Reinhard Grünwald , Mario Ragwitz, Frank Sensfuß, Jenny Winkler

Regenerative Energieträger zur Sicherung der Grundlast in der Stromversorgung

Berlin: Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) 2012, TAB-Arbeitsbericht Nr. 147
[Inhalt]


ZUSAMMENFASSUNG

Alle aktuell verfügbaren Szenarien, Projektionen und Prognosen zur langfristigen Entwicklung der Stromversorgung Deutschlands kommen unabhängig von der genauen Herkunft, Methodik und Zielrichtung zum Ergebnis, dass sich in den nächsten Jahrzehnten ein tiefgreifender Wandel oder sogar ein radikaler Umbruch vollziehen wird.

Triebkräfte hierfür sind zum einen die Liberalisierung und fortschreitende europäische Integration der Strommärkte, zum anderen anspruchsvolle Zielsetzungen in der Klimapolitik und beim Ausbau der Nutzung erneuerbarer Energien in der Stromversorgung (RES-E). Obwohl der Anstieg des RES-E-Anteils nicht die einzige Triebfeder für den Strukturwandel in der Stromversorgung darstellt, nimmt er in der Fachdiskussion dennoch eine herausgehobene Stellung ein.

Den Ausgangspunkt dieses Berichts bildet die Frage, wie die Grundlast in einem Stromversorgungssystem gesichert werden kann, das sich bereits heute zu einem wesentlichen Anteil – zu etwa 20 % – auf erneuerbare Energien stützt, davon etwa die Hälfte fluktuierende v. a. Windkraft und Photovoltaik, und perspektivisch bis 2050 in Deutschland zu einer (nahezu) Vollversorgung mit erneuerbaren Energien umgebaut werden soll. Diese Frage kann nur in einer Systemperspektive angegangen werden und wird so zu einem – wenngleich wichtigen – Aspekt der übergeordneten Fragestellung, wie eine gesicherte Versorgung insgesamt organisiert werden kann.

Im Sommer 2008 hat der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung des Deutschen Bundestages das Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) damit beauftragt, diese Fragestellung anhand von Literatur- sowie modellgestützten Analysen zu bearbeiten und Handlungsoptionen zu identifizieren, wie bei ambitionierten Ausbauzielen für erneuerbare Energieträger eine zuverlässige Stromversorgung gestaltet werden kann.

Grundlast und gesicherte Versorgung

Üblicherweise wird die Stromnachfrage in die Lastsegmente Grund-, Mittel- und Spitzenlast unterteilt. Als Grundlast wird diejenige Strommenge bezeichnet, die dauerhaft nachgefragt und die im Tages- bzw. Jahresverlauf nie unterschritten wird. Im konventionellen Stromsystem werden die Lastbereiche von Kraftwerken gedeckt, die dafür jeweils besonders geeignet sind: Grundlastkraftwerke (v. a. für Laufwasser, Braunkohle sowie Kernkraft) zeichnen sich durch hohe Investitions- und niedrige Betriebskosten aus und müssen für einen wirtschaftlichen Betrieb mit einer hohen Auslastung (z. B. mehr als 7.000 Volllaststunden im Jahr) kalkulieren. Spitzenlastkraftwerke (z. B. Gasturbinen) können bereits bei geringer Auslastung (z. B. 2.000 Volllaststunden) rentabel sein (niedrige Investitions- und hohe Betriebskosten). Dazwischen liegen Mittellastkraftwerke (z. B. für Steinkohle).

Für eine gesicherte Stromversorgung muss zu jedem Zeitpunkt die eingespeiste Strommenge exakt gleich der Stromnachfrage sein. Zieht man von der Stromnachfrage die Einspeisung durch erneuerbare Energien ab, erhält man die sogenannte »Residuallast«, die durch regelbare Kraftwerke gedeckt werden muss. Charakteristisch für die Residuallast ist, dass sie sich wesentlich schneller ändern kann als die Nachfrage und dass sie bei hoher Durchdringung mit erneuerbaren Energien sehr klein werden kann – unter Umständen sogar negativ (d. h., es existiert ein Stromüberschuss).

Das bedeutet, dass die Differenzierung in Lastbereiche mit wachsender Durchdringung des Systems mit fluktuierender Einspeisung aus erneuerbaren Energien zunehmend obsolet wird. Ebenso wird die Zuordnung bestimmter Kraftwerkstypen (Grund-, Mittel- und Spitzenleistungskraftwerke) zu einzelnen Lastbereichen in Zukunft mehr und mehr verschwimmen. Die Einsatzmöglichkeiten für Kraftwerke, die für sehr hohe Volllaststunden ausgelegt sind, gehen zurück. Benötigt werden flexible Kraftwerke mit kurzen An- und Abfahrzeiten sowie dynamischer Regelbarkeit.

