Risiko Mobilfunk

Wissenschaftlicher Diskurs, öffentliche Debatte und politische Rahmenbedingungen

Christoph Revermann:
Berlin: edition sigma 2003, (Reihe "Studien des Büros für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag", Bd. 15), ISBN 3-89404-824-7, 199 Seiten, 18,90 Euro


Zusammenfassung

Die Debatte um mögliche gesundheitliche Effekte hochfrequenter elektromagnetischer Felder (EMF) begleitet den Ausbau der digitalen Mobilfunknetze seit Anfang der 90er Jahre. Seit der Versteigerung der UMTS-Lizenzen zur Einführung der sog. dritten Mobilfunkgeneration ist jedoch eine erhebliche Intensivierung und z.T. auch Emotionalisierung der Diskussion und der öffentlichen Proteste zu beobachten, so dass Politik, Netzbetreiber und regulierende Instanzen nach Wegen suchen, in der Debatte über die elektromagnetische Verträglichkeit der Umwelt (EMVU) zu einem konstruktiven Umgang mit den potenziellen Risiken des Mobilfunks zu kommen.

Da auch die politischen Akteure sich aufgefordert sehen, auf diesen Dialog proaktiv einzuwirken und auf Besorgnisse in der Bevölkerung einzugehen, haben im Herbst 2001 die Berichterstatter für TA des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung des 14. Deutschen Bundestages vorgeschlagen, das Thema "EMVU bei Mobiltelefonen und Sendeanlagen" durch das Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) bearbeiten zu lassen. In dem vom TAB entsprechend konzipierten Projekt geht es um eine Strukturierung der wissenschaftlichen Debatte und einen Überblick über aktuelle rechtliche Rahmenbedingungen und mögliche neue Regulierungsoptionen.

Im vorliegenden Sachstandsbericht stehen folgende Schwerpunkte und Fragen im Vordergrund:

- Analyse des wissenschaftlichen Diskurses zu den gesundheitlichen Risiken mobiler Telefone und Sendeanlagen sowie Analyse neuer thematischer Trends und Erkenntnisse, Herausarbeitung von Dissens und Konsens bei der Beurteilung des Risikos (und möglicher Maßnahmen zur Gefahrenminderung) - Überblick der regulatorischen Rahmenbedingungen sowie der geltenden Grenzwerte in Deutschland und weiteren Ländern, Analyse der Rahmenbedingungen in Ländern mit hoher Mobilfunkpenetration bzw. hohem Verbraucherschutzstandard und der dortigen Akzeptanzsituation - Analyse der öffentlichen Debatte: Wie werden elektromagnetische Risikoquellen von Laien perzipiert? Für welche Gruppen der Bevölkerung hat die EMVU eine besondere Bedeutung? Welche Argumente und Befürchtungen werden geäußert? Wie ist die Rolle der Fachwelt in der Debatte? Welche Rollen spielen die Medien, welche Formen der Thematisierung werden gewählt? Wie reagieren die Netzbetreiber und Kommunen?

EMF und Mobilfunk

Mobilfunk funktioniert auf der Grundlage von sog. hochfrequenten elektromagnetischen Feldern (HF). Elektromagnetische Felder (kurz: EMF) sind Bestandteil der natürlichen Umwelt, wie beispielsweise die Sonnenstrahlung (Tageslicht), Gewitter oder das Magnetfeld der Erde. Tagtäglich leben wir ununterbrochen unter dem Einfluss elektromagnetischer Felder. Seit langem sind zahlreiche weitere Strahlungsquellen von EMF bekannt. Technisch erzeugte EMF finden sich überall dort, wo Strom fließt, beispielsweise im Haushalt (Radio, TV, Computermonitor, Radiowecker, Föhn, Rasierer, Mikrowelle, elektrische Heizung, Fernbedienungen, schnurlose DECT-Telefone für das Festnetz und Mobiltelefone usw.), bei der Arbeit (medizinische Geräte, Kommunikationssysteme usw.) oder im Freien (Hochspannungsleitungen, Eisenbahnen, Kommunikationssysteme für Polizei und Notruf, Alarmanlagen, Radargeräte, Sendeanlagen für Radio, Fernsehen und Mobilfunk). Sie alle verursachen elektromagnetische Felder verschiedener Stärke. Für diese insgesamt vom Menschen verursachten EMF wird zuweilen der Begriff "Elektrosmog" benutzt, um das Bild eines Lebens in einer Wolke unsichtbarer Wellen zu vermitteln, die man zudem nicht riechen, schmecken oder hören kann, und die dennoch möglicherweise den Organismus beeinflussen können.

