KIT-Logo Christian Büscher / Klaus Peter Japp (Hrsg.)

Ökologische Aufklärung
25 Jahre „Ökologische Kommunikation“

Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2010, ISBN 978-3-531-16931-6, 311 Seiten, 39,95 Euro
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Vorwort

Der vorliegende Sammelband ist der Beobachtung geschuldet, dass in den aktuellen öffentlichen Debatten über Problemlösungen hinsichtlich einer „ökologischen Krise“ soziologische Argumente keinerlei Rolle spielen. Die Rettung der Welt wird sozusagen ohne Vorstellungen von „Gesellschaft“ betrieben. Allenfalls hinsichtlich der Verursachung der Krise wird die Verselbständigung eines wissenschaftlichtechnisch-kapitalistischen Komplexes angenommen, der die dringend gebotene Verhinderung weiterer Schäden durch menschliche Eingriffe in die Natur systematisch unterminiert. Ansonsten finden sich zumeist Appelle an die Einsicht in eine Art notwendiger ökologischer Demut, gerichtet an Personen, sowohl in ihren jeweiligen Lebensstilen als auch in ihrer Eigenschaft als Träger gesellschaftlicher Rollen (Politiker, Manager, Wissenschaftler etc.), oder Appelle an die Verantwortung von Unternehmen, die sozialen und ökologischen Folgen ihres Tuns zu berücksichtigen und sich politisch, ökologisch sowie sozial „korrekt“ zu verhalten.

Vor 25 Jahren hat Niklas Luhmann die Studie „Ökologische Kommunikation“ vorgelegt. [1] Es war der systematische Versuch, die Möglichkeiten der modernen Gesellschaft, sich auf eine ökologische Gefährdung einzustellen, mit Hilfe einer „Theorie der Gesellschaft“ durchzuspielen. Aus der Prämisse, dass die Gesellschaft einem Primat funktionaler Differenzierung unterliegt, folgt seine Beobachtung: Funktionssysteme können nur auf der Ebene ihrer Programme unter Einbeziehung ihres je spezifischen Codes Resonanz auf ökologische Probleme erzeugen. Damit ist ein anderes Niveau der Erwartungsgeneralisierung anvisiert, als es allgemein üblich ist. Weder sind Personen in ihren privaten oder beruflichen Rollen Luhmanns Argumentation nach die adäquate Adresse für eine durchgreifende Resonanz noch wäre eine universelle Wertverschiebung der richtige Nährboden, weil sich die moderne Gesellschaft gegen eine konsensuell akzeptierte, widerspruchsfreie Hierarchie von Normen und Werten sperrt. Auf Programmebene sind es dann Preismechanismen („polluter pays“), Machtunterschiede (grüne Themen in schwarz-rot-gelber Hand), Nicht-Wissen (epistemische Unsicherheiten) oder rechtliche Paradoxien, die Anpassungsprozesse provozieren. Eine Änderung der Programme von Funktionssystemen geschieht – im laufenden Betrieb – nicht in Orientierung an ökologischen Problemen. Die Möglichkeit einer Ausdifferenzierung von Systemen gegenüber ihrer Umwelt und die damit einhergehende Leistungsfähigkeit von Funktionssystemen, wie Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Recht u. a., wird durch eine extreme Spezifikation von internen Problembearbeitungskapazitäten (Selbstreferenz) und ebenfalls intern generierten Umweltsensibilitäten (Fremdreferenz), also durch ein hohes Maß an Indifferenz gegenüber allen anderen gleichzeitig vorkommenden Umweltsachverhalten erkauft.