Für den sicheren Betrieb des Energieversorgungssystems muss ein beträchtlicher Teil der nominellen Leistung der RES-E-Anlagen (z. B. für Windkraft) durch regelfähige Anlagen abgesichert werden, deren tatsächliche Einsatzdauer aber nur gering ist. Dies hat u. a. zur Konsequenz, dass neue Betriebsstrategien entwickelt werden müssen. Beispielsweise werden derzeit die sogenannten »Systemdienstleistungen« (insbesondere die Primär- und Sekundärregelung) weitgehend durch fossile bzw. nukleare Großkraftwerke bereitgestellt. Will man langfristig einen sehr hohen RES-E-Anteil (50 % und mehr) in das System integrieren, ist es von entscheidender Bedeutung, dass verstärkt auch RES-E-Anlagen die Sicherstellung von Systemdienstleistungen übernehmen.

Stromnetze

Die Stromnetze spielen eine Schlüsselrolle bei der Integration eines dynamisch ansteigenden Anteils erneuerbarer Energien. Bereits heute treten in bestimmten Regionen Deutschlands regelmäßig Engpässe in den Hoch- und Höchstspannungsnetzen auf. Ohne geeignete Ausbaumaßnahmen wird sich dies in Zukunft weiter verstärken.

Von einigen Akteuren wird die Gefahr gesehen, dass die Netze sich zum Flaschenhals für den RES-E-Ausbau entwickeln könnten. Dies umso mehr, da es den Anschein hat, dass der Netzausbau mit der Entwicklung beim Ausbau von RES-E-Kapazitäten bislang nicht Schritt halten kann.

Die Leistungsfähigkeit der Übertragungsnetze kann gesteigert werden durch Optimierung des Netzbetriebs, Netzverstärkungsmaßnahmen sowie Netzausbau, wobei die Kosten der Maßnahmen in der genannten Reihenfolge zunehmen.

Eine Optimierung des Netzbetriebs ist u. a. durch das sogenannte »Leiterseilmonitoring« möglich. Dabei wird die Betriebstemperatur der Leitungen überwacht, damit ihre Übertragungskapazität besser ausgenutzt werden kann. Eine Verstärkung bestehender Netze kann z. B. durch Umrüstung von Trassen auf eine höhere Übertragungsspannung oder die Ausrüstung mit Hochtemperaturleiterseilen erreicht werden. Da bei diesen Maßnahmen bestehende Trassen genutzt werden, könnte auf diese Weise der Kapazitätsausbau der Netze wirkungsvoll beschleunigt werden.

Als Zukunftstechnologie gelten elektronische Systeme zur Kontrolle von Leis-tungsflüssen, sogenannte »FACTS« (»flexible alternating current transmission systems«), mit denen Übertragungsengpässe zumindest vorübergehend aufgehoben werden können. Bislang konnten sich FACTS vor allem aus Kostengründen noch nicht breit durchsetzen, ihnen wird in Fachkreisen jedoch ein großes Wachstumspotenzial zugeschrieben.

Zum Ausbaubedarf des Übertragungsnetzes wurden bereits einige Analysen durchgeführt, u. a. die beiden »Netzstudien« der Dena. Im Rahmen der »Netzstudie I« wurde ein Ausbaubedarf von 850 km neuer Trassen ermittelt, darauf aufbauend in der »Netzstudie II« ein zusätzlicher Neubaubedarf von 3.600 km, einschließlich 1.550 km Seekabel zur Anbindung von Offshorewindparks. Die Herangehensweise und die Ergebnisse der Dena-Netzstudien sind nicht unumstritten, u. a. sehen Kritiker technologische Alternativen zu herkömmlichen Freileitungen (z. B. Nutzung von Hochtemperaturleiterseilen, Erdkabel oder Hochspannungsgleichstromübertragung) nicht ausreichend gewürdigt. Dennoch bilden sie einen Ankerpunkt in der Diskussion um die Höhe des Ausbaubedarfs der Höchstspannungsnetze in Deutschland.

Für die Verteilnetze sind belastbare Abschätzungen des Ausbaubedarfs noch nicht vorhanden, werden aber zurzeit erstellt. Eine Verlagerung großer Teile der Stromproduktion auf die Verteilnetzebene durch kleine dezentrale Anlagen (beispielsweise Photovoltaikanlagen) ist ein Trend der jüngsten Vergangenheit, der den Netzbetrieb vor erhebliche Herausforderungen stellt.

