Tourismus in Großschutzgebieten

Impulse für eine nachhaltige Regionalentwicklung

Christoph Revermann, Thomas Petermann:
Berlin: edition sigma 2003, (Reihe "Studien des Büros für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag", Bd. 13), ISBN 3-89404-822-0, 192 Seiten, 18,90 Euro


Zusammenfassung

Beauftragung, Zielsetzung des Projekts

Das TA-Projekt "Entwicklung des Tourismus in Großschutzgebieten - Wechselwirkungen und Kooperationsmöglichkeiten von Naturschutz und regionalem Tourismus" geht auf eine Anregung des Ausschusses für Tourismus aus dem Frühsommer 1999 zurück. Das TAB sollte beauftragt werden, eine Analyse von Tourismus und Naturschutz in National- und Naturparken sowie Biosphärenreservaten in Deutschland vorzunehmen. Das vom TAB entsprechend konzipierte TA-Projekt wurde im Anschluss an eine zustimmende Beschlussfassung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ende 1999 begonnen.

Im Rahmen des TA-Projektes wurde bis zum Sommer 2001 ein Hintergrundbericht erstellt (TAB-Hintergrundpapier Nr. 5), der einen Teilbereich des Projektes dokumentiert. Das Hintergrundpapier gibt einen Überblick über exemplarische Projekte, die Ziele des Naturschutzes, der Stärkung der regionalen Landwirtschaft und der Förderung der Tourismusentwicklung durch einen übergreifenden Ansatz verwirklichen wollen (Stand 8/2001). Die wichtigsten Informationen zu den Projekten einer Kooperation von Naturschutz und regionalem Tourismus mit Bezug zu Großschutzgebieten wurden zusammengestellt, die Darstellung erfolgte in Form von strukturierten "Steckbriefen". Diese ermöglichen einen Überblick über das bestehende eindrucksvolle Netzwerk von Initiativen einer produktiven Partnerschaft von Naturschutz und Tourismus in Deutschland.

Gegenstand des nun vorliegenden Endberichtes ist eine Bestandsaufnahme und Bewertung der Rahmenbedingungen, der Chancen und Konflikte sowie der Gestaltungsmöglichkeiten eines ökonomisch tragfähigen sowie ökologisch und sozial verträglichen Tourismus in Großschutzgebieten, der zugleich innovative Ansatzpunkte für eine nachhaltige Regionalentwicklung bieten könnte. Diese Thematik steht im Zentrum des Berichtes (Kap. III, IV und V).

Großschutzgebiete

Im vorliegenden Bericht geht es um Nationalparke (NLP), Biosphärenreservate (BR) und Naturparke (NRP) (s. hierzu bes. Kap. II). Alle drei entsprechen der Definition eines sog. Großschutzgebietes (GSG). Gemeinsam ist ihnen, dass nur mit den unterschiedlichen Schutzzielen konforme touristische Nutzungen möglich sind. Einrichtungen des Massentourismus sowie flächen- und infrastrukturintensive bzw. technische Freizeitnutzungen lassen sich i.d.R. nicht mit ihren Zielen vereinbaren. Die drei Typen von Großschutzgebieten weisen aber in wesentlichen Dimensionen Unterschiede auf:

Tourismus in Großschutzgebieten

Der Tourismus spielt in allen Großschutzgebieten bereits heute eine beachtliche Rolle, insbesondere Nationalparke sind häufig Tourismusmagnete (s. hierzu bes. Kap. III). Eine grobe Aufgliederung der touristischen Ströme in zwei Gruppen zeigt, dass der Tagestourismus verglichen mit dem Übernachtungstourismus in Deutschland die dominante Rolle inne hat (besonders in Naturparken). Die Zahl der Tagesausflüge in Reisegebiete, in denen Großschutzgebiete liegen, überwiegt die der Übernachtungen deutlich - teilweise um ein Vielfaches. Umgekehrt ist auch erkennbar, dass dort, wo der Anteil der Tagesausflügler am Gesamtbesucheraufkommen im jeweiligen Reisegebiet besonders hoch ist, sehr viele GSG liegen.

