Allgemeine Technologie -
Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft

Gerhard Banse, Ernst-Otto Reher (Hrsg.)
Allgemeine Technologie - Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft; Symposium der Leibniz-Sozietät und des Instituts für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse des Forschungszentrums Karlsruhe, Technik und Umwelt, am 12. Oktober 2001 in Berlin. Berlin: Trafo-Verlag 2002
(Sitzungsberichte der Leibniz-Sozietät; Bd. 50 = 2001, H. 7, ISBN 3-89626-386-2)

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Vorwort  [hier]


Einleitung

Buchcover

Als Johannes Beckmann im Jahre 1806 die "Allgemeine Technologie" veröffentlichte, hatte er schon Jahre zuvor in der 1777 erstveröffentlichten "Anleitung zur Technologie" eine Analyse und Systematik der verschiedenen existierenden Gewerbe vorgenommen und der Öffentlichkeit vorgestellt. Angeregt zu dieser Systematik wurde er durch seinen mehrjährigen Aufenthalt in Schweden bei dem Biologen Carl von Linne. Linne löste die Aufgabe, Pflanzen und Tiere wissenschaftlich zu klassifizieren, in seinem Werk "Systema naturae" (1735) dadurch, dass er eine ganz geringe Anzahl von Merkmalen zur Grundlage der Systematik machte. Beckmann verfuhr gewissermaßen analog zu Linne, was ihn zu seiner Technologiesystematik führte. Die "Allgemeine Technologie" beinhaltet Darstellungen zu Rohstoffen, zur Herstellung und zur Ware. Damit wurde schon damals deutlich gemacht, dass die Allgemeine Technologie ein überaus interdisziplinäres Objekt darstellt. Bedingt durch die fortschreitende Arbeitsteilung in den folgenden Jahrzehnten (z. B. Karl Karmarsch im Bereich der mechanischen Technologie und Friedrich L. Knapp im Bereich der chemischen Technologie u. a.) geriet der Gedanke einer Allgemeinen Technologie etwas aus dem Blickfeld.

Im vergangenen Jahrhundert entwickelten sich auf der Grundlage der mechanischen Technologie die Fertigungstechnik, der chemischen Technologie die Verfahrenstechnik und der Gebrauchsgüter- Technologien die Verarbeitungstechnik als methodenorientierte Ingenieurwissenschaften der Stoffformung und -wandlung.

In den letzten zwanzig Jahren ist nun das Interesse an einer Allgemeinen Technologie wieder erwacht. Einerseits führten Analogiebetrachtungen unter technologischen Gesichtspunkten zwischen Stoff, Energie und Information zu mehreren Neuansätzen einer Allgemeinen Technologie. Genannt seien vor allem (in chronologischer Anordnung):

    Wolffgramm, H.:
    Allgemeine Technologie. Elemente, Strukturen und Gesetzmäßigkeiten technologischer Systeme. Leipzig 1978 (2. erw. Auflage: Allgemeine Techniklehre. 4 Bände. Hildesheim 1994ff.)

    Ropohl, G.:
    Eine Systemtheorie der Technik. Zur Grundlegung der Allgemeinen Technologie. München, Wien 1979 (2. Aufl.: Allgemeine Technologie. Eine Systemtheorie der Technik. München, Wien 1999)

    Hölzl, J.:
    Allgemeine Technologie. Wien 1984 (2. Aufl. 1989)

    Müller, H.-P.; Troitzsch, U. (Hrsg.):
    Technologie zwischen Fortschritt und Tradition. Beiträge zum Internationalen Johann Beckmann-Symposium, Göttingen 1989. Frankfurt a. M., Bern, New York, Paris 1992

    Banse, G. (Hrsg.):
    Allgemeine Technologie zwischen Aufklärung und Metatheorie. Johann Beckmann und die Folgen. Berlin 1997

    Spur, G.:
    Technologie und Management. Zum Selbstverständnis der Technikwissenschaft. München, Wien 1998

    Banse, G.; Meier, B.; Wolffgramm, H. (Hrsg.):
    Technikbilder und Technikkonzepte im Wandel - eine technikphilosophische und allgemeintechnische Analyse. Karlsruhe (FZK) 2001

In diesen Arbeiten wurde der Rahmen von technischen Sachsystemen über soziotechnische Systeme bis hin zu politischen, ökologischen u. a. Systemen gespannt. Sie richteten sich vor allem an Lehrer (z. B. im Bereich der Polytechnik und der Arbeitslehre/Technikkunde), Ökonomen, Philosophen, Soziologen, Politiker u. a. "Begleiter" konkreter technologischer Lösungen. Natur- und Technikwissenschaftler als"Schöpfer" von Technologien gehörten nicht zu den vorrangigen Rezipienten. Das bedeutet jedoch nicht, dass sie keinen Nutzen an diesen Arbeiten haben konnten bzw. hatten (siehe Abbildung 1).