Der adäquate Ausbau der Verteilnetze ist daher ein Schlüsselbereich für einen erfolgreichen Umbau des Stromsystems. Durch intelligentere Verteilnetze (Stichwort »Smart Grids«) kann auch die Nachfrageseite einen aktiveren Beitrag als bisher zur Energieeinsparung leisten und die Flexibilität und Stabilität des Gesamtsystems stärken. Insgesamt könnte dadurch der Ausbaubedarf sowohl auf Transport- als auch auf Verteilnetzebene reduziert werden.

Europäische Perspektive

Aus Sicht der Stromerzeugung aus fluktuierenden erneuerbaren Energiequellen ist eine europäische Perspektive besonders vorteilhaft, denn bei Betrachtung eines großen geografischen Gebiets verstetigt sich deren Angebot und macht es damit einfacher, Angebot und Nachfrage zum Ausgleich zu bringen. Voraussetzung ist allerdings ein leistungsfähiges transeuropäisches Netz.

In ihrem »Ten Year Network Development Plan« (TYNDP) beziffert ENTSO-E (European Network of Transmission System Operators for Electricity) den Bedarf an neuen bzw. instand zu setzenden Leitungen mit europäischer Bedeutung auf 42.100 km bis 2020 (davon 9.600 km meist unterseeische Hochspannungsgleichstromkabel). Die drei Triebkräfte für diesen Bedarf – Versorgungssicherheit, Vervollständigung des europäischen Binnenmarktes sowie Integration von RES-E – spielen dabei nach Einschätzung von ENTSO-E in etwa eine gleich starke Rolle.

Perspektivisch werden immer größere Strommengen über immer größere Entfernungen transportiert werden müssen. Um beispielsweise Strom aus den sonnenreichen Gebieten Südeuropas bzw. Nordafrikas und den windreichen Gebieten Nordeuropas zu den Verbrauchszentren in Mitteleuropa zu befördern, müsste wohl eine neue Infrastruktur aufgebaut werden, das sogenannte »Supergrid«.

Speicher und weitere Flexibilisierungsoptionen

Ein dynamisch voranschreitender Ausbau der Stromerzeugung mittels fluktuierender erneuerbarer Energien macht es zwingend erforderlich, dass das Stromsystem wesentlich flexibler als in der Vergangenheit auf unterschiedliche Einspeise- und Nachfragesituationen reagieren kann, damit die Versorgungssicherheit gewahrt bleibt.

Speicher sind nur eine von mehreren zur Verfügung stehenden Optionen zur Flexibilisierung des Stromsystems. Die Aufgaben, die Speicher übernehmen können, sind immer auch auf anderem Wege erfüllbar. Neben dem bereits genannten Netzausbau sind die Flexibilisierung der Stromerzeugung sowie das Lastmanagement wesentliche Optionen. Diese können sich ergänzen, aber auch zu einem gewissen Grad gegenseitig substituieren.

Insgesamt gesehen gilt es, aus dem vorhandenen Portfolio an Flexibilisierungsoptionen für das Stromsystem diejenige Kombination von Maßnahmen zu finden, die die langfristige Versorgungssicherheit zu den geringsten ökonomischen Kosten bei höchstmöglicher ökologischer und sozialer Verträglichkeit gewährleistet. Dies bedeutet, einen gesellschaftlichen Suchprozess mit wissenschaftlicher Unterstützung zu organisieren.

Ein zentrales Ergebnis der Analysen ist, dass es zur Integration erneuerbarer Energien wesentlich effizienter ist, die zur Verfügung stehenden Flexibilisierungsoptionen zur Glättung der (residualen) Gesamtnachfrage einzusetzen. Mit dieser Strategie kann sowohl der verbleibende Bedarf an konventionellen Kraftwerken erheblich gesenkt als auch die Abregelung von erneuerbaren Energien minimiert werden. Der alternative Ansatz, nur die Glättung der Einspeisung aus erneuerbaren Energien anzustreben (beispielsweise durch die Errichtung von dezentralen Speichern an Windkraftanlagen), führt dagegen zu ineffizienten Lösungen.

Speicher

Insgesamt gesehen wird die Rolle, die Speicher im Stromsystem Deutschlands in den nächsten 10 bis 15 Jahren spielen werden, aus heutiger Sicht eher begrenzt sein. In der (fach)öffentlichen und politischen Diskussion wird diese zurzeit eher über- als unterschätzt. Je nach Entwicklung der Rahmenbedingungen könnte ein Bedarf für Stundenspeicher in einer Größenordnung von 1 bis 2 GW entstehen, zum wöchentlichen oder saisonalen Ausgleich wird bei diesem Zeithorizont kein zusätzlicher Speicherbedarf gesehen.

