen, dass der Bundestag sich für ihr Anliegen engagiert habe.

Vor dem Hintergrund dieser eher kritischen Erfolgsbewertungen durch die Petenten - die im Übrigen in vergleichbaren Befragungen in anderen Ländern ähnlich ausfallen - mag es überraschen, dass 63 % der Einreicher herkömmlicher Petitionen und sogar 75 % der Einreicher Öffentlicher Petitionen erklärten, dass sie in einer ähnlichen Situation wieder eine Petition einreichen würden. Dieser vermeintliche Widerspruch zwischen kritischer Erfolgsbeurteilung und einem Festhalten an weiteren Nutzungsabsichten klärt sich dann auf, wenn man berücksichtigt, dass die Motivlagen für die Einreichung von Petitionen vielfältig sind und sich nicht auf die reine Durchsetzung des formulierten Anliegens beschränken. Für einige Petenten ist es mindestens genauso wichtig, dass Politik und Öffentlichkeit von ihrem Anliegen erfahren und dadurch vielleicht mittel- oder langfristig eine "Lösung" im Sinne der Petenten erreicht werden könnte.

MODERNISIERUNG DER PETITIONSVERFAHREN DER BUNDESLÄNDER

Parlamentarische Eingabestellen gibt es bei allen Landtagen bzw. Bürgerschaften der Bundesländer. Vier Bundesländer verfügen zusätzlich über einen parlamentarischen Bürgerbeauftragten. Insgesamt gehen bei den Landtagen jährlich ähnlich viele Petitionen ein - etwa 20.000 - wie beim Bundestag. Die Bedeutung der Petitionsverfahren auf der Ebene der Bundesländer sollte also nicht unterschätzt werden.

Die Öffentlichen Petitionen des Deutschen Bundestages haben bei den Petitionsausschüssen der Landtage Aufmerksamkeit geweckt und in vielen Fällen Reformaktivitäten ausgelöst. Bei der Mehrzahl der Länderparlamente kann man mittlerweile Petitionen elektronisch einreichen. Dabei kommen unterschiedliche Verfahren zum Einsatz. Es ist absehbar, dass auch in den verbleibenden sechs Ländern elektronische Einreichungen für Petitionen demnächst möglich werden.

Öffentliche Petitionen in Anlehnung an das Modell des Bundestages (mit Mitzeichnung und Diskussionsforen) gibt es momentan nur im Stadtstaat Bremen (seit Januar 2010). Allerdings stehen die Einführung im Landtag von Rheinland-Pfalz sowie von Schleswig-Holstein für 2011 unmittelbar an. Schleswig-Holstein verzichtet dabei auf die Einrichtung von Diskussionsforen. Überhaupt gibt es zwar ein großes Interesse an den Erfahrungen des Bundestages mit Öffentlichen Petitionen, aber keinen Automatismus für die Übernahme dieses Modells. Einige Ausschüsse führen fallweise öffentliche Sitzungen mit der Beteiligung von Petenten durch. An die Einführung eines Quorums hierfür wird dabei nicht gedacht.

MODERNISIERUNG DES PETITIONSWESENS IM VEREINIGTEN KÖNIGREICH

Das Petitionswesen des Vereinigten Königreichs ist aufs Engste mit der Genese des englischen Parlamentarismus verbunden. Zwar hat dieses Eingabe- und Beteiligungsverfahren seit dem Mittelalter aufgrund veränderter historischer Konstellationen und politisch-institutioneller Bedingungen deutlich an Bedeutung eingebüßt. Allerdings erfreut sich das Petitionswesen im Vereinigten Königreich seit gut zehn Jahren neuer Aufmerksamkeit. Auf allen politischen Systemebenen sind Reformen des Petitionswesens umgesetzt worden oder befinden sich gegenwärtig in der Diskussion. Trotz großer Unterschiede in den jeweiligen politisch-institutionellen Zielsetzungen und der konkreten Umsetzung ist der Einsatz des Internets als gemeinsames Merkmal der aktuellen Modernisierungsbemühungen augenfällig.

DAS PETITIONSWESEN DES WESTMINSTER-PARLAMENTS

Im Unterschied zur gängigen Praxis in Europa können Petitionen an das Westminster-Parlament nicht direkt von den Bürgern eingebracht werden, sondern nur von gewählten Abgeordneten. Dies bedeutet, dass sich ein Petent zunächst an ein Mitglied des Parlaments (MP) - in der Regel der jeweils zuständige Wahlkreisabgeordnete - wenden muss, damit dieser die Petition in das Parlament einbringt (sogenannter "MP-Filter" oder "Sponsorshipmodell").

Danach werden die Eingaben den jeweils zuständigen Fachausschüssen und Ministerien zugeleitet. Erstere sind gehalten, die Petitionen auf ihre Tagesordnungen zu setzen, während Letztere erst seit 2007 verpflichtet sind, auf "substanzielle" Petitionen zu antworten. Der Petitionstext sowie die Antworten der Exekutive werden vom parlamentseigenen Dokumentationsdienst Hansard - auch im Internet - veröffentlicht.

Im Mittelpunkt der Kritik an diesem Verfahren steht die weitgehende Folgen- und Wirkungslosigkeit des Petitionsverfahrens. Reformvorschläge werden seit 2005 in den Ausschüssen des Parlaments diskutiert. Angestrebt wird eine bessere Integration des Petitionsverfahrens in die parlamentarischen Prozesse und eine größere öffentliche Aufmerksamkeit, u. a. durch Einführung eines elektronischen Petitionssystems sowie durch Debatten besonders interessanter Petitionen in der Westminster Hall des Parlaments bzw. bei Erreichung eines Quorums auch im Plenum. Der MP-Filter soll allerdings, so die überwiegende Meinung der Abgeordneten, nicht angetastet werden. Auch die Wiedereinführung eines Petitionsausschusses wird nicht gefordert. Die Reformbestrebungen sind allerdings ins Stocken geraten. Als Gründe können der Regierungswechsel 2010, mangelnde Ressourcen sowie eine diffuse, schwer greifbare Skepsis der Regierung gegenüber einer Aufwertung des parlamentarischen Petitionswesens angeführt werden. Offensichtlich ist das Parlament im Verhältnis zur Exekutive zu schwach, um einen eigenen Weg der Modernisierung des Petitionswesens durchzusetzen.