Abbildung 1: "Schöpfer" und"Begleiter" der Technologie [1]

Andererseits mehrten sich zugleich wissenschaftliche Veranstaltungen, deren Anliegen auch oder vor allem die Allgemeine Technologie war, ihr Anspruch, ihr Entwicklungsstand und ihre Perspektiven. [2] Genannt seien vor allem (in zeitlicher Reihung):

    Konferenz "Johann Beckmann und der wissenschaftlich technische Fortschritt heute"
    (1989; URANIA -Gesellschaft zur Verbreitung wissenschaftlicher Kenntnisse in Kooperation mit der TU "Otto von Guericke" Magdeburg)

    Internationales Johann Beckmann-Symposium
    (1989; Beckmann-Gesellschaft in Kooperation mit der Universität Göttingen)

    Wissenschaftliche Tagung " Von der enzyklopädisch-beschreibenden Technologie zur praktikablen Technikwissenschaft - das Beispiel der Polytechnischen Schule Stuttgart"
    (1993; Beckmann Gesellschaft)

    Symposium "Allgemeine Technologie zwischen Aufklärung und Metatheorie"
    (1996; Brandenburgische Technische Universität Cottbus)

    Konferenz "Selbstverständnis der Technikwissenschaften"
    (1999; Klasse Technikwissenschaften der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften in Kooperation mit dem Konvent für Technikwissenschaften)

    Interdisziplinäres Fachgespräch "Technikbilder und Technikkonzepte im Wandel - eine technikphilosophische und allgemeintechnische Analyse"
    (2000; Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse des Forschungszentrums Karlsruhe in Kooperation mit dem Institut für Arbeitslehre/Technik der Universität Potsdam)

Ein Symposium mit dem Thema "Allgemeine Technologie - Vergangenheit und Gegenwart", im Oktober 2001 gemeinsam von der Leibniz-Sozietät und dem Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) des Forschungszentrums Karlsruhe Technik und Umwelt (FZK) durchgeführt, hatte es sich zur Aufgabe gemacht, Überlegungen zu Verallgemeinerungen und Ganzheitsbetrachtungen im Sinne einer Allgemeinen Technologie vorzustellen, die sowohl dem Bereich der Technik- und Naturwissenschaften als auch dem der Sozial- und Geisteswissenschaften zuzuordnen sind (siehe Abbildung 2).

Abbildung 2: Zusammenwirken von Technologie"schöpfung" und Technologie"begleitung" [3]

Die Vortragenden waren bemüht, aus ihren speziellen Fachgebieten heraus an allgemeintechnologische Überlegungen, wie sie von Johann Beckmann bzw. von Horst Wolffgramm, Günter Ropohl, Josef Hölzl, Günter Spur u. a. bisher vorgezeichnet wurden, anzuschließen und durch Beiträge auf verschiedenen Hierarchieebenen zu konkretisieren. Hintergrund waren die Bemühungen der Leibniz-Sozietät, Forschungen zur Allgemeinen Technologie zu einem langfristigen interdisziplinären Vorhaben werden zu lassen. Sie will - unterstützt vom ITAS des FZK - dazu beitragen, mit ihren spezifischen Möglichkeiten eine Bestandsaufnahme im Bereich der Allgemeinen Technologie vorzunehmen und sie unter Einbeziehung unterschiedlicher Wissenschaftsdisziplinen im Beckmannschen Sinne weiter auszugestalten.

Das Kolloquium, an dem ca. 40 Interessierte teilnahmen, wurde vom Vizepräsidenten der Leibniz-Sozietät Lotbar Kolditz eröffnet, der auf die Aktualität der Thematik aufmerksam machte und besonders die Auflistung technologischer Erkenntnisse zu einer höheren Aggregierung hervorhob, die in dem Konzept der Allgemeinen Technologie ihren Niederschlag finden kann. Es folgten zwei Referate, acht Beiträge und eine rege Diskussion, in denen historische wie aktuelle Problemstellungen einer Allgemeinen Technologie u. a. aus wissenschaftstheoretischer, philosophischer, technikwissenschaftlicher und arbeitswissenschaftlicher Sicht behandelt sowie Konsequenzen für Zukünftiges abgeleitet wurden.

