Christopher Coenen, Ulrich Riehm

Entwicklung durch Vernetzung
Informations- und Kommunikationstechnologien in Afrika

Berlin: edition sigma 2008, Reihe: Studien des Büros für Technikfolgen-Abschätzung, Bd. 26, ISBN 978-3-8360-8126-9, 272 Seiten, kartoniert 22.90 Euro
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EINLEITUNG

großes Bild In einem Positionspapier des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ 2004) werden Ursachen für die "negativen Entwicklungspfade" in vielen Ländern Subsahara-Afrikas benannt: Zu diesen gehörten zwar "koloniale Ausbeutung und die Hinterlassenschaft einer kolonialen Interessen entsprechenden Wirtschaftsorientierung (Rohstoffexporte)". Ein "wesentlicher weiterer Erklärungsstrang" verweise aber auf die spezifische politische Konstellation in den nachkolonialen afrikanischen Staaten (BMZ 2004, S. 10): "Statt breite Entwicklung - insbesondere auch im ländlichen Raum - und Beteiligung der Zivilgesellschaft zu fördern, beschränkte sich der post-koloniale Staat im Wesentlichen darauf, Renten abzuschöpfen (Rohstoffexporte) oder durch Protektionismus, Nationalisierung oder sonstige Regulierung die Erwirtschaftung neuer Renten (Beschäftigung im öffentlichen Sektor, Zölle, Schwarzmarkt, überbewertete Währung, externe Verschuldung) für seine Klientel zu ermöglichen." Solche sogenannten Rentenökonomien setzten keine Anreize für Investition und Produktion, Einkommensbildung und wirtschaftliche Diversifizierung.

Das Positionspapier verwies aber auch auf eine "neue politische Dynamik in Afrika". Diese hat sich seitdem fortgesetzt und prägt den aktuellen politischen Diskurs (z. B. BMZ 2007b). Damit rücken Prozesse ins Blickfeld der Weltöffentlichkeit, die nicht zum resignativen Bild eines "verlorenen Kontinents" passen, das vor allem durch Bürgerkriege, Hunger, AIDS und Korruption geprägt ist. Neben einer Reihe von Reformstaaten haben vor allem vitale Zivilgesellschaften maßgeblich dazu beigetragen, bessere politische Voraussetzungen für die Entwicklung des Kontinents zu schaffen. Nationale Demokratisierungsprozesse südlich der Sahara sowie die New Partnership for Africa's Development (NEPAD), die Afrikanische Union (AU) und ihr Parlament (Panafrikanisches Parlament, PAP) sind Ausdruck der neuen politischen Dynamik in diesem Jahrzehnt. Ein wichtiges Element der Ausrichtung auf Demokratie, Kooperation und gegenseitige Kontrolle der afrikanischen Staaten ist dabei der sogenannte African Peer Review Mechanism (APRM), auf den sich bisher ca. die Hälfte der Mitgliedstaaten der AU verpflichtet hat. Die weitreichenden Hoffnungen, die hinsichtlich der Entwicklung des Kontinents bestehen, werden z. B. in der vor allem von Südafrika propagierten Vision einer "afrikanischen Renaissance" deutlich und speisen sich durch das erhebliche Wirtschaftswachstum in einigen afrikanischen Ländern und andere positive Entwicklungen südlich der Sahara.

Man würde aber ein einseitiges Bild des Kontinents zeichnen, wenn man grundlegende Probleme außen vor ließe. Zu den Defiziten in der Regierungsführung und Wirtschaftsentwicklung gehört fast überall eine weitverbreitete Korruption. Kriege, Hunger, Unterernährung, Trinkwassermangel, Analphabetismus, Umweltzerstörung und andere gravierende Probleme belasten die afrikanische Entwicklung seit Langem und haben teilweise sogar zu einer Verschlechterung der Situation geführt. Die verheerenden Auswirkungen von HIV/AIDS verstärken die negativen Tendenzen erheblich. So droht Subsahara-Afrika als einzige Weltregion fast alle UN-Millenniumsentwicklungsziele im gegebenen Zeitrahmen bis 2015 zu verfehlen.

