Steffen Kinkel, Michael Friedewald, Bärbel Hüsing, Gunter Lay, Ralf Lindner

Arbeiten in der Zukunft
Strukturen und Trends der Industriearbeit

Berlin: edition sigma 2008, Reihe: Studien des Büros für Technikfolgen-Abschätzung, Bd. 27, ISBN 978-3-8360-8127-6, 298 Seiten, kartoniert 22.90 Euro
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ZUSAMMENFASSUNG

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Thema des vorliegenden TAB-Zukunftsreports ist die "Zukunft der Industriearbeit" mit einem Zeithorizont von etwa fünf bis zehn Jahren in die Zukunft. Dabei liegt diesem Bericht ein erweitertes Verständnis von Industriearbeit zugrunde, das "alle direkt und indirekt wertschöpfenden Tätigkeiten in produzierenden Industriebetrieben, die zum Mehrwert des verkäuflichen Produkts beitragen", umfasst.

Ziel dieses Zukunftsreports ist es zu ermitteln und zu diskutieren, an welchen Stellen aktuell und zukünftig sich abzeichnende und von Akteuren erwartete, veränderte Rahmenbedingungen zu einem Wandel der Arbeit in produzierenden Industrieunternehmen führen könnten, der parlamentarische Handlungsüberlegungen oder Beobachtungsbedarfe angezeigt erscheinen lässt. Dazu werden zum Ersten wesentliche potenzielle Entwicklungspfade der Industriearbeit analysiert und beschrieben, die aus den veränderten Anforderungen der weiter zunehmenden Internationalisierung und "inneren Tertiarisierung" der Tätigkeiten der Industriebetriebe erwachsen. Zum Zweiten werden entsprechend veränderte Organisationsformen der Unternehmen in ihren möglichen Auswirkungen auf die Industriearbeit untersucht. Zum Dritten werden drei exemplarische Technologiestränge, die in verschiedenen Studien immer wieder als Schlüsseltechnologien der Zukunft identifiziert wurden, auf ihre potenziellen arbeitsrelevanten Wirkungen hin diskutiert: die Biotechnologie, die Nanotechnologie sowie das Konzept der Ambient Intelligence (AmI). Es wurden hier bewusst drei Schlüsseltechnologien ausgewählt, die auf dem Zeitstrahl der zukünftigen breiten Anwendung in der Industrie unterschiedlich weit fortgeschritten sind.

Mit der Auswahl der drei zukünftigen Schlüsseltechnologien ist auch verbunden, dass die Analysen zu den potenziellen Auswirkungen dieser Technologien auf die zukünftige Gestalt der Industriearbeit nicht auf bereits gesicherten empirischen Erkenntnissen beruhen können. In allen drei Feldern stützen sich die Einschätzungen der zurate gezogenen Studien und Analysen stark auf Experteneinschätzungen bis hin zur "fundierten Spekulation". Dies betrifft verstärkt die auf dem Zeitstrahl der industriellen Anwendung besonders weit in die Zukunft reichenden Nano- und AmI-Technologien. Dennoch ist es ein Anliegen dieses Berichts, teilweise erstmalig konsequent die arbeitsrelevanten Auswirkungen der Nutzung dieser Technologien zu diskutieren und damit einen vorausschauenden Blick auf die potenzielle Gestalt der Industriearbeit der Zukunft zu wagen - auch wenn gegebenenfalls einige Einschätzungen und Schlussfolgerungen aufgrund mangelnder empirischer Erkenntnisse und belastbarer Daten eher weich und vorsichtig formuliert werden müssen.

Insgesamt soll mit dieser Studie kein Versuch unternommen werden, alle für die weitere Entwicklung der Industriearbeit relevanten Aspekte umfänglich darzustellen und einzuordnen. Stattdessen wurden bewusst einige aus Sicht von Experten, Studien und Literatur wesentliche Entwicklungen ausgewählt, die aller Wahrscheinlichkeit nach das Handeln und die Wertschöpfung der Industriebetriebe in Zukunft verstärkt beeinflussen werden und daher für die weitere Gestaltung der Industriearbeit maßgebliche Rahmenbedingungen setzen. Der gewählte Ansatz geht dementsprechend eher in die Tiefe denn in die Breite. Im Einzelnen konnten folgende zentrale Erkenntnisse zur zukünftigen Gestaltung der Industriearbeit erarbeitet werden:

INTERNATIONALISIERUNG

Die in Kapitel III.1 angestellten Analysen zur Internationalisierung der Produktion und ihre zukünftige Entwicklung haben gezeigt, dass nicht damit zu rechnen ist, dass sich dieser Prozess zu Ende neigt oder sich ein stabiles Gleichgewicht zwischen den weltweiten Standorten einstellt. Es lässt sich zwar auch zeigen, dass deutsche Industriebetriebe bei der Internationalisierung ihrer Geschäftstätigkeiten bereits relativ weit fortgeschritten sind. Die Direktinvestitionsbestände deutscher Unternehmen im Ausland sind im internationalen Vergleich recht hoch und bei aktuellen Produktionsverlagerungen ins Ausland liegt Deutschland im europäischen Vergleich im Mittelfeld und beileibe nicht an der Spitze, wie die oftmals hitzige öffentliche Diskussion zu diesem Thema vermuten lässt. Doch die Treiber einer fortschreitenden Internationalisierung sind weiterhin stark: Neue Märkte entwickeln sich, ehemalige Schwellenländer mit komparativ geringen Lohnkosten bauen industrielle Strukturen auf oder wichtige Schlüsselkunden gehen ins Ausland, sodass immer neue Anreize in neuen Regionen entstehen, international zu produzieren. Andererseits erfordern neue Produkte und Lösungen zumindest teilweise auch neue Produktionsprozesse und Herstellverfahren, die vorzugsweise an inländischen Standorten hochgefahren werden und in der Folge auch hier neue Optimierungspotenziale ermöglichen. Insgesamt deuten also alle Befunde darauf hin, dass die internationale Ansiedlung von Wertschöpfung auch weiterhin dynamisch den jeweiligen Erfordernissen angepasst werden wird, aber nicht immer nur ins Ausland weisen muss, wie die Ergebnisse zu Direktinvestitionen ausländischer Unternehmen in Deutschland und Rückverlagerungen deutscher Industriebetriebe zeigen.