Das grundsätzliche Prinzip der drahtlosen Kommunikation besteht in der Informationsübertragung mittels elektromagnetischer Wellen. Die Sprachübermittlung kann sowohl auf analogem als auch auf digitalem Wege erfolgen. Andere Informationen, wie beispielsweise Daten, werden generell auf digitalem Wege übertragen. Zur Unterscheidung der elektromagnetischen Wellen dienen ihre Frequenz, d.h. die Anzahl ihrer Schwingungen pro Sekunde und ihre Intensität, d.h. die Stärke des elektromagnetischen Feldes (Feldstärke) sowie die Signalform. Der Mobilfunk benutzt beim derzeitigen GSM-Standard hochfrequente Felder bei 900 MHz bzw. 1.800 MHz und 2.170 MHz beim zukünftigen UMTS-Netz. Die derzeitige Mobilfunktechnik setzt elektromagnetische Wellen in so genannter gepulster Form ein, d.h. sie werden in einem bestimmten Rhythmus an- und abgeschaltet.

Besorgnis der Öffentlichkeit

Die Besorgnis der Öffentlichkeit hinsichtlich der Mobilfunkstrahlung ist zum Teil natürlich durch die Verbreitung dieser Technik begründet, denn fast jeder ist potenziell betroffen. Sie lässt sich aber auch auf den Umstand zurückführen, dass Telefone normalerweise in unmittelbarer Nähe zu empfindlichen Körperteilen wie z.B. Gehirn oder Auge benutzt werden, und diese Nähe die Exposition erhöht. Ein weiterer Grund für die Besorgnis vieler Bürger ist der zurzeit stattfindende flächendeckende Aufbau des sog. UMTS-Systems, der die Errichtung zahlreicher neuer Antennen erforderlich macht und die Bürger direkt mit dieser Entwicklung konfrontiert. Zudem hat die Öffentlichkeit meist wenig Mitspracherechte bei der Auswahl der Standorte für die Basisstationen, die nach ihrer Errichtung ständigen Veränderungen unterworfen sind: Sie werden gekauft und verkauft, in verschiedene Netzwerke integriert, modifiziert und in manchen Fällen auch wieder still gelegt. Über die Nutzung eines Mobiltelefons kann der Bürger selbst entscheiden, obwohl diese Wahl in vielen Fällen durch berufliche Erfordernisse eingeschränkt wird. Im Falle der Basisstationen hat der Einzelne jedoch kaum Möglichkeiten, sich der Exposition zu entziehen.

Zusätzlich kompliziert wird die Situation dadurch, dass die möglichen Risiken von Sendeanlagen auch von denen getragen werden, die selber keine Mobiltelefone benutzen, und zum anderen fühlen sich auch Mobiltelefonierer durch Sendemasten in ihrer Gesundheit gefährdet. Auch die Besorgnis bezüglich der von Mobiltelefonen selbst ausgehenden Strahlung ist weit verbreitet (vgl. Umfrage TAB 2002). Hier kann man sich jedoch zumindest im privaten Gebrauch durch Verzicht schützen. In den USA haben immerhin schon Mobiltelefonnutzer, die an einem Gehirntumor erkrankt sind, gegen Mobilfunkunternehmen geklagt.

