Reinhard Coenen, Armin Grunwald (Hrsg.)

Nachhaltigkeitsprobleme in Deutschland -
Analyse und Lösungsstrategien

Berlin: edition sigma, 2003 (Global zukunftsfähige Entwicklung - Perspektiven für Deutschland, Bd. 5), ISBN: 3-89404-575-2, 544 Seiten, 29,90 Euro
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Zusammenfassung Buchcover

1     Zielsetzung und Vorgehensweise

Die Herausforderung einer nachhaltigen Entwicklung steht seit Jahren im Mittelpunkt vieler Diskussionen in Gesellschaft, Politik und Wissenschaft. Fragen nach den wichtigsten Nachhaltigkeitsdefiziten in Deutschland, nach den größten Potenzialen und Hemmnissen für eine Entwicklung hin zu mehr Nachhaltigkeit sowie nach geeigneten Maßnahmen sind nach wie vor kontrovers. In dieser Situation legt das Projekt "Global zukunftsfähige Entwicklung - Perspektiven für Deutschland" hier Ergebnisse einer Untersuchung vor, die den Bogen von der konzeptionellen Grundlagenarbeit (Was heißt Nachhaltigkeit?) über die Operationalisierung durch Indikatorensysteme (Wie kann Nachhaltigkeit gemessen werden?) und die Diagnose (Wo liegen die wesentlichen Nachhaltigkeitsprobleme in Deutschland?) bis hin zu politisch-gesellschaftlichen Handlungsstrategien spannt (Wie kann mehr Nachhaltigkeit erreicht werden?).

Das Ziel war, durch wissenschaftlich fundierte, normativ reflektierte Antworten auf diese Fragen die Diskussion über Nachhaltigkeitsziele, Indikatoren, Defizite und Strategien für Deutschland im globalen Kontext voranzubringen und Orientierungs- und Handlungswissen für die gesellschaftlichen Akteure zu erarbeiten, die bei der Realisierung einer nachhaltigen Entwicklung mitwirken. Zur Erreichung dieses Ziels erfolgte die Projektarbeit auf drei Ebenen:

  1. Auf der globalen Ebene wurden die normativen Grundzüge eines integrativen Konzepts nachhaltiger Entwicklung erarbeitet, das als Grundlage für die Bewertung gesellschaftlicher Entwicklungen oder Zustände als mehr oder weniger nachhaltig dient (Orientierungswissen).
  2. Auf der kontextualen Ebene wurden (Leit-)Indikatoren auf der Basis der Nachhaltigkeitsregeln entwickelt, anhand derer die wesentlichen Nachhaltigkeitsprobleme in Deutschland bestimmt, beschrieben und bewertet wurden. Dies erfolgte sowohl für einzelne gesellschaftliche "Aktivitätsfelder" (z. B. Mobilität und Verkehr, Ernährung und Landwirtschaft) als auch für die gesamtgesellschaftliche Ebene.
  3. Auf der strategischen Ebene ging es um die Entwicklung und Bewertung von Handlungsstrategien und Instrumenten zur Erreichung der Nachhaltigkeitsziele vor dem Hintergrund verschiedener explorativer Szenarien zukünftiger Entwicklung. Quantitative Analysen wurden bis zum Jahre 2020 unternommen. Qualitative Betrachtungen erstreckten sich zu bestimmten Aspekten darüber hinaus. Weiterhin wurden Potenziale von Schlüsseltechnologien für nachhaltige Entwicklung untersucht.

2     Das integrative Konzept nachhaltiger Entwicklung

Auf der Basis des Brundtland-Berichts und der Dokumente des Rio-Prozesses wurden folgende konstitutive Elemente des Begriffs der nachhaltigen Entwicklung bestimmt: inter- und intragenerative Gerechtigkeit, globale Perspektive und aufgeklärt-anthropozentrischer Ansatz. Der erste Schritt ihrer Operationalisierung besteht in ihrer "Übersetzung" in drei generelle Ziele nachhaltiger Entwicklung. In einem zweiten Schritt wurden diese generellen Ziele durch die Angabe von Mindestbedingungen für eine nachhaltige Entwicklung, die "Was-Regeln", präzisiert, die den Nachhaltigkeitsbegriff in Bezug auf gesellschaftliche Bereiche konkretisieren. Bezogen auf die generellen Ziele wurden Regeln zu folgenden Themen formuliert:

  1. Sicherung der menschlichen Existenz: Schutz der menschlichen Gesundheit; Gewährleistung der Grundversorgung; Selbstständige Existenzsicherung; Gerechte Verteilung der Umweltnutzungsmöglichkeiten; Ausgleich extremer Einkommens- und Vermögensunterschiede.
  2. Erhaltung des gesellschaftlichen Produktivpotenzials: Nachhaltige Nutzung erneuerbarer Ressourcen; Nachhaltige Nutzung nicht erneuerbarer Ressourcen; Nachhaltige Nutzung der Umwelt als Senke; Vermeidung unvertretbarer technischer Risiken; Nachhaltige Entwicklung des Sach-, Human- und Wissenskapitals.
  3. Bewahrung der Entwicklungs- und Handlungsmöglichkeiten: Chancengleichheit im Hinblick auf Bildung, Beruf, Information; Partizipation an gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen; Erhaltung des kulturellen Erbes und der kulturellen Vielfalt; Erhaltung der kulturellen Funktion der Natur; Erhaltung der "sozialen Ressourcen".

Darüber hinaus ist es häufig entscheidend, unter welchen gesellschaftlichen Voraussetzungen eine Einhaltung dieser substanziellen Mindestbedingungen überhaupt möglich ist. Dies verweist auf instrumentelle Bedingungen für nachhaltige Entwicklung ("Wie-Regeln"), die die folgenden zehn Felder betreffen: Internalisierung externer sozialer und ökologischer Kosten, angemessene Diskontierung, Verschuldung, faire weltwirtschaftliche Rahmenbedingungen, Förderung der internationalen Zusammenarbeit, Resonanzfähigkeit der Gesellschaft, Reflexivität der Gesellschaft, Steuerungsfähigkeit, Selbstorganisation, Machtausgleich.