DAS E-PETITIONSSYSTEM DES PREMIERMINISTERS

Das E-Petitionsangebot "Downing Street No. 10" wurde im November 2006 eingerichtet und kurz vor den Neuwahlen des britischen Parlaments im Mai 2010 deaktiviert. Es wird in dieser Form nicht mehr in Betrieb gehen. Die Nutzer konnten auf der E-Petitionsplattform ihre Anliegen einreichen, veröffentlichen und Unterschriften sammeln. Um eine per E-Mail übermittelte Antwort der Regierung zu erhalten, musste der Petent zuletzt ein Quorum von mindestens 500 elektronischen Mitzeichnungen erreichen.

Das E-Petitionsangebot beim Premierminister war mit Blick auf die Nutzungszahlen ausgesprochen populär. Zwischen Dezember 2006 und Januar 2010 wurden über 67.000 E-Petitionen eingereicht. Die davon zugelassenen Eingaben erhielten insgesamt beachtliche 11,8 Mio. elektronische Mitzeichnungen. Rund 7 % der E-Petitionen gelang es, das Quorum von 500 Unterschriften zu erreichen. Eine Petition erlangte 1,8 Mio. Unterstützer.

Kritisiert wurde die fehlende Integration der E-Petitionen in exekutive Entscheidungsroutinen, sodass mit den Eingaben weitgehend nach Belieben verfahren werden konnte. Außerdem fügte sich das Verfahren nahtlos in die Politik der damaligen Regierung ein, die Machtkonzentration beim Premierminister zu verstärken und die öffentliche Meinung durch direkte Wählerkommunikation gezielt zu beeinflussen. Problematisch erschien auch, dass von vielen Bürgern irrtümlicherweise die E-Petition mit Quorum als ein direktdemokratisches Beteiligungsversprechen interpretiert werden konnte. Dazu kam, dass eine öffentliche Debatte über das Für und Wider einer Petition im Rahmen der E-Petitionsplattform nicht vorgesehen war.

Ein modifiziertes Wiederaufleben von E-Petitionen an den Premierminister bzw. die britische Regierung ist durch die neue Regierung angekündigt. Im Falle einer Realisierung dieser Pläne würden die Chancen, dass das Unterhaus sein Petitionswesen entscheidend modernisiert, noch weiter sinken. Denn zwei neue Systeme wären kaum zu rechtfertigen. Im Wettbewerb zwischen Exekutive und Legislative würde das Parlament unterliegen.

PETITIONEN AN DAS SCHOTTISCHE PARLAMENT

Die außergewöhnlich modernen E-Petitionssysteme zunächst beim Schottischen, dann auch beim Walisischen Parlament hängen zusammen mit den Staatsreformen der Blair-Regierung, in deren Rahmen administrative und legislative Kompetenzen von der nationalen Ebene auf die Landesteile Schottland, Wales und Nordirland verlagert wurden (Devolution). Die besonders günstigen Bedingungen einer Neukonstituierung eines Parlaments sowie der deutliche Wille, sich von bestimmten Elementen des Westminster-Systems abzugrenzen, wurden für ein Petitionsverfahren genutzt, das den Prinzipien der Zugänglichkeit, Offenheit, Responsivität und der Förderung der Bürgerbeteiligung bei Wahrung der Chancengleichheit folgen sollte.

Das Schottische Parlament war weltweit die erste gewählte Volksvertretung, die ein elektronisches Petitionssystem eingeführt und als festen Bestandteil in das parlamentarische Bearbeitungsverfahren integriert hat. Insbesondere die technischen Funktionalitäten der internetbasierten Mitzeichnung und Diskussion der Petitionen des sogenannten "E-Petitioners" haben international bei Wissenschaftlern und Politik viel Aufmerksamkeit und Anerkennung gefunden. Die Begeisterung für die kommunikationstechnische Pionierleistung des schottischen Petitionsausschusses hat bei vielen Beobachtern lange Zeit den Blick für das gesamte Petitionsverfahren beim Schottischen Parlament verstellt. Dieses ist gekennzeichnet durch ein intensives Bemühen, die Petenten in das Petitionsverfahren einzubeziehen und alle Verfahrensschritte transparent zu gestalten.

Als Garant für ein angemessenes Bearbeitungsverfahren wurde ein Petitionsausschuss eingerichtet, der in aller Regel öffentlich, auch unter aktiver Beteiligung von Petenten, tagt. Das Petitionsverfahren kennt weder einen Abgeordnetenfilter noch ein Quorum. Neben schriftlichen und elektronischen Einreichungen (per E Mail) können Petitionen persönlich, telefonisch, als Video und künftig sogar als SMS vorgebracht werden.

Kennzeichnend für das Petitionsverfahren ist der ausgesprochen hohe Grad an Transparenz und Verfahrenspublizität. Die Zugänglichkeit für die Bürger erstreckt sich nicht nur darauf, dass die Ausschusssitzungen grundsätzlich öffentlich sind und als Webcast online abgerufen werden können. Darüber hinaus werden sämtliche Petitionen - ob herkömmlich oder elektronisch eingereicht -, die Angaben über Einreicher und die Zahl der Mitzeichner, die relevanten Hintergrundinformationen, Stellungnahmen und Dokumente, die im Bearbeitungsverfahren herangezogen wurden, sowie Sitzungsprotokolle veröffentlicht und können über das Internet abgerufen werden. Was die Inhalte der Diskussionsforen angeht, wurden diese zunächst den Abgeordneten in einer ca. zweiseitigen Zusammenfassung zur Verfügung gestellt. Dies wurde aber mittlerweile wegen des zu großen Arbeitsaufwandes und des geringen Interesses bei den Abgeordneten aufgegeben.

