Ulrich Riehm, Christopher Coenen, Ralf Lindner, Clemens Blümel

Bürgerbeteiligung durch E-Petitionen
Analysen von Kontinuität und Wandel im Petitionswesen

Berlin: edition sigma 2009, Reihe: Studien des Büros für Technikfolgen-Abschätzung, Bd. 29, ISBN 978-3-8360-8129-0, 278 Seiten, kartoniert 24.90 Euro
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EINLEITUNG

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Seit September 2005 ermöglicht der Deutsche Bundestag die Einreichung, Veröffentlichung, Mitzeichnung und Diskussion von Petitionen im Internet. Dieser Modellversuch "Öffentliche Petitionen" war Ausgangspunkt für die Beschäftigung des Büros für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) mit dem Einsatz des Internets im Petitionswesen. In diesem einleitenden Kapitel wird zunächst auf den thematischen Hintergrund der Studie eingegangen, dann die Fragestellungen und die Projektdurchführung geschildert und schließlich der Aufbau des Gesamtberichts erläutert.

THEMATISCHER HINTERGRUND

Das Petitions- und Ombudswesen steht nicht im Mittelpunkt des politischen, öffentlichen und wissenschaftlichen Interesses. Allerdings ist es im Rahmen des Einsatzes des Internets zur Stärkung der Beteiligung von Bürgern am politischen Leben – sogenannte E-Demokratie oder auch "digitale Demokratie" (Kap. IV) – zu besonders interessanten, internetgestützten Varianten des Petitionierens gekommen, die üblicherweise als Online-, Internet- oder E-Petitionen bezeichnet werden (Kap. II.2). Prominente Beispiele sind das internetgestützte Petitionssystem des schottischen Parlaments (Kap. V.2) und die "öffentlichen Petitionen" des Deutschen Bundestages (Kap. VI). Diese sind auch wesentlicher Gegenstand der hier vorgelegten Untersuchung.

Das TAB konnte bei der aktuellen Studie anschließen an das thematisch breiter angelegte TA-Projekt zu "Netzöffentlichkeit und digitaler Demokratie". In den damaligen Untersuchungen standen u. a. die folgenden Fragen im Mittelpunkt (Grunwald et al. 2006, S. 9 ff.):

Die Konstituierung von Öffentlichkeit und Gegenöffentlichkeit wurde als eine der wesentlichen Potenziale des Internets identifiziert, außerdem die Möglichkeiten politischer Information, Deliberation und Partizipation. Allerdings, so die damalige Studie weiter, sind es vor allem die bereits politisch Aktiven und Kenntnisreichen, die diese Potenziale ausschöpfen können. Diese stellen auch höhere Ansprüche an die Politik hinsichtlich des Zugangs zu politischen Informationen, der Transparenz politischer Prozesse und der Teilhabe an der Entscheidungsfindung, die über das Internet realisiert werden sollen. Für den Erfolg internetvermittelter, direkter Kommunikation zwischen Staat und Bürgern seien eine klare Zweckbestimmung, Transparenz in Bezug auf die Beteiligung der Politik sowie die Nutzung der Diskussionsergebnisse und zielgruppenrelevante Themen von Bedeutung (Grunwald et al. 2006, S. 15, 21).

Petitionen und E-Petitionen stellen nur einen kleinen Ausschnitt aus dem weiten Feld der E-Demokratie dar. Sie sind aber nicht nur wegen einiger interessanter Anwendungen von besonderem Interesse, sondern auch wegen ihres spezifischen politischen Charakters, der sie in gewisser Weise für Anwendungen des Internets prädestiniert: Bürger wenden sich mit ihren Anliegen an das Parlament oder einen anderen Petitionsadressaten, um auf die politische Willensbildung und die Öffentlichkeit einzuwirken. Diese Bürger-zu-Politik-Kommunikation mündet in einem Verfahren zur Bearbeitung von Petitionen, die zumindest im Falle des Bundestages eine Prüfung und Beratung sowie einen Bescheid an den Petenten einschließt. Bürgerrelevante Themen durch die Vorbringungen der Bürger selbst, Verfahrenstransparenz und klare Zweckbestimmung – bereits vorne als Erfolgsbedingungen für die politische Internetkommunikation zwischen Bürger und Staat benannt – scheinen im Falle elektronischer Petitionen in hohem Maß gegeben. Dies ist jedenfalls die Ausgangsvermutung, der im Folgenden nachgegangen wird.