Daraus erwächst eine Reihe von Konsequenzen für eine zukunftsorientierte Gestaltung der Industriearbeit. Absehbar ist, dass in Zukunft koordinierende Tätigkeiten sowie dienstleistende und beratende Tätigkeiten am deutschen Stammsitz für das jeweilige Auslandswerk oder den internationalen Werksverbund noch weiter an Bedeutung gewinnen werden. Selbst auf der Ebene der Produktionsmitarbeiter in den Industriebetrieben scheint das zu einer zunehmenden Erweiterung der Tätigkeiten um qualitätssichernde und kontrollierende Aufgaben zu führen. Besonders betroffen sind jedoch Spezialisten und Führungskräfte. Diese müssen versuchen, über verschiedene Ansätze wie temporäre Beratung vor Ort, Entsendungen, Patenkonzepte im deutschen Werk oder durch Koordination über die zentralen Bereiche am Stammsitz diese zunehmenden Anforderungen in den Griff zu bekommen. Adäquate Lösungsansätze hierzu sind bislang vor allem in großen multinationalen Unternehmen vorhanden. Doch auch kleine und mittlere Unternehmen (KMU) sind zukünftig verstärkt gefordert, ihre Wertschöpfungsprozesse zu internationalisieren und mit ihren flachen Strukturen und ohne entsprechende Stabsstellen die verstärkt geforderten Koordinations-, Dienstleistungs- und Beratungstätigkeiten für ihre ausländischen Werke effizient zu erbringen, sodass an den deutschen Standorten entsprechende höherwertige und kundenwertschaffende Tätigkeiten entstehen bzw. gehalten werden können. Hier könnte die Forschungspolitik gefragt sein, die Konzeption und Erprobung innovativer Konzepte zur Koordination und Steuerung internationaler Werksverbünde und transnationaler Netzwerke von KMU anzustoßen.

In engem Zusammenhang mit der zunehmenden Bedeutung koordinierender und beratender Tätigkeiten zwischen den Standorten steht die ebenfalls zunehmende Anforderung, einen funktionierenden Wissenstransfer und ein "Voneinanderlernen" zwischen den verteilten Standorten zu organisieren. Hier gibt es auch in kleinen und mittleren Unternehmen bereits Ansätze und Pilotbeispiele, dies über einzelne sogenannte "Grenzgänger" zwischen den Standorten oder entsprechende kleine Arbeitsgruppen zu bewerkstelligen. Von zukünftiger Relevanz ist in diesem Kontext insbesondere die Aufgabe, den Know-how-Erhalt im Unternehmen zu sichern und sich gegenüber dem vielfach drohenden Know-how-Verlust durch Produktpiraterie und Prozesskopien am ausländischen Standort zu wappnen. Hier könnte die Forschungspolitik gefragt sein, intelligente Konzepte insbesondere auch zum Schutz von Prozess- und Organisationswissen zu entwickeln, die verhindern helfen, dass Herstellungsprozesse im Ausland von lokalen Wettbewerbern einfach kopiert werden können. In diesem Bereich ist das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) jüngst mit einer Initiative für "Innovationen gegen Produktpiraterie" aktiv geworden. Hier gilt es zu beobachten, ob in diesem Kontext auch entsprechende innovative Organisationskonzepte ausgelotet werden, um neben dem Produkt-Know-how auch das Prozess-Know-how effektiv vor Kopierversuchen zu schützen. Dies könnte eine erfolgversprechende Strategie sein, nach dem Grundsatz "Produkte sind einfach zu kopieren, Prozesse nicht" innovative und wertschöpfende Tätigkeiten auch weiterhin wettbewerbsfähig von deutschen Standorten aus erbringen zu können.

Da internationale Qualifikationen - und hier insbesondere interkulturelle Kompetenzen und Kommunikationsfähigkeit - im Zuge der weiter zunehmenden Internationalisierung der Geschäftstätigkeiten über alle Beschäftigungsgruppen hinweg an Bedeutung gewinnen werden, stellt sich die Frage, ob die existenten bildungspolitischen Konzepte hierfür bereits adäquate Lösungen anbieten. Hier könnte die Bildungspolitik gefragt sein, nicht nur Sprachkenntnisse, sondern auch weiterreichende interkulturelle Fähigkeiten in die verschiedensten Ausbildungsgänge zu integrieren. Diese Anforderung betrifft zukünftig zunehmend nicht nur Studenten und Abiturienten, sondern alle Bildungswege, die auf industrielle Facharbeit abzielen. Die bestehenden Curricula müssten vor diesem Hintergrund systematisch darauf hin abgeklopft werden, ob sie diesen Anforderungen an eine grundlegende internationale Qualifikation bereits gerecht werden oder nicht.

Schließlich geht mit der Internationalisierung der Geschäftstätigkeiten und den teilweise spürbaren Anforderungen einer "Rund-um-die-Uhr-Wirtschaft" eine zunehmende Flexibilisierung wie auch Intensivierung der Industriearbeit einher, die insbesondere durch zunehmende Koordinations-, Kommunikations- und Abstimmungsbedarfe mit Standorten in anderen Ländern vorangetrieben wird. Diese Entwicklung gilt es auch zukünftig kritisch zu beobachten. Aktuell gibt es Indizien, dass sich nach der Euphorie um die E-Business-Arbeitssysteme und die in diesem Kontext als positiv dargestellten Tendenzen zur Arbeitsintensivierung und -ausweitung ("Softwareentwickler arbeiten gerne bis spät in die Nacht, obwohl sie dazu nicht vom Chef gezwungen werden") wieder eine kritischere Denkhaltung zu dieser Art der Selbstausbeutung durchzusetzen beginnt. Diese Art der Arbeitsbelastung kann zu merklichen Kreativitäts- und Produktivitätsverlusten bei Fach- und Führungskräften führen, die auch von Arbeitgeber- und Unternehmensseite nicht gewünscht sein können. Hier ist Beobachtungsbedarf angezeigt, Indikatoren für weitere Veränderungen der Arbeitsintensität und -länge nicht aus dem Blick zu verlieren.