Die Zahl der jährlich beim Petitionsausschuss des Schottischen Parlaments eingereichten Petitionen hat sich in den letzten Jahren bei rund 100 eingependelt. Ausnahmslos alle Petitionen werden im Internet veröffentlicht. Etwa 90 % der Petitionen werden elektronisch per E-Mail eingereicht. Der Anteil der Petenten, der auch den E-Petitioner für die Mitzeichnung und öffentliche Diskussion nutzt, ist von zunächst 20 auf mittlerweile 100 % angestiegen. Etwa 30 % der Petitionen erhalten mehr als 100 Mitzeichnungen.

Überhaupt finden eine kontinuierliche, auch durch wissenschaftliche Evaluationen unterstützte Überprüfung des Erreichten und ein andauerndes Bemühen um weitere Verbesserungen statt. So soll die mittlerweile veraltete Software des E-Petitioners erneuert werden. Die Petenten werden aufgefordert, auch durch Videos, die der Öffentlichkeit über das Internet zur Verfügung gestellt werden, das Anliegen ihrer Petition zu verdeutlichen. Der Ausschuss informiert die Öffentlichkeit über einen Blog und nutzt auch soziale Netzwerke wie Facebook. Er beschränkt sich in diesen Aktivitäten aber keineswegs auf das Internet und andere moderne Kommunikationstechnologien, sondern führt beispielsweise Ausschusssitzungen außerhalb der Hauptstadt durch und kooperiert in seiner Öffentlichkeitsarbeit mit ausgewählten Gesellschaftsgruppen und Institutionen.

PETITIONEN AN DIE WALISISCHE NATIONALVERSAMMLUNG

Mit Blick auf die Zulassungsbedingungen für Petitionen - ein Petitionsausschuss existiert seit 2007 - hat sich die Walisische Nationalversammlung für ein, wenn auch niedriges Quorum entschieden: Die Eingabe muss von mindestens zehn Mitzeichnern oder von einer Körperschaft unterstützt werden. Auch in Wales werden manche Petenten in den Ausschuss geladen, damit diese ihr Anliegen persönlich vortragen können.

Seit April 2008, mittlerweile mit einer neuen, verbesserten Software, können Petitionen über das Internet eingereicht, veröffentlicht und mitgezeichnet werden. Im Unterschied zu Schottland, aber wie beim Deutschen Bundestag, wird eine persönliche Registrierung verlangt, die ähnlich umstritten wie in Deutschland ist. Diskussionsforen zu den einzelnen E-Petitionen werden nur auf Wunsch des Petenten eingerichtet und sind nicht in das E-Petitionssystem integriert, auch dies eine vom schottischen und deutschen Modell abweichende Verfahrensweise. Diese Möglichkeit wird indessen kaum genutzt.

Während der dritten Legislaturperiode (2007 bis 2011) befasste sich der Petitionsausschuss mit insgesamt 215 Petitionen; davon gingen 95 als E-Petitionen beim Ausschuss ein.

OMBUDSSTELLEN IM VEREINIGTEN KÖNIGREICH

Auch im Vereinigten Königreich stehen dem Bürger zahlreiche Kanäle zur Verfügung, um sich über staatliches Verwaltungshandeln zu beschweren und um Abhilfe zu ersuchen. Im Unterschied zu vielen kontinentaleuropäischen Ländern kennt das Vereinigte Königreich jedoch keine ausgebaute Verwaltungsgerichtsbarkeit, über deren Instanzenweg Bürger in einem mehrstufigen Verfahren gegen Verwaltungsakte vorgehen könnten. Entsprechend setzt man auf politische und quasi-politische Abhilfe bei fehlerhaften Verwaltungsvorgängen. Für Abhilfe sollen die zum Teil mehrstufigen Beschwerdemöglichkeiten der öffentlichen Verwaltung sowie, nachdem dieser formale Beschwerdeweg ausgeschöpft ist, Ombudsstellen sorgen.

Entsprechend findet man in Großbritannien ein ausdifferenziertes, fast unübersichtliches System von Ombudsstellen auf sämtlichen Ebenen des Staates. Auf der zentralstaatlichen Ebene ist der am Unterhaus angesiedelte Parliamentary and Health Service Ombudsman (PHSO) zweifellos die bedeutendste Beschwerdeinstanz. In den beiden Landesteilen Schottland und Wales existieren ebenfalls gesonderte Ombudsstellen: der Scottish Public Services Ombudsman (SPSO) und der Public Services Ombudsman for Wales (PSOW). Für die kommunale Ebene in England wurde der Local Government Ombudsman (LGO) eingerichtet.

Bei der Eingabe von Beschwerden an den PHSO benötigt der Beschwerdeführer einen Abgeordneten, der die Beschwerde unterstützt (gilt nicht für Beschwerden im Bereich des Gesundheitssystems). Der PHSO selbst fordert die Abschaffung dieser Zugangshürde bisher vergeblich, da die Abgeordneten ihre zentrale Stellung als intermediäre Instanz zwischen (Wahlkreis )Bürger und Regierung nicht einbüßen möchten. Im Zuge der Prüfung und Bearbeitung von Beschwerden kann der PHSO auf umfangreiche Ermittlungsbefugnisse zurückgreifen, die sich aus den parlamentarischen Kontrollrechten ergeben. Dies schließt insbesondere das Recht auf Akteneinsicht sowie die Möglichkeit zur Befragung des Verwaltungspersonals ein. Ergeben die Untersuchungen, dass tatsächlich ein Fehlverhalten der Verwaltung vorliegt, erhebt der PHSO meist die Forderung nach Kompensation. Diese kann sowohl eine förmliche Entschuldigung beim Bürger als auch die Zahlung einer Wiedergutmachung beinhalten. Allerdings hat der Ombudsmann keine Weisungsbefugnisse gegenüber der beschwerten Stelle.

Die Nutzung des PHSO-Angebots ist durchaus beachtlich. In ihrem letzten Jahresbericht (2009/2010) gibt die Organisation an, über 23.600 Anfragen erhalten zu haben. Aber nur bei 356 Beschwerden wurde eine detaillierte Untersuchung vorgenommen.