Die „Ökologische Kommunikation“ hat seit dem Erscheinen 1986 einige innovative theoretische Ideen in die Diskussion eingeführt, aber auch einige Fragen – als ungelöste Forschungsprobleme – offen gelassen. Wenn Luhmann behauptet: „Ökologische Kommunikation kann sich daher nur nach Maßgabe der wichtigsten Funktionssysteme wie Politik, Recht, Wirtschaft, Wissenschaft, Erziehung, Religion entwickeln – oder im Protest gegen diese Systeme. In beiden Fällen besteht die doppelte Gefahr von zuwenig und zuviel Resonanz“, was ist dann mit zu viel Resonanz gemeint? Muss man sich vorstellen, dass die Aufschaukelung von Effekten zu Blockaden von Systemoperationen führt? In etwa wie die Gefahr einer umfangreichen Blockade der Kreditvergabe nach einer Bankenkrise, die eine gesamtwirtschaftliche Krise auslösen kann? Könnte man äquivalent zu den „tipping points“, die Forscher für Ökosysteme vermuten, ebenso für soziale Systeme Umschlagpunkte angeben, die bei Erreichung irreversible Strukturänderungen nach sich ziehen? Ist gar der (katastrophale) Fall von umfassender Entdifferenzierung denkbar, wenn alle gesellschaftlichen Operationen auf eine (ökologische) Hinsicht ausgerichtet werden? Und was ist mit zu wenig Resonanz gemeint? Wie kann man eine solche feststellen? Luhmanns Argument bleibt hier vage und gewinnt seine Plausibilität allein aus der Verneinung von genau richtiger Resonanz. Man kann sagen: Zu viel und zu wenig sind beobachterabhängige Einschätzungen. Sie vollziehen sich in der Wirtschaft anders als in der Wissenschaft. Wenn dies wiederum beobachtet wird, befinden wir uns in den Rekursionen der Beobachtung zweiter Ordnung – also ohne festen Boden unter den Füßen, bis auf die „Eigenwerte“ dieser Rekursionen selbst. [2]

„Richtige“ und „angemessene“ Resonanz wird nicht feststellbar sein. Je nach gesellschaftlichem Beobachter wird nicht genug oder zu viel reklamiert. Hier bleibt nur die Möglichkeit, eine Einschätzung ex post zu geben. Heute ist man überzeugt, dass die Verbannung des die Ozonschicht schädigenden FCKWs richtig war und nicht zu durchgreifenden Störungen wirtschaftlich-technischer Entwicklungen geführt hat. Man spricht von einer vorbildhaften Erfolgsgeschichte. Von den ersten Warnungen in den 1970er Jahren bis zu den Erhärtungen von Evidenzen Mitte der 1980er Jahre herrschte keine Gewissheit über die Gefährlichkeit von FCKWs, weshalb das Thema lange Zeit international kontrovers diskutiert wurde, bevor es zu einer Übereinkunft kam. [3] Im Jahre 1987 wurde im Montrealer Protokoll über die Regulierung von stratosphärisches Ozon schädigenden Stoffen eine völkerrechtliche Übereinkunft geschlossen. Aktuell erfährt man, dass für einige Nationen bis heute Ausnahmeregelungen für die Herstellung und Eigennutzung von FCKWs gelten, die zu illegalen Ex- und Importen (aus China nach Europa) verleiten. [4] Gleichzeitig wird festgestellt, dass die Wiederherstellung der Ozonschicht länger dauern wird als angenommen. [5] Erfolgsgeschichten als „hinreichende Resonanz“ manifestieren sich immer nur in der Rückschau und erscheinen auch dann noch als fragil. Man gewinnt den Eindruck, dass das Argument der „Resonanz“ in gleicher Weise unbestimmt bleibt wie z. B. ein Leitbild der Nachhaltigkeit, bei dem ebenfalls ex ante kaum angebbar ist, wann diese erreicht ist.

Anlass genug, um Niklas Luhmanns Thesen aus „Ökologische Kommunikation“ mit Blick auf die aktuellen Entwicklungen auf ihre Plausibilität hin zu diskutieren. Wir haben den vorliegenden Band dazu in drei größere Themenblöcke unterteilt:

  1. Ökologischen Themen
  2. Resonanz gesellschaftlicher Funktionssysteme
  3. Gesamtgesellschaftliche Resonanz

 

1.     Ökologischen Themen

Gleich zu Beginn dieses Bandes sollen aktuelle Themen ökologischer Kommunikation diskutiert werden. Christian Büscher zeigt in seinem Beitrag auf, welche Formen „ökologische Aufklärung“ in aktuellen Publikationen annimmt, und welche Geltungsansprüche dabei an welche Adresse gerichtet sind. Anschließend veranschaulichen Achim Daschkeit und Wolf R. Dombrowsky, wie die Thematisierung eines anthropogenen Klimawandels zu einer Bündelung gesellschaftlicher Kommunikation geführt hat. Jost Halfmann diskutiert die Möglichkeit gesellschaftlicher Selbstgefährdung durch den Einsatz und die Verbreitung von Hochtechnologien.