INNERE TERTIARISIERUNG

Die Analysen zur Tertiarisierung der Industriearbeit (Kap. III.2) haben erkennen lassen, dass in den Unternehmen des Produzierenden Gewerbes, also im sekundären Sektor selbst, eine Tendenz zu mehr Dienstleistungsarbeit feststellbar ist und diese Entwicklung wohl auch in Zukunft weiter fortschreiten wird. Diese Zunahme der Dienstleistungstätigkeiten im sekundären Sektor wird mit dem Begriff der "inneren Tertiarisierung" umschrieben. Dieser Befund überrascht zunächst, ist doch aus der Industrie bekannt, dass die nichtkernkompetenzrelevanten Dienstleistungen, wie zum Beispiel Kantinen, Fuhrparks, Sicherheitsdienste oder auch EDV- und Verwaltungstätigkeiten, zunehmend an spezialisierte Unternehmen des Dienstleistungssektors ausgegliedert werden (Outsourcing). Demnach scheint in der produzierenden Industrie gleichzeitig auch Dienstleistungsarbeit aufgebaut zu werden, wobei dieser Aufbau den outsourcingbedingten Abbau sogar überkompensiert. Wie die Analysen zeigen, umfasst der wachsende Bereich insbesondere Dienstleistungen mit direktem Bezug zum industriellen Produkt, die sogenannten produktbegleitenden Dienstleistungen. Diese produktbegleitenden Dienstleistungen bauen Industriebetriebe derzeit systematisch aus, um sich vom Sachguthersteller zum kompletten Problemlöser ihrer Kunden entwickeln und sich mit diesen hybriden Produkt-Dienstleistungs-Kombinationen besser vom Kostenwettbewerb differenzieren zu können.

Die für die nächsten Jahre in Zukunftsstudien und von Delphi-Experten als sehr wahrscheinlich angenommene weitere Gewichtszunahme produktbegleitender Dienstleistungen hat vielfältige Auswirkungen auf die zukünftige Industriearbeit. Angesichts der Bedeutungszunahme des Dienstleistungsanteils an der Wertschöpfung werden produzierende Industrieunternehmen bestrebt sein, produktbegleitende Dienst- und Serviceleistungen so professionell und produktiv wie möglich zu erbringen. Dies könnte dazu führen, dass die Gründung eigenständiger Serviceabteilungen weiter voranschreitet und so die in vielen Betrieben existente Integration von produzierenden und dienstleistenden Tätigkeiten bei einzelnen Mitarbeitern wieder zurückgeführt wird. Zukünftig könnten demnach vermehrt spezialisierte Dienstleistungs- und Servicemitarbeiter in den Betrieben gefragt sein. Ob und wie stark diese vermutete Desintegration von Produktions- und Dienstleistungstätigkeiten bei der individuellen Fachkraft tatsächlich Platz greift und welche Implikationen damit für das Tätigkeitsspektrum der Betroffenen einhergehen, sollte in den nächsten Jahren systematisch beobachtet werden, um rechtzeitig adäquate Aus- und Weiterbildungsangebote entwickeln und anbieten zu können.

Die zusätzlich geforderten Qualifikationsanforderungen unterscheiden sich nach der Art der produktbegleitenden Dienstleistungen. Wissensintensive Pre-Sales-Dienstleistungen, wie zum Beispiel Engineering oder Beratungsleistungen zur Produktauslegung, erfordern Ingenieurqualifikationen und erhöhen damit den Bedarf an wissenschaftlich ausgebildetem Personal. Für After-Sales-Dienstleistungen, wie Wartung, Störungsdiagnose, Inbetriebnahme oder Reparatur, sind dagegen eher breite Qualifikationen gefordert, die neben einer Facharbeiterqualifikation als Mechaniker auch Kenntnisse in Elektrik und Elektronik, Informations- und Kommunikationstechnologien sowie betriebswirtschaftliche Grundkenntnisse erfordern. Durchleuchtet man daraufhin die Lehrpläne und Ausbildungsordnungen für die industriellen Berufsbilder, so stellt man fest, dass Dienstleistungen in diesen noch eine unbedeutende Rolle spielen. Die industriellen Berufsbilder sind zumeist eher technikzentriert definiert, weshalb ein einfaches Addieren inhaltlicher Schwerpunkte zu produkt- bzw. kundenbezogenen Dienstleistungen in die Berufs- und Ausbildungsordnungen nicht hinreichend erscheint. Experten schlagen hier beispielsweise vor, in drei Schritten vorzugehen: In der beruflichen Erstausbildung soll die Vermittlung von Dienstleistungskompetenzen verstärkt in Zusammenhang mit technischen Sachverhalten erfolgen. Gegen Ende der Ausbildung sollten dann zielgruppenrelevante Zusatzqualifikationen zu kundenbezogenen Dienstleistungen angeboten werden. Schließlich sollten geeignete Weiterbildungskonzepte entwickelt werden, die zum Ziel haben, dass die Dienstleistungskompetenzen von den Betroffenen selbst weiterentwickelt werden können. Derzeit scheinen solche Weiterbildungsmaßnahmen in der Praxis noch selten und eher improvisiert als methodisch systematisiert aufgegriffen zu werden. An den geschilderten Anforderungen sollten daher entsprechende Überlegungen der Bildungspolitik ansetzen wie auch entsprechende Aktivitäten, die weitere Verbreitung geeigneter Konzepte in der Industrie zu beobachten.

Mit einer fortschreitenden inneren Tertiarisierung der Industriearbeit wird auch ein erhöhter Bedarf nach veränderten Arbeitszeitmodellen einhergehen. Dies gilt insbesondere für sogenannte zeitkritische produktbegleitende Dienstleistungen, wie Hotline, Reparatur oder Wartung, die oftmals außerhalb der Normalarbeitszeit erbracht werden müssen. Hier kristallisieren sich zwei Gruppen von Arbeitnehmern heraus, die spezieller Arbeitszeitregelungen bedürfen. Dies sind zum einen die Mitarbeiter, die bei den Kunden vor Ort, und damit in extremer Abhängigkeit ihrer Arbeitszeitsouveränität vom Kundenproblem, Dienstleistungen - wie Schnell- oder Notreparaturen, Wartungen, Reklamationserfüllungen oder Schulungen des Personals, erbringen, oftmals vor allem in Abendstunden und an Wochenenden. Entsprechende Arbeitszeitregelungen müssen somit einen hohen Flexibilitäts- und Selbstbestimmungsgrad aufweisen und entziehen sich den direkten Zeitkontrollmöglichkeiten durch den Arbeitgeber ("Vertrauensarbeitszeit"). Damit gehen aber auch verstärkte Gefahren der Selbstausbeutung und der dauerhaften Vermischung von Arbeits- und Freizeit einher, die die Planbarkeit der Freizeit und damit beispielsweise die Vereinbarkeit von Beruf und Familie negativ tangieren können. Von der anderen Gruppe der Arbeitnehmer wird zunehmend eine ständige Ansprechbarkeit und Einsatzbereitschaft gefordert, zum Beispiel bei Angeboten einer Hotline oder eines Rund-um-die-Uhr-Services. Hier wird die Arbeitszeitsouveränität der Arbeitnehmer eher wieder zurückgefahren, und Modelle einer kapazitätsorientierten variablen Arbeitszeit (KAPOVAZ), bei denen in einem Einzelarbeitsvertrag vereinbart wird, dass sich der Arbeitnehmer bei seiner Arbeitszeit nach den betrieblichen Erfordernissen zu richten hat, könnten wieder weiter voranschreiten. Beide Entwicklungen gilt es zukünftig systematisch zu beobachten und hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die Gesundheit und die nachhaltige Arbeitsfähigkeit der betroffenen Arbeitnehmer im Auge zu behalten.