Die positiven wie die negativen Entwicklungen haben dazu geführt, dass Afrika seit einigen Jahren auf der internationalen Agenda der Politik hoch angesiedelt ist. Die Vereinten Nationen haben in ihrer Millenniumserklärung der Entwicklung Afrikas besondere Beachtung zuteil werden lassen. Die G8-Staaten zeigen im Zusammenhang mit der NEPAD-Initiative und ihrer eigenen Afrikastrategie besonderes Interesse an den Reformanstrengungen. Die EU hat ihre neue Afrikastrategie auf die durch die NEPAD ausgelösten Prozesse ausgerichtet und verschiedene Maßnahmen und Initiativen zur Zusammenarbeit mit der AU und anderen afrikanischen Akteuren, auch im IKT-Bereich, gestartet oder angekündigt. Verschiedene europäische Regierungen und zahlreiche nichtstaatliche Akteure aus dem "Norden" betonen die Bedeutung der Zusammenarbeit mit Afrika und wollen die dortigen Entwicklungs- und Demokratisierungsprozesse unterstützen. Deutschland hat Afrika zum Schwerpunktthema seiner EU- und G8-Präsidentschaft im Jahr 2007 gemacht. Auch dabei sind die NEPAD und die AU zentrale Bezugspunkte. Bundespräsident Horst Köhler hat ebenfalls einen Schwerpunkt seiner Arbeit auf Afrika gelegt. Die postkoloniale Gegenüberstellung von Geber- und Nehmerländern gilt als überholt, die neuen politischen und ökonomischen Entwicklungen in Afrika werden zum Anlass genommen, die Vision einer Partnerschaft "auf Augenhöhe" (z. B. CDU/CSU/SPD 2007b) zweier demokratisch orientierter, politisch integrierter Weltregionen stark zu machen. Dabei sind das (politisch nicht unproblematische) starke Afrikaengagement Chinas sowie die vermehrten Aktivitäten Indiens und anderer "südlicher" Staaten eine zusätzliche Motivation, sich von immer noch weitverbreiteten "karitativ-paternalistischen" Ansätzen und Denkmustern zu lösen (Fues et al. 2006).

Was können aber moderne Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) und speziell das Internet zur Unterstützung positiver Entwicklungen, zur Erreichung der UN-Millenniumsentwicklungsziele und zur Lösung der spezifischen Entwicklungsprobleme südlich der Sahara beitragen?

Eine häufige Reaktion auf diese Frage ist Skepsis, ja Unverständnis: Werden in Subsahara-Afrika wirklich neue IKT benötigt? Handelt es sich bei ihnen, angesichts von Kindersterblichkeit, Analphabetismus, Hungerkatastrophen, HIV/AIDS und anderer gravierender Probleme, nicht bloß um Luxusspielzeuge? Sind die Hoffnungen der Befürworter des Einsatzes von IKT für Entwicklung (Information and Communication Technologies for Development, ICT4D) überhaupt realistisch? Finden sich Belege dafür, dass die Nutzung von ICT4D in Bereichen wie Good Governance, Bildung, Wirtschaft und Gesundheit schon größere Erfolge gezeitigt hat?

Tatsächlich kann ohne Sicherung der grundlegenden Voraussetzungen menschlicher Entwicklung wie Nahrung, Gesundheit, Bildung und politische Freiheit ein verstärkter Aufwand für Förderung im IKT-Bereich oft fehl am Platz sein. Doch selbst in von schweren Krisen betroffenen Ländern und in Diktaturen bieten IKT spezifische Chancen, die sinnvoll genutzt werden können, z. B. zur Mobilisierung der Weltöffentlichkeit und zur Stärkung der Zivilgesellschaft. In anderen Ländern erscheint das Spektrum der Möglichkeiten von ICT4D noch breiter, auch mit Blick auf die Internetkommunikation, die auftragsgemäß im Fokus dieses Berichts steht.

Subsahara-Afrika zeichnet sich durch eine große politische, kulturelle und sozioökonomische Vielfalt aus. Zwar ist zutreffend, dass insbesondere durch die Förderung des Internets in erster Linie Eliten gestärkt werden. In einer Strategie, die auf vorhandene Stärken setzt (z. B. CDU/CSU/SPD 2007b), bieten aber alte wie neue IKT in dieser Hinsicht dadurch Chancen, dass mit ihrer Hilfe gezielt auch bessere Informations- und Handlungsmöglichkeiten für entwicklungsorientierte Eliten (z. B. im zivilgesellschaftlichen und akademischen Bereich sowie in demokratischen Staaten) geschaffen werden können. Es finden sich überdies Beispiele und ein erhebliches Potenzial für eine bessere Einbeziehung der armen Bevölkerungsschichten in die IKT-Nutzung und für eine internetgestützte Stärkung von Frauen und Mädchen. Hier hat man es mit der schwierigen Frage zu tun, wie der IKT-Einsatz in allen Bevölkerungsschichten verbreitet werden und einen Beitrag zur Überwindung von Armut leisten kann. Bisher spielen aber die IKT und insbesondere das Internet im entwicklungspolitischen Diskurs - über den Kreis einer speziellen ICT4D-Community hinaus - keine große Rolle. Auch die Chancen, die sich für die Länder südlich der Sahara aus eigenen Forschungsanstrengungen und eigener Technologieentwicklung ergeben könnten, werden erst in jüngerer Zeit verstärkt diskutiert.