Die Nachhaltigkeitsregeln dienen als Prüfkriterien, mit deren Hilfe nachhaltige und nicht nachhaltige Zustände und Entwicklungen ermittelt werden können: Wenn die Regeln erfüllt sind, werden die generellen Ziele erreicht; daraus wiederum ergibt sich eine positive Bewertung in Bezug auf Nachhaltigkeit. Das heißt, wenn alle Regeln erfüllt sind, ist das Postulat der nachhaltigen Entwicklung realisiert, bei Verletzung bereits einer Regel nicht. Die Regeln sind als abwägungsfähig konzipiert, um mit auftretenden Regel- oder Zielkonflikten umgehen zu können. Bei konkreten Analysen ist immer die Gesamtheit der Regeln zu beachten.

3     Wesentliche Nachhaltigkeitsprobleme in Deutschland

Zur Beschreibung und Beurteilung der Nachhaltigkeitssituation in Deutschland wurde ein Satz von rund 120 den 25 Nachhaltigkeitsregeln zugeordneten Indikatoren für die gesamtgesellschaftliche Ebene zusammengestellt. Dieser wurde ergänzt um etwa die gleiche Anzahl von Indikatoren, die aktivitätsfeldspezifische Sachverhalte erfassen. Aus Gründen der analytischen Praktikabilität und der besseren Kommunizierbarkeit mit Politik und Öffentlichkeit wurde diese Liste in einer zweiten Stufe auf rund 40 Kernindikatoren reduziert, die vor dem Hintergrund der aktuellen Gegebenheiten eine Beurteilung der Nachhaltigkeitssituation in Deutschland erlauben. Diesen Kernindikatoren wurden Zielwerte zugeordnet, welche als orientierende Messlatten für die Bewertung heutiger Zustände und künftiger Entwicklungen dienen. Sie sind, sofern möglich, in zeitlicher Abstufung für die Jahre 2010 und 2020 angegeben.

Durch Vergleich dieser Zielwerte mit aktuellen Indikatorwerten (Soll-Ist-Vergleich, "distance-to-target") können politischer Handlungsbedarf identifiziert und die Dringlichkeit bewertet werden. Dies erlaubte schließlich eine weitere Reduzierung der Zahl der Indikatoren unter dem Gesichtspunkt, die gegenwärtig dringendsten Nachhaltigkeitsprobleme in Deutschland zu bestimmen (s. Tab. 1). Diese können darin bestehen, dass das entsprechende Phänomen in Deutschland auftritt, aber auch darin, dass Deutschland einen signifikanten Anteil an der Verursachung eines globalen Phänomens hat (wofür etwa der Klimawandel ein Beispiel wäre). Auf diese Weise wurden folgende wesentliche Nachhaltigkeitsdefizite in Deutschland identifiziert (Erläuterung Kap. 3).

Tabelle 1: Zentrale Nachhaltigkeitsdefizite und die sie abbildenden Indikatoren

4     Die Nachhaltigkeitssituation in den Aktivitätsfeldern

Gesellschaftliche Aktivitätsfelder bestehen aus Kombinationen eines gesellschaftlichen Bedarfs bzw. eines Bedürfnisses (Mobilität, Wohnen, Ernährung etc.) und bestimmter Aktivitäten, diese Bedürfnisse zu befriedigen (Verkehr, Bauen, Landwirtschaft etc.). Entscheidend ist dabei, dass nicht nur die direkten nachhaltigkeitsrelevanten Auswirkungen aus diesen Aktivitätsfeldern berücksichtigt werden, sondern auch die gesamte Vorleistungskette. Für "Mobilität und Verkehr" als Beispiel sind die Herstellung der Fahrzeuge bis hin zur Beschaffung der Rohstoffe sowie die Bereitstellung der Infrastruktur (z. B. Straßenbau) einbezogen. Die Aktivitätsfelder Mobilität und Verkehr, Wohnen und Bauen, Ernährung und Landwirtschaft sowie Freizeit und Tourismus wurden vertieft untersucht. Hieraus ergeben sich die relativen Anteile, mit denen die Aktivitätsfelder jeweils zur Gesamtproblematik von Umweltbeeinflussung, Energieverbrauch und Beschäftigung beitragen. Insbesondere zeigt sich, dass die in diesem Projekt vertieft behandelten Aktivitätsfelder zusammen einen hohen Erklärungswert für Umwelt- und Ressourcenprobleme und Beschäftigungseffekte besitzen.

Mobilität und Verkehr: Trendanalysen weisen auf weiter zunehmenden Fahrzeugbestand, deutlich steigende Personen- und Güterverkehrsleistungen und Verschiebungen zu Gunsten des motorisierten Individualverkehrs, des Straßengüterverkehrs und der Luftfahrt hin. Dies führt zu einem deutlich wachsenden Energieverbrauch und zu ansteigenden Treibhausgasemissionen. Dies steht in deutlichem Widerspruch zu nationalen und sektoralen Umwelthandlungszielen. Deutliche Fortschritte sind hingegen bei anderen Umweltwirkungen (Versauerung, Eutrophierung, NMHC-Emissionen) zu verzeichnen. Ein rückläufiger nicht energetischer Ressourcenverbrauch und eine steigende Verkehrssicherheit sind positive Trends. Die absolute Höhe der Verkehrstoten, fast ausschließlich aus dem Straßenverkehr, weist den Bereich dennoch als dringliches Handlungsfeld aus. Im Bereich der Lärmbelästigungen durch den (vor allem Straßen-)Verkehr ist eine gewisse Stagnation auf hohem Belästigungsniveau zu erkennen. Wesentlicher Handlungsbedarf besteht beim steigenden Flächenverbrauch durch Verkehrstrassen und -infrastruktur. In Bezug auf soziale Aspekte stehen Fragen der Chancengleichheit, des angemessenen Zugangs, der Partizipation an der Verkehrsplanung sowie der Bewegungsfreiheit im öffentlichen Raum im Vordergrund. Hier wiederholen sich gesamtgesellschaftliche Benachteiligungsmuster, die z. B. an der ungleichen geschlechts-, raum- oder alterspezifischen Verfügbarkeit des motorisierten Individualverkehrs und an der sozial asymmetrischen Verteilung der Umweltbelastungen abzulesen sind.