Für alle Speichertechnologien gilt, dass sie im Vergleich mit anderen Flexibilisierungsoptionen zumeist die teurere Option darstellen. Daher sollten aus ökonomischer Sicht die kostengünstiger erschließbaren Potenziale zuerst ausgeschöpft werden. Insbesondere stellen Speicher wegen ihrer deutlich höheren Investitionskosten keine Alternative zum Netzausbau dar. Die aktuelle Entwicklung auf den Strommärkten, dass insbesondere an Tagen mit hoher Photovoltaikeinspeisung der Preisunterschied zwischen Spitzen- und Grundlaststrom stark sinkt, stellt derzeit sogar die Wirtschaftlichkeit von neuen Pumpspeicherkraftwerken infrage, der ökonomisch günstigsten aller Speichertechnologien.

Um die zukünftige Entwicklung bei Speichern einzuschätzen, greift eine rein ökonomische Betrachtung des Stromsystems allerdings zu kurz. So ist es z. B. nicht auszuschließen, dass (teure) Speicher errichtet werden müssten, wenn beispielsweise der weitere Netzausbau keine gesellschaftliche Akzeptanz findet. Ebenfalls könnten vermehrt dezentrale Speicher gebaut werden, obwohl sie aus Sicht des Gesamtsystems energiewirtschaftlich zumeist ineffizient sind, wenn beispielsweise Netzparität (Stromgestehungskosten liegen auf bzw. unter dem Niveau des Endkundenstrompreises für Haushaltskunden) für Photovoltaikanlagen mit Speichern erreicht ist (dies wird ab etwa dem Jahr 2019 erwartet).

Demgegenüber sind die langfristigen Herausforderungen ab 2025 mit der Zielperspektive einer (weitgehenden) Vollversorgung mit RES-E bis etwa 2050 enorm. Aber auch in dieser langfristigen Perspektive lassen sich die Herausforderungen nicht nur mit einem massiven Ausbau von Speicherkapazitäten bewältigen.

Flexibilisierung der Stromerzeugung

Der Ausbau erneuerbarer Energien hat erhebliche Auswirkungen auf die konventionellen Kraftwerke. Zwar werden auch zukünftig konventionelle Kraftwerke benötigt, die den verbleibenden Anteil der Stromnachfrage decken. Allerdings sinken sowohl der Leistungsbedarf als auch die Auslastung für diese Kraftwerke deutlich ab. Im untersuchten Szenario sinkt der Bedarf an Grundlastkraftwerken von heute ca. 29 GW (installierte Leistung von Braunkohle- und Kernkraftwerken) bis 2030 auf nur noch 6 GW. Wegen der erheblich reduzierten erreichbaren Auslastung verschlechtert sich die Wirtschaftlichkeit von Kraftwerksneubauten mit hohen Investitionskosten im Vergleich zu Kraftwerken mit niedrigeren Investitionskosten.

Auch durch die stärkere Orientierung der Stromproduktion aus erneuerbaren Energien an der Nachfrage kann die Flexibilität der Erzeugung gesteigert werden. Biomassekraftwerke, aber auch Wasserkraftwerke und Geothermieanlagen sind aus technischer Sicht hierzu gut geeignet. Insbesondere Biomasseanlagen könnten einen substanziellen Beitrag zur Flexibilität des Kraftwerksparks leisten, da laut »Nationalem Aktionsplan für erneuerbare Energie« bis 2020 bereits 8,8 GW Biomassekraftwerke am Netz sein sollen.

Lastmanagement/Flexibilisierung der Nachfrage

Durch Flexibilisierung der Nachfrage kann die Differenz zwischen Stromproduktion aus erneuerbarer Energien und Stromverbrauch verringert werden. Vor allem bei industriellen und großen gewerblichen Verbrauchern (z. B. Chloralkalielektrolyse, Aluminiumproduktion, große Kühlhäuser) existieren gesamtwirtschaftlich attraktive Potenziale, bei denen die Kosten für die Einsparung von Strom zu Hochlastzeiten (bzw. von Regelenergie) geringer sind als die für zusätzliche Stromproduktion.

Die Lastmanagementpotenziale im Haushaltssektor (und in großen Teilen des Sektors »Gewerbe, Handel, Dienstleistungen«), beispielsweise durch intelligent zu- bzw. abschaltbare Haushaltsgeräte oder Lademanagement von Elektrofahrzeugen, müssen dagegen vor einer definitiven Bewertung noch genauer untersucht werden. Zu klären ist hier insbesondere, inwieweit die Einsparpotenziale Investitionen in Smart-Grid-Infrastrukturen rechtfertigen können.