Weithin anerkannt wird aber, dass das Internet und andere IKT mit aktuellen Globalisierungsprozessen in einem engen Zusammenhang stehen und daher auch für Afrika immer wichtiger werden. In der Entwicklungspolitik hat sich ein spezieller Diskurs zu ICT4D herausgebildet, bei dem im Zentrum steht, inwieweit IKT global zu einer nachhaltigen Entwicklung beitragen können. Der zweiteilige Weltgipfel zur Informationsgesellschaft (World Summit on the Information Society, WSIS) der Vereinten Nationen (UN), durchgeführt in Genf 2003 und in Tunis 2005, wurde weithin als Internet- und Entwicklungsgipfel wahrgenommen. Im sogenannten WSIS-Prozess haben afrikanische Akteure eine herausgehobene Rolle gespielt. Staaten und organisierte Zivilgesellschaften Afrikas betonen, dass sie der Integration der Weltregion in die globale Informationsgesellschaft hohe Bedeutung beimessen.

VORGEHEN, GLIEDERUNG UND THEMENSCHWERPUNKTE

In dem Projekt "Internetkommunikation in und mit Entwicklungsländern - Chancen für die Entwicklungszusammenarbeit am Beispiel Afrika", das auf eine Initiative des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (AWZ) zurückgeht, untersuchte das TAB vor dem skizzierten Hintergrund, auf welche Weise das Internet und andere IKT zur Verbesserung der Situation in Entwicklungsländern und speziell in Subsahara-Afrika beitragen können.

Die Basis der Ausführungen in diesem Bericht sind eine Auswertung der Forschung und entwicklungspolitischer Literatur zum Thema, Onlinerecherchen, Expertengespräche, Befragungen und Feldforschung. In allen für das Projekt durch den Deutschen Bundestag vergebenen Gutachten (s. u. sowie Kap. VIII.1) wurden der jeweilige Forschungsstand und die politische Diskussion aufgearbeitet, Interviews und Onlinerecherchen durchgeführt sowie Handlungsempfehlungen entwickelt. Überdies wurden zum Thema IKT-Nutzung quantitative Untersuchungen mittels Befragungen von afrikanischen Nichtregierungsorganisationen aus Äthiopien, Kenia und Südafrika (Universität Bonn 2006) sowie von Bewohnern (und speziell auch Schülern) zweier Departements in Benin (Buttschardt 2006) durchgeführt, es wurde eine Onlinediskussion mit afrikanischen Experten für die Internetnutzung an Hochschulen organisiert und ausgewertet (Newthinking/DIE 2006), und es fand vor allem in Benin Feldforschung zur Internet- und IKT-Nutzung sowohl in städtischen als auch in ländlichen Gebieten statt (Buttschardt 2006; Universität Hamburg 2006).

In dem Projekt standen auftragsgemäß die Chancen im Mittelpunkt, die sich durch Internetkommunikation in und mit Entwicklungsländern südlich der Sahara ergeben. Um die Chancen zu erkennen, mussten aber auch Hemmnisse der Internetnutzung sowie übergreifend bisherige Ergebnisse der Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien für Entwicklung (ICT4D) betrachtet werden. Die Internetnutzung wird in diesem Bericht also auch mit Blick auf andere IKT wie Radio und Mobiltelefon analysiert. Sie sind in Subsahara-Afrika weiter verbreitet und stehen mit der Internetnutzung, u. a. aufgrund technischer Konvergenzprozesse und des kombinierten Einsatzes in der EZ, in einem engen Zusammenhang. In Kapitel II des Berichts wird daher auf die Forschung und Kontroversen zu ICT4D eingegangen, wobei der Referenzrahmen die Millenniumsentwicklungsziele der UN sind. Im Zentrum steht die Frage, inwieweit IKT nicht nur zum Wirtschaftswachstum beitragen können, sondern eine auch den armen Bevölkerungsschichten zugute kommende und nachhaltige Entwicklung befördern. Auf dieser Auseinandersetzung mit Ergebnissen und strittigen Aspekten des Einsatzes von ICT4D basieren die anschließenden Ausführungen.