Bei einem Vergleich des parlamentarischen Petitionswesens Deutschlands mit dem Großbritanniens ist nicht nur der dort prinzipiell andersgeartete politische Institutionenaufbau zu berücksichtigen, sondern auch die Parallelität von parlamentarischem Petitions- und Ombudswesen, das auf der zentralstaatlichen Ebene Deutschlands nicht vorhanden ist. Dass im britischen Kontext üblicherweise von "public petitions" gesprochen wird, unterstreicht die unterschiedliche Funktionslogik von auf Politik und Öffentlichkeit gerichteten Petitionen einerseits und den an die Ombudsinstitutionen adressierten eher persönlichen Beschwerden andererseits.

MODERNISIERUNG DES PETITIONSWESENS BEI DEN EUROPÄISCHEN PARLAMENTEN

In der Bestandsaufnahme der Petitionsstellen auf gesamtstaatlicher parlamentarischer Ebene wurden die 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union, die Schweiz und Norwegen erfasst. Die Untersuchung konnte erstmals für diese 29 Staaten aufzeigen, welche Parlamente überhaupt (und in welchen Kammern) Petitionen bearbeiten. Einschließlich der Ombudsinstitutionen wurden 59 Petitionsstellen auf gesamtstaatlicher Ebene identifiziert.

Es lassen sich drei Konstellationen des parlamentarischen Petitionswesens in Europa unterscheiden:

GESAMTDYNAMIK

Das Petitionswesen in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union ist von einer bemerkenswerten Dynamik gekennzeichnet. Zu der Dynamik haben die Demokratisierungsprozesse in Mittel- und Südosteuropa beigetragen, die in den meisten dieser Länder zur Einrichtung von Ombuds- und Petitionsstellen beim Parlament geführt haben. Es kann gezeigt werden, dass sich die Erfahrungen dieser Länder mit staatlicher Willkür und mangelnder Rechtsstaatlichkeit in einer vergleichsweise hohen formalen Verbindlichkeit der Verfahren und besonderen Anstrengungen, das Petitionsverfahren bürgernah auszugestalten, niedergeschlagen haben.

In acht weiteren Mitgliedstaaten der EU wurden noch nach 1980 neue Ombudsstellen gegründet - zuletzt in Luxemburg 2003. Neue parlamentarische Petitionsstellen auf gesamtstaatlicher Ebene wurden - von den ehemals kommunistischen Ländern abgesehen - nicht mehr eingeführt. Die anhaltende Dynamik richtet sich zum einen auf die regionale und lokale Ebene, wo in einzelnen Ländern noch Petitionssysteme neu eingerichtet werden, und zum anderen auf die Modernisierung des Petitionssystems durch den Einsatz digitaler Informations- und Kommunikationstechnik.

MODERNISIERUNG AUF EBENE DER PARLAMENTARISCHEN STELLEN

E-Mail gehört heute zum Alltag im parlamentarischen Petitionswesen, aber für die Webangebote gilt das nicht. Lediglich zehn von 21 parlamentarischen Petitionsstellen verfügen über einen eigenen Internetauftritt. Bei vielen dieser Petitionsstellen besteht derzeit zudem kein oder nur ein geringes Interesse am Aufbau von Internetangeboten. Ein System für öffentliche E-Petitionen auf gesamtstaatlicher Ebene wie in Deutschland gibt es anderswo nicht. Dies wird sich ändern, wenn Litauen, Luxemburg, Portugal und die Slowakei ihre diesbezüglichen Modernisierungspläne umsetzen.

Manche Länder setzen nicht allein auf das Internet, sondern auf die Vielfalt der Medien, um die Bevölkerung über das Petitionswesen zu informieren und daran zu beteiligen. Das reicht von eigenen oder in Kooperation mit Fernsehsendern produzierten Sendungen (Österreich, Tschechien) über die Unterstützung von Petitionen über SMS (Schottland) bis zum Einsatz eigener Blogs (Schottland, Frankreich). Andere Länder verzichten auf das Schriftlichkeitserfordernis bei der Einreichung (etwa Portugal, Slowenien, Ungarn), verfügen über ein Netzwerk kooperierender Außenstellen im Land (Frankreich, Portugal, Slowakei, Wales) oder haben Callcenter (z. B. eine Telefonhotline für Kinder in Portugal) eingerichtet. Sie berücksichtigen mit solchen breiter gefassten Medienstrategien, dass über das Internet nur bestimmte Bevölkerungsgruppen besonders gut angesprochen werden können, andere aber eher nicht.

Als Protagonisten der Modernisierung wurden die parlamentarischen Petitionssysteme Bulgariens, Deutschlands, Litauens, Luxemburgs, Portugals, der Slowakei und Tschechiens identifiziert. Parlamente mit einem spezialisierten Petitionsausschuss betreiben dabei eher ein bürgernahes Petitionssystem und tendieren stärker zur Einbindung der Öffentlichkeit. Zu den Parlamenten ohne Petitionsausschuss gehören insbesondere diejenigen, die nach dem Vorbild in Westminster Petitionen nur über die Vermittlung eines Abgeordneten (Abgeordnetenfilter) entgegennehmen. Petitionssysteme mit Petitionsausschuss sind tendenziell etwas durchsetzungsstärker, was mit einer starken Rolle des Parlaments gegenüber der Exekutive in Verbindung gebracht wird.

VERGLEICH DER PETITIONSSTELLEN MIT DEN OMBUDSSTELLEN

Der Vergleich der Petitionsstellen mit den Ombudsstellen zeigt, dass Letztere wesentlich homogener sind. Der Schutz individueller Rechte und die Bearbeitung von Beschwerden zum Verwaltungshandeln stehen im Vordergrund. Die konkrete Ausgestaltung des Beschwerdeverfahrens unterscheidet sich bei den verschiedenen Ombudsstellen nur in Details.