Sendeanlagen und Mobiltelefone

Der Betrieb von Mobiltelefonen ist nur an Orten möglich, die von einer Sendeanlage (Basisstation, Sendemast, Antennen) des jeweiligen Mobilfunk-Netzes versorgt werden. Die Installation des Senders kann auf den unterschiedlichsten erhöhten Punkten erfolgen. Die Aussendung der Funkwellen durch die Sendeantenne erfolgt weitestgehend horizontal und nur in eine Richtung (Hauptsenderichtung). Dadurch ergibt sich direkt unter der Antenne ein Sendeschatten mit sehr schwachen EMF. Die Stärke der Felder nimmt in der Hauptsenderichtung mindestens proportional mit dem Abstand von der Antenne ab. In Deutschland gibt es vier verschiedene Funknetze, die parallel in Betrieb sind. Alle - auch die zukünftigen sog. UMTS-Netze - haben die gleiche Netzstruktur. Um ein bestimmtes Gebiet zu versorgen, wird dieses in einzelne Teilgebiete - Funkzellen - aufgeteilt. Diese verteilen sich wabenförmig über das gesamte Bundesgebiet, haben jedoch eine unterschiedliche Größe. Der Durchmesser einer Funkzelle reicht von unter 100 Metern in Innenstädten bis zu 15 Kilometern auf dem Land. Je mehr Standorte von Sendeanlagen es gibt, desto kleiner kann die einzelne Funkzelle gehalten werden. Je kleiner die Funkzelle ist, desto geringer kann die Sendeleistung der einzelnen Antennenanlage sein. Um eine flächendeckende Mobilfunkversorgung in Deutschland zu gewährleisten, sind circa 40.000 aneinander grenzende Funkzellen erforderlich.

Mobiltelefone sind so konzipiert, dass sie mit einem möglichst geringen Energieeinsatz mit der nächstgelegenen Basisstation in Kontakt treten können, um die begrenzte Energie der Batterie so effektiv wie möglich zu nutzen. Ob diese Fähigkeit voll genutzt wird, hängt vom Aufbau des Netzwerkes ab. Die Möglichkeit zur Energieregulierung bei den Mobiltelefonen hat zur Folge, dass die Stärke des EMF im Umfeld des Gerätes in Abhängigkeit von Ort und der Zeit variiert. Allgemein gilt: Je schwächer die Verbindung ist, desto stärker ist die Übertragungsleistung, die das Gerät für den Verbindungsaufbau mit der Basisstation braucht. Umgekehrt bedeutet dies, dass mit steigender Zahl von Basisstationen die vom Gerät benötigte Übertragungsenergie abnimmt und somit auch die Stärke des EMF im Umfeld des Gerätes schwächer wird.

Die (Übertragungs-)Leistungen der zukünftigen UMTS-Mobilfunkgeräte werden (weit) unterhalb der bisherigen sog. GSM-Mobiltelefone liegen. Die maximale Leistung soll bei 150-250 mW liegen (GSM: 2 Watt).

Mobilfunknutzung und UMTS-System

Verschiedene Erhebungen gehen von einer Milliarde Mobilfunk-Nutzern weltweit bis 2002/2003 und 1,6 Mrd. Nutzern bis Mitte des Jahrzehnts aus. Aktuellen Daten zufolge besitzen ungefähr 60 % der Bevölkerung in der EU ein Mobilfunkgerät. Es wird erwartet, dass diese Zahl innerhalb von zehn Jahren auf nahezu 100 % anwächst. Bis zum Jahr 2010 soll es zudem weltweit rund 630 Mio. Nutzer des neuen Mobilfunkstandards UMTS geben, davon etwa 200 Mio. in Europa. Beobachtet man die Berichterstattung in den Medien über den Mobilfunk der so genannten 3. Generation, erscheint allerdings zweifelhaft, ob dieses Ziel erreichbar ist. Im Mittelpunkt stehen heute inzwischen weniger die neuen Dienste und Anwendungspotenziale einer breitbandigen drahtlosen Datenübertragung als vielmehr die wirtschaflichen Risiken für Netzbetreiber und Geräteproduzenten sowie die möglichen gesundheitlichen Risiken, die durch diese Intensität der Nutzung des Mobilfunks verursacht werden könnten.

In den europäischen Ländern wird diese Debatte mit unterschiedlich hohem Engagement geführt. Die Regelungsdichte, das Verhalten der Netzbetreiber, der Behörden und der Bevölkerung sowie die Art der Maßnahmen unterscheidet sich entsprechend. Die Zunahme der Bürgerinitiativen, die vermehrte Anzahl von Gerichtsverfahren und die Intensität der Medienberichterstattung deuten darauf hin, dass es sich um ein europaweit relevantes Thema handelt, dessen Höhepunkt in vielen Ländern vermutlich noch nicht erreicht ist. Verschiedene Interessengruppen aus der Bevölkerung, die Medien, die Mobilfunknetzbetreiber, die Mobiltelefonhersteller und nicht zuletzt die Wissenschaft sind in den Diskurs involviert und versuchen nicht nur, mit sachbezogenen und rationalen Argumenten für ihre Interessen zu werben, sondern auch ihre Werte, Überzeugungen und Schutzansprüche einzubringen und durchzusetzen.

