Katrin Gerlinger, Thomas Petermann, Arnold Sauter

Gendoping

Berlin: Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) 2008, TAB-Arbeitsbericht Nr. 124
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ZUSAMMENFASSUNG

Es ist sehr wahrscheinlich, dass in den kommenden Jahren eine neue Qualität von Doping zutage treten und die Dopingbekämpfung vor neue Herausforderungen stellen wird: die verbreitete Nutzung einer Reihe modernster Substanzen und Verfahren zur gezielten Beeinflussung der Genaktivität. Dabei kann es sich einerseits um gen- und zelltherapeutische Verfahren und andererseits um Methoden zur gezielten Manipulation der Genexpression durch hochspezifische Medikamente handeln (zusammengefasst als Gendoping i. S.). Eher unwahrscheinlich hingegen ist auf absehbare Zeit die Nutzung von (bislang lediglich theoretisch denkbaren) Strategien einer dauerhaften Veränderung der genetischen Ausstattung von Athleten.

Aus den folgenden Schlüsselfragen ergeben sich die Schwerpunkte des TAB-Berichts: Welcher wissenschaftlichen Ergebnisse könnte sich ein mögliches Gendoping bedienen, wo werden Einfallstore im Spitzen- und Breitensport sein und wie kann mithilfe von Verbots- und Kontrollstrukturen darauf reagiert werden? In Ergänzung dieser thematischen Perspektiven wird Gendoping auch in den Zusammenhang gesellschaftlicher Trends und Strukturen gestellt. Gefragt wird danach, welche Verhaltensmuster und -dispositionen auf der Ebene des individuellen Verhaltens von Athleten eine Rolle spielen und wie Gendoping als abweichendes Verhalten von verschiedenen gesellschaftlichen Kontexten und Akteuren beeinflusst ist.

Mit dem vorliegenden Endbericht wird das TAB-Projekt »Gendoping« abgeschlossen. Es wurde auf Vorschlag des Sportausschusses des Deutschen Bundestages durch den Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung in Auftrag gegeben.

Der Begriff Gendoping – im engeren und im weiten Sinn

Der Begriff »Gendoping« wird häufig sehr eng gefasst, nämlich als Missbrauch gen- und zelltherapeutischer Verfahren, bei denen konkret genetisches Material in Form von DNA oder RNA einer Zelle, einem Organ oder Organismus zugeführt wird. Die Analyse des TAB orientiert sich an der erweiterten Perspektive der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA), die entsprechend ihrer Verbotsliste unter Gendoping explizit auch eine Beeinflussung der Genaktivität mit anderen Methoden versteht: »die nichttherapeutische Anwendung von Zellen, Genen, Genelementen oder der Regulierung der Genexpression, welche die sportliche Leistungsfähigkeit erhöhen kann«.

Nur durch dieses umfassende Verständnis lassen sich möglichst viele relevante Methoden, Verfahren und Mittel in die Folgenbetrachtung mit einbeziehen. Die wissenschaftliche Basis der neuen (Gen-)Dopingmöglichkeiten besteht in den immer avancierteren molekularbiologischen Techniken und der zunehmenden Kenntnis über die molekularen Mechanismen der Zellfunktion. Die gesellschaftliche und politische Brisanz ergibt sich daraus, dass dadurch die Möglichkeiten einer gezielten und subtilen, vermutlich immer schwerer nachweisbaren Manipulation der Genaktivität zunehmen werden. Die methodische Differenz – ob dieser Manipulationsvorgang durch die Übertragung von genetischem Material wie DNA oder RNA oder sonst wie pharmakologisch erfolgt – sollte für eine Folgenanalyse, insbesondere unter dem Blickwinkel zukünftiger Antidoping-Maßnah­men, kein sinnvolles Ausschlusskriterium sein.

»Genetisch optimierte« Athleten sind nicht absehbar

Eine häufig anzutreffende Vorstellung vom Ziel möglicher Gendopingansätze ist die einer »Verbesserung« der genetischen Ausstattung von Athleten auf der Basis des Wissens über Genvarianten, die eine besondere Leistungsfähigkeit bewirken, entweder über eine gezielte Manipulation des gesamten Organismus oder mittels pränataler Auslese. Eine detaillierte Untersuchung der Ergebnisse der Genomforschung ergab jedoch, dass das molekulargenetische Wissen zu »Hochleistungsgenvarianten« bislang äußerst begrenzt, unscharf und widersprüchlich ist, sodass »erfolgversprechende« Verfahren zur gezielten Veränderung der genetischen Disposition auf absehbare Zeit höchst unwahrscheinlich sind. Das TAB-Projekt hat also keine Hinweise darauf erbracht, dass Strategien der Menschenselektion oder ‑züchtung für sportliche Leistungssteigerungen in absehbarer Zukunft technisch machbar wären. Entsprechende Vor- und Darstellungen zu einem zukünftigen Gendoping sind wissenschaftlich derzeit nicht untermauert.

