Steffen Kinkel, Michael Friedewald, Bärbel Hüsing, Gunter Lay, Ralf Lindner

Arbeiten in der Zukunft
Strukturen und Trends der Industriearbeit

Berlin: edition sigma 2008, Reihe: Studien des Büros für Technikfolgen-Abschätzung, Bd. 27, ISBN 978-3-8360-8127-6, 298 Seiten, kartoniert 22.90 Euro
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EINLEITUNG

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1.    ZUKUNFT DER INDUSTRIEARBEIT - ZIELE UND ANSATZ DES "ZUKUNFTSREPORTS"

Der vorliegende Bericht zur "Zukunft der Industriearbeit" ist die erste Realisierung eines "Zukunftsreports" innerhalb der Berichterstattung des TAB für den Deutschen Bundestag. Ein Zukunftsreport dient dazu, ein breiteres Themenfeld auf zukünftige, politisch relevante Problemstellungen hin zu untersuchen (Salo/Cuhls 2003). Dieser Bericht behandelt somit kein bestimmtes Technologiefeld, sondern geht von dem gesellschaftlichen Themenfeld "Industriearbeit" aus, für das zukünftig eine Reihe verschiedener technischer Entwicklungen und Veränderungen von Rahmenbedingungen und Organisationsformen verstärkt relevant sein werden. Daher liegt der Schwerpunkt der Untersuchung darauf, möglichst belastbare Indizien zusammenzutragen, wie sich innerhalb des untersuchten Feldes technische, organisatorische und marktliche Strukturen entwickeln könnten.

Thema dieses Zukunftsreports ist die "Zukunft der Industriearbeit" mit einem Zeithorizont von etwa fünf bis zehn Jahren in die Zukunft, also bis etwa 2015. Unter Industriearbeit wird im Folgenden zum einen die klassische Produktionsarbeit an sich verstanden, die von Werkern in Industriebetrieben zur Herstellung oder Weiterveredlung eines physischen und verkäuflichen Produkts erbracht wird. Diese Form der Erwerbsarbeit wird in der Betriebswirtschaftslehre als "direkte", weil unmittelbar wertschöpfende Tätigkeit eingestuft. Daneben ist jedoch auch eine ganze Reihe "indirekter" Tätigkeiten in produzierenden Betrieben notwendig, um eine Wertschöpfung, also die Schaffung von Wert, die über den Produktpreis erzielt wird, sicherzustellen. Dazu zählen insbesondere koordinierende, planende, dispositive, qualitätssichernde, maschinenrüstende und -instandhaltende Tätigkeiten, aber ebenso Service- und Dienstleistungen für den Kunden, die produktbezogene Forschung und Entwicklung sowie Marketing und Vertrieb der Produkte und Leistungen. Daraus resultiert insgesamt ein erweitertes Verständnis von Industriearbeit, das diesem Bericht zugrunde liegt und alle direkt und indirekt wertschöpfenden Tätigkeiten in produzierenden Industriebetrieben, die zum Mehrwert des verkäuflichen Produkts beitragen, umfasst.

Die produzierende Industrie ist für die deutsche Wirtschaft insgesamt von hervorragender Bedeutung. Etwa 97 % der gesamten deutschen Exporte werden vom Verarbeitenden Gewerbe getätigt und ca. 90 % der FuE-Aufwendungen der deutschen Wirtschaft entfallen auf das Verarbeitende Gewerbe. Daneben haben die produzierenden Unternehmen eine Schrittmacherfunktion als wichtiger Nachfrager und Impulsgeber für sogenannte "produktionsnahe Dienstleistungen", insbesondere Datenverarbeitung und Datenbanken, Forschung und Entwicklung sowie Erbringung von Dienstleistungen für Unternehmen. Zusammen mit diesen Sektoren beschäftigt das Verarbeitende Gewerbe fast 60 % der Arbeitnehmer der deutschen Wirtschaft und erwirtschaftet knapp 80 % des Produktionswertes. Auch im internationalen Vergleich kommt dem Verarbeitenden Gewerbe in Deutschland eine Schlüsselstellung zu, die von keinem anderen Land signifikant überboten wird (Kinkel et al. 2006).

Auch die Entwicklung des deutschen Verarbeitenden Gewerbes in den letzten Jahren kann als sehr erfreulich charakterisiert werden. Produktionsvolumen, Exporte, Investitionen und FuE-Aufwendungen weisen eine deutlich positive Dynamik auf (Kinkel et al. 2006). Einen im internationalen Vergleich eher geringfügigen Rückgang gibt es nur bei den Beschäftigtenzahlen zu verzeichnen, was auf realisierte Produktivitätssteigerungen schließen lässt. Das deutsche Verarbeitende Gewerbe hat demnach bei Exporterfolg und Produktivitätsfortschritt an Wettbewerbsfähigkeit gewonnen. Vor dem Hintergrund dieser zentralen Position produzierender Unternehmen für die deutsche Wirtschaft insgesamt und ihrer positiven Entwicklung in den letzten Jahren ist die vorausschauende Analyse und Gestaltung der "Zukunft der Industriearbeit" ein wichtiges politisches Handlungsfeld. Auf den ersten Blick mag angesichts der noch immer drängenden Probleme auf dem Arbeitsmarkt die Frage danach, wie in Zukunft in produzierenden Industriebetrieben gearbeitet werden wird, als nebensächlich erscheinen. Derzeit werden vorrangig geeignete Maßnahmen zur Steigerung der Anzahl der zur Verfügung stehenden Arbeitsplätze gesucht und diskutiert. Tatsächlich jedoch sind die Fragen nach der Zahl und der Art der Arbeitsplätze eng miteinander verknüpft. Nur Arbeitsplätze, die dem Wandel in Gesellschaft, Wirtschaft und Technik gerecht werden, können nachhaltige Beschäftigung in Deutschland sichern. Veränderungen der Märkte sowie organisatorische und technische Entwicklungen, die Veränderungen in der Art der Industriearbeit mit sich bringen, müssen frühzeitig identifiziert, beschrieben und gegebenenfalls gemeinsam gestaltet werden, um zukunftsfähige Arbeitsformen und damit auch wettbewerbsfähige Arbeitsplätze in produzierenden Unternehmen schaffen zu können. Daher ist es auch im Sinne zukunftsfähiger Arbeitsmarktpolitik sinnvoll, das Thema "Industriearbeit" aus Sicht der Technikfolgenabschätzung zu bearbeiten.