Grenzwerte und Wirkungen

Unstrittig ist, dass elektromagnetische Wellen biologische Wirkungen verursachen können. Ob daraus allerdings nachteilige Folgen für die Gesundheit resultieren, ist umstritten. Es muss klar zwischen einem biologischen Effekt und einer negativen gesundheitlichen Auswirkung unterschieden werden. Obwohl die Literatur diese Termini nicht übereinstimmend benutzt, kann die folgende Unterscheidung mehr Klarheit verschaffen:

Die Tatsache, dass seitens der Öffentlichkeit und der Medien häufig nicht zwischen diesen beiden Termini unterschieden wird und ein biologischer Effekt als eine negative gesundheitliche Auswirkung interpretiert wird, führt oft zu Verwirrungen und Unstimmigkeiten in der EMVU-Debatte.

Biologische Wirkungsschwellen bezeichnen eine Schwelle, unterhalb derer keine biologischen Wirkungen auftreten. Diese Schwelle muss sich auf eine messbare Einheit beziehen. Beim Mobilfunk gibt die Wirkungsschwelle die Menge an Energie an, ab der mit biologischen Wirkungen zu rechnen ist. Das aussagekräftigste Maß der Energieabsorption im Körper durch hochfrequente elektromagnetische Felder ist der SAR-Wert (Specific Absortion Rate). SAR ist somit auch das wichtigste Parameter wissenschaftlicher Studien zur Exposition mit hochfrequenten EMF. Gesicherte wissenschaftliche Befunde zu biologischen Wirkungsschwellen sind die Grundlage für die Grenzwertempfehlungen der internationalen Strahlenschutzkommission ICNIRP. Die Grenzwertempfehlungen der ICNIRP bilden den Hauptinhalt der Ratsempfehlung 1999/519/EEC der EU vom 12. Juli 1999 über die Begrenzung der Exposition der Öffentlichkeit durch EMF, die gegenwärtig den Kern der auf EU-Ebene ergriffenen Schutzmaßnahmen darstellt.

Die ICNIRP-Werte bilden derzeit in 26 Ländern die Basis für die Festlegung von Grenzwerten, sie sind jedoch nicht gänzlich unumstritten. Uneinigkeit herrscht darüber, ob sie Vorsorgeaspekte, z.B. bei Langzeitexpositionen, ausreichend berücksichtigen. Befürworter der Grenzwerte weisen darauf hin, dass zwischen den Schwellenwerten für akute Wirkungen und den Basisgrenzwerten ein Sicherheitsfaktor von etwa 50 besteht und damit auch der Schutz vor Langzeitwirkungen gewährleistet ist. Kritiker bemängeln insbesondere, dass kein weiterer Sicherheitsfaktor mit Blick auf möglicherweise vorhandene so genannte athermische Effekte berücksichtigt ist.

Wissenschaftliche Debatte

Trotz der mehr als 20.000 wissenschaftlichen Veröffentlichungen zum Thema (Primärstudien) und mehreren Hundert Metastudien wird die Ergebnislage jedoch nach wie vor in Öffentlichkeit, Wissenschaft und bei Entscheidungsträgern vielfach als unbefriedigend wahrgenommen.

Wie bereits erwähnt, resultiert aus der bloßen Beobachtung biologischer Effekte noch kein Hinweis (oder Nachweis) auf negative gesundheitliche Auswirkungen. Hinsichtlich der biologischen Effekte, die verschiedene wissenschaftliche Studien bei Experimenten mit Expositionen durch elektromagnetische Strahlung identifiziert haben, besteht ein relativer Konsens dahingehend, dass einige dieser Effekte nachgewiesen wurden (z.B. Veränderungen der kognitiven Funktionen oder Veränderungen in der Blut-Hirn-Schranke) und zudem ein offensichtlicher Zusammenhang zwischen der Exposition durch hochfrequente Strahlung und dem beobachteten biologischen Effekt besteht. Ein großer Konsens besteht bezüglich der durch Mobiltelefone verursachten Exposition gegenüber EMF: Für die Mobiltelefone wird allgemein festgestellt, dass die durch sie erzeugten Expositionen im Kopf des Nutzers und in seinem unmittelbaren Umfeld über den von Sendeanlagen erzeugten EMF liegen. Sie reichen im Einzelfall bis an den von der ICNIRP für die Teilkörperexposition empfohlenen Grenzwert heran. Kommen noch andere Feldquellen hinzu, so kann es hier u.U. zu Überschreitungen des für sicher gehaltenen Expositionsniveaus kommen.

