Gunnar Kappler

Systemanalytische Untersuchung zum Aufkommen und zur Bereitstellung von energetisch nutzbarem Reststroh und Waldrestholz in Baden-Württemberg
Eine auf das Karlsruher bioliq®-Konzept ausgerichtete Standortanalyse

Karlsruhe: Forschungszentrum Karlsruhe 2008 (Wissenschaftliche Berichte, FZKA 7416), 169 Seiten
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ZUSAMMENFASSUNG

In Anbetracht der strukturellen Energieversorgungsschwächen der Europäischen Union, des Anstiegs der Energiepreise und der klimarelevanten Emissionen, sind die politischen Entscheidungsträger gefordert, den Ausbau erneuerbarer Energieträger weiter zu forcieren. Wie im Biomasseaktionsplan der Europäischen Union dargestellt, sind aufgrund des gegebenen Mengenpotenzials hierbei große Erwartungen mit einer energetischen Nutzung von Biomasse verbunden. Mit Blick auf die Sicherstellung einer nachhaltigen Mobilität wird dabei zunehmend auch die Notwendigkeit herausgehoben, innovative Verfahren zu entwickeln, durch die die Bioenergieträger neben der Strom- und Wärmebereitstellung auch zur Erzeugung von biogenen Kraftstoffen verwendet werden können.

Als besonders vielversprechend erscheinen die Biokraftstoffe der zweiten Generation und hierbei vor allem die BtL-(Biomass-to-Liquid)-Kraftstoffe. Da der verfahrenstechnische Aufwand zur Herstellung solcher synthetischer Biokraftstoffe sehr hoch ist, kann deren Erzeugung ausschließlich in Großanlagen sinnvoll vorgenommen werden. Allerdings ist die Versorgung dieser Großanlagen mit ausreichenden Mengen der räumlich weit verteilten Biomasse mit einem erheblichen logistischen Aufwand verbunden und unter den gegebenen Rahmenbedingungen in der Regel kaum wirtschaftlich zu bewerkstelligen.

Aus diesem Grunde wird derzeit am Forschungszentrum Karlsruhe ein innovatives Konzept verfolgt, welches die Nutzung und Bereitstellung von Biomasse zur Kraftstofferzeugung sowohl technisch als auch logistisch erleichtern soll. Dieses sogenannte bioliq®-Konzept (hinsichtlich seiner technischen Auslegung auch bioliq®-Verfahren genannt) basiert auf einer Kombination von mehreren regional verteilten dezentralen Anlagen zur Schnellpyrolyse, in denen die Biomasse in eine Pyrolyseöl-Koks- Suspension (Slurry) konvertiert und in dieser konditionierten Form anschließend zu einer zentralen Vergasungsanlage transportiert wird. Dort wird der Slurry nach einer Vergasung und FT-(Fischer-Tropsch)-Synthese schließlich zu einem Biokraftstoff aufbereitet. Dabei soll durch die Bereitstellung eines transportablen Sekundärenergieträgers (Slurry), welcher gegenüber der unbehandelten Biomasse eine bis zu 10-fach höhere volumetrische Energiedichte besitzt, eine sehr viel höhere Transporteffizienz und damit Wirtschaftlichkeit des gesamten Prozesses erreicht werden.

Im Zusammenhang mit der Bewertung der für das bioliq®-Konzept spezifischen Bereitstellungsprozesse kommt der Kenntnis über das verfügbare Biomasseaufkommen und dessen räumlicher Verteilung eine besondere Bedeutung zu. Schließlich wird dadurch maßgeblich mitbestimmt, welche Orte als Anlagenstandorte von Pyrolyseanlagen potenziell geeignet erscheinen und welche Transportentfernungen für die Biomasseanlieferung und Bereitstellung des Slurry an der zentralen Vergasungs- /Syntheseanlage tatsächlich zurückzulegen sind.

Für die Gewinnung von Biokraftstoffen nach dem bioliq®-Konzept sind insbesondere die mengenmäßig bedeutsamen und bis dato weitestgehend ungenutzten Brennstoffe Waldrestholz und (Getreide-) Reststroh interessant, die als energetisch nutzbare Rückstände bzw. Nebenprodukte in der land- und forstwirtschaftlichen Produktion anfallen. Hierbei eröffnet das bioliq®-Verfahren in erster Linie für Stroh, welches aufgrund seiner spezifischen Zusammensetzung bei der direkten thermischen Nutzung Schwierigkeiten bereitet, weitergehende Möglichkeiten einer energetischen Nutzung.