2.     Resonanz gesellschaftlicher Funktionssysteme

Die nachfolgenden Beiträge analysieren, wie ökologische Probleme in jedem Funktionssystem eigene Resonanzen auslösen, die von keinem Punkt der Gesellschaft, die bekanntlich ohne Zentrum und Hierarchie auskommt, gesteuert oder geplant werden kann. Vielmehr bewegen sich die beobachtbaren Resonanzformen in den Funktionssystemen im Kontext von Autonomiebestrebungen, die gegenüber externen Erwartungen Indifferenz und systemintern gefilterte Entsprechungen bereithalten. [6]

Wirtschaft

Für die Wirtschaft werden an Veränderungen in den Konsum- und Produktionsmustern Tendenzen einer „Moralisierung der Märkte“ festgemacht, wie es beispielsweise Nico Stehr behauptet. [7] Genauso gut ließe sich aber behaupten, dass ökologische Probleme als ökonomische Probleme behandelt werden, auch wenn es Verschiebungen in dem Gebrauch von Semantiken gegeben hat. Das Leitbild der Nachhaltigkeit kann zur „Suffizienz“ anhalten, aber auch als Argument für einen gesteigerten Konsum oder für eine gesteigerte Produktion herhalten: z. B. für Automobilhersteller, um die Kundschaft aufzufordern, ein moderneres und sparsameres Auto anzuschaffen. Dazu wurde in jüngster Zeit sogar eine neue Symbolik eingeführt. Die Farbe Blau (gleich sauber?) löst Grün als Zeichen für einen die natürliche Umwelt schonenden Umgang ab. Es werden nun „blue efficiency“- oder „blue motion“-Modelle angepriesen, die älteren Modellen ökologisch einiges voraushaben. Der Konsum neuer Technik wird dann geradezu zur moralischen Notwendigkeit, um die ökologische Krise abwenden zu können. Könnte man also von einer „Vermarktung der Moral“ sprechen? Anita Engels geht in ihrem Beitrag den Einflüssen von Themen der ökologischen Modernisierung, des ökologischen Konsums und des cooperate greening nach. Sie vertritt die These, dass Umweltthemen durch die Wirtschaft absorbiert wurden, ohne dass es zu wesentlichen Überforderungen (zu viel Resonanz) gekommen wäre.

Recht

Die Frage, wie sich das Rechtssystem der Gesellschaft auf ökologische Problemstellungen einstellt, lässt sich an der Paradoxie des „Vorsorgeprinzips“ ausführen. Vorsorge zielt auf einen Gefahrenbereich, der bereits dort ansetzt, wo aus Gründen der Vorsicht mehr getan werden muss, als derzeit nachgewiesen werden kann. „Es sind – eben als Vorrat – vorbeugend Sicherheitsabstände und Freiräume für erst künftig möglicherweise erkennbare Risiken zu lassen.“ [8] Dies kommt einer Aufforderung zum Handeln gleich, ohne ex ante über mögliche Gefahren Bescheid zu wissen und ohne ex post den Erfolg der Handlung überprüfen zu können. Dem Recht entstehen daraus offensichtlich unterschiedliche Probleme. Einmal in Form der Abgrenzung eines rechtlichen von einem politischen Prinzip, dann in der Eingliederung des Vorsorgeprinzips in ein umfassendes Rechtsgebilde, also im Abgleich mit der bestehenden Rechtsordnung, [9] sowie in der konkreten Exekutierung von Vorsorge, die oftmals wieder an die Politik zurückgespielt und an parlamentarische Mehrheiten geknüpft wird. [10] Diese Aspekte des rechtlichen Umgangs mit vorsorglichem Regelungsbedarf weisen auf soziologisch interessante Fragestellungen hin: Wie gelingt es dem Rechtssystem der Gesellschaft, vor dem Hintergrund von Nicht-Wissen und Unsicherheit zu rechtlich haltbaren Festlegungen zu gelangen? Welche rechtlichen Mechanismen haben sich dazu herausgebildet? Gibt es unter Umständen Anzeichen für eine Überforderung des Rechts (als Ausdruck von zu viel Resonanz), z. B. in Form einer Gefährdung der Geltung anderer Rechtsprinzipien oder in Form der Destabilisierung von rechtlich fixierten Erwartungen in anderen Gesellschaftsbereichen? Oder gibt es Anzeichen der Indifferenz gegenüber dem Vorsorgeprinzip (als Ausdruck von zuwenig Resonanz)? KarlHeinz Ladeur führt an dem Thema der „Nanotechnologie“ die Probleme des Rechtssystems im Spannungsfeld von Nicht-Wissen und rechtlicher Entscheidungsfindung aus.