In Kapitel III wird zunächst die allgemeine Ausgangslage in Subsahara-Afrika skizziert, um Voraussetzungen und Rahmenbedingungen des dortigen Einsatzes von ICT4D ins Blickfeld zu rücken. Länderübergreifend, aber auch mit Blick auf ausgesuchte Staaten, kommen danach grundlegende Aspekte der IKT-Nutzung zur Sprache, nämlich afrikanische Telekommunikations- und IKT-Politiken, Infrastrukturfragen und -vorhaben sowie der bisherige Stand bei der IKT-Nutzung.

Gegenstand von Kapitel IV bis VI sind Voraussetzungen, das bisherige Ausmaß und die Potenziale dieser Nutzung in drei ausgewählten Anwendungsbereichen. Entsprechend dem Untersuchungsauftrag des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung und in Abstimmung mit dem AWZ wurden folgende, weitgefasste Anwendungsbereiche schwerpunktmäßig untersucht:

Diese Schwerpunktsetzung entspricht weitgehend den Positionen Deutschlands zur Relevanz der IKT für Entwicklung, bei denen vor allem auf Informations- und Meinungsfreiheit, gute Regierungsführung, Bildung und die Entwicklung peripherer Regionen abgestellt wird (Bundesregierung 2005a). Mit den Themen E-Government (Kap. IV) und Hochschulen (Kap. VI) werden in dem Bericht überdies Bereiche untersucht, die in der Forschung und Diskussion zur Entwicklungszusammenarbeit (EZ) erst in den letzten Jahren größere Beachtung gefunden haben und für eine "Partnerschaft auf Augenhöhe" besonders relevant sind.

In Kapitel VII werden Schlussfolgerungen gezogen, afrikaspezifische Handlungsoptionen aufgezeigt sowie Vorschläge zur Diskussion und Verortung des Themas ICT4D in der deutschen EZ gemacht. Dort werden dann auch beispielhaft einschlägige deutsche Aktivitäten ausführlicher angesprochen.

IN AUFTRAG GEGEBENE GUTACHTEN

DANKSAGUNG

Für die gute Zusammenarbeit dankt das TAB den folgenden Expertinnen und Experten, die an der Erstellung der Gutachten im Auftrag des Deutschen Bundestages beteiligt waren: Markus Beckedahl, Tillmann Buttschardt, Sascha Czornohus, Carsten Friedland, Andrea Goetzke, Tilo Grätz, Stefan A. Haffner, Thomas Hengartner, Hartmut Ihne, Winnie Kandie, Wolfgang Kleinwächter, Bettina Merlin, Heidrun Müller, Olaf Nielinger, Klaus Schönberger, Tino Schuppan, Andreas Stamm und Burkhard Vielhaber. Ohne diese Gutachten und das starke Engagement ihrer Autorinnen und Autoren wäre das Projekt nicht möglich gewesen. Die Gutachten werden im Text direkt zitiert oder - wenn sie die Basis für ganze Abschnitte darstellen - jeweils eingangs genannt. Der Dank des TAB gilt auch den zahlreichen afrikanischen und europäischen Fachleuten, die sich im Rahmen der Arbeit an den Gutachten für Interviews und eine Onlinediskussion zur Verfügung gestellt oder an der Feldforschung vor Ort bzw. den Befragungen mitgewirkt haben. Sie sind namentlich in den Gutachten aufgeführt.

Ebenfalls danken möchte das TAB all jenen, die durch ihre Bereitschaft zu einem Informations- und Gedankenaustausch über das Thema zum Projekt beigetragen haben. Genannt seien, in der Hoffnung, niemanden zu vergessen: Alex Antener, Romeo Bertolini, Nathalie Bissig, Joachim Breitner, Klaus Brückner, Rafael Capurro, Henry Chasia, Frédéric Dubois, Victor Espinoza Alfaro, Sandro Gaycken, Richard Heeks, Danie Kok, Bettina-Johanna Krings, Thomas D. Meyer, Monika Muylkens, Chandrika Nath, Nancy Ncube, Carsten Orwat, Peter Rave, Manfred Suhr, Marcus Tacke, Matthias Trénel, Arnd Weber und Christine Wennrich. Die Autoren danken speziell auch ihren Kolleginnen und Kollegen Knud Böhle, Ulrike Goelsdorf, Kang-Jin Lee, Thomas Petermann, Christoph Revermann und Bernd Wingert, von deren Seite die Arbeit am Bericht maßgeblich unterstützt wurde.

 

Erstellt am: 18.09.2008 - Kommentare an: webmaster