Wohnen und Bauen: Trotz einer insgesamt guten Wohnversorgung der Bevölkerung gibt es nach wie vor stark benachteiligte Personengruppen (vor allem Alleinerziehende, Familien mit mehreren Kindern, Ausländer und Arme). Dies führt zu einer Verstärkung von sozialen Ungleichgewichten und kann bei einer Fortdauer der Entwicklung zu einer deutlichen Belastung des sozialen Friedens in Deutschland werden. Die ungebremste Nachfrage nach Wohnraum hat, trotz stagnierender Bevölkerung, einen erheblichen Anteil an der steigenden Flächeninanspruchnahme durch Siedlungs- und Verkehrsflächen. Die hohe Nachfrage nach Wohnraum sorgt auch dafür, dass der Energieverbrauch aus fossilen Energiequellen und der CO2-Ausstoß auf hohem Niveau verharren. Die Entwicklungen in der Gebäudedämmung und Fortschritte bei der Effizienz der Energieerzeugung können diesen Trend nur dämpfen, da überwiegend nur Neubauten von diesen Fortschritten profitieren. Darüber hinaus stellt der hohe Stoffdurchsatz der Bauwirtschaft ein ungelöstes Problem dar. Deutlichere Verbesserungen sind bei der Belastung mit bestimmten Schadstoffen wie NOx, SO2 und Feinstaub zu verzeichnen. Dies ist vor allem auf den Ersatz der Kohle-/Brikettheizungen in den neuen Ländern zurückzuführen. Dadurch ist der Beitrag des Bereichs Wohnen und Bauen zur Entstehung von bodennahem Ozon und zur Bodenversauerung deutlich zurückgegangen. Eine Abkehr vom Neubau und eine verstärkte Hinwendung zu einer Bestandspolitik könnten zu einer Reduktion des Flächenverbrauchs beitragen. Auch wenn die Entwicklung in der Bauwirtschaft in der letzten Zeit eine relative Stärkung des Ausbaus gegenüber dem Neubau zeigt, so wird doch deutlich, dass ohne massive Änderungen an den bestehenden politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen keine Nachhaltigkeit im Baubereich erreicht werden kann.

Ernährung und Landwirtschaft: Die schnelle Reduktion der Anzahl der weltweit hungernden Menschen gehört zu den wichtigsten und dringendsten Aufgaben einer globalen Nachhaltigkeitsstrategie. Gegenwärtig mangelt es sowohl in vielen Entwicklungsländern als auch in vielen Industrienationen am ernsthaften politischen Willen zur Hungerbekämpfung. Vor allem die agrarpolitischen Rahmenbedingungen und das Ernährungsverhalten tragen in Deutschland zu den gravierenden ökologischen, ökonomischen, sozialen und gesundheitlichen Defiziten im Ernährungssystem bei. Dem Ziel, Schadstoffbelastungen der Agrarökosysteme vorzubeugen, von denen Gesundheitsgefährdungen für den Menschen ausgehen können, entspricht die gegenwärtige Situation nicht. Vor allem in Bezug auf Gewässer-, Luft- und Bodenbelastungen, klimarelevante Emissionen, Primärenergieverbrauch und Abfallaufkommen bestehen erhebliche Nachhaltigkeitsdefizite der Landwirtschaft. Die Möglichkeiten der selbstständigen Existenzsicherung im Landwirtschafts-, Ernährungs-, Gastgewerbe- und Lebensmitteleinzelhandelssektor sind aufgrund des raschen Strukturwandels teils gefährdet. Im landwirtschaftlichen Vorleistungssektor, in der Ernährungsindustrie und im Lebensmitteleinzelhandel finden Marktkonzentrationen statt, die langfristig zu marktbeherrschenden Stellungen führen können. In Deutschland gibt es - trotz der ganz erheblichen negativen ökologischen und gesundheitlichen Folgekosten des derzeitigen Ernährungsstils - bisher keine explizite Ernährungspolitik. Die Festlegung von gesellschaftlich-politischen Ernährungszielen und die Ausarbeitung einer konsistenten Ernährungspolitik werden massiv vernachlässigt.

Freizeit und Tourismus: In den überwiegenden Fällen ergeben sich die Verursachungsbeiträge des Aktivitätsfeldes zu den zentralen Nachhaltigkeitsdefiziten durch den hohen Anteil des Freizeit- und Tourismusverkehrs am motorisierten Individualverkehr und am Luftverkehr. Sie betreffen Gesundheitsbeeinträchtigungen durch Lärm sowie durch Feinstaub und bodennahes Ozon, die Belastung der Böden durch Versauerung und Eutrophierung, den Verbrauch nicht erneuerbarer Energieressourcen, CO2-Emissionen und die Gefährdung der Biodiversität. Durch das Aktivitätsfeld erfolgt eine sekundäre Nutzung fast aller Flächenkategorien (Siedlungs- und Verkehrs-, Wald-, Wasser- und Landwirtschaftsflächen). Durch den hohen Anteil des Aktivitätsfeldes am motorisierten Straßenverkehr kann es auch als eine treibende Kraft für den Ausbau der Verkehrsflächen angesehen werden, z. B. beim Ausbau der Verkehrsinfrastruktur in Urlaubsregionen. Von großer Bedeutung im Hinblick auf den Schutz der Biodiversität ist die sekundäre Nutzung insbesondere der Landwirtschafts- und Waldfläche. Freizeitaktivitäten wie Wandern, Radfahren und Mountainbiking, Skifahren etc. zieht es - oft auch wegen der Attraktivität der Natur und Artenvielfalt - in Gebiete von hoher Biodiversitätsrelevanz. In ökologisch wertvollen Gebieten mit einer großen Vielfalt seltener oder geschützter Arten (z. B. Großschutzgebiete) kann der Tourismus zu einem wesentlichen Faktor für die Bedrohung der Artenvielfalt werden. Tourismus profitiert von der attraktiven Naturausstattung dieser Gebiete und beinhaltet gleichzeitig das Potenzial, sie durch Übernutzung zu schädigen und damit seine eigenen Grundlagen zu zerstören. Auf der anderen Seite kann Tourismus jedoch auch dem Erhalt solcher Landschaften dienen, indem er die ökonomische Basis der ansässigen Bevölkerung verbessert und dadurch sowohl Abwanderungsprozesse mit der Folge der Landschaftsdegradation als auch den Raubbau durch alternative Nutzungsarten verhindert.