Der Zielpunkt von Gendoping – Die Genregulation

Das Ziel von Gendoping ist vielmehr eine spezifische Beeinflussung (Modifikation) der körpereigenen Genaktivität, ob in Form einer Aktivierung, Verstärkung, Abschwächung oder Blockade der sogenannten Genexpression. Die zugrundeliegenden biochemischen und physiologischen Prozesse sind sowohl auf der Ebene der Zellen als auch auf der Ebene der Gesamtregulation im Körper hochkomplex (und werden im Bericht daher nur skizziert). Aus den vernetzten Regelkreisen leistungsphysiologisch relevanter Eigenschaften resultiert eine Vielzahl von Ansatzpunkten für pharmakologische und molekularbiologische Modulationen – für neue therapeutische Behandlungsstrategien, aber eben auch für Dopingzwecke. Die möglichen Folgen entsprechender Eingriffe sind sehr schwer vorhersagbar. Dies zeigt sich nach wie vor bei medizinischen Therapieversuchen zur Behandlung Kranker (in Form von Nebenwirkungen oder aber mangelnder Wirksamkeit von Medikamenten). Bei einer missbräuchlichen Nutzung entsprechender Methoden und Verfahren bei gesunden bzw. hochtrainierten und damit zwar physiologisch besonders leistungsfähigen, aber oft auch besonders störungsanfälligen Menschen muss ebenfalls mit kaum vorhersagbaren Folgen gerechnet werden.

Gentherapie und weitere Methoden zur Modifikation der Genaktivität

Gendoping i. e. S. missbraucht gen- und zelltherapeutische Verfahren zu Zwecken der Leistungssteigerung. Als Gentherapie werden Strategien bezeichnet, bei denen Gene bzw. genetische Elemente von außen in Zellen eingebracht werden, um ererbte oder erworbene genetische Störungen zu beheben. Das Einbringen der Gene in die Zellen, der sogenannte Gentransfer, erfolgt mittels sogenannter Vektoren (oder »Genfähren«, bislang meist speziell abgewandelte Viren). Die bisher am Menschen getesteten Gentherapien richten sich vor allem auf Krebserkrankungen, monogene Erbkrankheiten, Infektionskrankheiten (v. a. HIV) und kardiovaskuläre Störungen. Anders als häufig dargestellt, geht es dabei oft nicht um eine dauerhafte Veränderung, sondern vielmehr um vorübergehende Maßnahmen, die ggf. wiederholt werden müssen.

Die Bewertung der bisherigen Resultate der Gentherapie ist wichtig für eine Abschätzung der möglichen Dopingrelevanz. Insgesamt ist die Gentherapie noch keine etablierte medizinische Praxis, vielmehr befindet sie sich zum ganz überwiegenden Teil im Versuchsstadium, und die Bewertung der bisherigen therapeutischen Resultate ist sehr kontrovers. Behandlungen sind nach wie vor oft mit gravierenden, bis hin zu letalen Nebenwirkungen verbunden. Für einen Teil der beobachteten Nebenwirkungen werden die Vektoren verantwortlich gemacht. Der Anteil der klinischen Versuche, die auf den Einsatz der zwar effizienteren, aber auch besonders risikobehafteten viralen Vektoren verzichten und stattdessen sogenannte nackte DNA verwenden, ist in den vergangenen Jahren immer weiter gestiegen. Dies ist für ein mögliches Gendoping von Bedeutung, da eine Anwendung von nichtviraler DNA wahrscheinlich deutlich einfacher und eben auch risikoärmer sein dürfte.

Neben den eindeutig als Gentherapie bezeichneten Methoden richten sich auch viele andere moderne pharmakologische Behandlungsstrategien auf eine gezielte Modifikation der körpereigenen Genaktivität, um einen medizinisch-therapeutischen Nutzen zu erzielen. Bei den verwendeten Substanzen kann es sich um ganz unterschiedliche, zum Teil sehr komplexe Biomoleküle wie Proteine und RNA handeln, aber auch um chemisch leicht herzustellende einfache Verbindungen.

