Michael Decker

Ersetzbarkeit des Menschen durch Technik?
Perspektiven am Beispiel der Robotik

Vortrag auf der Veranstaltung der Gesundheitsstadt Berlin e.V. und ProCurand AG / CURA AG: Pro Aging – innovative Lösungen für eine Gesellschaft des längeren Lebens. Hotel Hilton am Gendarmenmarkt, Berlin, 08.11.2006


Abstract

Roboter sind zu den seltenen technischen Systemen zu zählen, die in ihren Konstruktions- und Wirkungsmöglichkeiten schon umfassend beschrieben und diskutiert wurden, bevor sie tatsächlich gebaut wurden. Berücksichtigt man allerdings die Entwicklung der letzten zehn Jahre, dass wesentlich mehr Mikroprozessoren als so genannte Mikrokontroller außerhalb von Computern eingesetzt werden (nämlich in Autos, Flugzeugen, Häusern, Maschinensteuerungen, Satelliten, Mobiltelefonen, Waschmaschinen, Spielautomaten, Kameras, etc.), dann kann man von einer Roboterisierung der menschlichen Umwelt sprechen. Diese Entwicklung geht einher mit größerer Leistungsfähigkeit, „Miniaturisierung“ und breiter Verfügbarkeit in anderen Bereichen: Motoren, Getriebe, Batterien, Materialien, Verbindungen, Sensoren. Die allgemeine Robotik hat inzwischen einen Stand erreicht, der die Beschäftigung mit Robotern nicht mehr zwangsläufig zu einer Odyssee durch diverse Disziplinen wie Maschinenbau, Elektrotechnik, Regelungstechnik, Softwaretechnik und Algorithmik mit unzähligen unfreiwilligen Zwischenstopps macht; es kann vielmehr von einer (Mindest-)-Verfügbarkeit und Stabilität der Komponenten in Hardware und Software ausgegangen werden, und die Systeme können ingenieursgemäß und systematisch aufgebaut werden.

Diese Entwicklungen der Robotikforschung ermöglichen den Einsatz von Robotern in bisher nicht technisierten Anwendungsbereichen. Roboter agieren dann in Handlungszusammenhängen, in denen bisher ausschließlich Menschen handelten. In diesen Handlungskontexten werden Menschen durch Roboter ersetzt. Der Bezug auf konkrete Handlungszusammenhänge ist dabei von besonderer Bedeutung, denn eine generelle Ersetzung des Menschen durch Roboter wird im Allgemeinen nicht angestrebt.

Die Frage nach der Ersetzbarkeit des Menschen in konkreten Handlungskontexten ist sehr allgemein formuliert. Sie unterstreicht gleichzeitig den Zweck-Mittel-Zusammenhang der einer Technikbewertung zugrunde liegt. Technik wird als Mittel eingesetzt, um einen bestimmten Zweck zu erreichen. Sie konkurriert dabei mit anderen Mitteln, mit denen derselbe zwecke alternativ auch erreicht werden könnte. Eine umfassende Technikbewertung hinterfragt aber auch die Zwecke selbst. Schließlich kann die Frage nach der Ersetzbarkeit des Menschen als eine Basis für die Strukturierung des Themenfeldes dienen:

Zunächst stellt sich die Frage nach der technischen Ersetzbarkeit. Man wird einen Roboter nur dann einsetzen, wenn er technisch dazu in der Lage ist, Handlungen auszuführen, die es für das Erfüllen einer bestimmten Aufgabe zu erledigen gilt. Bei der technischen Beurteilung tritt der Zweck-Mittel-Zusammenhang besonders deutlich hervor. Man kann sich eine Checkliste vorstellen, in der festgelegt wird, was der Roboter technisch können soll. Ist der Roboter in der Lage, dieses technische Pflichtenheft und damit seinen Zweck erfüllen zu können, dann ist eine technische Ersetzbarkeit erreicht.