Vor diesem Hintergrund war es Ziel dieser systemanalytischen Arbeit der Frage nachzugehen, an welchen Aufkommensorten welches Potenzial an (Getreide-) Reststroh und Waldrestholz für die energetische Nutzung zur Verfügung steht und inwieweit dies durch das räumlich dezentral-zentral gekoppelte bioliq®-Konzept ökonomisch bereitgestellt werden kann. Darüber hinaus sollte in diesem Kontext auch analysiert werden, welche Gebiete, unter Berücksichtigung der vor Ort vorhandenen Infrastruktur, als Standort für eine Pyrolyseanlage geeignet erscheinen. Aus Gründen der Vereinfachung wurden dabei jedoch alle in dieser Arbeit durchgeführten räumlichen Untersuchungen – diese erfolgten unter Einsatz eines geografischen Informationssystems – auf Baden-Württemberg beschränkt. Hinsichtlich der räumlichen Untersuchungen war es hierbei das Ziel, sämtliche in dieser Arbeit abgeleiteten Größen auf die Gemeinde als kleinste räumliche Einheit zu beziehen.

Ausgangspunkt für Abschätzungen zum Reststroh- und Waldrestholzaufkommen bilden im Allgemeinen die zur Verfügung stehenden (statistischen) Daten aus der Landund Forstwirtschaft. Da diese Daten in der Regel nicht den gewünschten Raumbezug aufweisen, wurden durch einen Top-down-Ansatz, unter Berücksichtigung verschiedener Parameter bzw. Restriktionen, die zunächst auf Landkreisebene abgeleiteten Potenziale den einzelnen Gemeinden eines Landkreises zugeordnet.

Die Potenzialabschätzung zum Reststroh, welche insbesondere aus einer Reihe von agrarstatistischen Berichten ableitet wurde, ergab für Baden-Württemberg und das Jahr 2003 ein Bruttostrohaufkommen von rund 2,9 Mio. Mg FM, was einem durchschnittlichen Ertrag von 6 Mg FM pro ha Getreideanbaufläche gleichkommt. Unter Einberechnung des Bedarfs für die Viehhaltung (rd. 0,9 Mio. Mg FM) und derjenigen Menge, die für den Erhalt der Humusbilanz (rd. 0,8 Mio. Mg FM) des Bodens abzuziehen ist, verbleiben schließlich rund 1,2 Mio. Mg FM bzw. 1,0 Mio. Mg TM Stroh, welches dauerhaft dem landwirtschaftlichen Produktionsprozess entnommen und einer energetischen Nutzung zugeführt werden könnte. Die räumlichen Auswertungen ergaben sehr günstige Reststroh-Aufkommensdichten in erster Linie für viele Gemeinden im Bereich der Region Franken und Donau-Iller. Ein Blick auf die Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte zeigte, dass durch Ertragssteigerungen, insbesondere aber durch einen kontinuierlichen Abbau des Viehbestandes bei gleichzeitig geänderten Viehhaltungsverfahren, die Menge an Reststroh stetig zugenommen hat. Inwieweit sich diese Entwicklung in der Zukunft fortsetzen wird, ist in Hinblick auf die aktuelle EU-Agrarpolitik noch nicht genau abzuschätzen. Letztlich dürfte aber auch in naher Zukunft von fast unverändert hohen Aufkommen an Reststroh ausgegangen werden.