Die zurzeit einzigen gemeinhin anerkannten gesundheitlichen Risiken, die durch mobile Telekommunikation verursacht werden könnten, sind thermische Effekte über einem SAR-Wert von 4 W/kg. Der derzeitige Wissensstand über die biologischen Effekte hochfrequenter EMF läßt es bisher insgesamt gesehen nicht zu, die Fragen der Risiken einheitlich und zielführend zu beantworten.

Die Internationale Kommission für den Schutz vor nicht-ionisierender Strahlung (ICNIRP) bezog sich bei der Erarbeitung ihrer Grenzwertempfehlungen nur auf die bekannten thermischen Effekte. Im Allgemeinen liegt die Exposition der Öffentlichkeit mit elektromagnetischen Feldern deutlich unter den Grenzwertempfehlungen der ICNIRP, und auch die Emissionen der meisten Mobilfunkgeräte liegen unterhalb dieser Werte. Bei Einhaltung von Sicherheitsabständen von Mobilfunk-Sendestationen sind thermische Wirkungen auszuschließen. Diese Feststellung gilt für alle Funknetze. Bei Mobiltelefonen ist zumindest sichergestellt, dass der lokale Grenzwert (SAR-Wert) so niedrig liegt, dass die mögliche örtliche Temperaturerhöhung unter 0,1°C bleibt. Zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass der reguläre Gebrauch eines Mobiltelefons und die damit verbundene lokale Erwärmung des Gewebes um max. 0,1°C keine gesundheitlichen Auswirkungen hat.

Wissenschaftlich nicht geklärt ist die Frage, ob elektromagnetische Felder des Mobilfunks über den thermischen Effekt hinausgehend noch weitere Auswirkungen auf den menschlichen Körper haben. Unter diesen sog. athermischen Effekten sind mögliche Auswirkungen der EMF zu verstehen, die zwar keine Temperaturerhöhung im Körper hervorrufen, möglicherweise jedoch andere Auswirkungen haben. So werden u.a. Migräne und Kopfschmerzen, Schlaf- und Konzentrations- sowie allgemeine Befindlichkeitsstörungen häufig in einen Zusammenhang mit den athermischen Effekten der EMF gebracht. Diskutiert werden auch mögliche Auswirkungen auf Krebserkrankungen oder die Beeinflussung des Zentralnervensystems bzw. der Gehirnaktivitäten.

Die Forschungsergebnisse sind auf diesem Gebiet nicht eindeutig. Während einige Untersuchungen zu der Annahme geführt haben, dass athermische Effekte tatsächlich vorhanden sind, konnten in vielen anderen Fällen die genannten Effekte nicht festgestellt werden. Manche Forscher sehen Hinweise, dass elektromagnetische Strahlung schwacher Intensität schwache athermische Effekte herbeiführen kann, wenn sie, wie im Falle der Mobilfunktechnologie, gepulst ist. Das heißt, es könnte bei dieser Form der Strahlung zu Effekten kommen, die unterhalb der gängigen Grenzwerte auftreten. Der Zusammenhang zwischen den gepulsten Sekundärfrequenzen der Mobilfunkstrahlung und bestimmten elektrochemischen Prozessen im menschlichen Körper könnte demnach ggf. Anlass zur Beunruhigung geben (obgleich es sich bei den Sekundärfrequenzen originär um niederfrequente Strahlung handelt). Einerseits haben Kritiker zwar darauf hingewiesen, dass sich die Beobachtung von Effekten schwacher Strahlung bislang nicht replizieren ließ. Andererseits kann jedoch nicht zweifelsfrei erwartet werden, dass athermische Effekte so stabil sind wie thermische Effekte, oder auch dass exponierte Personen in gleicher Weise auf die schwache Strahlung reagieren, da die fraglichen möglichen Wirkungen in einem sehr engen Zusammenhang mit elektrochemischen Prozessen des menschlichen Körpers stehen. So wird vermutet, das ein kleiner Teil der Bevölkerung "elektrosensibler" ist als die überwiegende Mehrheit.