Zentrale Reisemotive von Touristen sind durch Großschutzgebiete als Destinationen sehr gut ansprechbar. In Umfragen erzielen die Reisemotive, die intakte Natur und Umwelt als Basiselement aufweisen, zumeist hohe Werte. Zu den Reisemotiven, die eine Entscheidung zu einem Besuch eines Natur- oder Nationalparks unterstützen können, zählen "reinere Luft", "sauberes Wasser", "aus der verschmutzten Umwelt herauskommen" und "Natur erleben". Diese Motive sind seit Jahren für mehr als ein Drittel der deutschen Bevölkerung entscheidende Reisemotive.

Marketing für Großschutzgebiete

Angesichts zahlreicher attraktiver Möglichkeiten, die der Tourismus bietet, sollte es für alle GSG, Kommunen und Regionen eine zentrale zukünftige Aufgabe sein, die bereits jetzt manifeste Nachfrage an sich zu binden und neue abzurufen. Großschutzgebiete bieten als positive Imageträger die Möglichkeit, sich im Wettbewerb als unverwechselbare und attraktive Destination für spezifische Zielgruppen zu positionieren. Da die meisten Besucher von GSG Tagesausflügler sind, müssten sich Marketinganstrengungen besonders auf diese Klientel beziehen - aus Tagesausflüglern sollten Übernachtungsgäste werden. Prinzipiell ist es ein schwieriger Balanceakt, die Angebotsstruktur angemessen und ausgewogen auszurichten.

Ein attraktives Marketing und effizientes Management für Großschutzgebiete, mit dessen Hilfe bisherige Besucher gebunden und neue Zielgruppen angesprochen werden, könnten jedoch Beiträge zur Stärkung des Binnentourismus in Deutschland, zur nachhaltigen Entwicklung endogener regionaler Potenziale und zum Klimaschutz bieten.

Die Voraussetzungen hierfür müssen aber verbessert werden. Zwar reagieren zahlreiche Verwaltungen von GSG auf die Bedeutung des Tourismus u.a. mit Maßnahmen zur Verbesserung der Infrastruktur, der Informations- und Kommunikationsangebote sowie des Marketings. Solche Aktivitäten sind aber noch zu selten in ein strategisches Gesamtkonzept eingebettet und erfolgen oftmals noch zu wenig professionell. Der Schwerpunkt der Informationsaktivitäten liegt zumeist bei eher klassischen Formen (Broschüren, Karten, Infozentren) sowie der Angebotsgestaltung in Form von Veranstaltungen, Führungen etc. Eine auf Anregung des TAB durchgeführte Befragung (vgl. Diepolder/Feige 2000) ergab, dass GSG erst in Ansätzen eine erlebnisorientierte Vermarktung ihrer vielfältigen Naturerlebnismöglichkeiten betreiben.

Aus einer marketingorientierten Perspektive ergibt sich, dass ein strategisches Produktportfolio und eine entsprechende Angebotspolitik vor allem für Nationalparke derzeit nicht ausreichend etabliert sind. Zur Relativierung sei jedoch angemerkt, dass dies für den regionalen Tourismus in Deutschland insgesamt gilt.

Die deutschen Tourismusdestinationen setzen bislang noch zu selten auf eine mit klar formulierten Produktlinien ausgerichtete Angebotspolitik im Rahmen eines Zielportfolios. Ziel müsste es deshalb sein,

Ein weiterer Ansatzpunkt ist die Zusammenarbeit mit touristischen Organisationen. Hier sind - so das Ergebnis einer Recherche bei 13 Landestourismusorganisationen der Flächenbundesländer - positive Ansätze insofern erkennbar, dass alle GSG-Verwaltungen wissen, welche Organisationen es in ihrer Region gibt und wer Ansprechpartner ist. Kooperation manifestiert sich u.a. auch in Arbeitskreisen, gemeinsamen Projekten und Messebesuchen.

Gleichwohl ist anzumerken, dass umgekehrt Großschutzgebiete bei den Tourismusorganisationen noch nicht intensiv genug als Destinationen ins Bewusstsein gerückt sind und entsprechend beworben werden. Dies zeigt sich schon in dem trivialen Umstand, dass die Mehrzahl der Landestourismusorganisationen nur mangelhaft mit Informationen zu GSG ausgestattet sind, wobei zu vermuten ist, dass dies auch für die regionalen Organisationen gilt.