MARKTORIENTIERUNG

Die Analysen zur Markt- und Kundenorientierung der Industriearbeit (Kap. IV.1) zeigen, dass marktorientierte Formen der Dezentralisierung auf Unternehmensebene, wie zum Beispiel die Aufgliederung von Zentralabteilungen oder die Aufgliederung der Produktion in kunden- oder produktbezogene Fertigungssegmente, zwar bereits von etwa der Hälfte der Industriebetriebe genutzt werden, im europäischen Vergleich hier aber immer noch Potenzial zu einer breiteren und intensiveren Nutzung besteht. Insgesamt ist ein Muster erkennbar, wonach deutsche Betriebe bei der Nutzung avancierter Produktions- und Informationstechniken, wie zum Beispiel Industrieroboter, Teleservice oder Produktionsplanung- und Steuerungssysteme, im europäischen Vergleich mit führend sind, bei der Nutzung innovativer organisatorischer Gestaltungskonzepte aber eher auf den hinteren Plätzen zu finden sind.

Es zeigt sich zudem, dass die auf der Unternehmensebene angesiedelten Dezentralisierungskonzepte nicht immer konsequent mit entsprechenden dezentralen Ansätzen der Arbeitsorganisation, wie integrierte Tätigkeitszuschnitte in Einzel- oder Gruppenarbeit, untersetzt werden. Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, dass sich kein belastbarer Zusammenhang zwischen der Nutzung marktorientierter Dezentralisierungskonzepte auf der Unternehmensebene und einer zunehmenden Tätigkeitsanreicherung von Produktionsmitarbeitern nachweisen lässt. Tätigkeitsanreicherung von Industriearbeit und marktorientierte Unternehmensorganisation scheinen bislang noch getrennt zu verlaufen.

Zukunftsstudien des Fraunhofer ISI deuten aber darauf hin, dass eine zunehmend wissensbasierte Produktion und institutionalisierte Möglichkeiten für die Beschäftigten, während der Arbeitszeit neue Kompetenzen erwerben und einüben zu können, als eine der wichtigsten Bedingungen für eine zukünftig wettbewerbsfähige Produktion eingeschätzt werden. Es wird erwartet, dass diese Form des Kompetenzerwerbs mit vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellten Ressourcen bereits um das Jahr 2013 weit verbreitet sein wird. Die Zukunftsstudien signalisieren auch, dass die Flexibilisierung des Arbeitseinsatzes zukünftig noch stärker von den Bedürfnissen der Unternehmen und deren Marktumfeld determiniert werden wird. So wird auch eine "interne Form des Arbeitskraftunternehmers", der in verschiedenen Bereichen und Netzwerken innerhalb einer Organisation flexibel seine Fähigkeiten einsetzt, als durchaus bedeutend für die Wettbewerbsfähigkeit der produzierenden Industrie eingeschätzt und von der überwiegenden Mehrheit der im Rahmen einer Delphi-Studie befragten Experten bis zum Jahr 2014 erwartet. Andererseits wird es nur als bedingt realistisch eingeschätzt, dass die Unternehmen maßgeschneiderte Arbeitsbedingungen bieten, die eine ausgewogene Aufrechterhaltung oder Herstellung einer "Work-life-Balance" ermöglichen. Hier ist Raum und Bedarf für Arbeits- und Wirtschaftspolitik, zusammen mit den Interessensvertretungen und Tarifparteien neue Ansätze für einen nachhaltigen Arbeitseinsatz zu entwerfen, die sowohl den Flexibilitätsanforderungen der Betriebe wie auch den notwendigen Flexibilitätsspielräumen für den privaten Bereich ausgewogen Rechnung tragen.

GRUPPENARBEIT

Wie die Analysen zu neuen Formen der Arbeitsorganisation am Beispiel der Gruppenarbeit (Kap. IV.2) gezeigt haben, haben bislang etwa zwei Drittel der Betriebe des deutschen Verarbeitenden Gewerbes Gruppenarbeit "dem Label nach" eingeführt. Im europäischen Vergleich liegt die deutsche Industrie damit auf den hinteren Plätzen. Noch ernüchternder wird das Bild, wenn man vertiefend untersucht, wie viele Betriebe Gruppenarbeit nicht nur in irgendeiner Form, sondern als selbststeuernde Gruppenarbeit mit homogenem Qualifikationsprofil eingeführt haben. Solche avancierten Formen der Gruppenarbeit werden derzeit nur von etwa einem Fünftel der deutschen Industriebetriebe genutzt, wobei lediglich 3 % diese Form der Gruppenarbeit flächendeckend in ihren Betrieben implementiert haben.

Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass die Nutzung der Gruppenarbeit nur eine sehr begrenzte Reichweite für die Anreicherung der Tätigkeitsinhalte der Produktionsmitarbeiter zu haben scheint. Lediglich für die Übertragung von Qualitätssicherungsaufgaben auf die einzelnen Produktionsmitarbeiter scheint die Gruppenarbeit einen begrenzten Impuls zu geben, während ansonsten die Arbeitsteilung auch in Gruppenarbeitsumgebungen zumeist weiter Bestand hat. Werden erweiterte Verantwortlichkeiten in die Gruppen hineingegeben, so scheinen in diesen noch immer einzelne Spezialisten für diese Tätigkeiten zuständig zu sein und die Trennung zwischen planenden und ausführenden Funktionen auf der Ebene der einzelnen Personen weiter aufgehoben zu bleiben. Der Beitrag der Gruppenarbeit zur Anreicherung der Tätigkeitsinhalte beim einzelnen Arbeitnehmer ist daher sehr begrenzt.

Auch der Einfluss der Einführung und Nutzung von Gruppenarbeit auf das Qualifikationsprofil der Beschäftigten ist begrenzt. Die Hoffnungen, dass mit der Einführung einer gruppenbasierten Arbeitsorganisation eine merkliche Requalifizierung der Beschäftigten in den Produktionsbereichen der Industriebetriebe einhergeht, kann damit kaum erfüllt werden. Dies liegt zum Teil vielleicht auch daran, dass die in den Industriebetrieben bislang existenten Qualifikationsprofile eher einen Qualifikationsüberhang darstellten, der sich mit den neuen Arbeitsstrukturen nun gegebenenfalls besser ausschöpfen lässt.