Als Grundlage zur Bestimmung der Waldrestholzaufkommen dienten die Daten der Forsteinrichtungsplanung (2002) und der Bundeswaldinventur aus dem Jahre 2002. Da für die Abschätzung auch auf Daten eines von der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt Freiburg entwickelten Holzaufkommensprognosemodells (Zeithorizont 2017) zurückgegriffen wurde, zeichnet sich die Abschätzung zum Waldrestholzaufkommen auch durch einen prognostischen Aspekt aus. Für Baden-Württemberg ergab sich ein theoretisch verfügbares Waldrestholzpotenzial von jährlich rund 3 Mio. m3, was annähernd 1,6 Mio. Mg TM entspricht. Unter Berücksichtigung weiterer Holzsortimente (z.B. Schwachholz/Industrieholz) könnte diese Menge auf bis zu 2,7 Mio. Mg TM erhöht werden. Abzüglich einer geschätzten Waldrestholz-Menge von 0,5 Mio. Mg TM, die künftig als Brennholz genutzt werden dürfte, verbleibt ein theoretisch freies Potenzial von etwa 2,1 Mio. Mg TM. Bedingt durch restriktive Faktoren, wie z.B. Erschließungssituation und Besitzstruktur, dürfte hiervon allerdings lediglich ein Potenzial von ca. 1,2 Mio. Mg TM tatsächlich mobilisierbar sein, wovon wiederum nur die Hälfte als leicht verfügbar angesehen werden kann. Da diese Menge auch maßgeblich von der Entwicklung des (Waldhackschnitzel-) Marktpreises abhängt, wurde im Rahmen eines kurzen Exkurses versucht, eine Funktion abzuleiten, welche den Zusammenhang von erschließbarem Potenzial und Marktpreis wiedergibt. Entsprechend des preiselastischen Charakters dieser Funktion dürfte, ausgehend von den gegenwärtigen Gegebenheiten, ein Anstieg des Marktpreises um 10 bis 30 €/Mg TM (frei Waldstraße) zu einem starken Anstieg des mobilisierbaren Potenzials führen. Demnach könnten bei einem Marktpreis von schätzungsweise 70 bis 80 €/Mg TM die o.g. 1,2 Mio. Mg TM frei Waldstraße bereitgestellt werden. Mit Blick auf die im Rahmen der beiden vergangenen Bundeswaldinventuren dokumentierten positiven Vorratsentwicklungen, könnte darüber hinaus der Holzeinschlag noch deutlich erhöht werden, weshalb unter günstigen Rahmenbedingungen eine langfristige Versorgung mit ausreichenden Mengen an Waldrestholz theoretisch möglich erscheint. Angesichts der bestehenden Waldflächenverteilung befinden sich die aufkommensträchtigsten Gemeinden im Bereich des Schwarzwaldes, wobei das Potenzial an vielen Orten aufgrund ungünstiger Geländeverhältnisse allerdings nur schwer zugänglich und daher gegenwärtig kaum wirtschaftlich zu erschließen ist.

Einen wesentlichen Schritt im Bereitstellungsprozess stellt die Erfassung dar, welche dazu dient, die Biomasse an ihrem Aufkommensort zu größeren Mengen zusammenzufassen und transportierbar bereitzustellen. Die mit der Erfassung von Waldrestholz verbunden Kosten wurden nicht selbst abgeschätzt, sondern diesbezüglich auf die Angaben der einschlägigen Literatur zurückgegriffen. Für das Reststroh wurden die Erfassungskosten hingegen anhand eigener Kalkulationen abgeleitet. Da die Erfassungskosten maßgeblich von den vor Ort gegebenen Bedingungen (Erschließungssituation, Geländeverhältnisse, Betriebsstruktur, etc.) bestimmt werden, wurde versucht diese soweit möglich mit einzubeziehen.

Für die Erfassung und Bereitstellung von Stroh in Ballenform – ein in der Praxis gängiges Verfahren – ergaben sich für die Verhältnisse von Baden-Württemberg in Abhängigkeit von Schlaggröße und Aufkommensdichte geschätzte Erfassungskosten von ungefähr 40 bis 70 €/Mg TM (Durchschnittswert unter Beachtung ortspezifischer Gegebenheiten: 63 €/Mg TM). Mit Blick auf eine kostenoptimierte Erfassung dürfte hierbei der Ausgestaltung einer effizienten Organisation (Bildung/Einbeziehung von Betriebsgemeinschaften bzw. Maschinenringen) besondere Bedeutung zukommen, weil diese u.a. den Einsatz schlagkräftiger (Großballen-) Pressen bei gleichzeitig optimaler Auslastung begünstigt.

