Arnold Sauter

Transgenes Saatgut in Entwicklungsländern – Erfahrungen, Herausforderungen, Perspektiven

Berlin: Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) 2008, TAB-Arbeitsbericht Nr. 128
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EINLEITUNG

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HINTERGRUND UND ZENTRALE ASPEKTE DES THEMAS

Gentechnisch verändertes Saatgut wird seit Mitte der 1990er Jahre in einigen Entwicklungsländern, vor allem aber in »Schwellenländern« wie Argentinien, Brasilien, China und Indien zunehmend eingesetzt. Die möglichen Folgen sind seit Beginn der Diskussion über Nutzen und Risiken der Gentechnik ein wichtiger und hochkontroverser Streitpunkt der Debatte. Sowohl Befürworter als auch Gegner eines Einsatzes transgenen Saatguts in Entwicklungsländern gehen davon aus, dass die Gentechnologie unter den ökologischen, ökonomischen, sozialen und institutionellen Bedingungen von weniger entwickelten wie von Schwellenländern weitreichende Auswirkungen haben kann – je nach Standpunkt und Erwartungshaltung in positiver oder in negativer Hinsicht. Auf der einen Seite stehen große Erwartungen an einen Beitrag der Gentechnik zur Ernährungssicherung und zum wirtschaftlichen Anschluss der Entwicklungsländer an die Industrieländer, auf der anderen Seite gibt es große Befürchtungen bezüglich nachteiliger Auswirkungen auf kleinbäuerliche Wirtschaftsweisen und den traditionellen Umgang mit Saatgut.

Diskutiert werden sowohl direkte Folgen des Einsatzes transgener Pflanzen für Gesundheit und Umwelt als auch indirekte Einflüsse auf die Produktionssysteme durch die Stärkung »industrialisierter« Landwirtschaft. Aufgrund des hohen Konzentrationsgrades der internationalen Saatgutindustrie werden problematische Abhängigkeiten der nationalen Agrarwirtschaften erwartet, verschärft durch die Geltendmachung von Patentansprüchen. Gegenüber »konventionellen« Pflanzensorten, die unter »zurückhaltendere« Schutzsysteme des geistigen Eigentums, v. a. das Sortenrecht, fallen, stellt die Patentierung transgener Pflanzen ein gentechnikspezifisches, hochrelevantes und international seit Jahren intensiv debattiertes Problem dar.

Durch das »Megathema« Bioenergie, das in den vergangenen Jahren die weltweite Debatte über Ziele, Wege und Prioritäten der zukünftigen Nutzung der natürlichen Ressourcen insgesamt intensiviert und verschärft hat, ist auch die Frage nach den Potenzialen der Grünen Gentechnik mit neuer Dynamik angestoßen worden. In der Perspektive der Befürworter gilt die Gentechnik sowohl als unverzichtbares Mittel für eine Steigerung der Flächenerträge im Ackerbau insgesamt (um dem Problem der Flächenkonkurrenz bei der Produktion von Lebensund Futtermitteln sowie von energetisch und stofflich zu nutzenden nachwachsenden Rohstoffen entgegenzutreten) als auch zur spezifischen Optimierung von »Energiepflanzen«. Kritiker der Agrogentechnik hingegen bezweifeln diese Einschätzungen und befürchten eine Potenzierung der von ihnen angenommenen negativen ökologischen, gesundheitlichen und vor allem sozioökonomischen Folgen.

BEAUFTRAGUNG, ZIELSETZUNG UND VORGEHENSWEISE

Bereits vor Beginn der kommerziellen Nutzung transgenen Saatguts, in den Jahren 1993 bis 1995, hat das TAB ein umfassend angelegtes Projekt zu den »Auswirkungen moderner Biotechnologien auf Entwicklungsländer und Folgen für die zukünftige Zusammenarbeit zwischen Industrie- und Entwicklungsländern« durchgeführt, in dem der Einsatz gentechnisch veränderter Pflanzen einen wichtigen Schwerpunkt bildete. Die Anregung zu einer Art Update, gut zehn Jahre nach Vorlage des entsprechenden Abschlussberichts (TAB-Arbeitsbericht Nr. 34 vom Mai 1995 auf BT-Drs. 13/4933) sowie nach zehn Jahren kommerziellen Anbaus von GVP (gentechnisch veränderte Pflanzen)[1], auch und gerade in Entwicklungs- bzw. Schwellenländern, ging vom Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit aus.