Der Blick in die Zukunft anhand von Delphi-Auswertungen zeigt, dass selbstverantwortliche Gruppen von der überwiegenden Mehrheit der befragten Produktionsexperten als wichtig oder sehr wichtig für die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie eingeschätzt werden. Es wird daher davon ausgegangen, dass selbstverantwortliche Gruppen bis zum Jahr 2012 auf Werkstattebene weitverbreitetet sein werden. Für die Anreicherung von Tätigkeitsinhalten und die Qualifizierung der Belegschaften zeichnen sich dennoch keine radikalen Trendbrüche ab, die durch die bewährten Neuordnungen der Ausbildungsgänge nicht aufgefangen und umgesetzt werden könnten. Neue Dynamik könnte die Praxis der inhaltlichen und fachlichen Ausgestaltung der Gruppenarbeit dann erhalten, wenn diese im Zuge der Einführung sogenannter "ganzheitlicher Produktionssysteme" als wichtiges Einzelelement erkannt und weiter vorangetrieben wird. Sollten Standardisierungs- und Konsistenzbemühungen zu anderen organisatorischen Elementen ganzheitlicher Produktionssysteme Anforderungen ergeben, auch avanciertere Gruppenarbeitsformen mit erweiterten Tätigkeits- und Qualifikationsprofilen für alle in der Gruppe Beteiligten weiter voranzutreiben, dann könnte hier eine Entwicklung mit neuer Qualität Platz greifen. Vor dem Hintergrund der daraus resultierenden Anforderungen an die Kompetenzen und Qualifikationen der Industriearbeit sollte die Bildungs-, Wirtschafts- und Forschungspolitik genau beobachten, in welche Richtung sich die Konzepte ganzheitlicher Produktionssysteme nicht nur in großen Unternehmen, sondern auch für die Vielzahl der kleinen und mittleren Unternehmen in Zukunft weiterentwickeln.

BIOTECHNOLOGIE

Biotechnologie (Kap. V.1) gilt in allen industrialisierten Ländern als eine wichtige Zukunftstechnologie und wird häufig auch als eine der "Schlüsseltechnologien des 21. Jahrhunderts" bezeichnet. Wegen des wachsenden Reifegrades und des erwarteten Effekts auf die künftige Wettbewerbsfähigkeit der von Biotechnologie beeinflussten Wirtschaftssektoren ist Biotechnologie ein zentrales Feld der Innovationspolitik. Als Querschnittstechnologie wird ihr ein großes Potenzial in einer Vielzahl von industriellen Anwendungen, Branchen und Tätigkeiten zugemessen. Dabei stellt die Biotechnologie unter den drei in diesem Bericht betrachteten Technologien diejenige dar, die hinsichtlich der Kommerzialisierung am Weitesten fortgeschritten ist. An ihr werden die Implikationen für die Industriearbeit daher auch am ehesten deutlich.

Bemerkenswert ist jedoch, dass zwischen dem der Biotechnologie zugemessenen Potenzial für industrielle Anwendungen einerseits und der bestehenden Wissensbasis über ihre Wirkungen auf Industriearbeit andererseits eine - unerwartet große - Lücke klafft: Für diesen Bericht wurde nur wenig empirisches Material gefunden, das fundierte Einschätzungen über mögliche Wirkungen auf Industriearbeit ermöglicht. Arbeitswissenschaft und -soziologie haben sich offenbar der Biotechnologie - wie auch der Nanotechnologie (Kap. V.2) - bislang nur punktuell zugewandt. Als mögliche Ursachen kommen das vergleichsweise frühe Entwicklungsstadium der Biotechnologie in Betracht sowie methodische Gründe, die die Befassung mit dieser Thematik erschweren, da in der Biotechnologie tätige Unternehmen (noch) keine "Branche" bilden, die eindeutig definiert und abgrenzbar und in den etablierten Statistiken abgebildet ist.

Die Analysen zeigten auch, dass die häufig beschworenen "revolutionären" Veränderungen durch die Biotechnologie nicht in dem Maße feststellbar sind, wenn man ein Zeitfenster von mehreren Jahren in den Blick nimmt. Vielmehr überwiegen inkrementelle Änderungen. Tiefgreifendere Veränderungen im Sinne eines "Umbruchs" vollziehen sich eher in einem Wandlungsprozess über Jahrzehnte. Sie sind damit erst in einer weitreichenden Rückschau feststellbar bzw. erfordern eine Vorschau über mehrere Jahrzehnte, die dann aber naturgemäß mit erheblicher Unsicherheit behaftet ist. Dennoch sind mit der "biobased economy" oder der Verlagerung der Wertschöpfung auf frühere Stufen der Wertkette, zum Beispiel in der Pflanzenzüchtung, Bereiche erkennbar, die ein Potenzial zur Substitution etablierter Industrien und zu einem damit verbundenen Strukturwandel aufweisen. Hier besteht grundsätzlicher Bedarf, prospektive Abschätzungen von Größenordnungen, Richtungen, Zeithorizonten oder besonders betroffenen Regionen als Basis für die Identifizierung von Handlungsbedarf und Handlungsoptionen durchzuführen.

Aus Sicht der industriellen Anwendung der Biotechnologie besteht darüber hinaus Bedarf, die - überwiegend auf eine Tätigkeit von akademisch ausgebildeten Personen in Forschung und Entwicklung und von fachschulisch ausgebildeten Kräften in traditionellen Tätigkeitsfeldern ausgerichteten - fachlichen Qualifikationen besser auf den Bedarf in den Unternehmen abzustimmen: Hier werden in stärkerem Maße branchen-, produktions-, markt- und anwendungsorientierte Fachkenntnisse und berufspraktische Erfahrungen gepaart mit Fremdsprachenkenntnissen und "Soft Skills" in der interdisziplinären und internationalen Teamarbeit benötigt, als dies derzeit im Fachkräftepool vorhanden ist. Es besteht daher die Herausforderung, ein flächendeckendes Aus- und Weiterbildungsangebot zu entwickeln, das alle formalen Qualifikationsstufen abdeckt.