Wissenschaft

Eine ähnliche Problemstellung lässt sich auch für die Wissenschaft ausmachen. Einerseits trägt sie zu einer möglichen ökologischen Selbstgefährdung der Gesellschaft bei, andererseits wird wissenschaftliches Wissen zur Lösung dieser selbsterzeugten Probleme herangezogen. Mehr und mehr scheint sich Wissenschaft an extern formulierte Erwartungen anzupassen. Sie lässt sich immer mehr auf Verfahren der vermeintlichen Inklusion von Begleitforschung (z. B. „The Ethical, Legal and Social Implications [ELSI] Research Program“ [11] ) und „Öffentlichkeit“ bzw. „Laien“-Wissen in die Forschung ein (Stichwort: „Wissenspolitik“). Hier kann man erwarten, dass Wissenschaft (und ihre Organisationen) „bloß“ symbolische Formalstrukturen ausbilden (Öffentlichkeitsarbeit, Partizipation etc.), die Erwartungsentsprechung signalisieren und dadurch die eigentlichen Forschungsprozesse schützen. Gleichzeitig ist anzunehmen, dass Wissenschaft Tendenzen entwickelt, ihr Mandat (die Erzeugung hypothetischen Wissens) zu überziehen und die Erarbeitung von Handlungsanweisungen für „Entscheidungsträger“ zu versprechen, die in der Regel nicht aus der Wissenschaft kommen. Jenseits von wissenschaftlicher Expertise beziehen gerade interdisziplinäre Forschungsvorhaben so genannte Stakeholder oder Praxispartner in den Forschungsprozess mit ein (vor allem in der „sozialökologischen Forschung“), um die Anschlussfähigkeit der wissenschaftlichen Wissensproduktion in den relevanten Praxisfeldern nicht aus den Augen zu verlieren. [12] Beide Entwicklungen, wenn sie denn wissenschafts-soziologisch beschreibbar sind, könnten als spezifische Resonanz der Wissenschaft auf die gesellschaftliche Thematisierung ökologischer Selbstgefährdungspotentiale interpretiert werden, wie Peter Weingart in diesem Band aufzeigt. Zum einen reagiert Wissenschaft auf die Forderung nach Folgenreflexion – oft als Mitberücksichtigung von Ethik – und zum anderen versucht Wissenschaft Problemlösungen durch die Mitberücksichtigung von externen Entscheidungskontexten „mundgerecht“ zuzubereiten. Es stellt sich die Frage, inwieweit diese Entwicklungen Einfluss auf die wissenschaftliche Wissensproduktion haben, z. B. indem wissenschaftliche Gütekriterien zugunsten von normativen Orientierungen abgeschwächt werden (im Sinne von zu viel Resonanz).

Politik

Bis heute besteht eine starke Erwartung, dass Politik Probleme angehen und lösen soll, die woanders entstehen und dort nicht geregelt werden. Luhmann prognostizierte diesbezüglich ein Changieren zwischen Überschätzung und Resignation. Die spezifische Resonanzfähigkeit besteht in der Politik im (drohenden) Wechsel von Regierungen, Parteien und Programmen in Abhängigkeit von der Beobachtung einer „öffentlichen Meinung“. Man kann sicherlich sagen, dass soziale Bewegungen im Zusammenspiel mit den Massenmedien ökologischen Problemen zu einer gewissen Daueraufmerksamkeit verholfen haben. Das hat auch dazu geführt, dass sich stark ökologisch ausgerichtete politische Parteien etabliert haben. Luhmann argumentierte hinsichtlich „grüner Parteien“, dass sie zu prinzipienstabil und deshalb zu wenig anschlussfähig für den Politikbetrieb seien. „Sie haben völlig recht mit ihren Prinzipien, man kann ihnen nur nicht zuhören.“ Er vermutete, dass sie einige Prinzipien fallen lassen müssten, wenn sie politische Ämter ausfüllen und regieren wollten. [13] Wie Helmut Wiesenthal in seinem Beitrag nachzeichnet, gehören ökologische Themen inzwischen zum Programm aller Parteien in Deutschland. „Grüne Themen“ sind offensichtlich zu einem festen Bestandteil von Machtkalkülen geworden, was eine Thematisierung durch alle Parteien hindurch zwingend notwendig erscheinen lässt. Die Themenkonkurrenz, der die Parteien ausgeliefert sind, moderiert dann gleichsam die mögliche Resonanz ökologischer Thematisierung.