TA-PROJEKT "ÖFFENTLICHE ELEKTRONISCHE PETITIONEN UND BÜRGERSCHAFTLICHE TEILHABE"

Die Anregung zu diesem TA-Projekt ging vom Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages aus, der im September 2005 einen zweijährigen Modellversuch "Öffentliche Petitionen" im Internet begann und für die Entscheidung zur Überführung des Modellversuchs in den Regelbetrieb, die im Sommer 2007 anstand, eine Evaluation durch das TAB anregte. Nach einem Beschluss des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung wurde diese Anregung aufgenommen und das TA-Projekt "Öffentliche elektronische Petitionen und bürgerschaftliche Teilhabe" im Oktober 2006 begonnen.

Die Untersuchungsfelder dieses Projekts gehen aber über den Modellversuch des Deutschen Bundestages hinaus. Um das Petitionswesen des Bundestages in Beziehung zu ähnlichen Aktivitäten von anderen Institutionen zu stellen, werden auch Beschwerden und Eingaben an andere staatliche und nichtstaatliche Eingabe-, Beschwerde- und Schlichtungsstellen betrachtet. Dabei wird von einer zunehmenden Ausdifferenzierung des Petitionswesens ausgegangen. Diese Ausdifferenzierung hat eine institutionelle und eine mediale Komponente, die sich gegenseitig beeinflussen: Die neuen Möglichkeiten des Internets führen zu neuen "petitionsähnlichen" Angeboten und die etablierten Petitionsinstitutionen nutzen das Internet zu ihrer Profilierung.

Aber auch internationale Entwicklungen im Petitionswesen sollten in den Blick genommen werden. Von besonderem Interesse war dabei, in welcher Wechselbeziehung die unterschiedlichen politischen Systeme und Kulturen zu den Ausprägungen der Institutionen des Petitions- und Ombudswesens stehen und wie sich vor diesem Hintergrund spezifische auf das Petitionswesen bezogene Reformansätze herausgebildet haben.

Ein weiterer Schwerpunkt lag auf den durch das Internet ermöglichten partizipativen und diskursiven Elementen im Petitionsverfahren, die in manchen E-Petitionssystemen angeboten und in Politik, Wissenschaft und Öffentlichkeit auf ein breites Interesse stoßen.

Das TA-Projekt sollte so einen doppelten Beitrag leisten: Einerseits sollten für ein wichtiges E-Demokratieprojekt des Deutschen Bundestages, des Modellversuchs "Öffentliche Petitionen", konkrete Empfehlungen zu seiner Fortführung und für die Gestaltung eines zukünftigen Systems erarbeitet werden; andererseits sollten die Untersuchungsergebnisse zur Einführung und Nutzung von E-Petitionssystemen im In- und Ausland einen Beitrag zur Diskussion um die Internetnutzung in der Politik im Allgemeinen und im Rahmen von Parlamenten im Besonderen liefern.

Im Einzelnen wurde in einer ersten Projektphase eine detaillierte Stärken-Schwächen-Analyse des Modellversuchs "Öffentliche Petitionen" durchgeführt (Kap. VI). In enger Abstimmung mit dem Projektteam des TAB führte Zebralog, Berlin, diese umfangreichen Befragungen und Analysen durch. Erste Ergebnisse aus dieser Projektphase wurden bereits im Mai 2007 dem Deutschen Bundestag in einem Diskussionspapier (Riehm/Coenen 2007) vorgelegt sowie in einem Ergebnisworkshop präsentiert. Die Entscheidung des Petitionsausschusses zur Überführung des Modellversuchs in den Regelbetrieb von Ende Juni 2007 nahm auf diese Untersuchungsergebnisse des TAB Bezug.

In der zweiten Projektphase wurden die Untersuchungen über den Bundestag hinaus ausgeweitet. Die institutionelle und mediale Ausdifferenzierung des Petitionswesens in der Bundesrepublik Deutschland sowie die unterschiedlichen Reformansätze waren Gegenstand eines Gutachtens des Instituts für Politikwissenschaft der Universität Duisburg-Essen (Universität Duisburg-Essen 2008). Detailreiche Analysen des Petitionswesens im internationalen Vergleich unter Berücksichtigung neuer Informations- und Kommunikationstechnologien wurden vom Institut für Kooperationsmanagement und interdisziplinäre Forschung Nexus, Berlin, im Rahmen eines weiteren Gutachtens erarbeitet (Nexus 2007). Fallstudien zum Interneteinsatz im Petitionswesen in ausgewählten Ländern wurden von Mitgliedern des Projektteams durchgeführt (Lindner/Blümel 2008).

