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Card Forum 6(1999)7/8, S. 19-21


Alles über Zahlungsverkehr mit Karten: Ambivalentes Ergebnis

Rezension von Knud Böhle, ITAS

Ambitionen

"Dieses Buch", so die Herausgeber, "beschreibt Einsteigern und 'alten Hasen' praxisnah und umfassend die Welt des elektronischen Bezahlens - vor und hinter den Kulissen" (25). Die Autorinnen und Autoren - etwa 30 an der Zahl - kommen aus der Praxis, sind Insider. Einige dürften über Vorträge und Publikationen bereits einem größeren Kreis Interessierter bekannt sein. Die Struktur des Buches leuchtet ein: Die ersten drei Kapitel sind dem herkömmlichen Zahlungsverkehr mit Karten gewidmet und behandeln Karten der Kreditkartenorganisationen (Kapitel 1), ec-Karte / Bankkundenkarten (Kapitel 2) und Zahlungskarten von Handelsunternehmen und anderen Dienstleistern (Kapitel 3). Es folgen zwei Kapitel zu den aktuellen Zahlungssysteminnovationen, d.h. zu elektronischen Geldbörsen (Kapitel 4) und Netzzgeld / Internetzahlungen (Kapitel 5). Ein spezielles Kapitel zu Technik / Sicherheit schließt sich an und Kapitel 7 thematisiert gesondert noch Aspekte im Zusammenhang mit der "Euro-Währung". Ein Glossar und ein Sachregister beschließen den Band.

Die Kapitel zu den Zahlungssystemen (1 bis 5) folgen einem einheitlichen Gliederungsschema, das sieben Punkte umfaßt:

  1. Ereignisse,
  2. Organisationen/Systeme,
  3. Marktdaten/Statistiken,
  4. Deutschland im internationalen Umfeld,
  5. Technik/Sicherheit,
  6. Mißbrauchsbekämpfung und
  7. Bewertung durch Marktteilnehmer.

Realisierung

Das Gesamtkonzept des Bandes wirkt stimmig. Als erstes fällt an der Umsetzung auf, daß das 7-Punkte-Schema nur für den Kreditkartenbereich konsequent ausgefüllt wird. Im Kapitel zu ec- und Kundenkarte entfällt die Bewertung durch Marktteilnehmer; im Kapitel zu den Handelskarten fehlen Ausführungen zu Technik/Sicherheit; bei den elektronischen Geldbörsen wird die Mißbrauchsbekämpfung ausgespart; und beim Netzgeld werden nur noch die ersten beiden und der letzte Punkt der Untergliederung geboten. Die Feststellung, daß einige Kapitel mehr Aspekte als andere behandeln, ist zwar bloß formal, läßt aber dennoch auf gewisse Lücken schließen.

Als zweites fällt auf, daß ausgewiesene Gliederungspunkte nicht selten einfach mit Versatzstücken aus anderen Quellen bestückt werden oder darunter Aspekte behandelt werden, die den Erwartungen zuwiderlaufen. Das eine ist besonders deutlich bei den Themen Organisation/Systeme und Technik/Sicherheit, wo teilweise Stellen aus älteren, im selben Verlag erschienenen Büchern von Sylvia Lukas übernommen oder schematische Übersichten der GZS plaziert wurden. Kritisch daran ist weniger die Wiederverwertung als die mangelnde Bereitschaft, diese Versatzstücke auf den heutigen Stand zu bringen und sprachlich als eigenständige Beiträge zu formulieren. Daß man nicht immer findet, was man nach der Überschrift erwarten dürfte, ist besonders deutlich bei dem Punkt "Bewertung durch Marktteilnehmer". Im Kapitel zu den Handelskarten findet man unter dem entsprechenden Punkt drei Beiträge: ein Berater schreibt über Kundenclubs, der nächste gibt Tips für die Einführung von Kundenkarten und der dritte behandelt die Kundenkarte allgemein als Kundenbindungsinstrument. Was in diesem Buch unter "Bewertung der Marktteilnehmer" abgehandelt wird, läuft eher auf "Marketingaspekte" hinaus und wer erwartet hätte, daß die beteiligten Akteure (Verbraucher, Geschäftsbanken, Datenschützer, Technikhersteller, Internet-Händler, Telekommunikationsfirmen, Internet Service Provider u.a.) selbst zu Wort kämen, wird enttäuscht - auch wenn die Sicht des Handels an zwei Stellen und die der Zentralbank an einer Stelle dargelegt wird.