5     Die zukünftige Entwicklung

Ausgangspunkt der Betrachtung der zukünftigen Entwicklung Deutschlands in Bezug auf Nachhaltigkeit ist, dass (a) verschiedene Entwicklungen denkbar sind, die sich als mehr oder weniger nachhaltig herausstellen können, und dass es (b) nicht nur einen Weg zu einer nachhaltigeren Entwicklung in Deutschland gibt, sondern dass auch hier mehrere Optionen denkbar sind. Es wurden drei explorative Szenarien erarbeitet, die sich durch unterschiedliche Annahmen über die zukünftige Entwicklung wesentlicher gesellschaftlicher Parameter unterscheiden:

Im Szenario Dominanter Markt wird von einem anhaltenden, sich noch verstärkenden Prozess der wirtschaftlichen Globalisierung mit dem Markt als dominantem Steuerungsmechanismus ausgegangen. Im Sinne einer angebotsorientierten Wirtschaftspolitik erfolgt eine Entlastung der Unternehmen bei Steuern und Sozialabgaben, um deren internationale Wettbewerbsfähigkeit zu gewährleisten. Umweltschutz spielt eine geringe Rolle und beschränkt sich auf No-regret-Maßnahmen, die durch technischen Fortschritt möglich werden. Gesellschaftlich verstärkt sich der Trend zur Individualisierung von Lebensstilen; Leistungs- und Eigennutzorientierung sind vorherrschende Wertvorstellungen.

Im Szenario Modernisierung wird ebenfalls davon ausgegangen, dass der Prozess der wirtschaftlichen Globalisierung fortschreitet, dass aber eine Politik verfolgt wird mit dem Ziel, die Chancen der Globalisierung zu nutzen und deren mögliche negative Effekte abzumildern und den ökologischen Modernisierungsprozess fortzusetzen. Die Szenariophilosophie kann ökonomisch als eine pragmatische, den sozialen Ausgleich anstrebende Wirtschaftspolitik beschrieben werden und umweltpolitisch als eine inkrementelle, auf technische Effizienzverbesserungen setzende Politik. Wesentliche Veränderungen bei individuellen Lebensstilen und gesellschaftlichen Wertvorstellungen werden nicht unterstellt.

Das Szenario Regionalisierung und Gemeinwohlorientierung bildet eine Entwicklung ab, bei der sich Wertvorstellungen in der Gesellschaft deutlich in Richtung auf Gemeinwohlorientierung, Solidarität, Übernahme von Verantwortung für die Umwelt und Rückbesinnung auf lokale und regionale ökonomische Strukturen verändern. Es wird angenommen, dass die Mehrheit der Bevölkerung bereit ist, einschneidende politische Maßnahmen zum Schutz der Umwelt und zur sozialen Vorsorge mitzutragen. Ökonomisch entspricht die Szenariophilosophie einer nachfrageorientierten Politik, die, das Verschuldungsproblem im Auge behaltend, versucht, die erkannten Probleme durch direktes staatliches Handeln einzudämmen. Die Alterssicherung wird vom Faktor Arbeit abgekoppelt und auf eine breitere Basis gestellt. Im gesellschaftlichen Bewusstsein erfährt soziale Arbeit eine Aufwertung und wird durch den Staat honoriert; im Umweltbereich werden einschneidende Maßnahmen zum Klimaschutz und zur Eindämmung des Flächenverbrauchs ergriffen.

Diese Szenarien wurden, so weit möglich, in das umweltökonomische Simulationsmodell PANTA RHEI der Gesellschaft für Wirtschaftliche Strukturforschung (GWS) implementiert. Dabei wurden die Indikatoren Arbeitslosigkeit, Staatsverschuldung, CO2-Emissionen, Verbrauch nicht erneuerbarer Energieträger und Flächenverbrauch erfasst, um die zeitliche Entwicklung der damit verbundenen Nachhaltigkeitsprobleme bis 2020 simulieren zu können. Die wesentlichen Ergebnisse sind:

Szenario Dominanter Markt: Überraschenderweise liegt das Wirtschaftswachstum (als zentrale Zielgröße einer angebotsorientierten Wirtschaftspolitik) kaum höher als im Modernisierungsszenario. Die Arbeitslosenquote liegt 2020 nur wenig unter dem Niveau des Jahres 2000. Gleichzeitig werden sich Einkommen und Vermögen stärker konzentrieren und sich die Unterschiede in der Einkommens- und Vermögensverteilung verstärken. Bei der Staatsverschuldung wird das Ziel erreicht, bedingt durch den partiellen Rückzug des Staates aus verschiedenen Aufgabenbereichen. Für umweltbezogene Nachhaltigkeitsindikatoren sind die Ergebnisse sehr unbefriedigend: Die CO2-Emissionen werden wieder steigen, noch deutlicher der Flächenverbrauch. Ebenfalls ist ein Anstieg des Verbrauchs fossiler Energieträger zu konstatieren. Wesentliche Nachhaltigkeitsziele im Umweltschutz werden somit deutlich verfehlt bzw. gegenwärtige Nachhaltigkeitsdefizite verschärfen sich noch.

Szenario Modernisierung: Das Wirtschaftswachstum fällt kaum schlechter als im Szenario Dominanter Markt aus; bezüglich der Staatsverschuldung werden die gesteckten Ziele erreicht. Bei sämtlichen anderen Nachhaltigkeitszielen im sozialen und ökologischen Bereich nähert man sich - allerdings nicht in ausreichendem Maße - den Nachhaltigkeitszielen an oder verhindert eine weitere Entfernung von diesen. Bei der Arbeitslosigkeit treten zwar Verbesserungen ein, die gesetzten Ziele werden aber nicht erreicht. Bei den CO2-Emissionen wird zwar das Kyoto-Ziel für 2008-2012 erreicht, aber das längerfristige Ziel für 2020 deutlich verfehlt. Der Flächenverbrauch verharrt auf viel zu hohem Niveau, beim Verbrauch fossiler Energieträger tritt eine Verringerung ein. Während also die angenommene moderate Modernisierungspolitik im ökologischen und sozialen Bereich zwar zu einer Annäherung an Nachhaltigkeitsziele führen würde, würden einige Nachhaltigkeitsziele deutlich verfehlt.