Inwieweit durch die Biotechnologie und insbesondere durch die Gentechnik neue gesundheitliche Gefährdungen am Arbeitsplatz entstehen könnten und wie sie wirksam zu begrenzen seien, wurde bereits Mitte der 1970er Jahre thematisiert und diskutiert. In den folgenden Jahrzehnten wurden entsprechende Sicherheitsmaßnahmen entwickelt, gesetzlich verbindlich vorgeschrieben und in der Praxis implementiert, sodass in der Biotechnologie ein Stand erreicht ist, der in der Nanotechnologie aktuell angestrebt wird. Allerdings zeichnen sich nunmehr in der Biotechnologie mit der Synthetischen Biologie, gegebenenfalls auch mit der Nanobiotechnologie, neue Felder ab, die ein erhöhtes Gefährdungspotenzial für die menschliche Gesundheit bergen könnten. Der Wissensstand ist aber noch nicht ausreichend, um mögliche Gefährdungen abschätzen zu können. Hier besteht also aktueller Forschungsbedarf, um die Wissensbasis für eine Risikobewertung zu legen, auf deren Grundlage dann Präventions- und Schutzmaßnahmen entwickelt werden könnten.

Von ganz anderer Qualität der Wirkungen auf die Gesundheit von Erwerbstätigen sind mögliche Anwendungen der Biotechnologie bei der Ermittlung von Krankheitsdispositionen mittels Gentests sowie bei der Erweiterung der Möglichkeiten der "Verbesserung" menschlicher Fähigkeiten (Enhancement). Während die Gentestproblematik bereits intensiv untersucht und debattiert wurde, besteht doch Konsens, dass hier Regelungsbedarf zu den Rahmenbedingungen besteht, unter denen Gentests im Zusammenhang mit Erwerbstätigkeiten zulässig sein sollen. Die Möglichkeiten des Enhancements durch Biotechnologie in der Arbeitswelt sind, da sie sich überwiegend noch im Forschungs- und Entwicklungsstadium befinden, bislang noch nicht diskutiert worden. Hier könnte ein Monitoring der Entwicklung angezeigt sein.

Schließlich sei noch auf den Aspekt der Entsinnlichung bzw. Entfremdung und daraus resultierende mögliche Folgen hingewiesen, der mit Tätigkeiten in der Biotechnologie verbunden sein kann: Die Biotechnologie nutzt die Fähigkeiten von Lebewesen bzw. ihre Bestandteile für technische Zwecke aus. Dabei werden die Lebewesen bzw. ihre Bestandteile zu Objekten, die von den dort Tätigen gegebenenfalls nicht mehr als Lebewesen wahrgenommen werden, sondern primär als Hilfsmittel und Material zur Erfüllung technischer Zwecke. Dies kann dadurch verstärkt werden, wenn diese Objekte mit den menschlichen Sinnen nicht mehr wahrgenommen, sondern nur noch mittelbar durch Messwerte oder technische Geräte erfasst werden können. Dabei können Eingriffe in diese Lebewesen oder ihre Verwendungszwecke, die aus Sicht von in der Biotechnologie Tätigen rational und "normal" erscheinen, für Außenstehende als nur schwer akzeptabel, als zu weitgehend oder unmoralisch eingestuft werden. Exemplarisch sei die gentechnische Veränderung von Tieren oder die Nutzung menschlicher Embryonen für die Gewinnung embryonaler Stammzellen genannt. Um tiefgreifenden Kontroversen vorzubeugen, besteht hier die Notwendigkeit, die ethischen, gesellschaftlichen und rechtlichen Aspekte umfassend zu erforschen und auf dieser Basis gesellschaftliche Debatten über die Wünschbarkeit und Zielsetzungen biotechnischer Eingriffe in die Integrität von Lebewesen zu führen. Darüber hinaus wäre die Integration dieser Themen in die akademische Ausbildung anzudenken.

NANOTECHNOLOGIE

Die Nanotechnologie (Kap. V.2) befindet sich noch in der Übergangsphase von der Grundlagenforschung zur Anwendung. Es gibt auch keine "Nanoindustrie" im eigentlichen Sinne, sondern zwei Typen von Unternehmen, nämlich junge Technologieunternehmen, die sich ausschließlich mit Nanotechnologie befassen, und größere Unternehmen, die die Nanotechnologie in den letzten Jahren in ihr Technologieportfolio aufgenommen haben.

Entsprechend wenig Aufmerksamkeit hat die Nanotechnologie bisher in der genuinen Arbeitsforschung erhalten. Angesichts der Schlüsselfunktion der Nanotechnologie erscheint es angeraten, künftig verstärkt der Frage nach den Auswirkungen der Nanotechnologie auf die menschliche Arbeit nachzugehen. Aus heutiger Sicht sind vor allem Herausforderungen für die Bildungs- und Forschungspolitik sowie für den Arbeitsschutz erkennbar.

Beim Vergleich mit den Auswirkungen der Biotechnologie auf die Industriearbeit (Kap. V.1) sind zum Teil große Ähnlichkeiten zwischen den beiden Technologien zu konstatieren. Damit könnten die Erfahrungen in der Biotechnologie - bei aller Vorsicht, die man bei Analogieschlüssen walten lassen muss - zumindest teilweise als Orientierung für künftiges Handeln in der Nanotechnologie dienen: In der Biotechnologie Bewährtes könnte in angepasster Weise übernommen werden; Schwächen und Defiziten, die in der Biotechnologie erkannt wurden, könnte in der Nanotechnologie frühzeitig Aufmerksamkeit geschenkt werden, um die Möglichkeit eines rechtzeitigen, vorbeugenden oder adäquateren Handelns zu nutzen.

Grundlagenforschung, angewandte Forschung und Entwicklung im Bereich der Nanotechnologie werden zunehmend interdisziplinär sein müssen, mit entsprechenden Folgen für Ausbildung und Nachwuchsförderung. Als Voraussetzung für einen Innovations- und Produktivitätsschub durch Nanotechnologie müssten neue Organisationsstrukturen und Ausbildungsgänge entstehen, die weniger starr an den disziplinären Grenzen orientiert sind, sondern den multi- oder interdisziplinären Charakter der Nanotechnologie berücksichtigen. So wie bei anderen dynamischen und wissensintensiven Technologien ist es notwendig, bereits in der Ausbildung einen anwendungsorientierten Schwerpunkt zu setzen, der sich nicht nur an den Bedürfnissen der Großunternehmen, sondern auch an denen der KMU in Deutschland orientiert.