Solange keine Klarheit darüber besteht, ob die vermuteten athermischen Effekte negative gesundheitliche Auswirkungen haben, ist ein Zusammenhang zwischen diesen Effekten und gesundheitlichen Problemen, über die manche Mobilfunknutzer und andere Personen berichten, nicht auszuschließen. Wenn ein Zusammenhang zwischen dieser Art von Mobilfunkstrahlung und negativen gesundheitlichen Auswirkungen wissenschaftlich nachgewiesen wäre, müssten die geltenden Grenzwerte womöglich verändert werden. Entsprechend wäre auch über eine Verringerung der Strahlungsintensität von Mobiltelefonen und Sendeanlagen - so weit nach dem neuesten Stand der Technik möglich - nachzudenken.

Nicht (ausreichend) erforscht sind zudem insbesondere auch die Langzeitwirkungen der gepulsten elektromagnetischen Felder. In diesem Bereich erscheinen weitergehende Anstrengungen dringend erforderlich.

Regulatorische Rahmenbedingungen

Um dazu beizutragen, dass in der EU ein Grundkonsens innerhalb der Mitgliedsländer zu Risikobewertung und -management geschaffen wird, hat die Europäische Kommission im Jahr 2000 eine Mitteilung zur Anwendung des Vorsorgeprinzips veröffentlicht. Da keine verbindlichen Regelungen hinsichtlich Grenzwerten von EMF für die EU existieren, ist es den Mitgliedsländern möglich, niedrigere Grenzwerte (als in den o.g. Ratsmitteilungen empfohlen) gemäß dem Vorsorgeprinzip festzulegen.

In Deutschland wurden im Jahr 2001 von Seiten der Netzbetreiber, der kommunalen Spitzenverbände und der Bundesregierung erhebliche Anstrengungen im Rahmen der EMVU-Debatte unternommen. Eine "freiwillige Selbstverpflichtung der Anbieter", eine "Kooperationsvereinbarung zwischen Kommunen und Betreibern" sowie das "Aktionsprogramm der Bundesregierung" bilden ein Maßnahmenpaket, das auf Freiwilligkeit und Selbstregulierung setzt. Wichtige Eckpunkte sind die Beteiligung der Kommunen bei der Standortsuche für Antennenanlagen, weitere Forschungsförderung und Informationskampagnen sowie Messaktionen. Die Einführung eines Gütesiegels für Mobiltelefone auf Basis des "Blauen Engels" ist ebenfalls bereits erfolgt, stößt jedoch auf Kritik bei Herstellern wie auch bei Umweltverbänden. Auf Grundlage einer Empfehlung der Strahlenschutzkommission (SSK) hat das Bundesumweltministerium von einer - ursprünglich geplanten - Senkung der Grenzwerte unter das ICNIRP-Niveau abgesehen.

Ein Ländervergleich mit weiteren im Bericht berücksichtigten Staaten zeigt, dass Transparenz und frühzeitige Aufklärung hinsichtlich potenzieller EMF-Risiken sowie ein sensibles Vorgehen bei der Standortsuche einen wesentlichen Beitrag zu einer konstruktiven EMVU-Debatte leisten können (vgl. Dänemark). In Schweden wurden zudem beispielsweise die Beschwerden und Proteste von "Elektrosensiblen" und ihrer Interessensvertretung von den Gesundheitsbehörden frühzeitig ernst genommen. "Elektrosensibilität" ist als Krankheit anerkannt und mit speziellen Gesundheitsvorsorgemaßnahmen verbunden. Der Umgang mit möglichen EMF-Risiken wird von der Öffentlichkeit als individuelle Problemlage wahrgenommen, für die weitere allgemeine Vorsorgemaßnahmen nicht obligatorisch erforderlich sind.