Mit dem Szenario Regionalisierung und Gemeinwohlorientierung ist eine erhebliche Wachstumsschwäche verbunden. Die Einkommensverteilung wird zwar gerechter, was allerdings aufgrund der deutlich geringeren Wirtschaftsleistung gegenüber den anderen Szenarien nicht bedeutet, dass die Haushalte über mehr Einkommen verfügen. Das Problem der Arbeitslosigkeit wird gelöst, da durch mehr Teilzeitarbeit und die Subventionierung gesellschaftlicher Arbeit mehr Menschen am Arbeitsmarkt teilhaben. Die Nachhaltigkeitsziele im Umweltbereich bezüglich der CO2-Emissionen und des Flächenverbrauchs werden bis 2020 erreicht. Allerdings deutet sich an, dass in einer längerfristigen Perspektive die Erfüllung anspruchsvoller Nachhaltigkeitsziele - insbesondere sofern sie mit einer relativ schnellen Entwicklung regionaler ökonomischer Strukturen erreicht werden sollen - zu einem Konflikt mit ökonomischen Zielen führen und die im Szenario beschriebene Entwicklung nach 2020 zu erheblichen wirtschaftlichen Verwerfungen führen könnte. Eine Schlussfolgerung aus den Erkenntnissen dieses Szenarios ist, dass es offensichtlich eines längeren Zeitraums als 20 Jahre bedarf, um derart grundlegende Veränderungen, wie sie hier beschrieben sind, in sozial- und wirtschaftsverträglicher Form durchzuführen.

Auch aus den Szenarienergebnissen wurden Indikatorenwerte für die einzelnen Aktivitätsfelder errechnet und die Veränderung der inneren Struktur der Aktivitätsfelder untersucht. Diese Ergebnisse flossen insbesondere in die Maßnahmendiskussion in den Aktivitätsfeldern ein. Es zeigte sich hier, dass die Trends in den vertieft behandelten Aktivitätsfeldern mit den oben dargestellten Gesamtentwicklungen für die einzelnen Szenarien weitgehend übereinstimmen.

6     Maßnahmen zur Bewältigung zentraler Nachhaltigkeitsprobleme

Aufbauend auf den Ergebnissen der Szenariensimulationen und ergänzenden Optimierungsrechnungen sowie der Auswertung verschiedener Debatten über geeignete Instrumente werden für folgende ausgewählte zentrale Nachhaltigkeitsprobleme jeweils zwei alternative Maßnahmenbündel konzipiert: Armut, Langzeitarbeitslosigkeit, Bildungsdefizite und mangelnde Chancengleichheit, Verbrauch nicht erneuerbarer Energieressourcen und Klimawandel, Flächenverbrauch für Siedlungs- und Verkehrszwecke, Biodiversität, Gewässerbelastung, mangelnde Wahrnehmung globaler Verantwortung und Staatsverschuldung.

Die als Maßnahmenbündel Dominanter Markt / Modernisierung bezeichneten instrumentellen Optionen gehen von einer dominanten Rolle des Marktes als Steuerungsmechanismus aus; die Maßnahmenbündel Modernisierung / Regionalisierung und Gemeinwohlorientierung basieren dagegen auf der Annahme einer aktiven und deutlich stärkeren Lenkungsfunktion des Staates.

Diese unterschiedlichen Annahmen zur politisch-gesellschaftlichen Grundausrichtung wirken sich auf die Instrumentierung der alternativen Maßnahmenbündel zu den einzelnen Problembereichen aus. Die Bündel Dominanter Markt / Modernisierung sind gekennzeichnet durch möglichst wenige direkte staatliche Eingriffe, Maßnahmen einer eher angebotsorientierten Wirtschaftspolitik (Kostenentlastungen von Unternehmen) und im Umweltbereich durch Maßnahmen mit einer geringen Eingriffstiefe, vor allem in Form von "No- or low-Regret"-Maßnahmen. Beim anderen Bündel stehen direkte staatliche Eingriffe mit höherer Eingriffstiefe (Steuern, Abgaben, Subventionen, gezielte Re-/Regulierung) im Vordergrund. Die wirtschaftspolitischen Maßnahmen sind eher nachfrageorientiert. Die jeweiligen Maßnahmenbündel werden darüber hinaus durch für beide Bündel identische Maßnahmen ergänzt, die szenarienunabhängig als prinzipiell politisch durchsetzbar erachtet werden.

Die Optimierungsrechnungen für die Szenarien Dominanter Markt und Modernisierung zeigen, dass es Maßnahmen mit erheblicher Eingriffstiefe bedarf, um sich den mittel- und langfristigen Nachhaltigkeitszielen deutlich nähern oder diese gar erreichen zu können. Solche Eingriffstiefen dürften vor dem Hintergrund der Bandbreite der durch diese Szenarien beschriebenen politisch-gesellschaftlichen Entwicklungen kaum durchsetzbar sein oder Akzeptanz finden. Daraus ist zu schließen, dass die Maßnahmenbündel Dominanter Markt / Modernisierung nicht zur Erreichung der verschiedenen Ziele innerhalb des Zeitraums bis 2020 führen werden, sondern diese, wenn überhaupt, erst mit deutlicher zeitlicher Verzögerung nach 2020 erreicht werden können. Ungeachtet dessen kann die Implementierung dieser Maßnahmenbündel mit moderater, Akzeptanz findender Eingriffstiefe durchaus als eine Option angesehen werden, die gesellschaftliche Entwicklung zumindest langfristig auf einen Nachhaltigkeitspfad zu lenken. Ein solches Vorgehen könnte auch von jenen akzeptiert werden, die angesichts der noch bestehenden wirtschaftlichen Unsicherheiten bezüglich des Umfangs und der Folgen umweltbezogener Nachhaltigkeitsprobleme (z. B. des Klimawandels) vor einer übereilten Politik warnen und nur für moderate Schritte plädieren.

Wichtig erscheint es aber auf jeden Fall, jetzt Maßnahmen einzuleiten, um den politischen Willen zu einer nachhaltigkeitsfördernden Politik zu demonstrieren und den gesellschaftlichen Akteuren deutliche Signale hinsichtlich der für sie relevanten zukünftigen politisch-wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zu geben.