Physiologische Ansatzpunkte und molekulare Ziele – Forschungsansätze und Entwicklungsvorhaben

Die wahrscheinlichsten Ansatzpunkte eines möglichen Gendopings werden in drei physiologischen Bereichen und deren molekularer Regulation gesehen: dem Aufbau der Skelettmuskulatur, der Sauerstoffversorgung sowie der Energiebereitstellung.

Physiologische Ansatzpunkte für Gendopingstrategien

>      Skelettmuskulatur: Wachstum, Struktur, Kraft, Ausdauer, Regeneration
(molekulare Ziele: Myostatin, HGH/IGF/MGF, Pax7, PPAR-delta)

>      Sauerstoffversorgung: Hämoglobinkonzentration, Blutgefäßversorgung
(molekulare Ziele: EPO, HIF, VEGF)

>      Energiebereitstellung: Fettsäure- und Glucosestoffwechsel in Leber und Muskel (molekulare Ziele: FATPs, GLUTs, PTP-1B)

Unter den im Rahmen des TAB-Projekts identifizierten und im Bericht ausführlich beschriebenen gendopingrelevanten Forschungsansätzen und Entwicklungsvorhaben, die bereits das Stadium der klinischen Erprobung erreicht haben, ist lediglich eines, das explizit einen gentherapeutischen Ansatz hat. Bei den anderen weiterentwickelten Verfahren handelt es sich um pharmakologische Strategien zur Modifikation der Genaktivität. In der präklinischen Forschung, d. h. im Tierversuch erfolgreich, findet sich hingegen eine Vielzahl von potenziellen Gendopingverfahren nicht nur im weiten, sondern auch im engeren Sinn (hier z. B. das oftgenannte Repoxygen).

Besondere gesundheitliche Risiken – eine wirksame Hürde?

Grundsätzlich gilt bei allen Dopinganwendungen, dass die zugrundeliegenden Verfahren bzw. Mittel für die Behandlung von Krankheiten entwickelt werden und der Einsatz zur Leistungssteigerung an Gesunden nicht untersucht wird. Deshalb können die gesundheitlichen Risiken eines Missbrauchs für Dopingzwecke auf der Basis klinischer Medikamentenprüfungen prinzipiell nicht abgeschätzt werden. Ein Beleg sind die schweren bis schwersten Gesundheitsschäden durch Doping bei Athleten zum Teil mit Todesfolge, die bereits in der Vergangenheit aufgetreten sind.

Aus diesem Blickwinkel können Gendopingmethoden kaum noch riskanter sein. Jedoch lassen sich aus den Prinzipien der Verfahren zur gezielten Modifikation der Genaktivität spezifische Risiken ableiten, die allerdings ohne empirische Ba­sis lediglich wissenschaftlich plausible Annahmen darstellen. Dabei kann unterschieden werden zwischen Risiken, die sich beim Einschleusen von genetischem Material ergeben (mangelnde Gewebespezifität der Vektoren, dadurch unkontrollierte Ausbreitung des Fremdgens im Organismus; Mutationen und Immunreaktionen), und solchen, die Folgen der übermäßigen Genexpression (d. h. Produktion im Körper) von leistungsrelevanten Biomolekülen sind (z. B. unkontrolliertes Zellwachstum). Angesichts der Komplexität der Regulation der Genaktivität ist es sehr wahrscheinlich, dass Manipulationen dieser Mechanismen vielfältige Nebenwirkungen – und damit potenziell massive gesundheitliche Schäden – hervorrufen werden.

Dass allein diese unwägbaren Gesundheitsrisiken eine wirksame Hürde gegen die Anwendung auch wissenschaftlich unabgesicherter Methoden bilden, muss aufgrund der Erfahrungen mit bisherigen, konventionellen Dopingpraktiken bezweifelt werden. Entscheidend für eine Nutzung und Verbreitung von Gen­dopingmethoden dürften – neben der grundsätzlichen Verfügbarkeit – in erster Linie die vermutete Wirkung, d. h. die potenzielle Steigerung der Leistungsfähigkeit, sowie die (Nicht-)Nachweisbarkeit (s. u.) sein.

