Stephan Lange

Systemanalytische Untersuchung zur Schnellpyrolyse
als Prozessschritt bei der Produktion von Synthesekraftstoffen aus Stroh und Waldrestholz

Karlsruhe: Universitätsverlag Karlsruhe 2008, ISBN 978-3-86644-262-7, 159 Seiten, 28,90 Euro
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ZUSAMMENFASSUNG

In der vorliegenden Arbeit wurde das Schnellpyrolyse-Verfahren des Forschungszentrums Karlsruhe systemanalytisch untersucht und in den Prozess der Produktion von Synthesekraftstoffen aus Stroh und Waldrestholz eingebunden. Das Gesamtverfahren befindet sich in einem frühen Stadium der Entwicklung. Eine Bewertung und Einordnung des Schnellpyrolyse-Verfahrens war aufgrund von Wissensdefiziten bislang nicht möglich. In der Problemstellung wurden Fragen formuliert, die die wesentlichen Wissensdefizite zusammenfassen. Die Fragen wurden in der Arbeit mit wissenschaftlicher Methodik beantwortet.

Die Arbeit konzentrierte sich auf die Erarbeitung der technischen und ökonomischen Kenngrößen des Verfahrens. Die systemanalytische Vorgehensweise unterscheidet sich dabei von der Vorgehensweise einer techno-ökonomischen Analyse in der Weise, dass im ersten Fall die Definition, Beschreibung und Erläuterung des System bzw. des Modells, auf dem die Analyse aufbaut, aufgrund des frühen Entwicklungsstands einen wesentlich größeren Umfang einnimmt als im zweiten Fall, wo die Entwicklung meistens schon weiter vorangeschritten ist.

Als erstes wurden der Stand der Schnellpyrolyse erarbeitet und das zu untersuchende Anlagenmodell definiert. Dabei wurden bestehende verfahrenstechnische Unsicherheiten durch Annahmen ersetzt, die durch Experteninterviews auf Plausibilität überprüft wurden.

Anschließend daran wurde das Berechnungsmodell aufgebaut. Hier wurden u.a. Lernkurven als methodisches Werkzeug zur Abschätzung von mittelfristigen Produktkosten eingeführt. Eine einheitliche methodische Vorgehensweise bei der Anwendung von Lernkurven auf neue Verfahren fehlte bislang, so dass hier eine ausführliche Analyse der Lernkurven-Theorie stattgefunden hat. Darüber hinaus wurde ein Richtwert für den Fortschrittsfaktor von Schnellpyrolyse-Anlagen abgeleitet.

Die untersuchten Lernkurven zeigen, dass sich erst bei einer Betrachtung von 10 bis 20 Jahren der formelmäßige Zusammenhang heraus kristallisiert. Dabei sollte die Anzahl der untersuchten Anlagen größer als 10 sein und ein kontinuierlicher Zubau stattfinden, d.h. ein Zubau mit Zeitverzug. Bei gleichzeitigem Aufbau von mehreren Anlagen macht sich der Lerneffekt erst Jahre später bemerkbar. Dies bedeutet, dass beim Arbeiten mit Lernkurven immer ein detailliertes Szenario benötigt wird.

Durch Anlagenvergrößerung während des Zubaus werden Lerneffekte durch Skaleneffekte überlagert und verzerrt. Dies muss bei der Abschätzung von Lernen in Produktionssystemen berücksichtigt werden.

Aufgrund der hier gewonnenen Erkenntnisse wurde ein neuer Typ Lernkurve eingeführt, der bis auf die Kosten für die Edukte alle Kostenblöcke beinhaltet. Auf der einen Seite werden die Lernkurven durch Veränderungen der Eduktkosten nicht verzerrt, auf der anderen Seite werden alle sonstigen Kostenblöcke berücksichtigt, in denen Lernen stattfinden kann.