Bei den jeweiligen Maßnahmenbündeln Modernisierung / Regionalisierung und Gemeinwohlorientierung ist vor dem Hintergrund der hier unterstellten Bandbreite politisch-gesellschaftlicher Entwicklungen davon auszugehen, dass Maßnahmen mit höherer Eingriffstiefe eher Akzeptanz finden könnten. Diese Eingriffstiefen müssten aber sehr hoch sein, wenn insbesondere die langfristigen Nachhaltigkeitsziele erreicht werden sollen. Dies zeigen die Optimierungsrechnungen für das Szenario Modernisierung. Die Akzeptanz solcher Eingriffstiefen ist daher trotz der unterstellten Veränderungen gesellschaftlicher Werthaltungen in Frage zu stellen. Auch hier gilt es, durch die Implementierung von Maßnahmen und durch verlässliche Informationen über deren zukünftige Ausgestaltung den gesellschaftlichen Akteuren hinreichende Planungssicherheit zu geben.

Die Maßnahmenbündel Modernisierung / Regionalisierung und Gemeinwohlorientierung zeichnen sich dadurch aus, dass der Staat hier eine deutlich größere Rolle spielt. Er erzielt einerseits Einnahmen aus der Verteuerung der Nutzung natürlicher Ressourcen über Steuern und Abgaben, andererseits setzt er erhebliche Mittel für zusätzliche Ausgaben zum direkten Angehen von Nachhaltigkeitsproblemen ein, z. B. zur Lösung von Problemen in den Bereichen Bildung, Arbeitslosigkeit und Armut. Den staatlichen Akteuren bietet sich hier die Möglichkeit bei diesen Maßnahmenbündeln, die Lösung verschiedener Nachhaltigkeitsprobleme in integrativer Form simultan durch eine nachhaltigkeitsorientierte Finanzpolitik in Angriff zu nehmen. Im Falle sehr tiefer instrumenteller Eingriffe, die notwendig wären, um möglichst viele Nachhaltigkeitsziele zu erreichen, müssten auch Kompensationen für sozial Schwächere aus dem Staatshaushalt vorgesehen werden, wie die Betrachtungen zu den Maßnahmenbündeln zu den umweltbezogenen Nachhaltigkeitsproblemen und zur Arbeitslosigkeit zeigen.

Die hier vorgestellten Maßnahmenbündel enthalten auch Maßnahmen oder Instrumente, die "neu" sind oder bisher nicht praktiziert wurden. Es liegen deshalb keine empirischen Erfahrungen über Wirkungsweise, Effektivität und mögliche Nebeneffekte vor. Deshalb wären bei bisher nicht praktizierten Instrumenten Praxistests (z. B. regional begrenzte), eine begleitende Evaluierung und ein Monitoring zu fordern und eine flexible Anpassung vorzusehen, wenn sich erwünschte Effekte nicht in der erwarteten Größe oder wenn sich unerwünschte Nebeneffekte einstellen, d. h. es muss in gewissem Umfang Raum für einen "Trial-and-Error"-Ansatz gewährleistet sein.

Generell sind eine begleitende Evaluierung und ein Monitoring von Nachhaltigkeitsstrategien unverzichtbar, um diese vor dem Hintergrund sich verändernder politisch-gesellschaftlicher Rahmenbedingungen und möglicher neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse flexibel anpassen zu können.

7     Zur Rolle von Technik für nachhaltige Entwicklung

Schritte auf dem Weg zu einer nachhaltigen Entwicklung sind ohne innovative Technikentwicklung nicht denkbar. Die Abschätzung der Potenziale schon vorhandener sowie zukünftiger Schlüsseltechnologien zur Erreichung der Ziele einer nachhaltigen Entwicklung sowie Analysen zu den Folgewirkungen ihres Einsatzes gehören daher zu den unverzichtbaren Bestandteilen einer umfassenden Nachhaltigkeitsuntersuchung. Einer vertiefenden Betrachtung in Bezug auf Nachhaltigkeitspotenziale wurden (1) Nanotechnologie, (2) Bio- und Gentechnologie, (3) regenerative Energietechnologien und (4) Informations- und Kommunikationstechnologie unterzogen.