Für die Erfassung und Bereitstellung des Waldrestholzes in Form von Hackschnitzel können je nach örtlichen Gegebenheiten unterschiedliche, mehr oder weniger stark mechanisierte Erntesysteme bzw. Erntetechniken zum Einsatz kommen. Hieraus resultiert eine Kostenspanne von 30 bis 180 €/Mg TM (frei Waldstraße bzw. waldnahem Hackplatz). Unter Berücksichtigung unterschiedlicher ortspezifischer Gegebenheiten dürfte der durchschnittliche Erfassungskostensatz für Baden-Württemberg bei rund 80 €/Mg TM (frei Waldstraße bzw. waldnahem Hackplatz) anzusiedeln sein. So ist insbesondere in vielen Bereichen des Schwarzwaldes, aufgrund der schwierigen Erschließungssituation, eine Entnahme von Waldrestholz derzeit technisch bzw. wirtschaftlich vielfach nicht sinnvoll, obwohl dort der Holzeinschlag und damit auch das Waldrestholzaufkommen im Vergleich zu anderen Gebieten in Baden-Württemberg am höchsten sind.

Ein Vergleich der Erfassungskosten von Waldrestholz und Reststroh zeigt für beide Reststoffe eine entsprechend große Bandbreite, welche aber für Reststroh weit weniger ausgeprägt ist und insgesamt niedrigere Kosten aufweist als für Waldrestholz. In Anbetracht dieser hohen Kosten-Bandbreiten verbleiben unter den gegenwärtigen Marktbedingungen (Energiepreisniveau) große Mengen des Potenzials im Bestand. Inwieweit und wann es gelingen wird, diese bisher weitestgehend ungenutzten Potenziale zu mobilisieren und einer Nutzung in Großanlagen zuzuführen, hängt in erster Linie von zwei Faktoren ab. Einerseits von der Entwicklung der Energiepreise, und andererseits davon, inwieweit es gelingt durch organisatorische Maßnahmen überregional klare Marktverhältnisse zu schaffen.

Ein weiterer Schritt im Bereitstellungsprozess stellt der Transport dar. Für die Berechnung der Transportkosten wurden in Abhängigkeit des zu transportierenden Gutes (Strohballen, Hackschnitzel und Slurry) und der zurückzulegenden Transportstrecke unterschiedliche Transportmittel und -varianten untersucht. Bedingt durch die geringere (Massen-) Zuladung und die höheren Umschlagkosten, ist der Transport von Strohballen gemeinhin etwas teurer als der von Waldhackschnitzel. Allerdings werden unter Berücksichtigung des Aufwandes für die (Biomasse-) Trocknung an der Anlage, die für den Strohtransport höheren Kosten letztlich mehr als kompensiert. Da der Trockenmasseanteil insofern eine wichtige Größe darstellt, ist es unter ökonomischen Gesichtspunkten vorteilhaft, wenn auch das Waldrestholz in Form von vorgetrockneten Hackschnitzeln an der Pyrolyseanlage bereitgestellt werden kann.

Da durch die Konversion der Biomasse zu Slurry höhere Energiedichten erreicht werden, sind die spezifischen Transportkosten im Vergleich zur unbehandelten Biomasse deutlich geringer. Unter Berücksichtigung der Slurry-Produktionskosten ergeben sich letztlich ab einer Transportstrecke von ca. 150 km Kostenvorteile zugunsten der Slurrybereitstellung. Dementsprechend wird durch das bioliq®-Konzept ein relativ kostengünstiger Transport über große Strecken ermöglicht, der zur Versorgung einer Großanlage maßgeblich ist. Insgesamt stehen für den Transport mehrere Transportmittel zur Verfügung, wobei deren Auswahl auch von der vor Ort zur Verfügung stehenden Infrastruktur abhängt. Aufgrund seiner Kostenstruktur und Flexibilität stellt dabei der Lkw für alle hier diskutierten Transportgüter (Strohballen, Holzhackschnitzel, Slurry) in den meisten Fällen das geeignetste Transportmittel dar. Für den Transport von Waldhackschnitzel ab Entfernungen von 130 km und den Transport von Slurry ab 100 km lässt sich allerdings mit der Bahn ein im Vergleich zum Lkw günstigerer Transport realisieren.

Wie die Auswertungen zum Transport zeigten, ist der Einfluss der Transportentfernung auf die Transportkosten weniger bedeutend als dies gemeinhin angenommen wird, da die Transportkosten auch die Kosten für das Be-, Um- und Entladen beinhalten, und dies bei geringeren Transportentfernungen zu deutlich höheren spezifischen Transportkosten pro km führt als bei großen Transportentfernungen.