Als drittes fällt schließlich auf, daß der Leser an manchen Stellen eher abgefertigt als umfassend informiert wird. Wie anders kann man sich erklären, daß da, wo es um Technik und Sicherheit elektronischer Geldbörsen gehen soll, über 14 Seiten eine Tabelle der vom ZKA zugelassenen Terminals für das GeldKarte-System erscheint? Oder wie kann man sich erklären, daß die einzig nennenswerten Ereignisse (6.1) zum Kapitel Technik / Sicherheit die Einführung der Softwarepakete Artemis und OTA durch Europay waren und eine Initiative der EU-Kommission zur Bekämpfung des Mißbrauchs von Zahlungskarten?

Zwischenfazit

Dieser Band hat sein ambitioniertes Konzept nicht umsetzen können. Die Autoren haben vielfach wohl eher geliefert, was sie gerade zur Hand hatten als das, was zur inhaltlichen Füllung des Konzepts nötig gewesen wäre. Eine einfordernde, ordnende und editierende Hand, die ein solches Unternehmen benötigt, ist kaum zu spüren. Man hat es also weniger mit einem umfassenden Handbuch zu tun, als mit einem Sammelsurium. Die Ansprüche an den Band müssen folglich heruntergeschraubt werden und die Frage lautet nun, ob er denn nicht auch so genug interessante Informationen und Beiträge enthält.

The good news

Ohne Frage gibt es auf den 540 Seiten viele interessante Einzelheiten und manch lesenswerten Beitrag. So wird nicht jeder wissen, daß Diners Club 1965 die erste Kreditkarte in der DDR herausgegeben hat (49) oder daß American Express im Cobranding mit dem deutschen Internetbuchhändler buecher.de eine Kreditkarte anbietet. Auch der Stellenwert der Tankstellen für das electronic cash-Verfahren (14,3 % der Terminals, 60,4 % der Transaktionen und 30,4 % des Umsatzes 1997) wird nicht allgemein bekannt sein, ebensowenig wie die enorme Bedeutung von Kundenkarten in Frankreich, die dort praktisch als alleinige echte Kreditkarten fungieren (430 auf 1000 Einwohner gegenüber 480 von Kreditkartenorganisationen und Banken herausgegebenen Zahlungskarten). Bemerkenswert ist sicherlich auch, daß die durchschnittliche Bandbreite der Disagiosätze in Frankreich zwischen 0,9 und 1,1 und in Großbritannien zwischen 1,5 und 1,6 liegt, während sie für andere Länder doch deutlich höher ausfällt (Zahlen für 1995).

Man kann in dem Band außer Einzelinformationen auch Hinweise auf Entwicklungstrends finden, etwa den sich verstärkenden Trend, daß Kreditkartenorganisationen im Bereich der Debitkarten erfolgreich operieren, daß Purchasing-Karten als neues Geschäftsfeld für die Kreditkartenunternehmen von großer strategischer Bedeutung sind, oder daß der Mißbrauch bei den Zahlungskarten deutlich rückläufig ist.

Unter den Artikeln ist der von Hans-Jürgen Friederich ("Elektronisches Geld aus Sicht einer Zentralbank") besonders hervorzuheben, weil er die Diskussion um die Rolle der Zentralbanken bei der Herausgabe elektronischen Geldes stimulieren könnte. Wenn die Zentralbanken elektronisches Geld herausgäben, erhielte es "den Status eines gesetzlichen Zahlungsmittels, was Akzeptanzprobleme vermeiden würde und zu seiner Verbreitung dort beitragen könnte, wo es effektiver als Bargeld eingesetzt werden kann. Das historisch gewachsene Banknotenmonopol könnte dabei auf diese neue Form von Zentralbankgeld ausgedehnt werden... " (S. 408f; Herv. im Original). Auch wenn das von Friederich derzeit nicht für wahrscheinlich gehalten wird, bleibt es seiner Meinung nach doch überlegenswert, "ob Zentralbanken nicht wenigstens im Wettbewerb mit anderen Herausgebern E-Geld-Werteinheiten emittieren und operationelle und Sicherheitstechniken anbieten sollten um die Entwicklung zu beeinflussen. Die Meinungsbildung hierzu ist noch nicht abgeschlossen" (S. 409f; Herv. im Original). Und Friederich gibt einen Anstoß diese Meinungsbildung auch öffentlich voranzubringen.