Bei der Projektkonzeption war zu berücksichtigen, dass sich bei diesem Thema prinzipiell ein äußerst weites Spektrum möglicher Teilthemen und Untersuchungsperspektiven eröffnet – vor allem deshalb, weil die geografischen, sozialen, kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Bedingungen in den verschiedenen Ländern äußerst heterogen und in ihrer Kombination jeweils spezifisch sind. Die Untersuchungskonzeption des TAB sah daher vor, dass nicht nur die allgemeine Debattenebene aufgearbeitet, sondern so konkret wie möglich dargestellt werden sollte, wie sich der Einsatz transgenen Saatguts in den vergangenen zwölf Jahren tatsächlich entwickelt hat, welche Folgen identifizierbar sind und was daraus – angesichts derzeitiger technologischer, ökonomischer und politischer Verhältnisse – für die Zukunft abgeleitet werden kann. Hinzu kam die Frage nach der Ausgestaltung der deutschen (bzw. auch europäischen) Entwicklungspolitik. Hieraus resultierten vier Untersuchungsschwerpunkte:

Die Projektkonzeption sah vor, dass mithilfe der Vergabe von Fallstudien an Experten aus der Entwicklungszusammenarbeit (und wenn möglich unter Einbezug von lokalen Kooperationspartnern) die Situation in Ländern mit ausgedehntem und solchen mit bislang begrenztem Einsatz von GVP erschlossen und analysiert werden sollte. Erarbeitet werden sollte jeweils ein möglichst komplettes Gesamtbild des Standes von Forschung und Entwicklung transgenen Saatguts, des Anbaus transgener Pflanzen und der dabei erzielten ökonomischen Resultate, der rechtlichen Situation, der ökologischen und sozialen Folgen sowie der gesellschaftlichen Debatte über Gentechnik und alternative, insbesondere traditionelle Verfahren. Die Ergebnisse der Länderstudien sollten dann im Lichte der übergreifenden Debatten zu Nutzen, Risiken, Regulierung und Förderung der Grünen Gentechnik sowie zu übergeordneten Fragen von Gerechtigkeit, Verantwortung und Nachhaltigkeit diskutiert werden. Auf der Basis einer Ausschreibung wurden die folgenden vier Fallstudien vergeben:

Brasilien und China gelten als sogenannte Ankerländer, die in ihren Regionen besonderen wirtschaftlichen und politischen Einfluss ausüben und zunehmend auch die internationale Politik mitgestalten. Beide sind Schwerpunkt- oder Partnerländer der deutschen Entwicklungszusammenarbeit. Eine Kooperation mit Costa Rica findet im Rahmen von regionalen bzw. thematischen Programmen statt, während die Zusammenarbeit mit Chile als Folge einer Konzentration der Entwicklungszusammenarbeit in den letzten Jahren nicht mehr in bilateralen Projekten gefördert wird.

Die Ergebnisse dieser vier Länderstudien bilden den Mittelpunkt dieses Berichts. Den Gutachterinnen und Gutachtern sei ganz herzlich für die gute Zusammenarbeit gedankt, ebenso Rudolf Buntzel, Dr. André de Kathen und Dr. Steffi Ober sowie den TAB-Kollegen Dr. Rolf Meyer und Ulrich Riehm für ihre anregenden und konstruktiven Kommentare zu Entwurfsversionen des Berichts und Ulrike Goelsdorf für die Bearbeitung der Grafiken sowie die Erstellung des Endlayouts.

Ein besonders großer Dank gebührt Dr. Thomas Petermann, dem stellvertretenden Leiter des TAB, der wie so oft einen essenziellen Beitrag zur Fokussierung und Präzisierung der Argumentation sowie zur sprachlichen Verbesserung des Berichts geleistet hat. Die Verantwortung für verbleibende sachliche und sprachliche Unzulänglichkeiten liegt – abgesehen von den in Absprache mit den Autoren erstellten Kurzfassungen der Fallstudien – nunmehr allein beim Projektbearbeiter.

Bei einer ersten Erhebung der Aktivitäten der deutschen Entwicklungszusammenarbeit zeigte sich, dass konkrete Projekte zur Erforschung und Entwicklung transgener Pflanzen seit vielen Jahren nicht mehr bzw. nur noch über die Finanzierung der Internationalen Agrarforschungszentren (IARC) unterstützt werden und dass sich die Aktivitäten auf das »capacity building« zum Bereich biologische Sicherheit konzentrieren (im Sinne bzw. als Folge der Verpflichtungen, die Deutschland als Unterzeichnerstaat von Biodiversitätskonvention und Cartagena- Protokoll eingegangen ist). Nachdem es daher nicht möglich war, »gentechnische « Ansätze und Projekte mit »konventionellen« zu vergleichen, wurde entgegen der ursprünglichen Absicht auf eine genauere Analyse deutscher Aktivitäten im Bereich der Agrarforschung verzichtet.

Des Weiteren ergab sich im Verlauf des Projekts die Notwendigkeit, bestimmte Teilfragen der übergreifenden Debatte intensiver als ursprünglich gedacht zu untersuchen. Dies betraf insbesondere die Datenlage zu den bisherigen ökonomischen Resultaten des Anbaus transgener Pflanzen, die sich als äußerst begrenzt und hochgradig umstritten erwies. Insgesamt wurde der Bearbeitungsaufwand aufgrund der Intensivierung der Bioenergie- und Gentechnikdebatte im Jahr 2007 (wodurch eine Vielzahl von Studien und Stellungnahmen berücksichtigt werden musste) noch höher als erwartet, sodass der Bericht erst mit einer größeren Verzögerung fertiggestellt werden konnte.