Handlungsfelder und Handlungsoptionen

Auf der Grundlage der Analysen lassen sich acht Handlungsfelder identifizieren, auf denen die öffentliche Hand bzw. die energiepolitischen Akteure in Exekutive und Legislative durch Gestaltung von Rahmenbedingungen dazu beitragen können, dass der anstehende Umbau der Stromversorgung gelingen kann. Der Erfolg dieses Umbaus ist nach den Kriterien einer nachhaltigen Entwicklung daran zu messen, dass er sowohl ökonomisch als auch ökologisch und sozial zu bestmöglichen Ergebnissen führt.

Wie der TAB-Bericht zeigt, ist eine Flexibilisierung des gesamten Stromsystems eine notwendige Voraussetzung, um einen hohen Anteil erneuerbarer Energien zu möglichst geringen Kosten erfolgreich im System aufzunehmen und eine sichere Stromversorgung auch in Zeiten geringer Stromproduktion aus erneuerbaren Energien zu gewährleisten. Die Analyse zeigt zwar, dass die bestehenden und konkret geplanten Flexibilisierungsoptionen zumindest bis 2030 nahezu ausreichen, wenn keine Netzengpässe auftreten. Dennoch kann die Politik dazu beitragen, durch zusätzliche Flexibilisierungsoptionen die Systemintegration der erneuerbaren Stromerzeugung vor allem in einer langfristigen Perspektive weiter zu verbessern.

Grundsätzlich sollten bei der Optimierung der Strategie zur Erhöhung der Flexibilität des Stromsystems Kosten und Nutzen sowie Effizienz der einzelnen Optionen sorgfältig abgewogen werden. Auch der Zeitpunkt, zu dem ggf. ein politisches Eingreifen angezeigt ist, sollte genau überdacht werden.

Netzengpässe und Netzausbau

Für die Politik besteht in diesem Feld umfangreicher Handlungsbedarf, da sich ansonsten der Netzausbau aufgrund der langen Vorlaufzeiten für Planung und Genehmigung als Hemmschuh für den Umbau der Stromversorgung erweisen könnte.

Das vom Deutschen Bundestag beschlossene Netzausbaubeschleunigungsgesetz (NABEG) und die »Leitlinien für die transeuropäische Energieinfrastruktur« der Europäischen Kommission sind wichtige Schritte zur Umsetzung des erforderlichen Ausbaus der Übertragungsnetze. Weitere Maßnahmen könnten sich jedoch als erforderlich erweisen. Eine Möglichkeit wäre, die Investitionsbedingungen für den Netzausbau attraktiver zu gestalten, zum Beispiel durch eine Stärkung der regulatorischen Rahmenbedingungen, um das Investorenrisiko zu verringern.

Ein europaweit koordiniertes Vorgehen beim Netzausbau ist anzustreben, da auf diese Weise Ausgleichseffekte über einen großen geografischen Raum positiv genutzt und Potenziale für Erzeugung und Speicherung optimal eingebunden werden könnten. Projekte wie »DESERTEC« und das »European Offshore Grid« könnten als Keimzelle für einen verstärkten transeuropäischen Netzausbau dienen.

Zum Management von kurz- bis mittelfristigen Netzengpässen sind Maßnahmen zur Optimierung des Netzbetriebs u. U. besser geeignet als der Netzausbau, da sie wesentlich schneller umgesetzt werden können. Hierfür kommt beispielsweise das Temperaturmonitoring von Leiterseilen in Betracht.

Auf der Ebene der Marktorganisation könnten sich möglicherweise sogenannte »nodale Preise« zur Entlastung von Netzengpässen eignen. Bei diesem Ansatz wird der Strompreis in Abhängigkeit von Netzengpässen für jeden Netzknoten individuell bestimmt. Aus den USA liegen positive Erfahrungen zu nodalen Preisen vor. Allerdings stellt die Einführung und Verwaltung eines solchen Systems einen Bruch zum bisherigen Preissystem dar. Vor- und Nachteile sollten daher im Vorfeld gründlich untersucht und abgewogen werden.

Eine zentrale Herausforderung ist es, die Akzeptanz in der Gesellschaft und besonders bei Betroffenen zu stärken. Derzeit werden Netzausbauvorhaben häufig durch Anliegerproteste verzögert oder gar verhindert. Hier gilt es, durch offene Kommunikation und einen transparenten Planungsprozess Vertrauen aufzubauen und dahingehend Überzeugungsarbeit zu leisten, dass der Netzausbau bei der Transformation hin zu einem nachhaltigen Stromsystem unverzichtbar ist.

