Christopher Coenen, Ulrich Riehm

Entwicklung durch Vernetzung
Informations- und Kommunikationstechnologien in Afrika

Berlin: edition sigma 2008, Reihe: Studien des Büros für Technikfolgen-Abschätzung, Bd. 26, ISBN 978-3-8360-8126-9, 272 Seiten, kartoniert 22.90 Euro
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VORWORT

großes Bild

Immer noch stößt man zuweilen auf irritierte Reaktionen, wenn in einem Atemzug über Afrika und moderne Informations- und Kommunikationstechnologien gesprochen wird. Im öffentlichen Bild des "schwarzen Kontinents" haben Klischees tiefe Spuren hinterlassen: Den alten rassistischen Vorstellungen von einer technikfernen primitiven Naturwüchsigkeit der dort lebenden Menschen und von einer apathisch schlimmste Hungersnöte ertragenden Bevölkerung haben sich neue Horrorbilder hinzugesellt, die ihre Überzeugungskraft aus Erfahrungen wie den Massenmorden im Sudan und der anhaltenden massiven Ausbreitung von Aids sowie aus bedenklichen Entwicklungen wie dem unkontrollierten Wachstum der Großstädte beziehen. Gegen ein aus diesen Elementen zusammengesetztes Afrikabild werden im politischen Diskurs vor allem die vielfältigen Demokratisierungs- und Modernisierungsprozesse gesetzt. Eine differenziertere Sicht auf afrikanische Kulturen hat überdies global relevante Aspekte subsaharischer Traditionen ins Blickfeld gerückt.

Der vorliegende Band "Entwicklung durch Vernetzung" diskutiert mit Blick auf das Afrika südlich der Sahara, wie moderne Informations- und Kommunikationstechnologien und vor allem das Internet zu gesellschaftlicher Entwicklung beitragen können. Gegen einen haltlosen Optimismus wird dargelegt, wie schwierig sich die Ausgangslage in dieser Weltregion insgesamt darstellt und wie hoch dort noch die Hürden für eine sinnvolle Nutzung moderner Informations- und Kommunikationstechnik sind. Zugleich wird aber - gegen das pessimistische Klischee immerwährender afrikanischer Rückständigkeit und Passivität - auf die Vielfalt der Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien in der Weltregion hingewiesen, und es wird diskutiert, inwieweit diese dazu beitragen können, die Lebenssituation der afrikanischen Bevölkerungen zu verbessern und ihre Gesellschaften sowie politischen Systeme zu reformieren.

Nicht nur in den schwerpunktmäßig untersuchten Anwendungsfeldern von Informations- und Kommunikationstechnologien (Demokratisierung, Wirtschaft sowie Bildung und Forschung) ist seit Längerem eine erhebliche Dynamik festzustellen, durch die Subsahara-Afrika eine angemessene Position in der sich entwickelnden globalen Informationsgesellschaft erlangen könnte. Die Beispiele hierfür reichen von der aktiven Rolle, die afrikanische Staaten und Nichtregierungsorganisationen in den internationalen politischen Aktivitäten und Diskussionen zum Thema spielen, über die Vielfalt der Aneignungsweisen moderner Informations- und Kommunikationstechnologien durch afrikanische Unternehmen und zivilgesellschaftliche Akteure bis hin zu den Anstrengungen der Entwicklungszusammenarbeit in diesem Bereich. Die Chancen und Herausforderungen, die sich in diesem Zusammenhang für die Kooperation mit Subsahara-Afrika ergeben, sind auch ein zentrales Thema des vorliegenden Bandes. Die zahlreichen in der Studie dargelegten und diskutierten Handlungsoptionen werden aber vor dem Hintergrund einer detailreichen und breitgefächerten Analyse der aktuellen Nutzung des Internets und anderer Informations- und Kommunikationstechnologien entfaltet.

Wie unzutreffend die resignativen Bilder sind, die Afrika als einen verlorenen, in seinem Elend verharrenden und technikfeindlichen Kontinent zeigen, verdeutlichen auch Entwicklungen der letzten Monate: Diverse Anstrengungen zur Verbesserung bei der Breitbandverkabelung haben an Fahrt gewonnen. So hat das auf Ostafrika (inklusive einiger Binnenländer) zielende Projekt "Eastern Africa Submarine Cable System" (EASSy nach langen und komplizierten Verhandlungen wichtige Hürden genommen. Nicht zuletzt dank deutscher Unterstützung sind mittlerweile alle notwendigen Finanzierungszusagen erfolgt, wurden kleine afrikanische Anbieter einbezogen und hat die Produktion des Kabels begonnen. Beim vieldiskutierten sogenannten "100-Dollar-Laptop", von dem seine Befürworter sich auch in Afrika nicht weniger als eine Revolution im Bereich der Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien für Bildung erhoffen, ist einiges in Bewegung geraten, wobei sich allerdings die in der Studie getroffenen Einschätzungen zur Ambivalenz des Projekts und zur unklaren Akteursgemengelage bestätigt haben. Dem gewachsenen Interesse einiger globaler Informationstechnikunternehmen stehen eine Ernüchterung idealistischer Unterstützer sowie eine wachsende politische Skepsis in Afrika gegenüber. Während bei Großprojekten dieser Art oft die Gefahr besteht, dass die Bevölkerungen in den Entwicklungsländern in bloße Zuschauerrollen gedrängt werden, hat sich die in der Studie ausführlich analysierte subsaharische Internetöffentlichkeit weiter entfaltet. In ihr werden nicht nur die Fort- und Rückschritte im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien kommentiert, sondern sie hat sich auch bei jüngsten politischen Ereignissen in der Weltregion wieder als wichtiger Faktor der innerafrikanischen Auseinandersetzung und der Information der Weltöffentlichkeit erwiesen.

Insgesamt zeigt die Studie, dass Entwicklung durch Vernetzung auch in Subsahara-Afrika möglich und förderungswürdig ist. Wenn die komplizierte Wirklichkeit der Weltregion nicht überoptimistisch ausgeblendet wird und fragwürdige Patentrezepte vermieden werden, können moderne Informations- und Kommunikationstechnologien und speziell auch das Internet wichtige Beiträge zu gesellschaftlicher Entwicklung leisten.

Berlin, im Juli 2008

 

Erstellt am: 18.09.2008 - Kommentare an: webmaster