Zugangswege

Wahrscheinlich werden vorwiegend zugelassene therapeutische Verfahren und Medikamente oder solche aus klinischen Studien für einen Dopingmissbrauch infrage kommen. Um abschätzen zu können, welche Gendopingstrategien in welchem Zeitfenster relevant werden könnten, ist es wichtig, die aktuellen Entwicklungen in Forschung und Entwicklung, insbesondere bei pharmazeutischen Unternehmen, kontinuierlich zu beobachten. Allerdings ist davon auszugehen, dass lange nicht alle für Gendoping relevanten Projekte der Öffentlichkeit bekannt werden (zumindest nicht in frühen Stadien).

Neben dem Missbrauch zugelassener oder in Zulassungsverfahren befindlicher Therapeutika zeichnet sich eine möglicherweise noch beunruhigendere Möglichkeit ab, nämlich eine Art »individuelles« Gendoping unter Umgehung sämtlicher Prüfmechanismen der Arzneimittelzulassungsverfahren. Ähnlich wie bei der Herstellung von Designersteroiden, die von der Firma BALCO explizit zu Dopingzwecken hergestellt wurden, könnten auch speziell auf einzelne oder wenige Athleten zugeschnittene genetisch-pharmazeutische Gendopingmittel hergestellt werden. Der Aufwand dürfte zumindest in einigen Fällen weder finanziell noch zeitlich wesentlich größer sein. Vergleichsweise einfache Methoden sind z. B. die Konstruktion von Genfähren auf viraler Basis, die Produktion und Verabreichung sog. nackter DNA oder die Konstruktion von Genvakzinen zur Produk­tion von Antikörpern – dies sind molekularbiologische Routineaufgaben, für viele Teilschritte gibt es bereits Standardprozeduren, Apparate und kommerzielle »Bausätze«.

Ein häufiger Einwand gegen Gendopingszenarien lautet, dass die entsprechenden Methoden nicht abgesichert und v. a. mögliche Leistungssteigerungen bei Gesunden bzw. sogar hochtrainierten Athleten nicht bewiesen seien. Die Ergebnisse der an der Dopingpraxis orientierten Präventionsforschung zeigen jedoch, dass immer wieder bestimmten Dopingstrategien ihre Wirksamkeit abgesprochen wurde (z. B. im Falle des Wachstumshormons), die Methoden aber dennoch von Athleten zum Doping eingesetzt werden.

Einfallstore: Spitzensport – Bodybuilding – ANti-Aging?

Gentherapieanaloge Verfahren (Gendoping i. e. S.) werden sehr wahrscheinlich deutlich höhere Missbrauchshürden aufweisen als die vielfältigen Methoden bzw. pharmazeutischen Entwicklungen zur gezielten Manipulation der Genaktivität. Angesichts des aktuellen Entwicklungsstandes einiger Projekte der biotechnologischen und pharmazeutischen Industrie muss davon ausgegangen werden, dass derartige Methoden bereits jetzt zum Doping verwendet werden können, wenn »Abuser« Zugangswege zu klinischen Studien finden. Erfahrungen im Bereich der Peptidhormone (EPO, Wachstumshormon) haben gezeigt, dass dies möglich ist.

Zu beachten ist auch, dass z. B. der Missbrauch von Myostatininhibitoren gar nicht so sehr durch den Leistungssport, sondern möglicherweise vorrangig durch den Fitnesssport bzw. konkret die Bodybuilderszene befördert werden könnte (in deren Internetforen werden diese neuen Pharmaka seit Längerem diskutiert und nachgefragt).

Ein möglicherweise noch weitaus bedeutsamerer Weg als über eine illegale Ab­zweigung von genmodulierenden Substanzen aus der klinischen Forschung (oder dem o. g. »individuellen« Gendoping) könnte sich längerfristig im Grenzbereich der Behandlung von altersbedingten Einschränkungen eröffnen, z. B. bei der Therapie von überdurchschnittlichem Muskelabbau mit dann zugelassenen Medikamenten. Hier bestehen fließende Übergänge zur gesellschaftlich und politisch hochrelevanten übergreifenden Thematik der nichttherapeutischen Nutzung von Medikamenten zur Leistungssteigerung im Alltag, die unter dem Begriff »Enhancement« seit einiger Zeit zunehmend diskutiert wird.