Die Bestimmung potenziell geeigneter Pyrolyse-Anlagenstandorte erfolgte anhand der zuvor abgeschätzten ortspezifischen Biomassepotenziale und Erfassungskosten, als auch unter Berücksichtigung der an einem bestimmten Ort vorhandenen Infrastruktur. Dazu wurden zunächst im Rahmen einer Standortanalyse gemeindespezifische Kennwerte abgeleitet, auf deren Basis es möglich war, verschiedene Standorte miteinander zu vergleichen. Durch das Hervorheben spezifischer Standortcharakteristika in Form von kartografischen Darstellungen wurde schließlich eine Entscheidungshilfe für die Standortsuche bezüglich Bioenergievorhaben geschaffen. Letztlich zeigte sich, dass besonders vorteilhafte Standorte für Pyrolyseanlagen ausschließlich in denjenigen Gebieten Baden-Württembergs zu finden sind, welche über eine überdurchschnittlich hohe Reststroh-Aufkommensdichte verfügen. In Anbetracht der gewonnenen Ergebnisse scheinen für Baden-Württemberg zum gegenwärtigen Zeitpunkt – bei einem ausschließlichen Einsatz der in dieser Arbeit betrachteten Brennstoffsortimente Stroh und Waldrestholz – insbesondere aufgrund hoher Bereitstellungskosten, nur einige wenige (n < 4) standorte für eine pyrolyseanlage (100 mwin) geeignet zu sein. da zur slurry- versorgung einer zentralen großanlage (anlagenleistung von bspw. 4.500 mwin) die anlagenkapazität von rund 56 dezentralen pyrolyseanlagen (anlagenleistung von jeweils 100 mwin) notwendig wäre, kann – ausgehend vom angenommenen standort dieser zentralen großanlage in karlsruhe – eine ausreichende versorgung nur durch errichtung sehr vieler pyrolyseanlagen in weit außerhalb baden-württembergs liegenden gebieten bewerkstelligt werden. dabei bleibt mit blick auf konkurrierende nutzungsoptionen fraglich, ob bzw. inwieweit es gelingt, ausreichend geeignete (pyrolyseanlagen-) standorte in anderen regionen in dieser anzahl zu finden.

In dieser Arbeit wurden auf Basis der bei der Standortanalyse gewonnenen Kennwerte exemplarisch drei unterschiedliche Standorte (Ehingen, Forbach, Schillingstadt; Einzugsgebietsradius < 25 km; anlagenleistung < 100 mwin) ausgewählt und einander gegenübergestellt. demnach verfügen die beiden durch hohe strohaufkommen charakterisierten standorte ehingen und schillingstadt über eine aufkommensdichte (reststroh und waldrestholz; bezogen auf die bodenfläche) von insgesamt etwa 0,9 mg tm/ha (durchschnittswert baden-württemberg: 0,6 mg tm/ha). für die bereitstellung der biomasse an diesen beiden standorten entstehen kosten frei pyrolyseanlage von durchschnittlich rund 75 €/mg tm (davon 16 €/mg tm für transport). im vergleich dazu erreicht der im nördlichen schwarzwald gelegene, ausschließlich durch das waldrestholzaufkommen dominierte standort forbach eine aufkommensdichte (reststroh und waldrestholz) von lediglich 0,5 mg tm/ha; die kosten für die bereitstellung der biomasse betragen dabei etwas über 100 €/mg tm (davon 12 €/mg tm für transport). insofern unterstreichen die auswertungen abermals, welche bedeutung strohdominierten standorten zukommt. darüber hinaus hat sich gezeigt, dass durch eine zunehmende ausweitung des einzugsgebietsradius zwar mehr brennstoff zur verfügung steht und damit höhere anlagenleistungen mit entsprechenden kostendegressionseffekten realisiert werden könnten. allerdings liegen hierbei oftmals auch ungünstigere aufkommensgebiete mit entsprechend teurerer biomasse im einzugsgebiet der anlage. da dadurch der durchschnittliche bereitstellungspreis ansteigt, werden dann die durch die leistungssteigerung induzierten kostensenkungspotenziale vielfach wieder kompensiert.