Aktives Umfeldmanagement

Großschutzgebiete sollten nicht als "Insel" betrachtet und behandelt werden. Sie sind Teil einer Region und bilden z.B. mit angrenzenden (Schutz-)Gebieten und Gemeinden einen Verflechtungsraum. Strukturen und Entwicklungsprozesse in einem Teil können vielfältige (Wechsel-)Wirkungen mit anderen Teilen zur Folge haben. Durch entsprechende Auflagen u.a. für NLP bedingt, finden z. B. Ausgleichsmaßnahmen für die Landwirtschaft, Trassenführungen von Verkehrswegen, Besucherlenkungsmaßnahmen häufig im Umfeld der Schutzgebiete statt und nicht direkt innerhalb. Auch ist der anthropogene Entwicklungsdruck im Vorfeld der GSG oftmals höher als im Schutzgebiet selbst.

Die Region wird die Entwicklungspotenziale, die sich aus der Existenz eines Schutzgebietes ergeben, gerade auch im Tourismus, nur optimal nutzen können, wenn Naturschutz und Parkmanagement mit der Regionalentwicklung abgestimmt sind. Zur Vermeidung einer "sozioökonomischen Verinselung" ist es deshalb unabdingbar, Großschutzgebiete in regionale und kommunale Planungen so weit zu integrieren, dass einerseits die Schutzgebietsinteressen und andererseits die kommunalen Interessen, insbesondere die der Anrainergemeinden, aufgegriffen und abgestimmt werden können.

Hierzu müssten die einschlägigen Parameter identifiziert und beobachtet und die Verflechtungsbeziehungen analysiert werden. Ein diesbezüglich von Fachleuten vorgeschlagenes Monitoring, das ökologische und sozioökonomische Aspekte integriert erfasst, hat sich aber noch nicht etabliert und wird erst in Ansätzen praktiziert. Mit ihm könnten u.a. eine Datenbasis für Planungen und Entscheidungen aufgebaut und Entwicklungspotenziale in GSG und ihrem Umfeld identifiziert werden.

Die Beobachtung der sozioökonomischen Entwicklung sowie die Dokumentation von Managementmaßnahmen in den Großschutzgebieten sollen schließlich zum einen helfen, die Arbeit der GSG-Verwaltungen einer breiteren Öffentlichkeit - insbesondere in der jeweiligen Region - zugänglich zu machen. Zum anderen sollen die Zusammenhänge mit der regionalen und lokalen Wirtschaft oder den Besucherströmen besser als dies bisher der Fall war verdeutlicht werden.

Öffentlichkeitsarbeit und Kommunikation

Das Bewusstsein für die Notwendigkeit, aber auch die Möglichkeiten einer professionellen Öffentlichkeitsarbeit und einer verbesserten Kommunikation wächst in vielen Schutzgebietsverwaltungen. Dieser Prozess müsste sich noch beschleunigen und intensivieren, da zielgruppenorientierte Information und Kommunikation sowohl mit Einheimischen als auch Besuchern letztlich der Schlüssel zum Erfolg einer produktiven Partnerschaft von Naturschutz und Tourismus sind.

Öffentlichkeitsarbeit sollte zwei miteinander verknüpfte Dimensionen aufweisen: Kommunikation und Kooperation. Informationsflüsse sollten kontinuierlich in beide Richtungen gehen. Wichtig ist zudem, Kommunikationsangebote aktiv zu gestalten und nicht nur als Reaktion auf äußere Ereignisse zu entwickeln. All diese Anforderungen umzusetzen bedeutet in der Konsequenz eine Professionalisierung der Öffentlichkeitsarbeit. Kommunikation ohne Angebote zur Kooperation und Mitwirkung hängt in der Luft. Deswegen sollten hierfür Verfahren und Foren angeboten werden:

Konflikte um Nutzungsinteressen in Großschutzgebieten

Der "Problemhaushalt" von GSG enthält häufig erhebliche Konflikte um Nutzungsinteressen und übergreifende Akzeptanzprobleme mit der in den Gebieten wohnenden Bevölkerung. So ist einmal offensichtlich, dass die ökologischen Schutzziele in einem latenten Spannungsverhältnis zu touristischen Entwicklungszielen stehen, da attraktive Naturräume in der Regel ökologisch sensible Landschaften sind, die durch touristische Nutzung gefährdet werden können. Soziale Spannungen können sich ebenfalls ergeben: So werden mit der Verwirklichung von Schutzzielen einhergehende Nutzungsbeschränkungen nicht immer von der einheimischen Bevölkerung akzeptiert; es fehlt so u.U. an der wichtigen Identifikation der Bevölkerung mir "ihrem" Schutzgebiet. Ökonomische Probleme können sich schließlich für Teile der Bevölkerung und der dortigen Wirtschaft ergeben, da die Nutzungsbeschränkungen ökonomische Nachteile für bestimmte Akteure resultieren und vom touristischen Aufkommen nicht alle profitieren. Aus den unterschiedlichen Zielen und Interessen resultieren in der Regel zahlreiche Spannungen und Konflikte.