  1. Nanotechnologie stellt eine "enabling technology" mit weit reichenden Potenzialen für andere Schlüsseltechnologien und für neue Materialien dar. Die Entwicklungen sind noch weitgehend grundlagenorientiert. Anwendungen zeichnen sich perspektivisch ab, sind aber zum großen Teil von einer Markteinführung noch weit entfernt. Eine Nachhaltigkeitsbewertung ist daher nur sehr eingeschränkt möglich - es können aber Hinweise auf Aspekte gegeben werden, die bei der weiteren Ausgestaltung dieser Techniken zu beachten sind. Diese betreffen zum einen die Frage, welchen nachhaltigkeitsrelevanten Anforderungen Nanotechnologie genügen soll (nachhaltiger Umgang mit Ressourcen, Umwelt- und Gesundheitsverträglichkeit, Freisetzung und Rückholbarkeit, Fehlertoleranz und Reversibilität). Zum anderen geht es darum, wie der Prozess der weiteren Entwicklung gestaltet werden soll (Konflikte zwischen Transparenz und Innovation, Partizipation, Reflexivität und Resonanzfähigkeit, Forschungs- und Technikpolitik).
  2. Die Grüne Gentechnik wird seit Jahren kontrovers diskutiert. Daher ist die Bewertung von Chancen und Risiken für nachhaltige Entwicklung unter Unsicherheit eine wesentliche Herausforderung, die Gegenstand vieler Studien ist. Die Untersuchung zeigt, dass eine Bewertung der postulierten Chancen transgener Anbausysteme im Wesentlichen auf drei Probleme stößt: (a) die Beurteilung der Güte der einzelnen Studien, (b) die Vergleichbarkeit der Studien und (c) die Gewichtung der Einzelstudien in der Gesamtbewertung. Nur durch eine Fallanalyse, in der die verschiedenen Untersuchungsansätze und -ergebnisse im Hinblick auf ihre Aussagekraft diskutiert werden, wird Transparenz hergestellt. Die Ergebnisse des Projekts bilden die Grundlage für einen wissenschaftlichen Dialog zu den Chancen der Grünen Gentechnik, wie er bislang in dieser systematischen Weise noch nicht geführt wurde.
  3. Regenerative Energieträger sind technisch in großem Umfang einsetzbar. Ihre Nachhaltigkeitspotenziale in Bezug auf Ressourcenschonung und Emissionsminderung sind weitgehend anerkannt. Ein substanzieller Ausbau der Nutzung regenerativer Energieträger innerhalb des nächsten Jahrzehnts ist eine wesentliche Voraussetzung, wenn die längerfristigen Ziele einer deutlichen Reduktion von CO2-Emissionen fristgerecht erreicht werden sollen. Der Markteintritt muss jedoch durch politische Maßnahmen herbeigeführt werden. Die Kombination von klimapolitischen und volkswirtschaftlichen Vorteilen einer Ausbaustrategie regenerativer Energieträger verschafft ihr die typischen Merkmale einer "Win-win"-Strategie. Damit diese Eigendynamik in Gang kommt, sind jedoch noch auf längere Sicht politische Unterstützungsmaßnahmen erforderlich, die möglichst weitgehend auf europäischer (und globaler) Ebene harmonisiert werden sollten.
  4. Informations- und Kommunikationstechniken sind auf dem Markt akzeptiert und werden zunehmend auch von breiten Bevölkerungskreisen genutzt. Über ihre Auswirkungen in Bezug auf Nachhaltigkeit entscheidet sehr stark die Art und Weise ihrer Nutzung. In der Untersuchung wurde vor allem die Frage einer Förderung "nachhaltiger Kommunikationsverhältnisse" (Vernetzung, verbesserter Wissenszugang, Partizipation, Wege zu einer Zivilgesellschaft) thematisiert. Dies erfolgte durch die Untersuchung von Wissensnetzen in den Bereichen der Lokalen Agenda und des Gesundheitswesens. Neben den Ergebnissen im Detail, beispielsweise die die Rolle der Gender-Problematik deutlich machen, ist zu erkennen, dass durch Technik auch Kommunikations- und damit Machtverhältnisse strukturiert werden. Dieser "institutionelle" Aspekt von Technik ist unter Nachhaltigkeitsaspekten hoch relevant.

Aus der Untersuchung der Schlüsseltechnologien lassen sich folgende verallgemeinernde Schlussfolgerungen ziehen:

  1. Technik kann Potenziale zur Erfüllung von Nachhaltigkeitszielen eröffnen, deren Realisierung jedoch nicht von selbst eintritt. Es bedarf teils komplexer Gestaltungsbemühungen, um die Potenziale in Realität zu überführen.
  2. Nachhaltigkeitsgewinne durch technischen Fortschritt können durch so genannte Rebound- oder Bumerang-Effekte kompensiert oder sogar überkompensiert werden. Technische Innovationen und die Veränderungen gesellschaftlicher Verhaltensweisen müssen daher gemeinsam betrachtet und Rückkopplungen analysiert werden.
  3. Das Zielkriterium "Nachhaltigkeit" kann nicht dergestalt operationalisiert werden, dass es in das Lastenheft für eine Technikentwicklung wie ein technisches oder ökonomisches Leistungsmerkmal aufgenommen werden kann. Technische Produkte oder Systeme sind nicht per se entweder nachhaltig oder nicht nachhaltig.
  4. Die traditionelle Gegenüberstellung von Suffizienz- und Effizienz-Ansatz (teils ergänzt um den Aspekt der ökologischen Konsistenz) wird einem integrativen Ansatz nachhaltiger Entwicklung nicht gerecht. Zum Beispiel werden nachhaltige Kommunikationsverhältnisse oder soziale, kulturelle oder ökonomische Chancen und Risiken neuer Techniken unter Kriterien nachhaltiger Entwicklung nicht erfasst.
  5. Nachhaltige Entwicklung, integrativ verstanden, erfordert die Analyse von Technik sowohl unter dem Artefakt-Aspekt (z. B. im Hinblick auf Stoff- und Energieströme) als auch unter dem institutionellen und kommunikativen Aspekt (z. B. im Hinblick auf Wissensnetzwerke oder Machtverhältnisse).
  6. Technikgestaltung für nachhaltige Entwicklung ist mit den Bedingungen des Wissens unter Unvollständigkeit und Ungewissheit konfrontiert. Hieraus resultieren Anforderungen im Hinblick auf die Anpassungsfähigkeit und Fehlerfreundlichkeit der Technik an neue Erkenntnisse und Probleme und der Reversibilität einmal getroffener Entscheidungen.

8     Querschnittsthemen nachhaltiger Entwicklung

Viele Themen nachhaltiger Entwicklung betreffen mehrere Aktivitätsfelder und Technikbereiche. Im integrativen Konzept ziehen sich viele der Nachhaltigkeitsregeln durch mehrere oder gar alle gesellschaftlichen Bereiche hindurch. Diese Zusammenhänge wurden exemplarisch in den Feldern Flächennutzung und Bodenschutz, Chancengleichheit sowie Wissensmanagement für nachhaltige Entwicklung untersucht.

Flächennutzung und Bodenschutz: An die Flächennutzung stellen die untersuchten Aktivitätsfelder vielfältige und teils konkurrierende Ansprüche. In allen diesen Bereichen sind Ansätze zur Harmonisierung der Zielkonflikte zwischen Nutzungsinteressen und Bodenschutz denkbar, die zum Teil auch schon praktiziert werden: verstärkte Umlenkung der Investitionen vom Neubau in den Bestand, die Schaffung verkehrsarmer Raumstrukturen und die Verkehrsverlagerung vom motorisierten Individualverkehr auf öffentliche Verkehrsmittel, Ausbau der Kooperation zwischen Landwirtschaft und Naturschutz sowie zwischen Tourismus und Naturschutz. Eine übergreifende Strategie nachhaltiger Flächennutzung müsste sowohl eine quantitative Verringerung des Flächenverbrauchs für Siedlungs- und Verkehrszwecke als auch eine qualitative Aufwertung von Flächen in ökologischer Hinsicht anstreben. Dies wird sich - auch bei weitestgehender Ausnutzung der Win-win-Situationen - nicht ohne einschneidende Veränderungen der rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen realisieren lassen. Gefordert wird neben einer besseren Koordination zwischen Raumplanung und Fachplanung eine gezielte Ergänzung des Planungsrechts, insbesondere im Hinblick auf die Aufwertung der Belange des Boden-, Natur- und Landschaftsschutzes im Rahmen der Abwägung. Zur Erreichung des Reduktionsziels auf einen Flächenverbrauch von 30 ha/Tag in 2020 wird eine Flankierung des ordnungsrechtlich geprägten Instrumentariums der Raumplanung durch ökonomische Anreizinstrumente für unverzichtbar gehalten, um die Marktkräfte zu Gunsten der angestrebten Siedlungsentwicklung einzusetzen. Voraussetzung für die Umsetzung einer solchen Strategie ist die Erarbeitung von Kriterien für die Eignung von Böden für spezifische Nutzungen und die Aufstellung von Umweltqualitätszielen für das Schutzgut Boden.