Die Unterschiede zwischen den Ombudsstellen liegen eher bei zusätzlichen Funktionen (z. B. Aufgaben der Schlichtung, Expertisen im Gesetzgebungsprozess). Dass Beschwerden an die Ombudsstellen im Vergleich zu den an das Parlament gerichteten Petitionen nicht so häufig öffentliche Anliegen zum Inhalt haben und dass der Einbezug der Öffentlichkeit eher selten angestrebt wird, heißt nicht, dass "mehr Öffentlichkeit" kein Thema bei den Ombudsstellen wäre.

Wo immer es ein Petitionswesen bei der Ersten Kammer und eine parlamentarische Ombudsstelle gibt, liegt das Petitionsniveau der Ombudsstelle ohne Ausnahme höher. Keine der parlamentarischen Petitionsstellen kommt über 50 Eingaben pro 100.000 Einwohner und Jahr, während etwa zwei Drittel der Ombudsstellen darüber liegen. Alle Ombudsstellen weisen einen hohen oder mittleren Grad an Bürgernähe auf. Im direkten Vergleich zwischen der Bürgernähe der Ombudsstelle und des Petitionssystems der Ersten Kammer eines Landes liegt in jedem Fall (mit Ausnahme Litauens) die Ombudsstelle vorne.

Alle Ombudsstellen verfügen heute über ein umfangreiches oder sehr umfangreiches Internetangebot. Was das Mitzeichnen oder das Diskutieren von Petitionen im Internet angeht, erscheinen die Petitionsstellen der Parlamente aktiver zu sein. Auch hier gibt es ein wichtiges Gegenbeispiel: Die französische Ombudsstelle zeigt mit ihrem Dienst "Le Médiateur & vous", wie ein erweitertes interaktives Angebot bei einer Ombudsstelle aussehen kann - ein Modell, das auch für Petitionsstellen der Parlamente von Interesse sein könnte.

DAS DEUTSCHE PETITIONSSYSTEM IM EUROPÄISCHEN VERGLEICH

Generell weist das parlamentarische Petitionswesen in Europa so viele nationale Besonderheiten auf, dass von einem dominierenden Modell nicht gesprochen werden kann. Deutschland ist eines der wenigen Länder, das ohne parlamentarischen Ombudsmann auskommt (ebenso Italien und die Schweiz). Es ist auch eines von wenigen Ländern, das Quoren in das Petitionsverfahren eingeführt hat (ebenso Österreich, Portugal, Slowakei und Tschechien). Dass persönliche Beschwerden und politische Anliegen wie in Deutschland zum Aufgabenspektrum einer Petitionsstelle gehören, ist keine Seltenheit. Die Mehrheit der befragten Petitionsstellen bearbeitet sowohl Eingaben im Sinne der "res publica" als auch der "res privata".

In puncto Petitionsintensität liegt das Petitionssystem des Bundestages im Vergleich zu den Petitionssystemen anderer Parlamente auf einem der oberen Plätze. Bezieht man aber die Eingaben an die Ombudsstellen in den Vergleich mit ein, da viele Eingaben in Deutschland an den Petitionsausschuss gehen, die in anderen Ländern an die dortige Ombudsstelle gerichtet werden, liegt Deutschland eher im unteren Mittelfeld.

Bei der Bürgernähe rangiert das deutsche Petitionssystem im oberen Bereich. Auffällig ist indes, dass in Deutschland die Unterstützung und Einbeziehung der Petenten während des Verfahrens vergleichsweise gering ausfällt. Hier könnte sich eine genauere Analyse der Angebote und Aktivitäten anderer Länder und eine Überprüfung auf Übertragbarkeit lohnen.

Bezogen auf die gesamtstaatliche Ebene ragt das System Öffentlicher E-Petitionen des Bundestages innerhalb der EU heraus. Von den Ländern, die ihr Internetangebot erweitern wollen, orientiert sich Luxemburg explizit am E-Petitionssystem des Bundestages. Eine verstärkte Kommunikation unter den Ländern, die E-Petitionssysteme neu aufbauen oder die bestehenden Angebote ausbauen, erscheint sinnvoll. In den Erfahrungsaustausch einbezogen werden sollten unbedingt die Ombudseinrichtungen mit weitentwickelten und besonders innovativen Webangeboten - etwa der Médiateur de la République in Frankreich. Interessant an diesem Beispiel ist, dass die Diskussionsplattform auf der einen Seite getrennt von konkreten, laufenden Beschwerdeverfahren aufgebaut wurde, dass auf der anderen Seite aber der Ombudsmann und von ihm ausgewählte Experten dort öffentlich Präsenz zeigen und in einen Dialog mit den Bürgern treten.

Mit Blick auf das elektronische Petitionssystem ist mittelfristig mit Petenten zu rechnen, die erwarten, den Stand ihres Petitionsverfahrens online erfahren zu können. In den Planungen des litauischen Parlaments wird solch einer Erwartung bereits Rechnung getragen. Es wird in Aussicht gestellt, dass die Nutzer des Systems den Fortgang des Verfahrens verfolgen können und über den Gang des Verfahrens - über Hol- oder Bringdienste - informiert werden. Außerdem soll es möglich sein, Petitionen zu überarbeiten, zu ergänzen oder auch zurückzuziehen. Das hier aufscheinende informationstechnische Ideal, das auf das Petitionssystem übertragen wird, ist an durchgängiger Nutzereinbindung, Flexibilität und Reversibilität orientiert. Es könnte auch für das E-Petitionssystem des Deutschen Bundestages einige Anregungen liefern.

Insgesamt relativieren die vorliegenden Analysen des TAB die Auffassung, das Petitionswesen des Deutschen Bundestages sei ein Sonderfall. Die bei den europäischen Parlamenten angesiedelten Petitionssysteme weisen insgesamt ein stark heterogenes Profil auf und folgen aus verschiedenen historischen Gründen keinem allgemeinen Muster.