Mit dem Anlagen- und Berechnungsmodell wurde die Prozesskettenanalyse durchgeführt. Die Ergebnisse dieser Prozesskettenanalyse wurden mit Sankeydiagrammen und Kostenstrukturdiagrammen dargestellt und diskutiert. Die Hauptaufgabe bestand hier in der Datensammlung und -generierung. Die Ergebnisse wurden durch eine Sensitivitätsanalyse bewertet. So wurde hierdurch der Einfluss von Unsicherheiten auf das Gesamtergebnis sichtbar.

Nach der Schnellpyrolyse wurde die Anlage zur Produktion von Synthesekraftstoffen aus Pyrolyseslurry nach dem gleichen Schema analysiert. Aufgrund der Schwerpunktsetzung der Arbeit war hier der Detaillierungsgrad geringer.

Als allgemeines Ergebnis ist festzuhalten, dass die Schnellpyrolyse ein Verfahren ist, mit dem die Synthesegaserzeugung aus Biomasse für einen großen Leistungsmaßstab realisierbar werden kann. Hierfür sind vor allem die folgenden zwei Tatsachen verantwortlich:

Ein Vergleich des Verfahrens des Forschungszentrums Karlsruhe zur Produktion von Synthesekraftstoffen aus Biomasse mit weiteren Verfahren zur Produktion dieser Kraftstoffe, die sich ebenfalls in der Entwicklung befinden, bzgl. Wirkungsgrade, Produktionskosten, Scale-up-Möglichkeiten steht noch aus. Die in dieser Arbeit bereitgestellten Daten, sowie das Berechnungsmodell eignen sich als Grundlage für einen solchen einheitlichen Vergleich.

Die durchgeführte Analyse des technischen Stands der Schnellpyrolyse ergab, dass bei den Verfahrensausführungen noch etliche Fragen offen sind. So ist etwa der Einsatz von Sand als Wärmeträgermedium fraglich, weil noch nicht geklärt ist, inwieweit Sand bei der Vergasung Probleme bereitet. Die Auswirkungen auf die Kenngrößen der Modellanlage beim Umstieg von Sand auf z.B. Stahlkugeln wurden qualitativ abgeschätzt und als niedrig eingestuft. Größere Auswirkungen einer solchen Umstellung ergeben sich in der momentanen Entwicklung des Verfahrens. Durch den Umbau der Pilotanlage würden hier höhere Kosten auf die Entwicklung zu kommen, und die Entwicklung würde sich zeitlich verschieben. Insgesamt wurden keine KO-Kriterien gefunden, die gegen die weitere Entwicklung der Schnellpyrolyse nach dem Konzept des Forschungszentrums Karlsruhe sprechen.

Die Entwicklung des Schnellpyrolyse-Verfahrens wird noch einige Zeit in Anspruch nehmen. Nach einer Analyse der Dauer der Entwicklung bei anderen Schnellpyrolyse-Verfahren ist mit mindestens zwei Jahren pro Entwicklungsphase zur rechnen, so dass im Jahr 2010 die Demonstration des Verfahrens möglich ist.

Der Vergleich von Stroh und Waldrestholz als Einsatzstoff für die Schnellpyrolyse ergab, dass die Produkte der Schnellpyrolyse aus Waldrestholz qualitativ besser sind und sich so Vorteile bei der Lagerung und dem Transport von Slurry aus Waldrestholz gegenüber Slurry aus Stroh ergeben. Der Nachteil des Einsatzes von Waldrestholz gegenüber Stroh ist der wesentlich höhere Energiebedarf zur Trocknung.

Die Energiebilanz der Schnellpyrolyse für Stroh und Waldrestholz zeigt, dass der energetische Wirkungsgrad über die Anlagengrenze (Energie Slurry/Energie der zu pyrolysierenden Biomasse(roh)) mit 91 bzw. 97 % bei Stroh bzw. Waldrestholz im Vergleich zu anderen Konversionsverfahren hoch ist. Dies trifft auch noch zu, wenn der energetische Wirkungsgrad über die Grenze der Schnellpyrolyseeinheit (Energie Slurry/Energie der zu pyrolysierenden Biomasse(getr))herangezogen wird, der für Stroh und Waldrestholz bei ca. 90 % liegt.