Chancengleichheit: In Bezug auf Chancengleichheit bestehen in Deutschland erhebliche Defizite. Im Bereich Bildung sind fehlende Bildungsabschlüsse und eine erhebliche Abhängigkeit der Bildungschancen von der sozioökonomischen und familiären Situation der Schüler bzw. ihrer Familien zu nennen. Von beträchtlichen Einschränkungen ist auch die Chancenlage von Frauen im Spannungsfeld von Beruf und Familie betroffen. Erhebliche Chancengleichheitsdefizite hinsichtlich der Situation von Ausländern liegen im Bereich Bildung, Beruf und gesellschaftlicher Anerkennung. Auch in den Aktivitätsfeldern bestehen Chancengleichheitsprobleme. So ist im Aktivitätsfeld Ernährung und Landwirtschaft vor allem die sozioökonomische Situation eines beträchtlichen Teils der in der Landwirtschaft Tätigen zu beklagen. Im Aktivitätsfeld Mobilität und Verkehr ist eine gendergerechte Verkehrsgestaltung in wesentlichen Hinsichten nicht gegeben. Für das Aktivitätsfeld "Wohnen und Bauen" schließlich zeigten sich massive Defizite der Entwicklung städtischer Strukturen, besonders im Hinblick auf strukturell defizitär entwickelte Stadtviertel, die vor allem den Chancenarmen und Chancenlosen (Armen, Alten, Ausländern und Arbeitslosen) als Refugium dienen und die Chancenungleichheit kontinuierlich reproduzieren. Für viele dieser Chancengleichheitsdefizite werden Lösungsansätze gesellschaftlich diskutiert, die ebenfalls vielfältige Verknüpfungen zu Nachhaltigkeitsaspekten aufweisen.

Wissensmanagement für nachhaltige Entwicklung: Wissensmanagement für nachhaltige Entwicklung ist mit Anforderungen konfrontiert, die sich zu einem wesentlichen Teil aus den substanziellen Nachhaltigkeitsregeln ergeben: Um diese zu erfüllen, bedarf es bestimmter Formen der Akquisition, Verarbeitung, Bewertung und Integration des erforderlichen Wissens. Darüber hinaus geben bestimmte substanzielle und instrumentelle Nachhaltigkeitsregeln direkte Hinweise auf eine nachhaltigkeitsgerechte Organisation des Wissens, vor allem durch die Regeln der Chancengleichheit, der Partizipation, der Resonanzfähigkeit und der Reflexivität. In Planungs- und Entscheidungsverfahren in den Aktivitätsfeldern müssen Wissensbeschaffung und -integration geleistet werden (z. B. Bundesverkehrswegeplan). Hieraus ergeben sich methodische und organisatorisch-prozedurale Anforderungen an diese Verfahren unter Einschluss eines Wissensmanagements für nachhaltige Entwicklung, aber auch die Notwendigkeit, diese Verfahren möglichst reflexiv und lernfähig zu gestalten. Die Komplexität und Globalität der zu lösenden Probleme und die Mehrdimensionalität der Nachhaltigkeit erfordern eine Vernetzung von Daten, Informationen und Wissen unterschiedlichster Akteure. Weiterhin stellt auch der Umgang mit Nichtwissen einen Teil des Wissensmanagements dar. Besonders im Hinblick auf technikbedingte Risiken für eine nachhaltige Entwicklung stellt sich die Frage nach transparenten Verfahren der Risiko- und Chancenbewertung. Für die Beteiligung und Sensibilisierung der Öffentlichkeit unter Verwendung wissenschaftlichen Wissens, die ebenfalls eine Herausforderung für das Wissensmanagement darstellt, wurde ein interaktives Simulationstool entwickelt. Wissensmanagement im Rahmen einer Wissenspolitik hat insgesamt gesehen erhebliche Relevanz für jedwede Politik der Nachhaltigkeit.

9     Perspektiven

Nachhaltige Entwicklung lässt sich nicht abschließend definieren, sondern beinhaltet einen - normativ orientierten - ständigen Such- und Lernprozess, in dem das Verständnis der Nachhaltigkeit, Prioritätensetzungen und Abwägungen sowie Maßnahmen einer dauernden Weiterentwicklung unterzogen werden. In diesem Prozess nehmen die vorgestellten Projektergebnisse einen Platz ein, der insbesondere die Diskussion über die Fortschreibung der Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung betreffen sollte. Unabhängig davon ist bereits erkennbar, dass die hier vorgestellten Arbeiten eine große Rolle in der weiteren wissenschaftlichen Arbeit bezogen auf die Herausforderung nachhaltiger Entwicklung spielen werden. Hier ist besonders auf die im Programm "Nachhaltige Entwicklung und Technik" der Helmholtz-Gemeinschaft angelegten technischen Forschungsarbeiten zur Regenerierung von Wasserressourcen, zum Kohlenstoffmanagement sowie zu Abfall- und Baustoffen zu verweisen. Dort wird auch die konzeptionelle Weiterentwicklung des integrativen Konzepts nachhaltiger Entwicklung geleistet und auf weitere Gebiete wie Energiesystem und Internet-Ökonomie angewendet. Durch diese Arbeiten wird Nachhaltigkeit, verstanden als ständiger Lernprozess, mit wissenschaftlicher Substanz weiter operationalisiert.




Erstellt am: 27.06.2003 - Letzte Änderung: 27.05.2008 - Kommentare an:     Armin Grunwald