WEITERER BEDARF AN EMPIRISCHER FORSCHUNG

Das Petitionswesen eines Landes kann als Konstellation unterschiedlicher Stellen aufgefasst werden. In der Auswertung der Erhebungen wurde bewusst auf das parlamentarische Petitionswesen auf gesamtstaatlicher Ebene abgestellt. In weiteren Schritten sollte die Perspektive erweitert werden. Zum einen wären in die Analyse auf gesamtstaatlicher Ebene noch die Petitionsmöglichkeiten beim Staatsoberhaupt, bei der Regierung, dem Ministerpräsidenten und den Ministerien einzubeziehen. Zum anderen wäre die Untersuchung auf die regionale und kommunale Ebene auszuweiten. Insbesondere bei Staaten, in denen unterschiedliche Nationalitäten oder Autonomiebestrebungen eine Rolle spielen, wie in der Schweiz, in Belgien oder Spanien, würden Analysen der substaatlichen Ebene, wie sie in diesem Bericht für Großbritannien vorgelegt werden, wichtige Erkenntnisse über das Petitionswesen zutage fördern. Eine mögliche Ausgangshypothese wäre, dass Staaten mit schwachen parlamentarischen Petitionssystemen auf der gesamtstaatlichen Ebene diese Schwäche auf einer subnationalen Ebene kompensieren können.

Eine weitere praktisch wie politikwissenschaftlich relevante Fragestellung ist die nach dem Funktionswandel des Petitionswesens in Zeiten des Internets. Zu denken ist hier nicht nur an die parlamentarischen Petitionsstellen auf gesamtstaatlicher Ebene, sondern an alle Petitionsstellen, die das Internet verstärkt einbeziehen. Außerdem wäre es wichtig, dabei auch die Veränderungen des Petitionierens im Kontext der Zivilgesellschaft zu erfassen. Es wäre zu fragen, wie Aktivitäten im Internet an bestehende staatliche Petitionssysteme anschließen, etwa im Vorfeld durch Mobilisierung, begleitend durch Diskussionsforen im Internet oder nachgelagert durch die Auswertung und mediale Nutzung der Informationen, die die staatlichen Petitionsstellen veröffentlichen. Des Weiteren wäre zu erforschen, ob sich im Internet Petitionsformen entwickeln, die in Konkurrenz zu den existierenden formalisierten Angeboten des politischen Systems treten.

Der Bedarf an empirischer Forschung ist im Zusammenhang mit einem Bedarf an Theorien zu sehen, die die empirische Forschung anleiten und mit denen die Ergebnisse interpretiert werden könnten. Zu denken ist insbesondere an komparatistische politikwissenschaftliche Ansätze, die makropolitische Variablen (das parlamentarische System, die politische Kultur, Formen der Interessenrepräsentation, Formen der Bürgerbeteiligung, Parteienwettbewerb, die Rolle der Judikative) zum Wandel der Petitionssysteme in Europa in Beziehung setzten.

GESTALTUNGS- UND ENTWICKLUNGSOPTIONEN

Die gegenwärtigen Reformen des Petitionswesens lassen sich in den Kontext von drei übergreifenden Entwicklungen stellen: Förderung und Ausweitung der Bürgerbeteiligung, zunehmender Einsatz des Internets in der Politik und die Computerisierung der Parlamente, die oft mit dem Stichwort "E-Parlament" bezeichnet wird. Dabei ist bemerkenswert, dass in der Debatte um eine Vitalisierung der Demokratie bürgerorientierte Eingabe- und Beschwerdeverfahren, wozu auch E-Petitionen gezählt werden, eine durchaus prominente Erwähnung finden. Sie werden zu den die repräsentative Demokratie ergänzenden - aber nicht ablösenden - Verfahren gezählt. Diese werden charakterisiert durch eine substanzielle Bürgerbeteiligung, echte Kontrollkompetenzen und eine Legitimation, die weniger formal-demokratisch gegeben, sondern im öffentlichen Raum erlangt werden muss, was wiederum größtmögliche Transparenz voraussetzt.

Der Einsatz des Internets geht mit diesen Entwicklungen Hand in Hand. Allerdings führt der Interneteinsatz allein nicht automatisch zu mehr Verfahrenstransparenz, einer größeren Zugänglichkeit und besseren Mitwirkungschancen. Um solche Ziele zu erreichen, sind politische Reformen und institutionelle Veränderungen notwendig. Sonst droht der Interneteinsatz sich in einer Scheinmodernisierung zu erschöpfen.

Das Zusammenwirken politisch-institutioneller Reformen und technischer Modernisierung scheint in vielen Fällen bei den Petitionsverfahren besonders gut zu gelingen. Deshalb stehen sie mit Recht im Mittelpunkt von Internetstrategien vieler Parlamente. Allerdings sollte man ihre Bedeutung für das "E-Parlament" auch nicht überschätzen. Hier stehen in der Regel eher Informationsangebote im Vordergrund, mit denen die Parlamente über ihre Arbeit informieren, als Kommunikationsangebote, bei denen sie mit ihren Wählern in einen Dialog eintreten oder diese (inter-)aktiv beteiligen, wie dies bei einigen E-Petitionssystemen der Fall ist.

ANSATZPUNKTE FÜR EINE VERBESSERUNG DER ÖFFENTLICHEN PETITIONEN DES DEUTSCHEN BUNDESTAGES

Vor dem Hintergrund der in diesem Bericht vorgelegten Analysen werden Ansatzpunkte für eine weitere Verbesserung des derzeitigen Systems Öffentlicher Petitionen des Deutschen Bundestages genannt und Optionen der Weiterentwicklung diskutiert. Bei der Entwicklung der Vorschläge standen vier Leitprinzipien Pate:

Für einen pragmatischen Weg schrittweiser Verbesserungen spricht, dass der Bundestag nach sieben Jahren Öffentlicher Petitionen ein eingespieltes Verfahren vorweisen kann, das stark genutzt sowie öffentlich wahrgenommen wird und auch im internationalen Vergleich einen beachtlichen Modernisierungsgrad aufweist. Außerdem wird die neu in Auftrag gegebene Softwareentwicklung, die 2012 in Betrieb gehen soll, für eine verbesserte, ausbau- und zukunftsfähige E-Petitionsplattform sorgen und bekannte Nutzungsprobleme reduzieren oder beseitigen.