Erziehung

In Diskussionen um eine mögliche ökologische Selbstgefährdung der modernen Gesellschaft wird nicht selten auf das Argument verwiesen, dass ein ökologisch korrektes, nachhaltiges Handeln einzelner Personen aktuelle Probleme mindern oder gar verhindern könnte. Es liegt nahe, solche Erwartungen der Verhaltensänderung bzw. -steuerung als Aufgabe von Erziehung und Pädagogik zu formulieren. Wenn man die Aufgabe von Erziehung als „Vermittlung“ von Wissen und Können beschreibt, dann muss in den verschiedenen Stadien des Heranwachsens relevantes Wissen von irrelevantem Wissen unterschieden werden, immer in Bezug auf den in Zukunft zu erwartenden Lebenslauf von Personen. Die Vermittlung von Fähigkeiten der Teilnahme an Kommunikation (Sprach-, Lese- und Schreibvermögen) ist in ihrer Notwendigkeit sicherlich unstrittig. Aber schon die Vermittlung von Spezialwissen zur Berufsvorbereitung hat mit der Unsicherheit zu kämpfen, ob diese Fähigkeiten auch in Zukunft nachgefragt werden. Das Wissen über die Zusammenhänge von Gesellschaft und der natürlichen Umwelt (als natürliche Lebensgrundlage und Voraussetzung ihrer Reproduktion) ist von einem hohen Maß an Nichtwissen begleitet, das uns oft als Überraschung heimsucht (FCKW, BSE, Klimawandel etc.). Je tiefer die Wissenschaften in diese Zusammenhänge Einsicht erlangen, desto mehr Fragen scheinen sich zu ergeben. Wie kann vor diesem Hintergrund Erziehung ökologisches Wissen vermitteln, das permanent unter dem Vorbehalt der Entdeckung nichtintendierter Folgen steht, welche die guten Absichten desavouieren? Wie reflektiert die Pädagogik das Problem, dass Erziehung ständig wechselnde ökologische Problemstellungen berücksichtigen sollte, wenn sie auf Verhaltensänderung abzielt? Dietmar Bolscho versucht in dieser Hinsicht eine Antwort zu geben, indem er darlegt, wie sich der gesellschaftliche Funktionsbereich der Erziehung auf das Problem der ökologischen Krise eingelassen hat.

3.     Gesamtgesellschaftliche Resonanz

Im Sinne einer gesamtgesellschaftlichen „Ökobilanz“ fragen die drei abschließenden Beiträge danach, ob sich Formen der Resonanz beobachten lassen, die alle Funktionsbereiche der Gesellschaft übergreifen, also „quer“ zu diesen in Erscheinung treten.

Individuelles Umwelthandeln

Ebenso wie im Fall der Erziehung, aber doch breitenwirksam ausgelegt, werden Appelle im Hinblick auf einen ökologischen Lebensstil formuliert. Diese führen oft zu einer Moralisierung der ökologischen Diskurse. Massenmedial vermittelt, durch wissenschaftliches Wissen angereichert, ergehen Aufforderungen zu einem anderen Konsumverhalten und anderen Lebensstilen. Armin Grunwald reflektiert die Probleme des individuellen Versuchs, sich ökologisch korrekt bzw. nachhaltig zu verhalten, wobei sich die Einzelnen nicht selten in Widersprüche verstricken und schon gar nicht die ökologischen Konsequenzen ihres Tuns in der gesamten Tragweite abschätzen können.