Aus der Perspektive der industriellen Anwendung der Nanotechnologie zeichnet sich ab, dass die meisten Unternehmen nicht primär ausgewiesene "Nanowissenschaftler oder -ingenieure" benötigen, sondern verstärkt breiter qualifizierte Naturwissenschaftler, Diplomingenieure und Informatiker mit Ankopplungskompetenz und gewissem Grundlagenwissen in der Nanotechnologie. Dabei herrscht mittlerweile Einigkeit, dass zunächst ein Grundstudium in einer der klassischen Disziplinen (wie z. B. Physik, Chemie oder Ingenieurwissenschaften) abzuschließen ist, bevor sich Studierende auf den Schwerpunkt Nanotechnologie konzentrieren. Das hierzu heute bereits existierende Angebot der Universitäten und Fachhochschulen ist zwar sehr breit, es fehlt allerdings die Vergleichbarkeit der vermittelten Inhalte bzw. der Abschlüsse, insbesondere auf europäischer Ebene. Hier gibt es noch erheblichen Gestaltungsspielraum und Koordinierungsbedarf.

Übereinstimmung besteht bei den Experten darin, dass im Rahmen der Ausbildung frühzeitig mit Wirtschaftsunternehmen zusammengearbeitet werden müsse. Für die heute ausgebildeten Akademiker ist noch die wissenschaftliche Laufbahn (in Universitäten und Forschungseinrichtungen oder in den Labors der Großunternehmen) der Standardkarrierepfad. Vor allem in reinen Anwendungsbranchen gibt es jedoch Anzeichen, dass die akademische Ausbildung im Bereich der Nanotechnologie an den konkreten Bedürfnissen, insbesondere von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) vorbeigeht. Hier gilt es sicherzustellen, dass ein effizienter und frühzeitiger Transfer von wissenschaftlichen Ergebnissen mit Produkt- bzw. Marktrelevanz sowie insbesondere auch der Austausch von Personal zwischen Wissenschaft und Industrie sichergestellt werden. Die im 6. EU-Forschungsrahmenprogramm und vom BMBF bereits initiierten Kooperationsprojekte wie auch die zukünftig angedachten Vorhaben (7. RP sowie Hightech-Strategie der Bundesregierung) zeigen, dass diese Problematik erkannt und entsprechend angegangen wird. Eine Bewertung dieser Aktivitäten zu gegebener Zeit muss dann zeigen, ob die Ziele des marktfähigen Erkenntnisgewinns sowie des interinstitutionellen Personaltransfers "über Köpfe" mit den bisherigen Instrumenten erreicht worden sind bzw. ob gegebenenfalls eine feine Rejustierung oder grundlegendere Neuausrichtungen notwendig sind.

Besonders deutlicher und rasch anzugehender Nachholbedarf besteht derzeit noch bei den mittleren Qualifikationen, also insbesondere den Facharbeitern und Technikern in den Industriebetrieben. Hier erscheint es nicht ausreichend, den Bedarf an Wissen und Fertigkeiten im Bereich der Nanotechnologie allein durch - ebenfalls noch neu zu schaffende - betriebliche Ausbildungsgänge zu decken. Vielmehr sollte angeregt werden, dass Verbände und Kammern Möglichkeiten zur beruflichen Weiterbildung von Facharbeitern im Bereich der Nanotechnologie eröffnen.

Im Hinblick auf den Arbeitsschutz wird in nahezu allen Studien betont, dass es besonders wichtig sei, die Schädlichkeit von Nanomaterialien sowie die mögliche Exposition von Personen am Arbeitsplatz zu untersuchen und geeignete Maßnahmen in die Wege zu leiten. Dabei besteht europaweit noch ein erheblicher Mangel an Wissen über entscheidende Faktoren, der durch die Untersuchung folgender Fragestellungen behoben werden sollte:

Diesen Fragestellungen haben sich die zuständigen deutschen Behörden (Umweltbundesamt, Bundesinstitut für Risikobewertung, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin) seit Kurzem angenommen. Ihre Arbeiten sollten untereinander und mit den entsprechenden Institutionen innerhalb der EU abgestimmt und koordiniert werden. Die Ergebnisse mit Relevanz für die Industriearbeit müssten dann umgehend hinsichtlich ihrer Implikationen für die Anpassung von Arbeitsschutzbestimmungen eingeordnet werden und gegebenenfalls entsprechende Maßnahmen zur Verbesserung des betrieblichen Arbeitsschutzes in den zuständigen Gremien diskutiert und verabschiedet werden.

AMBIENT INTELLIGENCE (AMI)

Die Vision der "Ambient Intelligence" (AmI) im Wertschöpfungsprozess (Kap. V.3) ist im Vergleich zu den technischen Schlüsselfeldern Bio- und Nanotechnologie noch am weitesten von konkreten Anwendungen in der deutschen Industrie entfernt. Ein Großteil der AmI-Technologien, die in den gängigen Zukunftsszenarien dargestellt werden, befindet sich gegenwärtig noch in der Phase der Grundlagenforschung. Entsprechend vage müssen Aussagen über künftige Auswirkungen dieser Technologielinie bleiben. Trotz dieser grundsätzlichen Einschränkung zeichnen sich mit Blick auf AmI-Anwendungen in der industriellen Fertigung bereits aus heutiger Warte einige Entwicklungslinien mit Relevanz für die Ausgestaltung der Industriearbeit ab:

AmI-Anwendungen fügen sich in der industriellen Fertigung in die seit Jahren bzw. Jahrzehnten auf Unternehmensebene zu beobachtenden Trends der Rationalisierung und Flexibilisierung ein, beschleunigen diese und verstärken zum Teil deren Auswirkungen auf innerbetriebliche Prozesse. Bereits heute ist deutlich zu erkennen, dass die Einführung von RFID-Systemen, die als Wegbereiter von AmI gelten, vor allem mit dem Ziel verbunden ist, sowohl die Kosteneffizienz als auch die Variabilität von Produktionsprozessen zu steigern. Insofern wird mit AmI keine radikale Umstellung industrieller Fertigung verbunden sein, vielmehr ist dieser jüngste informationstechnische Innovationsschub in langanhaltende Trends eingebettet.

