Katrin Gerlinger, Thomas Petermann, Arnold Sauter

Gendoping
Wissenschaftliche Grundlagen – Einfallstore – Kontrolle

Berlin: edition sigma 2008, Reihe: Studien des Büros für Technikfolgen-Abschätzung, Bd. 28, ISBN 978-3-8360-8128-3, 158 Seiten, kartoniert 18.90 Euro
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EINLEITUNG

HINTERGRUND UND ZIELSETZUNG DES TAB-PROJEKTS "GENDOPING"

Wird Gendoping die nächste Stufe der unerlaubten Leistungsmanipulation im Sport sein? Diese Befürchtung fand mit dem näher rückenden Abschluss des Human Genome Projects Ende der 1990er Jahre zunehmend Resonanz. Ohne dass genauere Informationen zu den wissenschaftlichen Grundlagen einer solchen Manipulation existierten, erfolgte eine meist eher vage Projektion der weitreichenden Ziele und Visionen aus dem Umfeld der Humangenomforschung und ihrer potenziellen Anwendung in Gendiagnostik und -therapie auf den Bereich des Leistungs-, aber auch des Breitensports. Thematisiert wurden dabei dann auch Vorstellungen einer Menschenselektion oder gar -züchtung. In den Medien stand und steht der Begriff "Gendoping" häufig stellvertretend für die ultimative Steigerungsform des Begriffes Doping.

Doch auch in wissenschaftlichen Gremien und Beiträgen wird seit einigen Jahren vor dem Hintergrund der zunehmenden Anzahl von Gentherapiestudien darüber diskutiert, ob, wie und wann Gendoping eine reale Bedrohung für den Sport darstellen kann bzw. wird (Andersen et al. 2000; Schulz et al. 1998). Insbesondere einige Wissenschaftler, die an gentherapeutischen Verfahren zur Bekämpfung von Muskelkrankheiten forschen, weisen auf das Missbrauchspotenzial dieser Verfahren zur individuellen Leistungssteigerung im Sport hin (Sweeney 2004). Aufgrund der langen und ungebrochenen Tradition des Dopings erscheint es durchaus plausibel, dass sowohl im Sport als auch in dessen illegalem und betrügerischem Umfeld eine hohe Bereitschaft besteht, trotz Verbots und Androhung weitreichender Sanktionen auch hochriskante und medizinisch kaum geprüfte Mittel und Verfahren auszuprobieren und anzuwenden.

Nachdem Gendoping von offizieller Seite lange Zeit als übertriebenes Horrorszenario dargestellt wurde, traf sich im Jahr 2001 die Medizinische Kommission des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) zum ersten Mal zu einer Diskussion über den möglichen Einfluss der Gentherapie auf den Sport. 2002 fand ein erstes Treffen der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) zum Thema Gendoping statt. Im gleichen Jahr wurde die Problematik von Ethik, Gentechnik und Manipulation der körperlichen Leistungsfähigkeit auf zwei Treffen des United States President's Council on Bioethics erörtert, deren Ergebnisse in den weithin beachteten Bericht "Beyond therapy: Biotechnology and the pursuit of happiness" einflossen (The President's Council on Bioethics 2003). Kurze Zeit darauf entschlossen sich das IOC und die WADA, Gendoping zu verbieten. Seit dem 1. Januar 2003 wird Gendoping als verbotene Methode im Antidoping-Code der WADA aufgeführt. In Deutschland veranstaltete 2002 das Bundesinstitut für Sportwissenschaft in Anknüpfung an die WADA-Aktivitäten eine "Kleinkonferenz" zum Thema Gendoping (BISp 2003).

Umfassende Untersuchungen und Darstellungen zum Thema Gendoping existieren bislang nur ansatzweise. Die niederländische Antidoping-Agentur hat 2004 einen kurzen Bericht vorgelegt (NECEDO 2004), die niederländische TA-Einrichtung, das Rathenau-Instituut, hat 2005 eine Studie zu den Berührungspunkten von (Hochleistungs-)Sport und Gentechnologie insgesamt veröffentlicht (van Hilvoorde/Pasveer 2005). Ein bioethischer Diskussionsbeitrag zum Thema "genetisch modifzierte Athleten" wurde 2004 von A. Miah publiziert. Dessen Überlegungen zu einer möglichen Freigabe von (Gen-)Doping (im Kontext der weit über den Sport hinausgehenden Frage der ethischen Zulässigkeit genetischer Modifikation bei Menschen im Allgemeinen) steht allerdings in fundamentalem Gegensatz zu den Grundprinzipien der Dopingbekämpfung (Miah 2004). Aktuellere, aber auch eher komprimierte Darstellungen stammen von der WADA (WADA 2005) und dem Vorsitzenden der WADA-Gendoping-Kommission, T. Friedmann (Schneider/Friedmann 2006).