Beratung der Gesellschaft

Anhand der ökologischen Problematik diskutiert Isabel Kusche die Möglichkeit einer Beratung der Gesellschaft. Die Komplexität ökologischer Zusammenhänge verschärft die Probleme des wissenschaftlichen Expertendissenses und der Übersetzbarkeit von Erkenntnissen, während gleichzeitig alle gesellschaftlichen Bereiche als Zurechnungspunkt für Umweltschäden und damit als Adressat von Beratung in Frage kommen. Wie Luhmann in „Ökologische Kommunikation“ konstatiert hat, können ökologische Probleme gesellschaftliche Resonanz nur auf dem Weg über die Resonanz in einzelnen Funktionssystemen hervorrufen. Das begrenzt prinzipiell die Möglichkeiten ökologischer Politikberatung. Die Suche nach Möglichkeiten, die Grenzen der Funktionssysteme zu überschreiten, bedient sich eines Stichwortes wie „Gesellschaftsberatung“. Ohne diese Konsequenz explizit zu machen, münden entsprechende Versuche darin, der Wissenschaft oder den Massenmedien oder beiden Funktionssystemen eine privilegierte Rolle in der funktional differenzierten Gesellschaft zuzuordnen. Es sei denn, man begibt sich auf die Suche nach einer Gesellschaft jenseits der Funktionssysteme, die sich jedoch nur in hochartifizieller Form mittels Verfahren (z. B. Partizipation) konstruieren lässt, deren Stellvertreterrolle für die Gesellschaft paradoxerweise gerade darauf beruht, auf jede Anbindung an politische Verfahren, die Resonanz im politischen System ermöglichen könnte, zu verzichten.

Authentizität ökologischer Kommunikation

Zum Abschluss dieses Bandes fragt Klaus Peter Japp nach den Bedingungen der Möglichkeit „authentischer Kommunikation“ im Diskurs um die ökologische Krise. Die moderne Gesellschaft behindert authentische Kommunikation, sofern sie Hinweisen darauf, dass man es ernst meine, mit Motivverdacht begegnet. Dieser macht sich nicht nur in den Massenmedien breit, sondern besonders auch im politischen System und natürlich mit Bezug auf corporate responsibility in der Wirtschaft. Das hier passende Stichwort ist das der hypocrisy. [14] Parteien und Wirtschaftsunternehmen werden unter Druck gesetzt, in ökologischer Hinsicht authentisch zu kommunizieren. Diese paradoxe Situation – authentisch kommunizieren zu sollen und womöglich zu wollen, es aber nicht wirklich zu können –führt zu einer Schere zwischen Darstellung und Herstellung besonders im Hinblick auf Entscheidungen und deren „ökologische Kommunikation“. Man kann in diesem Kontext beobachten, wie „Authentizität“ zu einem Primärwert in allen Funktionsbereichen avanciert und „Rationalität“ gleichsam zu einem angestaubten Altvorderen relativiert wird. Aber darin liegt natürlich keine Garantie für weder zu viel noch zu wenig Resonanz. Vielmehr sieht es so aus, als würden beide Seiten gesteigert.


Danksagung

Die Fertigstellung dieses Bandes verdankt sich unterschiedlichen Personen und Institutionen. Im Frühjahr 2009 sind die Autorinnen und Autoren auf einem Workshop in Hamburg zusammengekommen, um in kollegialer Runde Form und Inhalt dieses Bandes zu diskutieren. Wir danken der Universität Hamburg für die Bereitstellung der Räumlichkeiten und Anita Engels für die Organisation. Dieses Treffen ist nur durch die finanzielle Unterstützung des Instituts für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) möglich gewesen. Für seine Diskussionsbereitschaft danken wir neben den Autorinnen und Autoren dieses Bandes vor allem Gotthard Bechmann (der unwissentlich zum Gelingen des Bandes beigetragen hat), Carsten Orwat und, ganz zu Beginn für seine Ermunterung zur Durchführung dieses Projekts, Christof Schiene. Andre Meyer danken wir für seine Hilfe bei der Überarbeitung der Literaturverzeichnisse. Für ihr gründliches und verständnisvolles Korrektorat danken wir Ingrid Walther vom VS-Verlag. Verbliebene Fehler liegen selbstverständlich in unserer Verantwortung.