Wegen ihrer besonderen Bedeutung für den Umbau der Stromversorgung sollten innovative Technologien für Netzinfrastruktur und -betrieb (z. B. Anschlusskonzepte und Übertragungstechnologien mit Hochspannungsgleichstrom [HGÜ], flexible Wechselspannungssysteme [FACTS], supraleitende Komponenten etc.) weiterhin prioritäre Bereiche der Forschungsförderung bleiben.

Konventionelle Kraftwerke

Wie beschrieben, werden die zur Ergänzung der Stromproduktion aus erneuerbaren Energien benötigten konventionellen Kraftwerke mit einer deutlich geringeren Auslastung als heute kalkulieren und flexibel auf die Produktion erneuerbarer Energien reagieren müssen.

Daraus ergeben sich zwei Schlussfolgerungen: Einerseits ist der Neubau von Kraftwerken, die (technisch bzw. ökonomisch) auf den Grundlastbetrieb ausgerichtet sind, kritisch zu sehen. Aufgrund der langen Investitionszyklen und technischen Lebensdauer von 40 Jahren und mehr wäre – je nach Ausgestaltung der Rahmenbedingungen – entweder die Festlegung auf einen klima- und energiepolitisch ineffizienten Technologiepfad zu befürchten (sogenannter Lock-in-Effekt), oder aber dass diese Investitionen sich als langfristig unrentabel herausstellen würden (»stranded investments«).

Andererseits werden flexible konventionelle Kraftwerke zur Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit gebraucht. Zurzeit wird diskutiert, ob der Neubau (oder sogar die Erhaltung) solcher Kraftwerke zusätzlich – durch sogenannte »Kapazitätsmechanismen« – gefördert werden muss, damit die Marktakteure ihn in ausreichendem Umfang durchführen.

Als eine von vielen möglichen Varianten von Kapazitätsmechanismen wird aktuell die Bereitstellung einer »strategischen Reserve« intensiv diskutiert. Hierbei soll eine zentrale Institution eine bestimmte Anzahl Kraftwerke vorhalten, die nur dann zum Einsatz kommen sollen, wenn die im Markt angebotenen Kraftwerke nicht zur Deckung der Nachfrage ausreichen. Falls dies erwogen wird, sollte bei der konkreten Ausgestaltung sorgsam darauf geachtet werden, dass der Einfluss auf den Strommarkt so gering wie möglich gehalten wird.

Ein dringender Handlungsbedarf ist in den nächsten Jahren nicht zu erkennen, da nach gegenwärtigem Kenntnisstand die Kapazitäten an (bestehenden bzw. zurzeit in Bau befindlichen) konventionellen Kraftwerken in Deutschland mindestens bis etwa 2020 ausreichen, um die Last zuverlässig zu decken. Längerfristig (ab etwa 2020) könnten Kapazitätsmechanismen dennoch zur Unterstützung flexibler Gaskraftwerke, von Speichern und des Nachfragemanagements notwendig werden. Allerdings stellen diese einen recht weitreichenden Eingriff in die Strommärkte dar, dessen Auswirkungen vor einer Umsetzung genau analysiert werden sollten.

Flexibilisierung der erneuerbaren Stromerzeugung

Regelbare RES-E-Anlagen sollten möglichst nicht durch die Förderungssystematik zur Dauerproduktion angereizt werden, wie das zurzeit im System der festen Einspeisevergütung der Fall ist.

Die Einführung der optionalen Marktprämie im EEG bietet Ansatzpunkte für eine Flexibilisierung der Stromproduktion aus RES-E-Anlagen. Diese nehmen dabei direkt am Strommarkt teil und können höhere Einnahmen erwirtschaften, wenn sie in Zeiten von hoher Nachfrage Strom produzieren. Außerdem eröffnet die optionale Marktprämie den RES-E-Erzeugern die Teilnahme an weiteren Märkten, z. B. an Regel- und Terminmärkten. Auch die Einführung der Flexibilitätsprämie für Biomassekraftwerke trägt zu einer stärkeren Flexibilisierung der Stromerzeugung bei.

Es bleibt allerdings abzuwarten, inwieweit dieses neue Förderinstrument tatsächlich zu einer Veränderung des Einspeiseverhaltens von erneuerbaren Energien und damit einer höheren Flexibilität des Stromsystems führt und die anfänglichen Zusatzausgaben sowie der administrative Aufwand dadurch gerechtfertigt sind.