Herauszustellen sind auch die Beiträge von Barbara Devin, die in vier Abschnitten (1.4, 2.4, 3.4 und 4.4) auf mehr als 100 Seiten "Deutschland im internationalen Umfeld" beschreibt. Das ist eine mühselige Aufgabe (wie wir derzeit selbst gerade in einem Projekt für das Europäische Parlament erfahren). Von daher verwundert es nicht, daß Devin sich jeweils auf den Vergleich mit einigen europäischen Ländern beschränkt hat, und es nicht immer gelungen ist neuere als 94er/95er Daten zu beschaffen. Insgesamt gelingt es ihr aber recht gut und materialreich die Unterschiede der Zahlungskulturen vor allem zwischen Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Spanien und Italien im kartengestützten Zahlungsverkehr herauszuarbeiten. Reizvoll ist auch der Beitrag von Ernst Peppel, ehemaliger Regional Risk and Fraud Control Manager bei Europay International, zu dem ernsten Thema der Mißbrauchsbekämpfung im Kreditkartenbereich, das er nicht nur von der technischen Seite aufrollt, sondern dem Leser auch als Kommen und Gehen der unterschiedlichen Banden vor Augen führt. Besonders kämpferisch ist der Beitrag von Olaf G. Böcken ausgefallen, der aus Handelssicht die Anforderungen an Kreditkartenzahlungen vorbringt. Die kritische Stimme Hugo Godschalks und seines Mitarbeiters Stefan Schulz, die am Business Case der GeldKarte zweifeln, ist ebenfalls wichtig in dem Band. Trotz aller Skepsis am wirtschaftlichen Erfolg der GeldKarte, gibt es auch "Hoffnungsschimmer": Zusatzanwendungen (Bonusprogramme, ÖPNV), Cobranding-Programme, der Einsatz im Internet und die Europäische Währungsunion (vgl. S. 372). Daß es schließlich auch je einen Beitrag zu den Zahlungskarten im ÖPNV und zu Touristen- und City-Cards gibt, soll nicht unerwähnt bleiben.

Fazit

Trotz dieser Hinweise, die den Griff zu dem Buch rechtfertigen könnten, soll zum Ende der Besprechung doch noch einmal auf die Lücken im "Alles über Zahlungsverkehr mit Karten" zurückgekommen werden. Was fehlt? Es fehlen, wie oben bereits angedeutet, die Stimmen wichtiger Akteure - nicht zuletzt der Verbraucher und der Telematikdienstleister. Es fehlen nicht nur Stimmen, es fehlen auch übergreifende, analytische Artikel, die die Darstellungen der Firmenverteter und Berater hinterfragt hätten. Als Konsequenz klingen die meisten wirklichen Reizthemen nur kurz an oder werden ganz ausgespart - von der weitergehenden Erwartung, hinter die Kulissen schauen zu dürfen, ganz zu schweigen. Die Kontroversen etwa um die Sicherheit der PIN-Karten, die Anonymität der GeldKarte, die Konkurrenz von SSL und SET werden nicht ausgetragen. Die Diskussionen um die Barzahlungsklausel, um Bonuspunkte und Rabattverordnung, um electronic cash offline als Alternative zur GeldKarte, um den verzögerten Start der Geldkarte im Internet, um die Zukunft der Europay Geldbörse "Clip", um bargeldnahe Zahlungssysteme wie Mondex, sie finden hier nicht statt. Schließlich hat man die rechtlichen Aspekte und Fragen der Standardisierung gleich draußen gelassen und auch versäumt, den Interessierten mit weiterführenden Literaturhinweisen zu versorgen.

Bibliographie
Braatz, Frank; Brinker, Ulrich; Friederich, Hans-Jürgen (Hrsg.): Alles über Zahlungsverkehr mit Karten. Neuwied, Kriftel: Luchterhand 1999, 540 S., 148.--
 


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Stand: 07.08.1999 - Kommentare und Bemerkungen an: PEZ