Dieser Band ist Gotthard Bechmann gewidmet, dem die Herausgeber in dem einen Fall mit freundschaftlicher Kollegialität und in dem anderen Fall in kollegialer Freundschaft verbunden sind. Gotthard Bechmann verlässt im Sommer 2010 das ITAS am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und wechselt in den Ruhestand.

Karlsruhe und Bielefeld im März 2010

Christian Büscher / Klaus Peter Japp


Anmerkungen

[1] Vgl. Luhmann, Niklas, 1986: Ökologische Kommunikation. Kann die moderne Gesellschaft sich auf ökologische Gefährdungen einstellen?; Opladen: Westdeutscher Verlag.

[2] Luhmann, Niklas, 1992: Kontingenz als Eigenwert der modernen Gesellschaft, in: Luhmann, Niklas: Beobachtungen der Moderne; Opladen: Westdeutscher Verlag, S. 100 f.

[3] Downing, Thomas E./Kates, Robert W., 1982: The International Response to the Threat of Chlorofluorocarbons to Atmospheric Ozone; in: American Economic Review, Band 72, Nr. 2, S. 267-272.

[4] Nach den Recherchen der „Environmental Investigation Agency“, einer Umweltorganisation aus London, wurden in den letzten Jahren hunderte von Tonnen FCKW aus China illegal nach Europa geschmuggelt
[ http://www.eia-international.org/campaigns/global_environment/ ] : 01.12.2009.

[5] Vgl. die World Meteorological Organization: „Longterm recovery of the ozone layer from the effects of ozonedepleting substances is expected to span much of the 21st century and is estimated to occur later than projected in the previous Assessment 2002“ (WMO/UNEP, 2007: Scientific Assessment of Ozone Depletion: 2006 [Executive Summary]; World Meteorological Organization/United Nations Environment Programme [WMO/UNEP];
[ http://www.wmo.ch/pages/prog/arep/gaw/ozone_2006/ozone_asst_report.html ] ; 05.03.2010; S. 35).

[6] Die Herausgeber mussten mit großem Bedauern darauf verzichten, Systeme wie die Kunst, Sport oder auch die Religion einzubeziehen. Entweder mangelte es an Autoren oder an deren Ausdauer.

[7] Stehr, Nico, 2007: Die Moralisierung der Märkte. Eine Gesellschaftstheorie; Frankfurt am Main: Suhrkamp.

[8] Calliess, Christian, 2006: Inhalt, Struktur und Vorgaben des Vorsorgeprinzips im Kontext der Gestaltung des Umweltrechts; in: Hendler, Reinhard/Marburger, Peter/Reinhardt, Michael/Schröder, Meinhard [Hrsg.]: Jahrbuch des Umwelt- und Technikrechts 2006; Berlin: Erich-Schmidt Verlag, S. 89-145.; S. 96.

[9] Vgl. Di Fabio, Udo, 1997: Voraussetzungen und Grenzen des umweltrechtlichen Vorsorgeprinzips; in: Kley, Max Dietrich/Sünner, Eckart/Willemsen, Arnold [Hrsg.]: Festschrift für Wolfgang Ritter; Köln: Schmidt, S. 807-838.

[10] Vgl. Lübbe-Wolf, Gertrude, 1998: Präventiver Umweltschutz – Auftrag und Grenzen des Vorsorgeprinzips im deutschen und im europäischen Recht; in: Bizer, Johannes [Hrsg.]: Sicherheit, Vielfalt, Solidarität: ein neues Paradigma des Verfassungsrechts?; Baden-Baden: Nomos, S. 47-74.

[11] [ http://www.genome.gov/ ] 10001618; 10.02.2010.

[12] Becker, Egon/Jahn, Thomas, 2006: Soziale Ökologie: Grundzüge einer Wissenschaft von den gesellschaftlichen Naturverhältnissen; Frankfurt am Main [u. a.]: Campus-Verlag.

[13] Luhmann, Niklas, 1986: Ökologische Kommunikation. Kann die moderne Gesellschaft sich auf ökologische Gefährdungen einstellen?; Opladen: Westdeutscher Verlag; S. 176 f.

[14] Brunsson, Nils, 1989: The Organization of Hypocrisy; Chichester et al.: Wiley.

 

Erstellt am: 23.07.2010 - Kommentare an: webmaster