Torsten Fleischer, Peter Hocke, Hans Kastenholz, Harald F. Krug, Christiane Quendt, Albena Spangenberg
Evidenzbewertung von Gesundheitsrisiken synthetischer Nanopartikel - Ein neues Verfahren für die Unterstützung von Governance-Prozessen in der Nanotechnologie?

Vortrag auf der NTA3 – Dritte Konferenz des Netzwerks TA
TA' 08 – Achte österreichische TA-Konferenz des Instituts für Technikfolgen-Abschätzung (ITA): Technology Governance. Der Beitrag der Technikfolgenabschätzung. Österreichische Akademie der Wissenschaften und das Netzwerk TA. Wien, Österreich, 28. - 30.05.2008


Abstract

Nanotechnologie gilt in der Forschungs- und Wirtschaftspolitik als Feld mit revolutionären Möglichkeiten der Innovation in verschiedensten Anwendungsbereichen, als eine der wichtigsten emergenten Techniken des 21. Jahrhunderts. Parallel zu ihrer forschungs- politischen Konjunktur entwickelte sich in der Wissenschaft, den Medien und der interessierten Öffentlichkeit (und hier insbesondere bei den umweltorientierten und wirtschaftskritischen Nichtregierungsorganisationen) eine Debatte über die Risiken der damit verbundenen Entwicklungen (z. B. ITA 2006; Schmid et al. 2006; Fleischer und Grunwald 2008).

Aus Sicht der Technikfolgenabschätzung sind dabei drei verschiedene Diskursstränge (u.a. mit unterschiedlichen Folgendimensionen und Zeithorizonten) zu beobachten:

  1. das potentielle Auftreten von „Risiken“ durch unbekannte Eigenschaften von Nanomaterialien (hier vor allem von synthetischen Nanopartikeln) und ihre Auswirkungen auf Mensch und Umwelt.
  2. Folgen von „ermöglichten Innovationen“ bei Technikfeldern, die selbst der Nanotechnologie nicht zugerechnet werden, die aber ohne Beiträge aus ihr nicht oder nicht in dieser Form realisiert werden können. Dies betrifft unter anderem die Informations- und Kommunikationstechnik und dort verfolgten Visionen der Einbettung und Ubiquität, oder die Medizintechnik mit neuen Formen der technischen Nutzung von Erkenntnissen an der Schnittstelle zwischen Nano-, Bio-, Informations- und Kognitionswissenschaften.
  3. NT als weiterer Repräsentant für „Risikotechniken“ in breiteren Debatten über grundsätzliche Fragen der gesellschaftlichen Steuerung von Wissenschaft, des Vertrauens in Wissenschaft sowie Wissenschaftler und deren Auftraggeber und des (als fehlend wahrgenommenen) Einflusses auf die Forschungs- und Technologie-Politik.

Als ein wichtiges Thema in der Diskussion um die Governance von Nanotechnologie hat sich der gesellschaftliche Umgang mit den (potentiellen) Risiken der wachsenden technischen Nutzung gezielt hergestellter synthetischer Nanopartikel herauskristallisiert (beispielhaft: Renn/Roco 2006; Meili et al 2007). Die wirtschaftliche Attraktivität dieser Partikel liegt vor allem darin begründet, dass sie Eigenschaften aufweisen, die größere Strukturen aus dem gleichen Material nicht zeigen. Wenn dies aber für die physikalisch-chemischen Eigenschaften stimmt, so die plausible Vermutung, gilt dies möglicherweise auch für ihre biologischen und toxischen Eigenschaften. Sind toxikologische Bewertungen, die für Volumenmaterial vorgenommen wurden, auch für nanoskalige Partikel gültig? Werden solche Teilchen eventuell anders („einfacher“) in den Körper aufgenommen, und welche Effekte zeigen sie dort? Wie werden sie im Körper transportiert, werden sie ausgeschieden oder akkumulieren sie? Führen sie zu gesundheitlichen Effekten? Diese Fragen bewegen nicht nur Wissenschaftler, sondern auch Politiker und Regulierungsbehörden, NGOs und Medien (Helland et al. 2006; Siegrist et al. 2007).

Dabei stehen Akteure, die sich eine begründete Position erarbeiten wollen, vor einer Reihe von Herausforderungen: Toxikologische Forschungsergebnisse zu Nanopartikeln liegen bisher zu wenige vor, zudem sind die Studien oft nicht miteinander vergleichbar oder methodisch kritikabel, woraus Validierungsprobleme entstehen. Bei der Interpretation von Forschungsergebnissen liegen die Expertenpositionen häufig weit auseinander, wobei in der Medienberichterstattung oft eher die risikobetonenden Stimmen zu Wort zu kommen scheinen. Aus der Perspektive der Werkstoffentwicklung ist bedeutsam, dass nanoskalige Partikel aus vielen verschiedenen Materialien hergestellt und eventuell auch noch mit anderen Stoffen kombiniert oder beschichtet werden können. Diese große Mannigfaltigkeit wird sich kaum „Fall für Fall“ untersuchen lassen, was die Frage nach der Übertragbarkeit von Forschungsresultaten zwischen unterschiedlichen Materialgruppen aufwirft (Krug / Fleischer 2007; Helland et al. 2007).