Das Beispiel Schweiz wiederum kann verdeutlichen, dass ein Mehr an Maßnahmen dennoch mit weiteren Forderungen nach einer Absenkung der Grenzwerte einhergehen kann. Die niedrigen (bzw. erniedrigten) Grenzwerte werden von vielen Bürgern als Gefahrenwerte interpretiert, oberhalb derer Gesundheitsschäden auftreten können. Um plausibel und akzeptabel zu sein und damit stabilisierend für den Risikodiskurs wirken zu können, sollten Grenzwerte wissenschaftlich begründet sein und nicht (ausschließlich) auf politischen Überlegungen basieren - hingegen könnten Vorsorgewerte gleichwohl initiiert und politisch begründet werden.

Problematisch erscheint insgesamt, dass niedrige (bzw. niedrigere) Werte - selbst innerhalb der jeweiligen Länder - nicht überall gelten, bzw. auch nicht überall eingehalten werden.

Risikokommunikation

In den Medien entspricht die Berichterstattung über die möglichen Risiken von EMF im Mobilfunk dem Verlauf der Debatte. Nach der Versteigerung der UMTS-Lizenzen ist eine erhebliche Zunahme der Anzahl der Medienbeiträge zu verzeichnen. Insgesamt lässt sich die Presseberichterstattung als zumeist kritisch, lokal und tagesaktuell bezeichnen, wobei in den kritischen Beiträgen bestimmte Argumentationsstereotype immer wiederkehren: Demokratie- und Legitimationsdefizite, Informations- und Aufklärungsdefizite, Wissensdefizite, Vorsorgedefizite sowie Vollzugsdefizite.

In der Gesamtbevölkerung muss der allgemeine Kenntnisstand über EMF als relativ gering angesehen werden. Immerhin halten jedoch laut Umfragen zwei Drittel der Bevölkerung EMF-Risiken grundsätzlich für möglich, was zumindest als Indikator für die hohe Aufmerksamkeit, die diesem Thema entgegengebracht wird, gelten kann. Symptomatisch für den EMVU-Risikodiskurs ist auch die Schein-Paradoxie zwischen Nutzung der Mobiltelefone und öffentlichem Protest gegen Sendeanlagen. Das individuelle Risiko der Nutzung von Mobiltelefonen wurde bislang meist geringer eingeschätzt als das kollektive Risiko der Exposition durch Basisstationen.

Bundesweit agierende Bürgerinitiativen richten häufig Maximalforderungen an die Politik ("Stopp des Mobilfunks, bis die Risiken geklärt sind bzw. die Unschädlichkeit bewiesen ist"), während lokale Gruppen weniger die Abschaffung des Mobilfunks fordern, als vielmehr eine stärkere Berücksichtigung ihrer Interessen bei der Standortauswahl für Sendeanlagen. Sie fühlen sich in ihren Anwohner- und Bürgerrechten verletzt.

Charakterisierend für den EMF-Risikodiskurs in der naturwissenschaftlichen und medizinischen Fachwelt ist das "Expertendilemma", die Aussagen und Bewertungen sind uneinheitlich und widersprüchlich. Zudem ist den wissenschaftlichen Aussagen zu möglichen Effekten elektromagnetischer Strahlung ihr vorläufiger Charakter immanent. Experten bewerten Risiken nach ihrer Eintrittswahrscheinlichkeit und ihrem potenziellen Schadensausmaß. Diese im Gegensatz zu Laienbewertungen probabilistische Risikoeinschätzung führt oft zu Missverständnissen im Diskurs. Der von manchen Bürgerinitiativen beispielsweise geforderte "Null-Beweis" kann mit naturwissenschaftlichen Methoden nicht erbracht werden, da es nicht möglich ist, eine Unbedenklichkeit zu beweisen, nachweisbar ist nur die Schädlichkeit. Die auf Wahrscheinlichkeitsaussagen zurückgehenden Bewertungen der Experten stoßen bei Laien häufig auf Unverständnis und führen im Risikodiskurs dazu, dass Wissenschaft zum Teil als "Pro-Partei" wahrgenommen wird.

Die Mobilfunknetzbetreiber berufen sich in ihrer Risikoeinschätzung auf die Ergebnisse international anerkannter Gremien und halten sich an die gesetzlich vorgeschriebenen Regelungen beim Netzaufbau. Sie haben jedoch erkannt, dass die unterschiedlichen Risikobewertungen in der Bevölkerung Konflikte hervorrufen, denen sie mit hohem Engagement in der Risikokommunikation begegnen müssen, wenn sie nicht einem dauerhaften Vertrauensverlust in die neue Technologie Vorschub leisten wollen. Die Betreiber bemühen sich darum heute um die Beteiligung der Kommunen bei der Antennen-Standortwahl. Die Maßnahmen der Betreiber werden von den meisten beteiligten Akteuren überwiegend positiv aufgenommen. Für eine Bewertung ist es jedoch noch zu früh, da der Start erst 2002 erfolgte.