Angesichts der möglichen Brisanz der Thematik bei gleichzeitig ungenügender Informationslage ist das TAB auf Vorschlag des Sportausschusses des Deutschen Bundestages durch den Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung mit einem Projekt zum Thema "Gendoping" beauftragt worden. Es sollte die wissenschaftlichen und gesellschaftspolitischen Dimensionen eines möglichen Gendopings anhand der Analyse folgender thematischer Schwerpunkte untersuchen:

VORGEHEN

Das TAB hat das Projekt in zwei Phasen bearbeitet. Dabei gab es eine intensive Zusammenarbeit mit einem Netzwerk externer Experten.

In der ersten Phase des Projekts wurde schwerpunktmäßig der relevante gegenwärtige Stand der Genom- und Proteomforschung aufgearbeitet, ein Überblick über die Ansätze von Nachweistechniken gegeben und versucht, die verfügbaren empirischen Untersuchungen zur gegenwärtigen Dopingsituation zusammenzuführen. Hierfür wurden drei Gutachten vergeben:

Thema der zweiten Projektphase war eine Literaturauswertung zu den Akteuren und Strukturen des "konventionellen" Dopings und die Projektion potenziellen Gendopings auf diese. Hierzu wurden mehrere Kurzgutachten vergeben, deren Hauptthesen auf einem Gutachterworkshop im September 2007 diskutiert wurden:

Die genannten Gutachten bildeten eine zentrale Grundlage für diesen Bericht. Allen Gutachtern sei herzlich für die gute Kooperation gedankt, einigen darüber hinaus speziell für die Kommentierung von Entwurfsversionen einzelner Kapitel. Die Verantwortung für die Auswahl und Interpretation von Informationen aus den Gutachten liegt ausdrücklich bei den Verfassern des TAB-Berichts. Ein besonderer Dank geht an die Kollegin Ulrike Goelsdorf für die Bearbeitung von Abbildungen und die Erstellung des Layouts.

AUFBAU DES BERICHTS

Einen wichtigen Bezugspunkt des folgenden Berichts bilden die einschlägigen Aktivitäten der Welt-Anti-Doping Agentur (WADA). Bei der Aufnahme in die Verbotsliste 2003 wurde Gendoping im Sinn einer Parallele zur Nutzung gen- und zelltherapeutischer Strategien in der Medizin definiert: "Gene or cell doping is defined as the non-therapeutic use of genes, genetic elements and/or cells that have the capacity to enhance athletic performance." Jedoch schon 2004 erweiterte die WADA den Fokus. Sie definiert und verbietet Gendoping seitdem unter Einschluss der Beeinflussung der Genexpression, ohne die dafür verwendeten Methoden und Verfahren einzuschränken: "The non-therapeutic use of cells, genes, genetic elements, or of the modulation of gene expression, having the capacity to enhance athletic performance, is prohibited." (WADA 2008; Hervorhebung durch die Verf.)

Das TAB hat im Projekt "Gendoping" diese erweiterte, von manchen Experten als ungenau kritisierte Perspektive der WADA übernommen. Warum dies - trotz terminologischer Unschärfe - nicht nur wissenschaftlich sinnvoll, sondern vor allem mit Blick auf die zukünftige Dopingproblematik geboten erscheint, wird im Kapitel II "Wissenschaftliche Grundlagen und Anwendungsperspektiven" ausführlich hergeleitet und begründet.

Ziel dieses Kapitels ist es, die naturwissenschaftlichen Grundlagen und die Ansatzpunkte für verschiedene Formen des

Gendopings darzustellen. Darauf aufbauend wird dann versucht, plausible Thesen zur möglichen Diffusion von Gendoping im Sport abzuleiten. Zu Beginn wird ein kurzer Überblick zu Ebenen der Genregulation und Ansatzpunkten einer Manipulation im Allgemeinen gegeben (Kap. II.1), danach werden Prinzip, Herangehensweise und bisherige Grenzen der Gentherapie im Besonderen skizziert. Die Ergebnisse des Gutachtens von Wolfarth, Scherr und Pertl, in dem die bisherigen Resultate der Genomforschung zu "Hochleistungsgenvarianten" ausführlich untersucht und diskutiert wurden, werden resümierend vorgestellt, weil sich gezeigt hat, dass hier bislang wenig Konkretes zu berichten ist. Den Kern des Kapitels bildet daher, auf der Basis des Gutachtens von Diel und Friedel, eine detaillierte, aber komprimierte Darstellung der wichtigsten potenziellen biologischen Ziele für ein mögliches Gendoping sowie der aktuellen, relevanten Forschungsansätze und Entwicklungsvorhaben (Kap. II.2). Nach einer Darstellung absehbarer, besonderer gesundheitlicher Risiken (Kap. II.3) wird abschließend, unter Einbezug des Gutachtens von Kekulé, die Plausibilität verschiedener Szenarien der möglichen Verbreitung von Gendoping - Zugangswege, Einfallstore und Zeithorizonte - diskutiert (Kap. II.4).

