Thomas Petermann, Armin Grunwald (Hrsg.)

Technikfolgen-Abschätzung für den Deutschen Bundestag. Das TAB - Erfahrungen und Perspektiven wissenschaftlicher Politikberatung

Berlin: edition sigma 2005, ISBN 3-89404-528-0, 344 Seiten, 22,90 Euro
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Vorwort

Technikfolgen-Abschätzung (TA) ist eine spezifische Form wissenschaftlicher Politikberatung in Fragen des wissenschaftlich-technischen Fortschritts. Wie den meisten Formen problemorientierter Forschung ist ihr ein expliziter Adressatenbezug inhärent: TA stellt spezifisches Wissen über Technikfolgen für bestimmte Adressaten oder Adressatengruppen in bestimmten organisatorischen Kontexten bereit. Eine dauerhafte und stabile Institutionalisierung kann in erheblichem Maße dazu beitragen, den engen Adressatenbezug von Forschung und Beratung zu gewährleisten und mit Leben zu erfüllen. Die Art und Weise der Institutionalisierung reflektiert auch das zugrunde gelegte Beratungsmodell. Darin manifestieren sich konkrete Entscheidungen über Adressaten, Gegenstandsbereiche und Ziele der Technikfolgen-Abschätzung, über die Gewährleistung bestimmter Anforderungen (wie wissenschaftliche Unabhängigkeit) und die Wege des Transfers der Beratungsleistung in die politischen Entscheidungsprozesse.

Parlamente, als politische Organe mit hoher Entscheidungskompetenz, sind seit den ersten Tagen der Technikfolgen-Abschätzung in den sechziger und siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts ein prominentes Betätigungsfeld der TA. Zahlreiche europäische Parlamente haben TA als ein Instrument etabliert, um ihre politischen Aufgaben auf einer verbesserten Informationsbasis angehen zu können. Häufig genannte und praktizierte Aufgaben parlamentarischer TA sind:

Am Deutschen Bundestag gibt es seit 1990 das Büro für Technikfolgen-Abschätzung (TAB), das diese Aufgaben im Auftrag des Parlaments übernimmt. Der Beschluss des Parlaments zur Einrichtung beinhaltete ein spezifisches Institutionalisierungsmodell, das - bis auf kleinere Modifikationen - in seinen Grundelementen bis heute besteht. Mit diesem Modell - dessen Überlebenschancen am Anfang durchaus von vielen kritisch gesehen wurde - liegen nunmehr etwa 14 Jahre an praktischer Erfahrung vor. In dieser Zeit sind im TAB fast 100 Projekte für den Deutschen Bundestag bearbeitet worden, waren mehrere Parlamentariergenerationen in Kontakt mit dem TAB und ist die Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Parlament intensiv gestaltet worden.

Ziel des Buches und seiner Autoren ist es, die vielfältigen praktischen Erfahrungen an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Politik, zwischen Technik und Parlament aus der Binnenperspektive und damit das "Modell TAB" - mit seinen Möglichkeiten und Grenzen - umfassend zu reflektieren. Das gemeinsame Anliegen der Autoren ist insofern weniger die Darstellung von Projekten und Tätigkeiten des TAB, sondern vielmehr deren Aufarbeitung und Einordnung anhand übergreifender Fragestellungen. Solche Fragestellungen sind z. B.:

Über die Einschätzung der Möglichkeiten und Grenzen des "Modells TAB" entscheiden weniger einzelne Projekte (auch nicht spektakuläre "Leuchtturmprojekte"), sondern letztlich die Antworten auf übergreifende Fragen der genannten Art. Die Antworten, die in diesem Buch gegeben werden, erfolgen nicht aus der Sicht eines distanzierten externen Beobachters, sondern aus der subjektiven Perspektive der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des TAB, die in die konkrete Praxis vor Ort eingebunden sind. Ob dies eher eine Stärke oder eine Schwäche darstellt, können nur die Leser beantworten.

Über die Reflexion der Praxis parlamentarischer TA hinaus ist das Buch auch ein Beitrag zur lang andauernden Diskussion zum Verhältnis von Technik und Demokratie allgemein. In den Politik- und Sozialwissenschaften, aber auch bei Nichtregierungsorganisationen, in den Medien und bei politischen Parteien steht das Thema "Demokratie und Technik" seit langem auf der Tagesordnung. Auffallend ist jedoch, dass in den letzten Jahren die parlamentarische Befassung mit Technik dabei kaum noch eine oder gar keine Rolle spielt. Anders als in den 1980er Jahren wird gegenwärtig die Diskussion über Technik und Demokratie fast ausschließlich unter dem Aspekt der Partizipation gesellschaftlicher Gruppen geführt. Das Parlament als durch Wahlen legitimierter Ort der Auseinandersetzung um Chancen und Risiken von neuen Technologien und als Instanz für folgenreiche Entscheidungen ist merkwürdig unsichtbar geworden. Die Bedeutung des Parlamentes als demokratisch legitimierter Akteur und Mitgestalter der Entwicklung und Nutzung von Technik und die unterstützende Funktion parlamentarischer TA deutlich zu machen, ist deshalb ein weiteres Anliegen dieses Buches.

Das Buch gliedert sich in drei Teile:

Das TAB war zur Zeit seiner Gründung ein Experiment, um den vielfach beklagten Kommunikationsproblemen zwischen Wissenschaft und Parlament zu begegnen. Dieses "Experiment" mit zunächst ungewissem Ausgang hat sich im Laufe der Zeit zu einem festen Bestandteil des parlamentarischen Alltags entwickelt. Stärken wie auch Grenzen des gewählten Modells und der damit verbundenen Praxis sind dabei offenkundig geworden. Es ist aber auch zu Tage getreten, dass institutionelle Stabilität nur gewährleistet ist, wenn ein solches Projekt als ständiger Lernprozess praktiziert wird.

Armin Grunwald, Thomas Petermann
Berlin, im Mai 2005



Erstellt am: 13.07.2005 - Kommentare an: Thomas Petermann