Eine dritte, ursprünglich vorgesehene Projektphase, in welcher der Entwicklungs- und Einführungsprozess des neu zu implementierenden Systems "Öffentlicher Petitionen" wissenschaftlich begleitet und einer weiteren Evaluierung unterzogen werden sollte, wurde auf die Jahre 2009 und 2010 verschoben, da die ursprüngliche, sehr ambitionierte Zeitplanung des Deutschen Bundestages zur Einführung eines neuen Systems nicht zu verwirklichen war.

ZUM AUFBAU DES BERICHTS

Der Bericht umfasst zwei Hauptteile: Im ersten Teil (Kap. II u. III) geht es um das Petitionswesen im Allgemeinen und seine vielfältigen Ausprägungsformen im In- und Ausland. Im zweiten Teil (Kap. IV bis VI) stehen die elektronischen Petitionssysteme im Mittelpunkt. Der Bericht schließt mit übergreifenden Ergebnissen sowie Gestaltungsoptionen und Forschungsdesideraten(Kap. VII).

In Kapitel II wird zunächst eine Klärung vorgenommen, was unter Petitionen und im Vergleich dazu unter elektronischen Petitionen zu verstehen ist. Die Funktionen und institutionellen Einbettungen des Petitionswesens werden dargestellt. Schließlich wird die Diskussion über eine angebliche Entbehrlichkeit des Petitionswesens in modernen Demokratien und etablierten Rechtsstaaten aufgegriffen.

In Kapitel III wird auf die konkrete Ausgestaltung des Petitions- und Eingabewesens im In- und Ausland eingegangen. Dabei werden für Deutschland die parlamentarischen Petitionsausschüsse auf den verschiedenen staatlichen Ebenen sowie die staatlichen, aber thematisch spezialisierten "Beauftragten" beim Parlament oder der Exekutive betrachtet. Des Weiteren werden Eingabe- und Beschwerdestellen in der Privatwirtschaft und im Mediensektor, einschließlich des Internets, dargestellt. Die Konkurrenz zwischen diesen Institutionen wird diskutiert. Die Vielfalt der Eingabestellen sowie ihre Einbettung in die Besonderheiten der jeweiligen politischen Systeme und Kulturen zeigen sich bei der Darstellung des Petitions- und Ombudswesens im Ausland. Ein allgemeiner Entwicklungstrend oder gar ein internationales Standardmodell des Petitionswesens scheint es nicht zu geben.

Bevor auf elektronische Petitionssysteme im Einzelnen eingegangen wird, werden in Kapitel IV die politische Internetnutzung im Allgemeinen sowie die Bereiche E-Demokratie, E-Partizipation und E-Parlament im Besonderen behandelt. Es werden Einschätzungen zum internationalen Stand von E-Demokratie und E-Partizipation gegeben, wobei ein Schwerpunkt bei der parlamentarischen E Demokratie liegt. Außerdem werden E-Petitionen in das Feld der E-Demokratie und E Partizipation eingeordnet.

Im Mittelpunkt von Kapitel V stehen Fallstudien zur Einführung und Nutzung von E-Petitionssystemen bei den Parlamenten in Schottland und Queensland, den Gemeindeverwaltungen norwegischer Kommunen sowie bei der Exekutive in Großbritannien und Südkorea. Eingegangen wird auch auf private Anbieter von E-Petitionsplattformen sowie auf die Rolle von E-Petitionen für politische Kampagnen von Nichtregierungsorganisationen. Die Bandbreite der Wechselwirkungen zwischen institutionellen und technischen Innovationen wird beispielhaft aufgezeigt, und es werden die unterschiedlichen Verfahren und technischen Funktionen der untersuchten Systeme sowie ihre politische Wirkung detailliert und vergleichend analysiert.

Vorgeschichte sowie Funktionsweise des Modellversuchs "Öffentliche Petitionen" des Deutschen Bundestages werden schließlich in Kapitel VI dargestellt. Insbesondere enthält dieses Kapitel die Ergebnisse der Evaluation des Modellversuchs. Die Evaluation umfasste u. a. umfangreiche Befragungen von Petenten, Interviews mit Mitgliedern des Petitionsausschusses, Fraktionsmitarbeitern und Mitarbeitern der Bundestagsverwaltung sowie Analysen des Softwaresystems und der Diskussionsforen. Eingegangen wird u. a. auf die Resonanz des Modellversuchs in Öffentlichkeit und Politik, auf die Passfähigkeit des technisch-organisatorischen Systems "Öffentliche Petitionen" vor dem Hintergrund der etablierten Verfahrensweisen des Bundestages, auf die Aufgabenangemessenheit und Nutzungsfreundlichkeit des Softwaresystems sowie auf die Qualität der Beiträge im Diskussionsforum.