Nachweisbarkeit und Testentwicklung

Eine entscheidende Frage für die Dopingbekämpfung ist, ob und wie Gendoping nachgewiesen werden kann. Die Erfahrungen der Vergangenheit sprechen dafür, dass eine reaktive Entwicklung von Nachweisverfahren für eine effektive Dopingbekämpfung äußerst unzureichend ist. Die WADA hat hierauf reagiert und bereits vor einigen Jahren ein internationales Förderprogramm zum Gendoping­nachweis ins Leben gerufen.

Bei gentherapeutischen oder genmodulativen Verfahren wird versucht, ein Gen oder einen Genbestandteil in bestimmte Körperzellen einzubringen und dort zu aktivieren bzw. ein vorhandenes Gen oder einen Genbestandteil zu aktivieren oder zu hemmen. Falls das eingebrachte genetische oder genregulierende Element chemisch unterschiedlich zu körpereigenen Stoffen ist, wäre ein direkter Nachweis möglich und qualitativ ausreichend. Aufgrund der Dynamik der Entwicklung, der Vielfalt und Komplexität im Bereich der Genmodulation ist allerdings nach Ansicht der meisten Experten anzunehmen, dass direkte Nachweisverfahren an Bedeutung verlieren, weil es viel zu aufwendig wäre, grundsätzlich auf alle möglichen Manipulationen zu testen.

Dem theoretisch plausiblen Nachweis von Vektoren (bei gentherapeutischen Verfahren) stehen in der Praxis mehrere Hindernisse entgegen (z. B. die schwierige Unterscheidbarkeit zu natürlich auftretenden Viren). Der Nachweis von nicht­viralen Vektoren (»nackte« DNA, siRNA) dürfte angesichts der kurzen Halbwertszeit der Nukleinsäuren noch schwieriger sein. Völlig unklar ist, wie ein Nachweis bei Verfahren aussehen könnte, bei denen Zellen dem Körper entnommen, außerhalb des Körpers genetisch verändert und anschließend dem Körper wieder zugeführt werden (sog. Ex-vivo-Verfahren).

Die überwiegende Zahl der 20 von der WADA derzeit geförderten Forschungsprojekte zielt daher auf eine Bestimmung von Abweichungen vom normalen physiologischen Zustand als indirekter Nachweis von Gendoping. Dabei geht es um die Bestimmung hochdifferenzierter Profile verschiedenster Moleküle (DNA, RNA, Proteine) in Blut- und Gewebeproben, sog. Biomarker bzw. »molekulare Fingerabdrücke«. Das Ziel bzw. die Strategie dahinter ist, ein »intelligentes« Biomonitoring zu entwickeln, das eindeutige Hinweise auf eine Manipulation der Genaktivität liefert. Eventuell könnte dies bereits als Nachweis ausreichen. Es könnte jedoch auch sein, dass dadurch nur ein Anfangsverdacht begründet werden kann und sich spezifische Einzelnachweise anschließen müssen, um einen Verstoß gegen Antidoping-Bestimmungen mit hinreichender Sicherheit analytisch zu belegen. Ob die Strategie des Biomonitorings auf Dauer erfolgreich sein wird, kann zum jetzigen Zeitpunkt nicht beurteilt werden, weil sich die entsprechenden Vorhaben in frühen Stadien befinden (so wird die konkrete Entwicklung eines einsatzfähigen Tests – zur Bestimmung der Myostatingesamtaktivität – nur in einem der Projekte als Ziel genannt). Eine Alternative ist zur Zeit jedoch nicht in Sicht.

Kontrolle und Sanktion

Die WADA hat Gendoping bereits vor fünf Jahren vorsorglich in die Liste der verbotenen Mittel und Methoden (Verbotsliste) aufgenommen, die zusammen mit dem Welt-Anti-Doping-Code (WADC) eine wichtige Grundlage der Maßnahmen von Sport und Staat in der gemeinsamen Dopingbekämpfung ist. Alle im WADC definierten Verstöße gegen die Antidoping-Bestimmungen schließen Gendoping ein. Danach sind Selbstanwendung, verweigernde Handlungen in Bezug auf die Kontrolle sowie Besitz, Handel, Anwendung bei anderen und sonstige Tatbeteiligung verboten. Sportorganisationen, die den WADC bzw. den für Deutschland konkretisierten NADA-Code in ihr organisationsinternes Regelwerk übernommen haben oder analoge Vereinbarungen trafen, haben Gendoping für ihre Mitglieder formal verboten. Das trifft auf weite Teile des Wettkampfsports zu, nicht aber auf den in Fitnessstudios individuell betriebenen Sport.