Schlussfolgerungen und Optionen

Diskussionen über Grenzwerte und Vorsorge bilden den Fokus der EMVU-Debatte. Auch wenn laut Umfragen eine Bevölkerungsmehrheit die Absenkung der Grenzwerte befürwortet, sind gleichzeitig die meisten dagegen, Maßnahmen zu ergreifen, ohne über gesicherte Forschungsergebnisse zu verfügen. Der Förderung weiterer wissenschaftlicher Untersuchungen kommt somit eine hohe Priorität zu, ebenso Anstrengungen im Bereich der Optimierung der Technologien, so dass es zu weiteren Reduzierungen von Emissionen an den jeweiligen Quellen (Mobiltelefone und Sendeanlagen) kommen kann.

Das Thema Standortsuche bei Sendeanlagen hat vor allem deshalb an Bedeutung gewonnen, weil die Mehrzahl der Bevölkerung sich aus den Entscheidungsprozessen bei der Standortsuche ausgeschlossen sah. Die Beteiligung der Kommunen an den Netzplanungen bietet die Chance, eine konkrete und gewichtige Einflussnahme zu gewährleisten.

Die Einführung eines Gütesiegels "Blauer Engel" ist nicht im Konsens mit den Herstellern und Netzbetreibern erfolgt. Diese Tatsache lässt Zweifel am Erfolg des Siegels aufkommen. Falls die Hersteller in Zukunft tatsächlich keinen Gebrauch von dem Siegel machen, wäre eventuell im Interesse der Verbraucher eine andere Lösung zu diskutieren. Ob ein Siegel, das auf den maximalen SAR-Werten eines Mobiltelefons basiert, prinzipiell Transparenz für die Verbraucher über die tatsächliche Exposition schafft, erscheint darüber hinaus fraglich, da auf Grund der dynamischen Leistungsregelung der Mobiltelefone die tatsächlichen Werte sehr stark schwanken können.

Messaktionen und Monitoring tragen zur Vertrauensgenerierung in das Standortverfahren bei. Auch wenn die bisherigen Messungen vom wissenschaftlichen Standpunkt betrachtet keine Anhaltspunkte für eine Überschreitung der Grenzwerte erbrachten, sollten sie dennoch intensiviert werden, damit kontinuierlich Nachweise für die Einhaltung von Grenzwerten vorgelegt werden können. Es sollte ein Netz von Monitoringsystemen geschaffen werden, um Messdaten über die tatsächlichen Mobilfunkemissionen gewinnen und auch ggf. mit anderen EMF-Emissionen vergleichen und abstimmen zu können. Dies erscheint auch deshalb von Bedeutung, da die Mobilfunkstrahlung nur einen kleinen Teilbereich der gesamten elektromagnetischen Strahlung in der Umwelt darstellt und zudem weitere Strahlungsquellen in naher Zukunft hinzukommen werden, wie z.B. Straßenmaut-Systeme, Pkw-Abstandsradar, Abrechnungssysteme im ÖPNV, Wetterradar, wireless LAN, Richtfunk u.a.m.

Alle beteiligten Akteure sind sich einig, dass ein Mehr an besserer Forschung und Information eine zentrale Rolle in der Risikokommunikation spielen sollten. Damit solche Maßnahmen einen wesentlichen Beitrag zu einem ausbalancierten EMVU-Diskurs leisten können, darf nicht außer Acht gelassen werden, dass Forschungsergebnisse entsprechend aufbereitet und kommuniziert werden müssen, um von der Bevölkerung perzipiert zu werden. Mehr Information per se birgt die Gefahr einer "Informationsflut". Die Beantwortung der Frage, wie Informationen neutral und objektiv dargestellt, gebündelt und bewertet werden können, stellt eine Hauptanforderung für die öffentlichen Akteure dar.




Stand: 25.08.2003 - Kommentare an:     Christoph Revermann