Die in diesem Band der Sitzungsberichte der Leibniz-Sozietät vereinten Beiträge gehen zumeist auf dieses Symposium zurück: die Referate von Gerhard Banse und Herbert Hörz, die Beiträge von Ernst-O. Reher, Klaus Hartmann, Heinz Bartsch, Klaus Fuchs-Kittowski, Rolf Löther, Klaus Krug und Wolfgang Fratzscher. Günter von Sengbusch sah sich - bedingt durch dringende dienstliche Obliegenheiten - leider nicht in der Lage, seine durch Bilder eindrucksvoll veranschaulichten Darlegungen in eine schriftliche Fassung zu bringen. Deshalb wurden nur seine zum Symposium vorgelegten Thesen in diesen Band aufgenommen. Auf seine Anregung geht aber der gegenüber dem Symposium veränderte Untertitel des Buches zurück, denn es gelte, so von Sengbusch, nicht nur "Vergangenheit und Gegenwart" zu reflektieren, sondern "Vergangenheit - Gegenwart - Zukunft". Die Beiträge von Hubert Laitko und Wolfgang Eichhorn basieren auf Anmerkungen während der Diskussion auf dem Symposium. Zusätzlich aufgenommen wurde ein Artikel von Vitaly Gorokhov, dessen inhaltliche Thematik zur Abrundung dieses Bandes beiträgt.

Auf dem Symposium wurde sichtbar, dass eine durchgehende Gestaltung der Disziplin "Allgemeine Technologie" auch für die "Technologiemacher" (homo faber) noch in weiter Ferne liegt - wobei noch nicht klar ist, ob es überhaupt möglich sein wird, ein derartiges Ziel zu erreichen. Nichts desto trotz wurde eine Arbeitsgruppe "Allgemeine Technologie" der Leibniz-Sozietät unter Leitung eines der Herausgeber (Ernst-Otto Reher) ins Leben gerufen, die Vorschläge für Weiteres in ein realistisches und realisierbares Arbeitsprogramm umsetzen soll. Es gilt, auf den Hierarchieebenen Realtechnik (technische Sachsysteme), Mensch-Maschine-System, Soziotechnik (Technik als soziotechnisches "Phänomen") sowie Technik als kulturelles "Phänomen" weitere Beiträge in die wissenschaftliche Diskussion einzubringen. "Nahziel" ist die Vorbereitung eines Interdisziplinären Beckmann-Symposiums im Jahr 2004 in Karlsruhe gemeinsam mit dem Wissenschaftlichen Collegium Johann Beckmann und dem ITAS. Mögliches Thema könnte der Einfluss wissenschaftlich gerechtfertigter Reduktionen bzw. wissenschaftlich nicht gerechtfertigter Reduktionen (Reduktionismus) sein, die sie auf die mit Technik, Technikwissenschaften und Allgemeiner Technologie verbundenen Paradigmen haben (können). Sowohl die Leibniz-Sozietät mit ihren zwei Klassen als auch das Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse mit seinen interdisziplinären Erfahrungen bieten für derartige fachübergreifende Projekte ausgezeichnete Voraussetzungen. Die Herausgeber hoffen, dass mit dieser Publikation noch mehr Kolleginnen und Kollegen vor allem innerhalb, aber auch außerhalb der Leibniz-Sozietät angeregt werden, sich an der Arbeit der Arbeitsgruppe "Allgemeine Technologie" zu beteiligen, um die Vielfalt der Facetten, die zur Allgemeinen Technologie gehören, noch besser sichtbar machen zu können.

Dieser Band wäre nicht zustande gekommen, wenn die Autoren nicht bereit gewesen wären, den zahlreichen Wünschen der Herausgeber - z. B. hinsichtlich Terminstellung, Manuskriptumfang, Präzisierungen - nachzukommen. Dafür herzlicher Dank. Dank gilt auch dem Designbüro form-L1, Berlin, bei dem die Gestaltung dieses Bandes in besten Händen lag.

Karlsruhe und Halle (Saale), April 2002

Gerhard Banse
Ernst-Otto Reher


Anmerkung

[1] "Szientifisches" und "technologisches Paradigma" werden hier im Sinne von Günter Ropohl verstan- den: Im szientifischen Paradigma werden Technik und Technikwissenschaften auf angewandte Na- turwissenschaft reduziert; das technologische Paradigma dagegen bedeutet, die Wechselbeziehungen von technischen Sachsystemen, Mensch, Gesellschaft und Umwelt zum Ausgangs- bzw. grundlegen- den Bezugspunkt zu machen.

[2] Auch von diesen Aktivitäten fühlten sich vorrangig nicht die "Schöpfer" von Technologien angespro- chen. Eine Ausnahme bildete das Projekt der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaf- ten zum "Selbstverständnis der Technikwissenschaften" aus den Jahren 1998 und 1999 (mit der ab- schließenden, in der Auflistung genannten Konferenz 1999), das sich explizit an Technikwissen- schaftIer richtete und einbezog, jedoch keine inhaltliche Fortsetzung fand.

[3] Die Abbildung soll auch verdeutlichen, dass Technologieschöpfung und die Technologiebegleitung in allen Stadien technischer Entwicklung eng aufeinander bezogen werden (sollten).



Stand: 10.09.2002 - Kommentare an:     Gerhard Banse