Entscheider wie (potentiell) Betroffene sehen sich daher mit einer unübersichtlichen wissenschaftlichen Ergebnis- und Diskurslandschaft konfrontiert, deren Kartierung durch sie selbst nur schwer zu leisten ist. Aus diesem Grunde wurde im Rahmen des Projektes NanoHealth geprüft, inwieweit die von der Programmgruppe Mensch, Umwelt, Technik (INB-MUT) des Forschungszentrums Jülich entwickelte Methode der Evidence Maps (EM) geeignet ist, Beiträge zur Strukturierung, Charakterisierung und Kommunikation von Risiken bei synthetischen Nanopartikel zu leisten.

Grundüberlegung dieses Ansatzes ist, dass die Ermittlung der wissenschaftlichen Evidenz über einen (potenziellen) Hazard grundlegender Baustein jeder Risikobewertung ist. Diese wird allerdings erschwert, wenn die analytische Basis für eine Evidenzbewertung quantitativ dürftig ist oder die Evidenz auf inkonsistenten oder widersprüchlichen Ergebnissen wissenschaftlicher Studien basiert. Solche Ergebnisse mit verschiedenen Stakeholdern zu kommunizieren ist äußerst schwierig. Evidence Maps können ein geeignetes Hilfsmittel sein, um die „Logik“, die wissenschaftliche Experten zu ihren Schlussfolgerungen über einen (potenziellen) Hazard führt, nachzuvollziehen und zugleich wissenschaftliche Evidenz (beziehungsweise ihr Fehlen) in einer leichter zugänglichen Form zusammenzufassen und zu präsentieren.

Während der ursprüngliche Jülicher Ansatz (Wiedemann et al. 2005) auf die Anzahl und Qualität der publizierten Studien zu Gesundheitswirkungen von elektromagnetischen Feldern des Mobilfunks (bezogen auf spezifische Endpunkte) als wichtigen Evidenzindikator baute und für (potentielle) Hazards mit der dafür vorhandenen breiten Untersuchungsbasis auch gut umzusetzen ist, stellt sich die Situation für synthetische Nanopartikel komplexer dar. Zum einen kann noch nicht gut beurteilt werden, inwieweit die bislang toxikologisch untersuchten Partikel (aus unterschiedlichen Stoffgruppen) als ein „Agens“ gelten können, oder inwieweit Differenzierungen nach Stoffgruppe, Größe, Morphologie und anderen Merkmalen vorzunehmen sind. Zum zweiten ist die empirische Basis noch vergleichsweise schwach – es liegen bisher nur relativ wenig publizierte Studien zu den gesundheitlichen Aspekten von synthetischen Nanopartikeln vor. Die diesbezügliche Forschung wurde erst in jüngster Zeit intensiviert und mit veröffentlichten Ergebnissen in breiterem Umfang ist erst in den nächsten Jahren zu rechnen. Zum dritten ist der Zusammenhang zwischen Transport, Verteilung und Akkumulation von synthetischen Nanopartikeln im Körper und tatsächlichen Gesundheitswirkungen keineswegs geklärt.

Aus diesen Gründen wurde im Rahmen von NanoHealth der ursprüngliche EM-Ansatz an die veränderte Informationsbasis adaptiert. Eine Veränderung betrifft die Reduktion der Analyseperspektive auf fünf „biologische“ Endpunkte. Die andere Modifikation besteht in ihrer Öffnung hin zu einem mehr diskursiven Format. Im Projekt wurden der aktuelle Wissensstand zu Gesundheitswirkungen synthetischer Nanopartikel durch eine wissenschaftliche Arbeitsgruppe in Form von Evidence Maps für verschiedene Stoffe und Endpunkte aufbereitet und diese Resultate in einem zweitägigen Expertenworkshop diskutiert und modifiziert. Dies bietet mehrere Vorteile, die auch im Prozess beobachtet werden konnten: Es ermöglicht - gerade für dieses junge und hochdynamische Forschungsgebiet - eine Erweiterung der Informationsbasis um bislang nicht publiziertes, (sub-)disziplinär unterschiedlich verteiltes und tazites Expertenwissen. In der Interaktion der Experten bei der Interpretation der EM-Entwürfe wird methodische Kritik an den zugrunde liegenden Einzelstudien artikuliert, begründet und ggf. verteidigt. Zudem werden auch die einer Risikobewertung durch die Experten unterliegenden Argumente und „normativen settings“ deutlich.

In einer ersten Reflexionsdiskussion nach dem Workshop wurde der Ansatz von den beteiligten Experten als außerordentlich hilfreich sowohl für die Einordnung der eigenen Arbeit als auch für die Unterstützung ihrer Kommunikation von Forschungsergebnissen mit der Öffentlichkeit erachtet. Im weiteren Verlauf des Projektes wird zu prüfen sein, wie andere Beteiligte im Risikodiskurs (Regulatoren, Politik, NGO, Medien, interessierte Bürger) dieses Tool einschätzen. Sollte die Reaktion ähnlich zu der der Experten ausfallen, könnte es dazu geeignet sein, in den in aktuellen technology governance-Prozessen zur Nanotechnologie oft heterogenen Akteurs-, Informations- und Verfahrenskonstellationen zumindest auf der Ebene der Strukturierung und Bewertungsbasis des wissenschaftlichen Informationsstandes zu einem Teilfeld eine Unterstützung zu bieten.

Der Beitrag wird diese und weitere ausgewählte Ergebnisse der Methodenentwicklung und Umsetzung vorstellen und in ihrer Reichweite diskutieren. Des Weiteren soll erörtert werden, inwieweit das Verfahren auch Anwendung in anderen Risikodiskursen und technology governance-Prozessen finden könnte.

 

Erstellt am: 27.05.2008 - Kommentare an: webmaster