Die Verbotsliste ist in deutsches Recht übernommen worden. Das Arzneimittelgesetz (AMG) verbietet für die Stoffe der Verbotsliste das Inverkehrbringen, die Verschreibung oder die Anwendung bei anderen zu Dopingzwecken im Sport (ebenso den bloßen Versuch dieser Handlungen). Das gilt auch für Stoffe, die zur Anwendung der aufgeführten Methoden (darunter Gendoping) nötig sind (§ 6 Abs. 2 AMG). Einen Verweis auf §  4 Abs. 9 AMG, der Gentransfermittel als Arzneimittel definiert und benennt, gibt es jedoch nicht.

Bei Gendoping wird das eigentliche Problem weniger im Verbot der Handlung als vielmehr darin liegen, die Beachtung des Verbots zu kontrollieren und Verstöße gerichtsfest nachzuweisen (Vollzugsproblem). Sportorganisationen können die Einhaltung dieser Verbote im Wesentlichen mit Dopingkontrollen überprüfen. Zulässige Beweismittel für Sportorganisationen sind in erster Linie Körpergewebe- oder -flüssigkeitsproben, anhand derer mittels Nachweisverfahren mit hinreichender Sicherheit die Tat vermutet werden kann. Der Staat hat erweiterte Ermittlungsbefugnis. Da Dopingkontrollen und Strafverfolgung in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Sportlers eingreifen, muss die verbotene Handlung hinreichend genau formuliert sein (Bestimmtheitsgebot). Aus rechtlicher Sicht bestehen Zweifel, ob die derzeitige Gendopingdefinition dem gerecht wird.

Der Nachweis von Gendoping wird wahrscheinlich noch aufwendiger als der von derzeitigen Dopingpraktiken. Das bestehende System aus Wettkampf- und Trainingskontrollen wird ausgebaut werden müssen. Wenn vermehrt Blut- oder gar Gewebeproben genommen werden müssen, wachsen die Anforderungen an die Probennahme massiv. Da sie das Persönlichkeitsrecht des Sportlers betreffen, muss prinzipiell die Rechtmäßigkeit des Verfahrens begründet werden. Das ist wahrscheinlich nur dann möglich, wenn mit hinreichender Sicherheit ein Verstoß nachgewiesen werden kann – wenn es also einen gerichtsfesten Test gibt. Insgesamt ist zu erwarten, dass durch Gendoping das gesamte Verfahren des Nachweises noch höhere Anforderungen an die Sportgerichtsbarkeit stellen wird als die bisherigen Dopingpraktiken.

Tab.1    Dopingverstöße und Sanktionsrahmen in Deutschland

Quelle:  WADA-/NADA-Code, Arzneimittelgesetz, Verbotsliste (BGBl 2007, Teil II, Nr. 18)

Der Staat kann den Sport bei der Verfolgung von Gendopingtatbeständen unterstützen. Die Einrichtung von polizeilichen Fachdienststellen und von spezialisierten Staatsanwaltschaften zur effektiven Strafverfolgung und deren zielorientierte Fortbildung, eindeutig definierte Kontaktwege und -personen und eine engere Kooperation von Strafverfolgungsbehörden mit anderen Akteuren (Wissenschaft, Sport, Arzneimittelproduktion) sind bereits für konventionelles Doping wichtig, für Gendoping werden sie unabdingbar sein.

Da diese repressiven Maßnahmen im Kampf gegen Gendoping sehr aufwendig sein werden und noch mit einer Reihe von offenen rechtlichen Fragen verbunden sind, ist es unwahrscheinlich, dass sie allein wirksam vor Gendoping abschrecken werden. Konzepte der Gendopingprävention müssten hinzutreten.

Gesellschaftliche Aspekte des Dopings

Doping ist individuelles Handeln in gesellschaftlichen Zusammenhängen. Vergleichbar mit anderem regelverletzendem Verhalten ist es Resultat individueller Entwicklungsprozesse und bewusster Entscheidungen. Angesichts der Größenordnung, die Doping im Sport angenommen hat, ist aber der Hinweis auf das abweichende Verhalten einzelner Sportler nicht ausreichend. Für ein weitgehendes Verständnis von Dopinghandeln sind vielmehr auch dessen gesellschaftliche Kontexte zu betrachten. Dazu gehören beispielsweise die globale Kommerzialisierung des Leistungs- und Spitzensports: Sport selbst ist zum Geschäft und für viele Sportler ist er zum Beruf geworden. Die Medien und die Erwartungen eines weltweiten Publikums haben hierfür die Voraussetzungen geschaffen und intensivieren den Prozess der Ökonomisierung sportlicher Leistungen. Umso wich­tiger wird das Gewinnen »um jeden Preis«. Die Dominanz des Leistungsimperativs, verbunden mit der Aussicht auf Gewinne, bedingen Strukturen, die offen für alles sind, was hilft, die Leistung zu steigern.