Die Erfolgschancen im Kampf gegen ein mögliches zukünftiges Gendoping hängen wesentlich davon ab, ob die erfolgte Anwendung zweifelsfrei nachgewiesen werden kann. Kapitel III widmet sich daher den Fragen von Nachweisbarkeit und Testentwicklung, wiederum auf der Basis des Gutachtens von Diel und Friedel. Den Bezugspunkt bilden gerade hier die Aktivitäten der WADA, die seit 2003 gezielt Forschungsprojekte zum Nachweis von Gendoping finanziert. Die dabei aufgeworfenen Fragen der absehbaren Bedeutung indirekter Nachweisverfahren bzw. eines Biomonitoring- oder Screeningsystems für Athleten spielen eine wichtige Rolle bei der Ableitung von Handlungsbedarf.

Spezifische Testverfahren zum Nachweis von Gendoping sind eine wichtige Voraussetzung, um die Einhaltung von Verboten kontrollieren zu können. Kapitel IV beschäftigt sich mit der Frage, inwieweit bestehende Rechtsnormen, Kontroll- und Sanktionsstrukturen Gendoping bereits heute erfassen können und inwiefern diese geeignet sind, möglichem zukünftigem Gendoping zu begegnen. Die Gutachten von Franke, von Simon, Robienski und Paslack sowie von Striegel bilden hierbei wichtige Informationsgrundlagen. Zentraler Bezugspunkt des Kapitels ist der Welt-Anti-Doping-Code (WADC) mit der Verbotsliste, die seit 2003 das Rahmenwerk für zunehmend arbeitsteilige Maßnahmen von Sport und Politik in vielen Ländern bilden. Kapitel IV.1 gibt einen Überblick über gendopingrelevante Verbotstatbestände und deren Entscheidungsgrundlagen. Durch Konkretisierung und Anpassung an die deutsche Rechtslandschaft werden WADC und Verbotsliste schrittweise in gültiges Recht überführt. In Kapitel IV.2 wird der NADA-Code als Grundlage für verbands- und/oder vereinsinterne Antidoping-Regeln deutscher Sportorganisationen thematisiert. Um den immer subtiler werdenden Dopingpraktiken begegnen zu können, erweitert gegenwärtig der Großteil der Sportorganisationen in Deutschland sein Dopingkontroll- und -sanktionssystem entsprechend dem NADA-Code. Fokussiert auf offene Fragen sowie absehbare Modifikationen mit dem Ziel, die Einhaltung des (Gen-)Dopingverbots zu gewährleisten, wird ein Überblick über die etablierten Dopingkontrollverfahren und deren Grenzen gegeben. Der Gesetzgeber unterstützt die Bemühungen des Sports im Antidoping-Kampf durch Ratifizierung internationaler Vereinbarungen (Kap. IV.3.1) und nationale Gesetzgebung (Kap. IV.3.2). Es wird dargelegt, wie Gendoping durch das Arzneimittelgesetz und andere Straftatbestände bereits erfasst ist und welche Regelungsprobleme bestehen.

Trotz des Verbots und damit verbundener weitreichender Sanktionen könnte Gendoping zukünftig, wie bisheriges Doping und anderes regelverletzendes Verhalten, in Teilen der Gesellschaft Fuß fassen. Für das Verständnis und die Beurteilung von (Gen-)Doping ist es notwendig, dieses nicht nur als biologisches, chemisches und physiologisches Geschehen zu erfassen, sondern auch als individuelles Handeln in gesellschaftlichen Kontexten zu analysieren und zu diskutieren. Dies erfolgt kursorisch in Kapitel V. Hierbei sind die Gutachten von Franke, von Knoepffler und Albrecht, von Singler und Treutlein sowie von Fuchs, Lanzerath und Sturma wichtige Grundlagen. Gendoping kann ein Resultat individueller Entwicklungsprozesse sein, in deren Verlauf dopingaffine Einstellungen, Mentalitäten und Verhaltensmuster erworben werden.

Dies wird zunächst in Kapitel V.1.1 für den Wettkampfsport erörtert. Dabei wird die besondere Rolle der medizinischen Betreuer angesprochen. Als wichtige Akteure können sie wesentlich dazu beitragen, dass sich bei Sportlern eine Dopingmentalität entwickelt und die Praxis des Dopings sich verfestigt. Weitere "Umfeldakteure" des Sportlers werden in Kapitel V.1.2 thematisiert: Am Beispiel der Sportorganisationen und der fördernden Akteure soll deutlich gemacht werden, dass der Sportler zwar handelt und entscheidet, aber beeinflusst von seiner sozialen Umwelt. In Kapitel V.2 wird dann am Beispiel des Bodybuildings sowie des Sports älterer Menschen der Frage nachgegangen, wie im individuellen Sport Dopingverhalten typischerweise entstehen kann. In beiden Kapiteln (V.1 u. V.2) wird jeweils speziell auf die Faktoren eingegangen, die der Sportler bei seiner Entscheidung für oder gegen Gendoping voraussichtlich berücksichtigen wird.

Aus Analyse und Diskussion der wissenschaftlichen, rechtlichen und gesellschaftlichen Situation lassen sich Hinweise auf absehbaren, zukünftigen Informations- und Handlungsbedarf beim Thema Gendoping ableiten. Dieser wird abschließend in Kapitel VI zusammengefasst.

 

Erstellt am: 18.09.2008 - Kommentare an: webmaster