Für den Prozess wird jedoch zusätzlich Energie für Wärme und Elektrizität benötigt. Der Bedarf an zusätzlicher Primärenergie liegt bei 19 bzw. 27 % der Energie des zu pyrolysierenden Strohs bzw. Waldrestholz im Rohzustand (Energie für Prozess/Energie der zu pyrolysierende Biomasse(roh)). Der Anlagenwirkungsgrad der Schnellpyrolyse-Anlagen (Energie Slurry/(Energie der zu pyrolysierenden Biomasse(roh)+Energie für Prozess) beträgt dann ca. 76,5 %, womit der hohe energetische Wirkungsgrad der Schnellpyrolyse wieder relativiert wird. Die Massen- und die Energiebilanz lässt sich auf die weiteren Schnellpyrolyse- Verfahren, die Sand als Wärmeträger einsetzen, in erster Näherung übertragen.

Die Kosten für Slurry werden zu Beginn der Produktion zwischen 37 und 45 €/MWh bzw. zwischen 10 €/GJ und 13 €/GJ liegen, je nachdem welche Anlagengröße und welcher Einsatzstoff zugrunde gelegt wird. Wegen der existierenden Unsicherheiten beim jetzigen Stand der Entwicklung wird von einer Bandbreite der dargestellten Kosten von ± 20 % ausgegangen. Der Hauptteil der Kosten (50-70 %) wird durch die Bereitstellung von Stroh und Waldrestholz verursacht. Durch den gemeinsamen Einsatz von Stroh und Waldrestholz in der gleichen Anlage werden die Bereitstellungskosten von Stroh und Waldrestholz frei Anlage reduziert, weil das Erfassungsgebiet der Biomasse kleiner wird. Diese Option muss in der weiteren Entwicklung wirtschaftlich bewertet werden.

Nach dem erarbeiteten Lernkurventyp und dem aufgebauten Szenario (Aufbau von Schnellpyrolyse-Anlagen mit einer kumulierten Kapazität von 3000 MWin bis 2020) sinken die Kosten für Slurry mittelfristig auf 31 bis 34 €/MWh bzw. 8,6 bis 9,4 €/GJ, je nach Einsatzstoff und Anlagengröße. Die Analyse von Produktionssystemen bzgl. ihres Lernpotenzials deutet an, dass die mittelfristigen Kosten für die Slurry bei kontinuierlicher Produktion und einem weiteren Ausbau der Kapazität weiter reduziert werden können.

Nach dem Szenario sind Anlagen mit einer Größe von 100 bis 200 MW am günstigsten. Bei der Wahl der Anlagengröße, stellt sich die Frage nach dem realistischen Zubau von Anlagen pro Jahr. Unter Einbeziehung des Stands der Technik und dem daraus resultierenden Zeitraum wird hier von einem Zubau von 200-MWin-Anlagen ausgegangen, auch weil die Slurrykosten dieser ersten Anlage günstiger sind als die der kleineren Anlagen.

Bei einer 200-MWin-Anlage handelt es sich um eine regionale Anlage, so dass diese Schnellpyrolyse-Anlage in das Konzept des Forschungszentrums Karlsruhe passt. Welche Standorte für diese Anlagen in Betracht kommen, muss noch geklärt werden. Vor allem das Biomasseaufkommen und deren Kosten in der Region, sowie die Verkehrsinfrastruktur werden die Standortwahl beeinflussen. Nicht zu vernachlässigen sind die Sicherheitsbestimmungen, die eine solche Anlage erfüllen muss. In diesem Zusammenhang sollte das Genehmigungsverfahren einer solchen Anlage in der weiteren Entwicklung analysiert werden, um die Entwicklungsarbeiten zielorientiert durchführen zu können.