Solche Probleme sind nahezu allen Großschutzgebieten inhärent (s. hierzu Kap. IV), auch wenn sie in Naturparken tendenziell weniger oder weniger intensiv auftreten als in Nationalparken. Optische Veränderungen, Einschränkungen der Bewegungs- und insbesondere von Nutzungsmöglichkeiten werden abgelehnt und dabei speziell die Verwaltung als wahrgenommener Urheber kritisiert. Neben der alle Bevölkerungsgruppen übergreifenden Kritik zeigt sich aber auch, dass spezifische Nutzergruppen, wie Jäger, Forstleute, Vereine, die Kritik in besonderem Maße repräsentieren.

Besonders deutlich treten Probleme bei der Ausweisung von Nationalparken zu Tage. Als Schutzgebietskategorie des Bundesnaturschutzgesetzes schützt nur der NLP vom Menschen weitgehend unbeeinflusst und auf großer Fläche die Entwicklung natürlicher Prozesse. Zugleich soll der Nationalpark Besuchern zur Erholung und Bildung erschlossen werden, es sollen die Bedürfnisse der vor Ort lebenden Bevölkerung berücksichtigt sowie der sanfte Tourismus gefördert werden, soweit es der Schutzzweck erlaubt. Gerade dieser Schutzzweck erfordert aber oftmals Maßnahmen, die zu teilweise weit reichenden Veränderungen im gewohnten Umfeld führen. Diese werden von Betroffenen oftmals negativ bewertet.

Spannungsverhältnis Tourismus und Naturschutz

Die Verbindung zwischen Tourismus und Naturschutz ist häufig widerspruchsvoll. So profitiert der Tourismus auf der einen Seite von der Attraktivität einer intakten Natur und Umwelt, kann jedoch durch übermäßige Nutzung derselben diese zugleich schädigen - und somit seine "Grundlage" zerstören. Andererseits kann Tourismus auch Instrument der Sicherung der natürlichen Ressourcen sein: durch vorsichtige Erschließung der Naturlandschaft im Rahmen eines naturverträglichen Tourismus kann u.U. einem Raubbau durch andere "Nutzungsarten" vorgebeugt werden. Der Naturschutz wiederum gilt zum einen als "Bremse" für die touristische Entwicklung aufgrund der relativ strengen gesetzlichen Vorgaben. Andererseits soll (und kann) er die für den Tourismus wichtigen "intakten" landschaftsbezogenen Grundlagen sichern: einen durch Schutzmaßnahmen nicht oder nur wenig gestörten Naturhaushalt, "ursprüngliche" Landschaften und eine artenreiche Flora und Fauna - touristische Attraktionen, die jedoch in ihrem Bestand zunehmend gefährdet sind.

Trotz aller Probleme gibt es aber auch erfolgreiche praxiserprobte Beispiele für nachhaltige umwelt- und sozialverträgliche Konzepte zur Freizeit- und Erholungsnutzung in Großschutzgebieten. Auch kann eine hier häufig angestrebte und - in unterschiedlicher Schwerpunktsetzung - praktizierte Verknüpfung von Naturschutz und Tourismus (Nationalparke) sowie von Tourismus und Naturschutz (Naturparke) als Kooperationspartner positive Resultate aufweisen. Erfolge gibt es in der Regel jedoch nur dann, wenn der Interessensausgleich durch eine sorgfältige Planung, kontinuierliche Einbeziehung aller Betroffenen und flankierende Maßnahmen gewährleistet ist.

Besucherlenkung

Probleme aufgrund konfligierender Nutzungsansprüche entstehen überwiegend durch die zeitliche und räumliche Konzentration des touristischen Aufkommens und durch Verstöße der Besucher gegen bestehende Regeln, welche vielfach auf mangelnde Aufklärung über das richtige Verhalten in Schutzgebieten zurückzuführen sind. Eine wesentlich stärkere Beeinträchtigung der Natur- und Nationalparke als durch Langzeiturlauber dürfte dabei von den Naherholern - vor allem Tagesausflügler aus den großen Verdichtungsräumen - ausgehen, da diese vor allem auch zeitlich konzentriert auftreten. Entsprechend betroffen sind dann auch Parke, die in verkehrsgünstiger Lage zu diesen Verdichtungsräumen liegen.