AUFBAU DES BERICHTS

Das folgende Kapitel II führt in ausgewählte Bereiche der Debatte über den Einsatz transgenen Saatguts ein und soll eine Grundlage für das bessere Verständnis und die spätere Diskussion der Ergebnisse der Fallstudien in Kapitel III liefern. Unter der Überschrift »Aktivitäten und Diskurse« werden der weltweite Anbau, verschiedene Ebenen der Debatte über den möglichen Nutzen und mögliche Risiken transgenen Saatguts bzw. der Gentechnik in der Pflanzenzucht sowie internationale Regulierungsbemühungen und deren Konsequenzen behandelt.

Kapitel III umfasst dann die vier Fallstudien zu Brasilien, Chile, China und Costa Rica. Nach einführenden Informationen zum jeweiligen Land, insbesondere zu seiner Landwirtschaft, folgt ein Überblick zu Forschung, Erprobung, Vermehrung, Anbau und Handel von und mit transgenem Saatgut. Danach werden die jeweiligen Vorschriften zum Umgang mit GVP (bzw. GVO allgemein) vorgestellt, und abschließend werden je nach Landessituation und verfügbaren Informationen gesellschaftlich besonders relevante wirtschaftliche und soziale Folgen einschließlich der (zivil)gesellschaftlichen Wahrnehmung, Debatten und Konflikte behandelt.

Die wichtigsten Ergebnisse und Charakteristika der vier Länderstudien werden in Kapitel IV.1 rekapituliert, danach mit Blick auf zentrale Frage- bzw. Zielstellungen vergleichend diskutiert (Kap. IV.2): zum Bereich Forschung und Entwicklung, zur Frage der bisherigen ökonomischen Resultate des Anbaus transgener Pflanzen, zu sonstigen sozioökonomischen Effekten und Fragen der Teilhabe sowie zu Erfassung, Bewertung und Regulierung von Risiken.

Auf dieser Basis wird im abschließenden Kapitel V ein kurzes Resümee zum Stand und zu den Auswirkungen des Einsatzes transgenen Saatguts gezogen, bevor Perspektiven für den Umgang mit dem Einsatz transgenen Saatguts im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit diskutiert werden: die (kontinuierliche) Aufgabe einer Förderung von Kapazitäten und Rahmenbedingungen im Bereich Biosicherheit und Regulierung sowie die Frage, ob und wie ein mögliches zukünftiges Potenzial transgener Züchtungsansätze für Entwicklungs- und Schwellenländer besser als bisher eruiert und genutzt werden könnte.

WAS DIESER BERICHT (NICHT) LEISTEN KANN

Ziel und Zweck der Arbeit des TAB speziell zu Fragen der Auswirkungen des Anbaus transgener Pflanzen hat ein Mitglied des Bundestages (ohne direkten Bezug zu diesem Projekt) in einer Plenardebatte so definiert (Deutscher Bundestag, 85. Sitzung, 8. März 2007, Abg. René Röspel [SPD]): »Wenn man sich die Literaturangaben [...] anschaut sowie weitere wissenschaftliche Arbeiten zu diesem Thema sortiert, dann entwickeln sich zwei Stapel. [...] auf einem Stapel die positiven Aussagen, auf dem anderen Stapel die negativen Aussagen, wobei die Aussagen in beiden Stapeln, meistens jedenfalls, wissenschaftlich begründet sind. [...] Wenn man dann auch noch die Aussagen zu der Frage sortiert, welche Auswirkungen eigentlich die Ausbringung gentechnisch veränderter Pflanzen hat [...] dann entstehen neue Stapel: [...] Auch da bleiben schlicht und einfach Zweifel. Wir haben glücklicherweise beim Bundestag mit dem Büro für Technikfolgen- Abschätzung ein Instrument, das uns helfen kann, diese Zweifel aufzuarbeiten.«

Diese Aufgabe kann der vorliegende Bericht an vielen Stellen nicht so erfüllen, dass er diese Zweifel ausräumt. Häufig konnte lediglich herausgearbeitet werden, welcher Art die Wissenslücken sind, um danach aufzuzeigen, was eigentlich gut zu wissen wäre und was daher in Zukunft erforscht bzw. diskutiert werden sollte, bevor tatsächlich konkrete politische Handlungsoptionen entwickelt werden können.

Anmerkungen

[1]  Außer GVP wird im Folgenden auch die Abkürzung GVO für gentechnisch veränderte Organismen benutzt, die auch Tiere und Mikroorganismen mit einschließt.

 

Erstellt am: 24.04.2009 - Kommentare an: webmaster