Eine Auslegung des bioliq®-Konzepts, bei dem die Pyrolyse- und Vergasungs- /Syntheseanlage an einem Standort vereint sind und die Biomasse ohne vorherige Umwandlung zu Slurry an der zentralen Vergasungs-/Syntheseanlage bereitgestellt wird, kann nicht empfohlen werden – obwohl durch die unmittelbar räumliche Kopplung von Pyrolyse und Vergasung ein insgesamt höherer Gesamtwirkungsgrad und damit etwas geringere Gestehungskosten für den FT-Kraftstoff erreicht werden könnten. Eine Gegenüberstellung der beiden konzeptionellen Auslegungen – integriert oder dezentral – auf Basis einer Referenzanlage (4.500 MWin) zeigt, dass neben der sehr viel höheren Flexibilität hinsichtlich der räumlichen Auslegung eine Reihe weiterer Gründe für das dezentrale Konzept sprechen.

Die Gestehungskosten für den BtL-Kraftstoff betragen unter den in dieser Arbeit getroffenen Annahmen bei gemeinsamer Nutzung von Holz und Stroh rund 1 € pro Liter (exkl. Energie- und Mehrwertsteuer), wobei davon bis zu 65 % durch die mit der Bereitstellung der Biomasse verbundenen Kosten verursacht werden. Da es vermutlich in den nächsten Jahren durch eine zunehmende Bioenergienutzung zu einer verschärften Marktsituation hinsichtlich kostengünstiger Biomassepotenziale kommen könnte, werden die dargelegten Gestehungskosten trotz technischer Weiterentwicklungen und Degressionseffekten kaum unterschritten werden können. In welchem Maße sich die Marktsituation und deren Auswirkungen auf die Bioenergieerzeugung tatsächlich entwickeln werden, ist jedoch zum gegenwärtigen Zeitpunkt kaum absehbar.

Wie die Analysen in dieser Arbeit zeigten, stehen in Baden-Württemberg theoretisch freie Potenziale der beiden mengenmäßig bedeutendsten Bioenergieträger Reststroh und Waldrestholz für eine energetische Nutzung zur Verfügung. Doch kann vor dem Hintergrund der in dieser Arbeit gewonnenen Erkenntnisse eine umfassende Versorgung von BtL-Großanlagen mit ausreichenden Mengen an kostengünstiger Biomasse unter den gegenwärtigen Gegebenheiten aller Voraussicht nach kaum erreicht werden. Damit bleibt auch eine kurzfristige Realisierung des bioliq®-Konzepts in Baden- Württemberg bzw. Deutschland eher fraglich. Langfristig betrachtet könnte sich dies durch deutlich geänderte Rahmenbedingungen jedoch ändern, so dass auch der Aufbau und Betrieb einer oder mehrerer Pyrolyseanlagen in Baden-Württemberg durchaus möglich erscheint. Allerdings sollte die Diskussion zum bioliq®-Konzept in punkto Biomasse und potenzieller Anlagenstandorte sehr viel weiter gefasst werden und nicht nur auf das in Deutschland oder auch Europa Machbare beschränkt bleiben.

Auch wenn die (großindustrielle) Realisierung des Konzepts zum gegenwärtigen Zeitpunkt eher unwahrscheinlich ist, sollte unter Vorsorgeaspekten die Entwicklung dieser (bioliq®-) Technologie weiter voran getrieben werden, damit zu gegebener Zeit – falls erforderlich – auch erneuerbare, flüssige Kohlenstoffträger aus biogenen Rest- und Abfallstoffen bereitgestellt werden können. Dabei sollte das Augenmerk der Forschungs- und Entwicklungsarbeiten nicht nur auf die Ausgestaltung anlagentechnischer Prozesse, sondern vielmehr auch auf (Biomasse-) Bereitstellungstechniken und den Aufbau der mit der Bereitstellung verbundenen Mobilisierungs- bzw. Organisationsstrukturen gerichtet werden.

Summa summarum sind auf dem Weg zur industriellen Umsetzung des bioliq®- Konzepts noch eine Reihe technischer, ökonomischer und umweltrelevanter bzw. ökologischer Fragestellungen zu beantworten. Die vorliegende Arbeit sollte diesbezüglich mögliche Schwachstellen des Karlsruher bioliq®-Konzepts aufzeigen und dazu beitragen, die Diskussion über das äußerst komplexe Thema der Erzeugung von Biokraftstoffen zu versachlichen.

 

Erstellt am: 26.11.2008 - Kommentare an: webmaster