Ziel dieses Zukunftsreports ist es zu ermitteln und zu diskutieren, an welchen Stellen aktuell und zukünftig sich abzeichnende und von Akteuren erwartete, veränderte Rahmenbedingungen zu einem Wandel der Arbeit in produzierenden Industrieunternehmen führen könnten, der verstärkte Überlegungen zu Beobachtungs- und Handlungsbedarf im Deutschen Bundestag angezeigt erscheinen lässt. Dazu werden zum Ersten wesentliche potenzielle Entwicklungspfade der Industriearbeit analysiert und beschrieben, die aus den veränderten Anforderungen der weiter zunehmenden Internationalisierung und "inneren Tertiarisierung" der Tätigkeiten der Industriebetriebe erwachsen. Zum Zweiten werden entsprechend veränderte Organisationsformen der Unternehmen in ihren möglichen Auswirkungen auf die Industriearbeit untersucht. Zum Dritten werden wesentliche technologische Entwicklungspfade, die zukünftige industrielle Tätigkeiten nachhaltig prägen könnten, dargestellt und eingeschätzt.

2.    AUFBAU DES BERICHTS

Vor dem Hintergrund der Zielstellung ist der Aufbau des Berichts wie folgt angelegt:

In Kapitel II wird das Vorgehen und die methodische Basis des Berichts vorgestellt, und es wird dargelegt, welche Logik hinter der Auswahl der identifizierten Treiber der zukünftigen Entwicklung von Industriearbeit in den Feldern "veränderte Anforderungen", "geeignete Organisationsformen" und "neue Technologien" steht. Zudem werden die zugrunde liegenden Beschreibungsdimensionen, anhand derer die Auswirkungen auf die Industriearbeit untersucht wurden, abgegrenzt und kurz beschrieben.

In Kapitel III werden potenzielle Entwicklungen der Industriearbeit identifiziert, die sich aus veränderten Anforderungen an Industriebetriebe ergeben, insbesondere aus der voraussichtlich auch weiter an Bedeutung gewinnenden Internationalisierung (Kap. III.1) und "inneren Tertiarisierung" (Kap. III.2) industrieller Tätigkeiten. In Kapitel IV werden entsprechend den Markterfordernissen veränderte Organisationsformen der Industrieunternehmen, insbesondere weitreichende Formen der markt- und kundenorientierten Unternehmensorganisation (Kap. IV.1) und der teamorientierten Arbeitsorganisation (Kap. IV.2), daraufhin analysiert, welche zukünftigen Veränderungen der Arbeit in den betroffenen Betrieben damit einhergehen könnten.

In Kapitel V werden mögliche Auswirkungen auf die Industriearbeit untersucht, die sich aus der zukünftigen Nutzung dreier exemplarischer Technologielinien, die häufig als mögliche Schlüsseltechnologien der Zukunft eingeschätzt werden, ergeben könnten. Ausgewählt wurden mit der Biotechnologie (Kap. V.1), der Nanotechnologie (Kap. V.2) sowie dem Technologiekonzept der Ambient Intelligence (Kap. V.3) drei Technikfelder, die vielfach als zentrale Zukunftstechnologien mit Schrittmacherfunktion herausgehoben werden, bezüglich ihrer Realisierung aber unterschiedlich weit fortgeschritten sind.

In Kapitel VI werden die wesentlichen Erkenntnisse zu den potenziellen Auswirkungen auf die Industriearbeit der Zukunft aus den einzelnen Hauptkapiteln (Kap. III bis V) querschnittsartig betrachtet und daraus abgeleitet, wo parlamentarische Handlungsüberlegungen zu einer zukunftsorientierten und nachhaltigen Gestaltung von Industriearbeit ansetzen könnten oder wo weiterer Beobachtungsbedarf angezeigt scheint.

Insgesamt soll und kann mit diesem Bericht kein Versuch unternommen werden, alle für die weitere Entwicklung relevanten Aspekte, wie in produzierenden Industriebetrieben zukünftig gearbeitet werden könnte oder sollte, umfänglich darzustellen und hinsichtlich sich daraus ergebender Ansatzpunkte für die Politik einzuordnen. Stattdessen wurden bewusst einige aus Sicht von Experten, Studien und Literatur wesentliche Entwicklungen ausgewählt, die aller Wahrscheinlichkeit nach das Handeln und die Wertschöpfung der Industriebetriebe in Zukunft verstärkt beeinflussen werden und daher für die weitere Gestaltung der Industriearbeit maßgebliche Rahmenbedingungen setzen. Der gewählte Ansatz geht dementsprechend eher in die Tiefe denn in die Breite: Die wenigen ausgewählten Veränderungen von Marktanforderungen, Organisation und Technik werden in ihren potenziellen Auswirkungen auf die Industriearbeit detaillierter durchleuchtet, als dies mit einem breiteren Vorgehen möglich gewesen wäre.

 

Erstellt am: 18.09.2008 - Kommentare an: webmaster