Die Vorschläge konzentrieren sich auf problematische Aspekte der gegenwärtigen Praxis bei drei wesentlichen Verfahrensbestandteilen der Öffentlichen Petitionen: Zulassung, Mitzeichnung und Onlinediskussion.

Bei der Zulassung wird von den Petenten und in der Öffentlichkeit die geringe Zulassungsquote kritisiert. Schon durch nachvollziehbarere Zulassungskriterien sowie verständliche Begründungen für die Nichtveröffentlichung könnte mancher Konflikt entschärft werden. Darüber hinaus könnten alternative Auswahlverfahren erwogen werden. Bei einer Auswahl nach dem Zufallsprinzip - etwa eine wöchentliche Ziehung von zehn zur Veröffentlichung bestimmter Petitionen - wären Ablehnungsbegründungen nicht mehr erforderlich. Außerdem würde ausnahmslos jede Petition die gleiche Chance erhalten, veröffentlicht zu werden. Einen Nachteil dieses Verfahrens könnte man darin sehen, dass Petitionen ausgelost werden könnten, die für eine öffentliche Diskussion wenig geeignet sind. Bei einer alternativen Auswahlprozedur könnte der Petitionsausschuss diejenigen Einreichungen veröffentlichen, die er inhaltlich für besonders interessant hielte und bei denen er sich von einer Onlinediskussion und einer eventuellen öffentlichen Ausschusssitzung in der Sache am meisten versprechen würde.

Beim Verfahren zur Mitzeichnung ist offensichtlich, dass die Sechswochenfrist für die Mitzeichnung und Diskussion und die Dreiwochenfrist für die Erreichung des Quorums von 50.000 für die Einladung in eine öffentliche Ausschusssitzung angeglichen werden sollten. Gegebenenfalls könnte man aber auch die Fristsetzung - in gewissen Grenzen - den Petenten selbst überlassen, die dann selbst abwägen könnten, ob sie in erster Linie an einem schnellen Verfahren oder an einer umfassenden Diskussion und Mobilisierung für die Mitzeichnung interessiert sind. Außerdem könnte die schon gegenwärtig geübte Praxis, dass sowohl Mitzeichnungen im Internet als auch solche auf Papier oder per Fax zusammengezählt werden, in die Verfahrensgrundsätze und die Informationen für die Öffentlichkeit über das Petitionsverfahren aufgenommen werden. Schließlich scheint die derzeitige Veröffentlichung der Namen der Mitzeichner im Internet nicht zwingend erforderlich zu sein. Sie könnte ganz vermieden oder durch die Option der Anonymisierung abgeschwächt werden. Unterschriftenlisten, die zu Massen- oder Sammelpetitionen eingereicht werden, sind für die Öffentlichkeit auch nicht einsehbar.

Ein innovativer und im Prinzip bewährter Bestandteil der Öffentlichen Petitionen ist die obligate Einrichtung eines Diskussionsforums auf der E-Petitionsplattform. Allerdings gehen die Erwartungen der Petenten und Nutzer einerseits und der Abgeordneten andererseits, was Sinn und Zweck der Foren angeht, auseinander. Eine Klärung dieser Frage würde sicher helfen, unrealistische Erwartungen und daraus folgende Enttäuschungen zu vermeiden. Neben der Frage, ob sich auch Politiker an den Foren beteiligen sollen - was viele Bürger erwarten -, ist die Berücksichtigung der Inhalte der Diskussionen zu den Petitionen das zentrale Problem. Wenn dies Sinn und Zweck der Foren sein soll, dann müssen die entsprechenden technischen wie personellen Ressourcen bereitgestellt werden, um entsprechende Auswertungen zu erstellen, die im Petitionsverfahren berücksichtigt werden können. Würde man die Foren nicht nur in der Mitzeichnungsphase, wie es derzeitige Praxis ist, sondern während des gesamten Petitionsverfahrens offen halten, könnten sowohl vonseiten der Öffentlichkeit und der Unterstützer einer Petition als auch vonseiten der Politik aktuelle die Petition betreffende Fragen im Diskussionsforum aufgegriffen werden. Auch diesem Vorschlag wird man nur folgen können, wenn die dafür notwendigen personellen Ressourcen zur Verfügung gestellt werden.

Grundsätzlich wäre anzustreben, dass alle Funktionen des Petitionsverfahrens sowohl herkömmlich als auch elektronisch genutzt werden können. Hürden zwischen der "Papierwelt" und der "Internetwelt" sollten nicht aufgerichtet, sondern abgebaut werden. Öffentliche Petitionen sind z. B. für alle, die nicht das Internet nutzen können oder wollen, nicht zugänglich, da eine elektronische Einreichung für sie obligatorisch ist. Dies ist schwer vermittelbar.

Der Petitionsausschuss sollte generell die Chancen und Möglichkeiten einer Vielfalt von Medien nutzen. Dies betrifft nicht nur die digitalen Medien - Stichworte wären insbesondere digitale Videos, Smartphones und soziale Netzwerke -, sondern auch die schon länger etablierten: Viele wünschen eine persönliche oder telefonische Einreichung von Petitionen. Für eine aktive Öffentlichkeitsarbeit des Petitionsausschusses böte sich die Kooperation mit dem Hörfunk oder dem Fernsehen an. Erfolgreiche Beispiele hierfür findet man in anderen Ländern.

Nur teilweise erfolgreich war die Einführung der Öffentlichen Petitionen für die Gewinnung von Bevölkerungsgruppen, die sich bisher nur in einem geringen Maße mit Petitionen an den Bundestag gewandt hatten. Es ist zwar gelungen, auch Jüngere für das Petitionieren zu gewinnen, aber weiterhin sind die Petenten überwiegend männlich, außerordentlich gut gebildet sowie politisch engagiert. Wollte man die Beteiligung am Petitionsgeschehen ausweiten, sollte man sich nicht nur auf das Internet beschränken. Einige andere Maßnahmen sollen beispielhaft genannt werden: Bevölkerungsgruppen, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, könnten in ihrer Sprache angesprochen werden. Die obligatorische Schriftlichkeit der Eingabe könnte überdacht werden. In Kooperation mit Bürgerbüros, öffentlichen Bibliotheken, Schulen, Vereinen oder Medien könnte man versuchen, den für viele weit entfernten Berliner Petitionsausschuss näher an die Menschen und in die Regionen zu bringen.