Speicher

Die hier durchgeführten modellgestützten Analysen zeigen eindrücklich, dass die Strategie, Speicher zur Glättung der Stromproduktion aus erneuerbaren Energien zu nutzen, aus Effizienzsicht nicht optimal ist. Stattdessen ist die Nutzung der Speicher zur Glättung der Residuallast, d. h. eine Optimierung des gesamten Stromsystems, eindeutig vorzuziehen. Bei der Ausgestaltung politischer Maßnahmen sollte dieses Argument nicht übersehen werden. Beispielsweise ist die Förderung von virtuellen Kraftwerken, ein Kombikraftwerksbonus oder auch die Förderung des Photovoltaikeigenverbrauchs aus Systemsicht ineffizient. Nur unter bestimmten Voraussetzungen könnten diese Maßnahmen dennoch gerechtfertigt sein, z. B. wenn lokale Netzengpässe vorliegen, die nicht anderweitig beseitigt werden können.

Derzeit sind Pumpspeicher die meistgenutzte Art der Energiespeicherung auf Systemebene. Der Neubau von Pumpspeichern ist allerdings mit erheblichen Landschaftseingriffen verbunden, die ähnlich wie andere große Infrastrukturprojekte häufig Probleme im Planungsprozess und Besorgnis bei betroffenen Bürgern hervorrufen. Hier könnte die Politik möglicherweise unterstützend tätig werden. Die Herausforderung besteht vor allem darin, den von vielen wahrgenommenen Zielkonflikt zwischen Vereinfachung und Beschleunigung von Genehmigungsverfahren einerseits und Stärkung der Bürgerbeteiligung sowie Schaffung von Transparenz andererseits aufzulösen.

Pumpspeicher stellten bis vor Kurzem im liberalisierten Strommarkt ein rentables Geschäftsmodell dar. Wenn allerdings der jüngste Trend anhält, dass der Preisunterschied zwischen Schwach- und Spitzenlaststrom schrumpft, steht dieses Geschäftsmodell mehr und mehr unter Druck. Falls keine anderen effizienteren Flexibilisierungsmaßnahmen zur Verfügung stehen, müsste in diesem Fall eventuell über Unterstützungsmaßnahmen nachgedacht werden, die über die derzeitige Befreiung von den Netzentgelten und der EEG-Umlage hinausgehen.

Viele der weiteren infrage kommenden Speichertechnologien sind noch im Entwicklungsstadium. Speicher sollten daher auch weiterhin ein prioritärer Bereich für die Forschungsförderung bleiben, wie dies bereits beispielsweise in der »Gemeinsamen Förderinitiative Energiespeicher« des BMWi, BMU und BMBF angelegt ist.

Darüber hinaus könnten Speichermöglichkeiten, die Verbindungen zu anderen Sektoren herstellen – v. a. dem Wärmesektor sowie längerfristig auch dem Gas- bzw. dem Kraftstoffsektor –, interessante Optionen eröffnen und Synergien bieten.

Eine Verknüpfung zum Wärmesektor ist beispielsweise die Ausstattung von KWK-Anlagen mit Wärmespeichern, die es erlaubt, deren Stromproduktion der Stromnachfrage anzupassen. Die Wärmenachfrage kann dann bei Bedarf aus den Speichern gedeckt werden. Auf diese Weise kann auch die Sockellast reduziert werden, zu der wärmegeführte KWK-Anlagen beitragen. Eine zweite Möglichkeit ist die Nutzung von überschüssigem Strom zur Wärmeerzeugung, beispielsweise mittels Heizstäben oder Wärmepumpen.

Eine Kopplung zum Gassektor ist die Möglichkeit mittels Strom (durch Elektrolyse) Methan (»Windgas«) bzw. Wasserstoff herzustellen. Zurzeit sind diese Verfahren zwar noch weit von der Wirtschaftlichkeit entfernt, könnten aber abhängig von der zukünftigen Entwicklung der Kostenstruktur, dem Bedarf an Langzeitspeichern und Verwendungsmöglichkeiten beispielsweise im Verkehrsbereich langfristig sinnvolle Optionen darstellen.

Derzeit ist eine verlässliche Quantifizierung des ökonomisch und technisch sinnvollen langfristigen Speicherbedarfs nicht möglich. Daher ist anzuraten, die diesbezügliche Wissensbasis zu verbreitern und vor einem Eingriff – beispielsweise durch großangelegte Förderprogramme zum Speicherbau – im Detail zu untersuchen, ob und welche Art von politischer Unterstützung über die Forschungsförderung hinaus angezeigt ist.

Lastmanagement/Flexibilisierung der Nachfrage

Kurz- bis mittelfristig ist es unstrittig sinnvoll, die Flexibilität der großen Stromverbraucher zu erhöhen. Geeignete Instrumente dazu sind die stärkere Öffnung der Regelmärkte, aber auch die verstärkte Einführung von Stromtarifen, bei denen der Strompreis mit dem Börsenpreis schwankt.