Die zu erwartenden Auswirkungen von AmI-Anwendungen auf Tätigkeitsprofile und Qualifikationsanforderungen werden wahrscheinlich von gegenläufigen Entwicklungen geprägt sein. Einerseits ist zu vermuten, dass bestimmte Tätigkeiten in der industriellen Fertigung eine qualitative Anreicherung und Erweiterung erfahren werden, die mit der verbesserten (informationstechnischen) Integration unterschiedlicher Wertschöpfungsstufen in Verbindung stehen. Aufgrund der wachsenden Komplexität von Fertigungsprozessen, die sich aus den Anforderungen an eine flexible und "individualisierte" Produktion ergibt, werden die betroffenen Mitarbeiter gefordert sein, vermehrt eigenverantwortlich zu planen und Entscheidungen zu treffen. Neben einem verstärkten Bedarf an Überblickswissen über das Zusammenwirken des gesamten Produktionsprozesses werden somit auch soziale Kompetenzen einen erhöhten Stellenwert einnehmen, da im Zuge der fortschreitenden Verzahnung einstmals getrennter Funktionsbereiche Interaktionen mit unterschiedlichen Personengruppen an Bedeutung gewinnen werden. Andererseits zeichnet sich ab, dass AmI-Anwendungen erweiterte Möglichkeiten zur Automatisierung von einfachen Kontroll-, Überwachungs- und anderen manuellen Tätigkeiten bieten. Obwohl derzeit keine belastbaren Prognosen über quantitative Beschäftigungseffekte möglich sind, ist dennoch davon auszugehen, dass im Zuge der Einführung von AmI-Technologie in der industriellen Produktion insbesondere einfache Tätigkeiten mit niedrigen Qualifikationsanforderungen substituiert werden.

Für die Mehrzahl der verbleibenden Beschäftigten in der industriellen Fertigung ist zu vermuten, dass sich die Trends zur Arbeitsverdichtung, zur Vergrößerung der Arbeitszeitkorridore und des Verlustes an Zeitsouveränität im Zuge der Einführung von AmI weiter fortsetzen.

Angesichts der geringen Anwendungsreife von AmI käme die Formulierung von detaillierten Handlungsempfehlungen, etwa mit Blick auf bildungspolitische Maßnahmen, zu diesem Zeitpunkt verfrüht. Allerdings ist vor dem Hintergrund der in vielerlei Hinsicht erst schemenhaft erkennbaren Entwicklung von AmI die intensive Beobachtung dieses Technologiefeldes angezeigt. So hat sich die Arbeitswissenschaft bislang noch nicht mit den Auswirkungen von AmI auf die Industriearbeit befasst. In diesem Zusammenhang gilt es ferner, die sich aufgrund der intensivierten ökonomischer Dynamik konturierenden Tendenzen zu problematischen Auswirkungen auf Arbeit und Gesellschaft im Blick zu behalten. Die Debatten über Rationalisierung, Automatisierung und die Zukunft der Arbeit, die von der Einführung der Mikroelektronik und Informationsverarbeitung, zum Beispiel unter dem Schlagwort des Computer Integrated Manufacturing (CIM), in der Industrie vor Jahren angestoßen worden waren, gilt es somit auch und gerade für das AmI-Zeitalter fortzusetzen und mit neuen Schwerpunkten wieder aufzugreifen.

ÜBERGREIFENDE IMPLIKATIONEN FÜR DIE INDUSTRIEARBEIT

Bei der Analyse der Implikationen für die Industriearbeit quer zu den untersuchten Veränderungstreibern springt insbesondere ins Auge, dass alle Entwicklungen hinsichtlich des zukünftig absehbaren formalen Qualifikationsbedarfs deutscher Industrieunternehmen auf ein durchaus besorgniserregendes "doppeltes Dilemma" hinweisen. Auf der einen Seite werden einfache und wenig know-how-intensive Tätigkeiten, die von geringqualifizierten Beschäftigten ausgeführt werden können, zukünftig noch deutlich weniger als bereits bislang von der produzierenden Industrie nachgefragt werden. Auf der anderen Seite ist absehbar, dass der steigende Bedarf an Hochschul- und Fachhochschulabsolventen zunehmend schwieriger gedeckt werden kann. Ersteres ist auf die folgenden Entwicklungen zurückzuführen:

In der Summe lassen die beschriebenen Entwicklungen befürchten, dass die deutsche Industrie zunehmend als bislang wichtiger Anbieter auch einfacher Arbeiten wegbricht und damit deutlich weniger Entlastung für den Arbeitsmarkt der Geringqualifizierten als bislang beisteuern kann. Dies wird aller Voraussicht nach die bereits existenten Probleme der An- oder Ungelernten auf dem Arbeitsmarkt weiter verschärfen. Hier stellt sich zum einen die Frage, wie in Zusammenarbeit mit Interessensvertretungen und Tarifparteien entsprechende Ansätze zur bedarfsorientierten Weiterqualifikation der Geringqualifizierten, die an den konkreten Bedarfen der Industrie ansetzt, vorangetrieben werden können. Zum anderen ist in diesem Kontext auch systematisch zu analysieren und zu beobachten, ob zukünftig neben der produzierenden Industrie andere Sektoren, wie zum Beispiel einzelne Dienstleistungs- oder Handwerksbereiche, eine höhere Absorptionskapazität auch für Geringqualifizierte entwickeln können und unter welchen Bedingungen und mit welchen Konzepten dies stimuliert werden könnte.

Das zweite Dilemma zeigt sich, wie schon angedeutet, bei der Gesamtsicht auf die zukünftigen Bedarfe an Hochqualifizierten. Hier ist bereits heute absehbar, dass der steigende Bedarf an Hochschul- und Fachhochschulabsolventen zunehmend schwieriger gedeckt werden kann, da sich der Absolventen- und Fachkräftemangel, insbesondere bei Ingenieur- sowie Natur- und Wirtschaftswissenschaften durch den demografischen Wandel noch weiter verschärfen dürfte. Diese Engpasstendenz wird noch durch folgende Entwicklungen verschärft:

Vor dem Hintergrund der skizzierten Entwicklungen sind die Bildungs-, Wirtschafts-, Mittelstands- und Arbeitsmarktpolitik gefordert, der sich mittelfristig abzeichnenden Verknappung bei ingenieur-, natur- und wirtschaftswissenschaftlich ausgebildeten Akademikern konsequent entgegenzusteuern. Dazu sind alle Möglichkeiten zur Vermeidung oder Minderung der absehbaren Engpässe auszuloten und voranzutreiben, sei es über attraktivere Studienbedingungen, Möglichkeiten der Fachkräftegewinnung aus dem Ausland oder der Steigerung der Anziehungskraft herausfordernder Tätigkeiten in der Industrie im Allgemeinen. Durch offensive Kommunikation und entsprechend konzertierte Maßnahmen muss es gelingen, zukünftig wieder mehr junge Leute für industrierelevante Studiengänge, insbesondere im Ingenieurbereich sowie in den Natur- und Wirtschaftswissenschaften, begeistern zu können.

 

Erstellt am: 18.09.2008 - Kommentare an: webmaster