Nicht alle diese Vorschläge sind ressourcen- oder personalintensiv. Aber letztlich müssen für die Erfüllung des Grundrechts auf Petitionen in einem modernen Gewand ausreichende Finanz- und Personalmittel bereitgestellt werden. Ein Aufwuchs der gegenwärtigen Personalausstattung des Petitionsausschusses erscheint im Vergleich mit anderen Eingabestellen, bei der zentralen Bedeutung des Petitionsausschusses für die Erfüllung von Artikel 17 GG und unter Berücksichtigung kontinuierlicher Modernisierungserfordernisse durchaus gerechtfertigt.

WEITER GEHENDE ENTWICKLUNGSOPTIONEN

Im Rahmen der derzeitigen Regularien des Deutschen Bundestages sind Öffentliche Petitionen wegen ihrer diskursorientierten Funktionalität und ihrer prinzipiell großen Akzeptanz ein herausgehobenes Premiumangebot, wegen ihrer Begrenzung auf wenige Prozent aller Petitionen aber auch ein Nischenangebot. Nicht in allen Aspekten ist es bisher gelungen, sie in die bestehenden Verfahren gut zu integrieren und Sonderregelungen und verfahren zu vermeiden. Abschließend sollen drei mögliche Szenarien mit ihren Vor- und Nachteilen skizziert werden, in die sich das Petitionswesen des Deutschen Bundestages transformieren könnte.

Zum Ersten könnte man sich vorstellen, die Öffentlichen Petitionen von der Ausnahme zur Regel zu erklären. Diesen Wunsch hegen die meisten Petenten. Das Prinzip, dass jede Petition nach den gleichen Verfahrensregeln behandelt wird, könnte wieder Platz greifen. Die Öffentliche Petition (nur) als "zusätzliches Angebot" wäre damit aufgegeben.

Die prinzipielle Öffentlichkeit von Petitionen würde viele Probleme im Detail lösen. So ist es zurzeit für den Petenten im Vorfeld einer Eingabe nicht möglich nachzuprüfen, ob es eine sachgleiche oder ähnliche Petition bereits gibt, da über 95 % aller Petitionen nicht öffentlich zugänglich sind. Für die prinzipielle Veröffentlichung von Petitionen könnte auch ins Feld geführt werden, dass der stärkste Partner bei der Durchsetzung von Beschlüssen des Petitionsausschusses die Öffentlichkeit ist, da er selbst keine Umsetzungskompetenz gegenüber der Exekutive besitzt.

Natürlich müssten Aspekte des Persönlichkeits- und Datenschutzes berücksichtigt werden. Dies könnte dadurch geschehen, dass die Petenten selbst entscheiden, ob sie ihre Petition als öffentliche oder nichtöffentliche behandelt sehen wollen. Darüber hinaus könnte oder müsste man die eventuell in Petitionen aufgeführten personenbezogenen Angaben, insbesondere Namen, generell anonymisieren.

Zum Zweiten könnte man gewissen Problemen der Zulassung Öffentlicher Petitionen auch dadurch begegnen, dass man einen nationalen Ombudsmann einführt, der für Petitionen der "res privata" zuständig wäre, wohingegen sich der Petitionsausschuss auf Petitionen der "res publica" konzentrieren könnte. Gegen diesen immer wieder in den letzten 50 Jahren diskutierten Vorschlag spricht, dass dadurch der Petitionsausschuss sein Markenzeichen der "Allzuständigkeit" verlieren könnte. Darüber hinaus ist die Trennung in "Anliegen von allgemeinem Interesse" und sonstige Anliegen problematisch. Aus den Befragungen der Einreicher herkömmlicher (nichtöffentlicher) Petitionen weiß man, dass die Petenten zu 84,5 % eine Gesetzesänderung mit ihrer Petition anregen wollen, sich also überwiegend als politisch Handelnde verstehen. Es bestünde auch die Gefahr, dass der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages an politischer Bedeutung verlieren könnte. Darauf deuten jedenfalls die Untersuchungen bei den Petitions- und Ombudsstellen bei den Europäischen Parlamenten hin. Gegenwärtig zählt der Petitionsausschuss des Bundestages, was seine Kompetenzen und Zuständigkeiten, seine personelle Ausstattung, seine Reformfreudigkeit sowie seine öffentliche Wahrnehmung betrifft, im internationalen Vergleich zu den ausgesprochen profilierten Eingabeinstitutionen. Ob diese Position bei der Einrichtung eines nationalen Ombudsmannes aufrechterhalten werden könnte, kann infrage gestellt werden.

Zum Dritten könnte sich das Petitionswesen als ein Element direktdemokratischer Verfahren weiterentwickeln. Solche gibt es bisher auf Bundesebene - mit Ausnahme des Artikel 29 GG zur Neugliederung des Bundesgebietes - nicht. Die Einführung von Quoren in das Petitionsverfahren, die 2005 zum ersten Mal erfolgte (50.000 Mitzeichnungen für die Behandlung einer Petition in einer öffentlichen Ausschusssitzung), und die geplante Einführung eines weiteren Quorums von 100.000 Mitzeichnungen für die Behandlung einer Petition im Plenum mit nachfolgender Überweisung in die Fachausschüsse gehen in die Richtung direktdemokratischer Verfahren, die in den Bundesländern meist Volksinitiativen heißen. Man kann darin eine Aufwertung von Petitionen sehen. Gegen eine solche Entwicklung könnte man einwenden, dass der Charakter des Petitionsrechts als ein ausgesprochenes Individualrecht verloren gehen könnte. Das Petitionsrecht eröffnet gerade Einzelpersonen und Minderheiten einen Zugang zum Staat und zur Volksvertretung, indem es keine besonderen Anforderungen stellt.

 

Erstellt am: 07.02.2012 - Kommentare an: webmaster