Sehr schnell kommt man bei solchen Zweck-Mittel-Betrachtungen an einen Punkt, an dem man den Nutzen von Robotern bewerten muss (ökonomische Ersetzbarkeit). Dabei geht es nicht nur um strenge Kosten-Nutzen-Überlegungen im ökonomischen Sinne, denn dabei bleiben Aspekte eines weiter gefassten Nutzenbegriffes häufig unberücksichtigt. Offensichtlich wird dies bei der Beurteilung sogenannter Service-Roboter. Denn mit Service werden immer auch schwer bewertbare Aspekte wie Freundlichkeit, Hilfsbereitschaft, Aufmerksamkeit, Zuvorkommenheit verbunden. Wie sind diese „soft skills“ in der Beurteilung zu berücksichtigen? Wie lässt sich das Recht der Nachfrageseite auf diese zusätzlichen Dienstleistungsaspekte begründen?

Die Position der Nachfrage, der Kunden, muss auch aus anderer Perspektive erörtert werden. Beispielsweise gilt es zu prüfen, ob sich durch das Einbringen von Robotern als Handelnde Veränderungen aus juristischer Sicht ergeben (rechtliche Ersetzbarkeit). Auf der einen Seite sind an dieser Stelle sicherlich Haftungsfragen von Interesse. Wer haftet für einen vom Roboter verursachen Schaden? Andererseits stellen sich auch Fragen des Verbraucherschutzes. Denn in den zukünftigen Roboter-Szenarien werden auch Robotik-Laien mit Robotern zusammentreffen. Müssen Roboter für diese „unverhofften“ Begegnungen besonders ausgerüstet sein? Müssen umgekehrt Menschen auf die Möglichkeit solcher Begegnungen vorbereitet werden? Sind bei „lernenden“ Robotern zusätzliche Aspekte zu berücksichtigen?

Schließlich gilt es zu fragen, ob es Handlungszusammenhänge gibt, in denen eine moderne Gesellschaft ausschließt, dass Roboter in diese Handlungszusammenhänge eingebunden werden. Solche Handlungszusammenhänge könnte die Pflege von kranken oder alten Menschen sein, die Erziehung von Kindern oder ähnliches. Die Beurteilung der Frage, in welchen Bereichen autonome Roboter statt Menschen agieren sollen, ist die Frage nach der ethischen Ersetzbarkeit. Diese ethische Reflexion zielt in dem angesprochen Zweck-Mittel-Zusammenhang besonders auf die Ebene der Zwecke. Es geht also um die Frage, ob die mit dem Einsatz autonomer Roboter verbundenen Zwecke ethisch gerechtfertigt werden können. Ein besonderes Augenmerk verdienen hier die Anwendungsbereiche in der Medizin. Zum einen, da sich hier sowohl aus technischer Sicht eine Vielzahl von Prototypen und Anwendungsszenarien finden lassen, zum anderen, da auch aus reflektierender Perspektive reizvolle Problemstellungen auftreten. Beispielsweise ist der Gesundheitssektor aus ökonomischer Sicht interessant, da es sich um einen speziellen Markt handelt, der typischerweise stark reglementiert und in Deutschland sogar budgetiert ist. Der Einsatz von Robotern im Gesundheitssektor birgt die Gefahr, dass Pflegebedürftige in ethisch bedenkliche Betreuungssituationen geraten. Hier gilt es beispielsweise zu fragen, ob Pflegebedürftige einen Roboter in ihrem Umfeld akzeptieren müssen, wenn dieser in die gesetzliche Regelversorgung aufgenommen wurde? Oder soll dem Patienten ein Veto-Recht eingeräumt werden? Wie sind Roboter als Hilfsmittel in der Pflege zu beurteilen?

Neben diesen Facetten der Ersetzbarkeit des Menschen durch Robotersysteme stellt dieser Beitrag einige konkrete Handlungsempfehlungen vor, die in einer Technikfolgenbeurteilung über Roboter entwickelt wurden. Diese Handlungsempfehlungen wenden sich an die Exekutive, die Legislative und die Wissenschaft selbst.


Erstellt am: 20.11.2006 - Kommentare an: webmaster