Im System des Sports sind die Sportorganisationen die Akteure, die zwischen den Leistungs- und Erfolgsansprüchen des Umfeldes des Sportlers – Politik, Medien, Sponsoren, Publikum – und dem Sportler selbst zu vermitteln suchen: Sie fördern die Leistungsbereitschaft und -fähigkeit ihrer Sportler, und sie organisieren den Leistungsvergleich im Wettkampf. Ihre Position und ihr Einfluss im Gesamtgeschehen hängen dabei von den Erfolgen ihrer Sportler ab. Insofern stecken auch sie – analog zum Sportler – in einer Art »Dopingfalle«. Den Ansprüchen an einen »sauberen« regelkonformen Leistungssport müssen sie gerecht werden, indem sie sich aktiv im Kampf gegen Doping positionieren. Durch Kontrolle und Sanktionen gefährden sie aber tendenziell den Erfolg. Vieles vom Tun und Unterlassen der Verbände in Bezug auf Doping wird durch diese Verstrickung in »Systemlogik« des Leistungssports besser erklärbar.

Die Diagnose der strukturellen Verwicklung in das Dopinggeschehen gilt aber nicht nur für Sportler, Sportmediziner und Verbände, sondern auch für staat­liche Akteure. Sie fördern den Sport, weil sie an Erfolgen interessiert sind, sie unterstützen aber auch die Dopingkontroll- und -sanktionsstrukturen und etablieren im staatlichen Recht Verbote und Straftatbestände. Ein Erfolg der Antidoping-Aktivität könnte aber Misserfolge der nationalen Athleten bedeuten – auch weil möglicherweise die Dopingpraxis der internationalen Konkurrenz nicht ebenfalls adäquat bekämpft wird.

Insgesamt muss Doping als Effekt spezifischer gesellschaftlicher Strukturen verstanden werden. Durch Tun und Unterlassen haben viele Akteure zu einem »System der organisierten Unverantwortlichkeit« beigetragen. Als kollektiv erzeugtes Problem kann die weitverbreitete Praxis des Dopings nur durch gemeinsame Aktivitäten auf mehreren Ebenen gelöst werden. Angesichts der über Jahre gewachsenen Strukturen ist hier Optimismus zwar nicht am Platz. Die erheblichen Glaubwürdigkeitsprobleme des Leistungssports könnten aber durchaus eine wirksame Eindämmung der Dopingpraxis einläuten. Gendoping könnte hier wie ein Menetekel wirken, Einsichten in die Gefährdungspotenziale des Dopings für den Sport weiterhin befördern und einen Prozess des Umsteuerns unterstützen.

Informations- und Handlungsbedarf

Mit Gendoping wird ein Politikfeld betreten, das sich durch unvollständiges und unsicheres Wissen bei gleichzeitig dringlichem Handlungsbedarf auszeichnet. Die folgenden Handlungsoptionen können Bausteine einer spezifischen Antigendo­ping-Strategie darstellen.

Screening biomedizinischer und pharmazeutischer Entwicklungsvorhaben mit Fokus auf Gendopingrelevanz

Gendoping missbraucht Wissen aus der Grundlagen- und/oder Anwendungsforschung der Lebenswissenschaften, das in neuartige therapeutische Strategien münden soll. Eine kontinuierliche vorausschauende Beobachtung biomedizi­nischer und pharmazeutischer Entwicklungsvorhaben sowie der potenziellen Nachfrageseite könnte strategisch wichtige Informationen liefern. Dies könnte zu einer Art »Frühwarnsystem« führen, das für die Akteure des Antidoping-Kampfes sowie die präventive Dopingforschung Orientierungen liefert. Die Kooperationsbereitschaft der Industrie wäre hierbei hilfreich.