Als Prozessschritt bei der Produktion von Synthesekraftstoffen aus Stroh und Waldrestholz bietet die Schnellpyrolyse nach den vorliegenden Erkenntnissen erhebliches Potenzial, allerdings besteht für dessen Erschließung noch ein großer F&E- und Demonstrationsbedarf.

Die Entwicklung der Prozessschritte der Vergasung bis zur Kraftstoffaufbereitung ist wesentlich weiter vorangeschritten als die Entwicklung der Schnellpyrolyse. Der Großteil der Verfahren steht großtechnisch zur Verfügung. Für die Abschätzung der technischen und ökonomischen Kenngrößen standen daher belastbare Richtwerte zur Verfügung.

Mit den getroffenen Annahmen lassen sich mit dem Konzept des Forschungszentrums Karlsruhe Produktkosten für Synthesekraftstoffe aus regionaler Biomasse mittelfristig von unter einem Euro pro Liter realisieren. Zu Beginn der Produktion werden die Kosten für einen Liter Synthesekraftstoff jedoch ca. 2,5- mal höher sein als die Produktkosten für Mineralöldiesel bei einem Rohölpreis von 65 $/bbl. Zu berücksichtigen ist hierbei jedoch, dass Stroh und Waldrestholz aus der regionalen Umgebung der Schnellpyrolyse-Anlagen herangezogen wird, welches nicht die billigste Biomasse darstellt. Aber nur mit dieser Biomasse lässt sich die Importabhängigkeit von Energieträgern in Deutschland und der EU verringern.

Bei Synthesekraftstoffen handelt es sich um qualitativ hochwertige Kraftstoffe, für die höhere Preise erzielt werden können. Erste Untersuchungen legen nahe, dass Kraftstoffen, denen 20 bis 50 % Synthesekraftstoff zum Mineralölkraftstoff beigemischt werden, Vorteile bei den Emissionen bringen und zudem der spezifische Verbrauch gesenkt werden kann. Solche Kraftstoffe mit Synthesekraftstoffen aus Pyrolyseslurry sind 0,06 bis 0,16 €/l teurer als konventionelle Kraftstoffe (Rohölpreis 100 $/bbl und eine Anlagenkapazität zur Produktion von Synthesekraftstoffen aus Pyrolyseslurry von 1 Mio. t/a). Es wird ersichtlich, dass ein solcher Kraftstoff beim Vergleich mit heutigen Premiummarken, wie V-Power (Shell) oder Ultimate (Aral), konkurrenzfähig sein kann, auch wenn der Synthesekraftstoff nicht von der Mineralölsteuer befreit ist.

Weil die Entwicklungsstände der Schnellpyrolyse und der Synthesegaserzeugung sehr unterschiedlich sind, ist es betriebswirtschaftlich sinnvoll, die Produktion von Pyrolyseslurry langsam auszubauen und die ersten Anlagen zur Produktion von Synthesekraftstoffen mit einer Mischung aus Pyrolyseslurry und fossilen Slurrys zu betreiben. Aufgrund des speziellen Vergasers bieten sich hier z.B. Slurrys aus Petrolkoks und Schweröl, sowie Kohleslurrys aus minderwertiger Kohle an. Die Verwendung solch schwieriger Energieträger führt zu einer optimalen Ausnutzung von vorhandenen Energieträgern.

Eine Förderstrategie für Verfahren, in denen sowohl fossile als auch biogene Einsatzstoffe zum Einsatz kommen, existiert in Deutschland jedoch noch nicht. Ohne staatliche Förderstrategien oder politische Rahmenbedingungen wird es die Technologie aber schwer haben, sich gegen die etablierten Technologien durchzusetzen. Es müssen jedoch Möglichkeiten bestehen, neue Technologien aus Sicht der Vorsorgeforschung in Nischenmärkten zu etablieren, um für Zeiten, in denen fossile Brennstoffe deutlich mehr kosten als heute, ausgereifte Technologien zur Verfügung zu haben, die eine gesicherte und dann auch günstige Energieversorgung gewährleisten.

 

Erstellt am: 02.12.2008 - Kommentare an: webmaster