In Deutschland wird bisher vor allem die stärkere Einbeziehung industrieller Stromverbraucher in den Markt für Regelenergie diskutiert, einige Unternehmen nehmen bereits am Regelenergiemarkt teil. In Teilen Deutschlands wird außerdem Nachfragemanagement zur Netzentlastung angewendet (z. B. durch vertragliche Vereinbarungen zwischen Unternehmen und Netzbetreibern).

Zur Erschließung eines höheren Lastmanagementpotenzials der Industrie wird momentan die vom BMWi erarbeitete »Lastabwurfverordnung« diskutiert. Die Verordnung soll Netzbetreiber und Industriebetriebe zum Abschluss von Verträgen zum Lastabwurf zur Stabilisierung des Netzbetriebs motivieren. Dies wird jedoch kontrovers aufgenommen. Unter anderem bemängeln Kritiker die nichtmarktkonforme Festlegung sowie die Höhe der Vergütungssätze, die weit über den Preisen der Regelenergie liegen.

Markt für Regelleistung

Konventionelle Kraftwerke, die Systemdienstleistungen bzw. Regelenergie bereitstellen und somit zur Aufrechterhaltung der Systemstabilität gebraucht werden (sogenannte Must-Run-Kraftwerke), bilden eine Sockellast, die die Aufnahmefähigkeit des Stromsystems für erneuerbare Energien einschränken kann. Um die Sockellast zu verringern, ist daher eine Öffnung der Regelmärkte für erneuerbare Energien und für die Nachfrageseite geboten. Erste wichtige Schritte hierfür sind bereits erfolgt, ein weiterer Abbau von Zugangsbarrieren zum Regelmarkt ist jedoch notwendig, um die Anzahl der Marktteilnehmer zu erhöhen und zu diversifizieren.

Zusätzlich wäre eine verstärkte Kooperation auf europäischer Ebene wünschens-wert, da größere Regelzonen einen geringeren Anteil an Regelleistung benötigen. Dies setzt allerdings ein leistungsfähiges transeuropäisches Netz voraus. Eine weitere Möglichkeit ist die Stärkung des untertägigen Stromhandels (»intraday«). Hierfür existieren positive Beispiele im Ausland (u. a. in Spanien).

Strommarktdesign

Im derzeitigen Strommarkt erfolgt die Preisbildung auf Basis der Grenzkosten der Kraftwerke, also der Kosten, die für die Produktion einer zusätzlichen Kilowattstunde Strom anfallen. Mit zunehmendem RES-E-Anteil an der Stromerzeugung könnten sich in vielen Stunden des Jahres Strompreise ergeben, die zu gering sind, um Kapitalkosten zu decken und Investitionen in Kraftwerke zu gestatten. Es besteht daher die Möglichkeit, dass das Strommarktdesign grundlegend überarbeitet werden muss, um den neuen Rahmenbedingungen gerecht zu werden. Kapazitätsmärkte werden aktuell als ein zentrales Element eines veränderten Marktdesigns diskutiert, eine andere Option ist die stärkere Konzentration auf langfristige Lieferverträge.

Da Veränderungen in der Regulierung immer auch zu Kosten und zu Verunsicherung von Investoren führen, sollte die Eingriffstiefe einer solchen Umgestaltung möglichst gering gehalten und gewissenhaft vorbereitet werden. Wie schon beim Thema Kapazitätsmärkte angesprochen, besteht auch hier kein sofortiger Handlungsbedarf, eine gezielte Beobachtung des Marktgeschehens ist aber anzuraten.

Europäische Kooperation

Kooperation auf europäischer Ebene ist in vielen Bereichen sinnvoll, um die Integration der erneuerbaren Energien zu fördern. Transeuropäischer Netzausbau und Marktintegration können die Flexibilität des Systems entscheidend erhöhen.

Die Kooperation auf europäischer Ebene kann außerdem den Regelbedarf reduzieren und potenziell Kosten senken, z. B. wenn bei der Standortentscheidung für Investitionen in erneuerbare Anlagen die Verfügbarkeit der Ressourcen und die Integrationskosten ganzheitlich berücksichtigt werden.

Es ist zu begrüßen, dass Deutschland sowohl auf der EU-Ebene als auch im Rahmen der multilateralen Projektkooperationen (DESERTEC, Nordsee-Off-shore-Initiative) sowie direkter bilateraler Gespräche (z. B. deutsch-norwegische Energiepartnerschaft) eine aktive Rolle einnimmt.

 

Erstellt am: 17.10.2012 - Kommentare an: webmaster