Nachweisbarkeit erforschen, Tests entwickeln, »intelligentes« Monitoring konzipieren

Erheblicher Forschungs- und Entwicklungsbedarf besteht bezüglich des Nachweises von Gendoping als Schlüsselelement des Kontroll- und Sanktionssystems. Ein zweistufiger Ansatz scheint derzeit am ehesten erfolgversprechend. Er umfasst ein »intelligentes« Monitoring und bei Verdachtsmomenten spezifische Tests zum Nachweis. Für ein solches Monitoring besteht neben dem fachlichen (Welche Messgrößen geben in welchen Zeitabständen Hinweise auf dopingbedingte physiologische Entwicklungen bzw. Auffälligkeiten?) auch rechtlicher Klärungsbedarf nicht nur in Bezug auf die Sanktionierung, sondern auch im Bereich des Daten- und Persönlichkeitsschutzes.

Konzepte und Aktivitäten für gendopingspezifische Informations- und Aufklärungskampagnen

Komplementär zur Weiterentwicklung der Kontroll- und Sanktionsstrukturen sollten eigenständige Informations- und Aufklärungskampagnen mit einem Fokus auf Gendoping entwickelt werden. Damit diese präventiv wirken können, bedarf es eines umfassenden Konzepts, das den gesamten Prozess der individuellen sportlichen Entwicklung, in dem Dopingmentalitäten und -verhaltensweisen schrittweise entstehen können, in den Blick nimmt. Das unmittelbare Umfeld des Sportlers (Trainer, Betreuer, Mediziner) wäre in einem solchen Konzept ebenso zu berücksichtigen wie die Rolle von Sponsoren und Medien.

Förderpolitiken nachjustieren

Im Rahmen der öffentlichen Sportförderung wird mittlerweile von den Zuwendungsempfängern die Einhaltung des Regelwerkes der WADA und NADA gefordert. Gendoping ist insofern erfasst. Eine Rückforderung von Leistungen im Falle von Verstößen setzt allerdings den gerichtsfesten Nachweis voraus. Auch hier zeigt sich der Nachweis als Achillesferse. Gleichwohl sollte die Forderung nach Einhaltung der Antidoping-Regeln in jedem Fall beibehalten, ggf. im Blick auf Gendoping sogar noch strenger gehandhabt werden. Insofern könnte der Staat bei seinen Förderaktivitäten beispielgebend für die privatwirtschaftliche Förderung wirken.

Arzneimittelgesetz – Anwendbarkeit und weitere Straftatbestände prüfen

Durch das »Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung des Dopings im Sport« sind mittlerweile bessere Voraussetzungen für die strafrechtliche Verfolgung von Doping insbesondere im Umfeld der Sportler geschaffen worden. Der Gesetzgeber wird aber prüfen müssen, ob und wie diese und andere gesetzliche Normen an die Dynamik des wissenschaftlich-technischen Fortschritts und die Praxis des Dopings angepasst werden müssen. Gendoping als Verbotstatbestand beispielsweise könnte konkretisiert werden, um dem Bestimmtheitsgebot zu genügen: Aufgrund der erfolgten inhaltlichen Erweiterung des Dopingtatbestands um Stoffe, die zur Verwendung bei verbotenen Methoden bestimmt sind, ließen sich auch entsprechende Stoffe des Gendopings erfassen. Um dem Bestimmtheitsgrundsatz genüge zu tun, könnte beispielsweise in § 6a Abs. 2 und 2a AMG jeweils auf § 4 Abs. 9a AMG verwiesen werden. Auf diese Weise ließe sich ein Verbot der Nutzung von Gentransferarzneimitteln zum Zwecke des Gendopings statuieren. Ferner sollte geprüft werden, ob das Tatbestandsmerkmal »nicht geringe Menge« auch für Gendoping Geltung haben oder ob nicht jede nichtmedizinisch indizierte Verwendung von Gentransfermitteln am Menschen unter Strafe gestellt werden sollte.

Parlamentarische Technikfolgenabschätzung

Die Relevanz der Thematik Gendoping ergibt sich nicht nur aus ihrer Bedeutung als absehbarer Verstärker der Dopingproblematik im Sport. Vielmehr verweist das Thema auch auf einen gesamtgesellschaftlichen Trend der körperlichen und psychischen Leistungsmanipulationen mithilfe von Arzneimitteln. »Alltagsdoping« oder »Enhancement« ist ein aktueller, in die Zukunft weisender Themenkomplex für die Technikfolgenabschätzung und die Fachausschüsse des Deutschen Bundestages.

 

Erstellt am: 01.07.2008 - Kommentare an: webmaster