Im Schlusskapitel VII werden zunächst einige übergreifende Ergebnisse dargestellt und diskutiert, dann Vorschläge zur verfahrensmäßigen und softwaretechnischen Neugestaltung des Systems "Öffentliche Petitionen" des Deutschen Bundestages gemacht. Es folgen Ausführungen zu einigen Optionen für eine Weiterentwicklung des Petitionswesens des Deutschen Bundestages, die über die öffentlichen Petitionen hinausweisen und zu einer weiteren Profilierung des Petitionsausschusses beitragen könnten. Abschließend wird auf einige Bereiche hingewiesen, in denen dringender Forschungsbedarf besteht.

DANKSAGUNGEN

Dieses Projekt hätte ohne die Kooperationsbereitschaft des Petitionsausschusses, des Ausschusssekretariats sowie der Unterabteilung Petitionen und Eingaben des Deutschen Bundestages nicht durchgeführt werden können. Für Interviews, Hintergrundgespräche und Demonstrationen standen freundlicherweise zur Verfügung: die Abgeordneten Kersten Naumann, Vorsitzende des Ausschusses, DIE LINKE, ihr Stellvertreter Gero Storjohann, CDU/CSU, sowie die Obleute Günter Baumann, CDU/CSU, Gabriele Lösekrug-Möller, SPD, Jens Ackermann, FDP, Heidrun Bluhm, DIE LINKE, Josef Winkler, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, die Fraktionsreferenten Gisela Schurath, CDU/CSU, Andrea Staschok, SPD, Andreas Bothe, FDP, Jana Muschalik und Kerstin Pohnke, DIE LINKE, Oliver Feldhaus, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Leiter der Unterabteilung Petitionen und Eingaben MDg Karl Dietrich Haase, der Leiter des Ausschusssekretariats MR Wolfgang Finger, dessen damaliger stellvertretender Leiter RD Ewald Zimmermann, MR Rolf Eising, BiblDn Dr. Doris Schawaller, OARn Martina Swanson, OAR Hartmut Wahn und Tavia Janke von der Unterabteilung Petitionen und Eingaben.

Den Gutachtern für dieses Projekt danken wir an dieser Stelle nochmals ausdrücklich für ihren großen Einsatz, die konstruktive Zusammenarbeit, die Bereitschaft zur inhaltlichen Diskussion und nicht zuletzt für die Qualität der vorgelegten Texte. Insgesamt beteiligt waren (in alphabetischer Reihenfolge): Nico de Abreu, Nicolas Bach, Hans Hagedorn, Andreas Kühn, Oliver Märker, Renate Martinsen, Volkmar Pipek, Jessica Reiter, Sophie Scholz, Eckhard Schröter, Frauke Straatman, Matthias Trénel, Heike Walk, Torben Wiedenhöfer. Die Gutachten sind im Einzelnen in Kapitel VIII.1 aufgeführt.

Ohne die engagierte und geduldige Unterstützung durch die Kontaktpersonen im Ausland wäre die Analyse der internationalen Fallbeispiele nicht möglich gewesen. Besonders herzlich sei gedankt Kathy Buckner (International Teledemocracy Centre, Edinburgh), Fergus Cochrane (Public Petitions Committee, Scottish Parliament, Edinburgh), Siwan Davies (Queensland Parliament, Brisbane), Leanne N. Clare (Chamber and Procedural Services, Queensland Parliament, Brisbane), Kerrie Oakes (Griffith University, Queensland), Marte Winsvold (Norwegian Institute of Urban and Regional Research, Oslo) und Sauro Scarpelli (Amnesty International, London).

Erste Manuskriptentwürfe für diesen Bericht wurden von Thomas Petermann, Knud Böhle und Stephan Bröchler kommentiert und dies hat zur Klärung manches Arguments und zu einer besseren Lesbarkeit beigetragen. Auch dafür einen besonderen Dank. Die verbliebenen Schwächen des Berichts sind allein den Autoren zuzuschreiben. Franziska Korn hat das Projektteam während ihres Praktikums im TAB tatkräftig unterstützt. Ein Dank auch an Ulrike Goelsdorf, die mit bewährter Umsicht das Manuskript durchgesehen und die Druckvorlage erstellt hat. Nicht zuletzt sei die hervorragende verlegerische Betreuung durch Rainer Bohn von der edition sigma hervorgehoben.

 

Erstellt am: 18.09.2008 - Letzte Änderung am: 28.10.2010 - Kommentare an: webmaster