Gesetze und Verordnungen geben den jeweiligen Nationalparkverwaltungen grundsätzlich genügend Instrumente an die Hand, ggf. lenkend und regulierend einzugreifen. So gesehen, ist Tourismus (z.B.) in Nationalparken in erster Linie eine Frage der Qualität des Besuchermanagements, welches vermeiden hilft, dass ungelenkter Tourismus Belastungsgrenzen des Naturraumes bzw. der Umweltmedien überschreitet.

Wesentlicher Teil eines Besuchermanagements ist die gezielte Besucher (strom)lenkung. Besucherlenkung wird in allen größeren Schutzgebieten in der einen oder anderen Form praktiziert. Grundsätzlich gehören dazu auf der Ebene der Regional- und Landschaftsplanung ein entsprechender Infrastrukturausbau sowie die Zonierung. Daneben erfolgt die Lenkung durch Einzelmaßnahmen. Eine Besucherstromlenkung erfolgt am häufigsten durch eine kombinierte Angebots-Verbots-Strategie (sog. "Honey Pot Strategy"). Die Infrastruktur (markierte Wege, Themenwege, Besucherzentren) sowie angebotene Dienstleistungen (geführte Wanderungen, Exkursionen, Angebote für Kinder) konzentrieren das Gros der Besucher auf bestimmte Bereiche und erhöhen gleichzeitig die Akzeptanz für Zutrittsverbote in besonders sensiblen Teilbereichen der Nationalparke. Die innerhalb eines Großschutzgebietes angewendeten Formen der Besucherlenkung lassen sich unterscheiden und unterschiedlich ausgestalten, wie beisp. durch übergeordnete Maßnahmen der Raum- und Landschaftsplanung (Infrastrukturausbau, Zonierung u.a.m.) oder mit Hilfe detaillierter Einzelmaßnahmen (Ge- und Verbote, Abgaben, Barrieren, Wegenetze, Informationen, Veranstaltungen u.a.m.).

Kooperation als Integrative Strategie

Das bestehende Instrumentarium für Zonierung und Besucherlenkung zielt allein darauf, die ökologischen Auswirkungen des Tourismus auf Natur und Landschaft zu begrenzen. Das Ziel, die sozialen, kulturellen und ökonomischen Erfordernisse - im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung - zu berücksichtigen, versucht der integrative Ansatz einer verstärkten Einbindung des regionalen Tourismus in natur- und landschaftsschützende Prozesse zu erreichen, zunächst mit der Setzung eines gewissen Rahmens:

Von Fachleuten wird verschiedentlich eine Einbindung des Tourismus in ein regionales System ökologischen Wirtschaftens als Grundlage für einen nachhaltigen Tourismus gefordert. Großschutzgebiete - v.a. Biosphärenreservate und Naturparke der neuen Prägung - stehen hierfür konzeptionell als Modellregionen bzw. Vorbildlandschaften für eine umwelt- und ressourcenschonende, nachhaltige (wirtschaftliche) Entwicklung. Insofern besteht demnach nicht nur der Auftrag, der Bevölkerung ein Erleben der Natur so weit wie möglich zugänglich zu machen, sondern es ist auch eine umfassende "Präsentation" der Region durch "Regionalvermarktung" oder "Regionalmarketing" anzustreben.

Unter Regionalvermarktung wird eine an regionale Merkmale und regional definierte Qualitäten geknüpfte Angebotspolitik für unterschiedliche Produkte, wie z.B. landwirtschaftliche Erzeugnisse, Holz, Lebensmittel oder auch touristische Leistungen, verstanden. Regionalmarketing ist als die Planung, Koordination und Kontrolle aller auf die aktuellen und potenziellen Zielgruppen ausgerichteten Aktivitäten einer Region definiert. Ziel ist eine Verbesserung der Lebensqualität nach innen, die Verbesserung des Image nach außen sowie eine Erhöhung der Standortqualitäten. Dabei werden die Sektoren Naturschutz und Landschaftspflege, Landwirtschaft und Tourismus miteinander verknüpft.

Großschutzgebiete als regionaler Faktor

Die Wirkungen von Großschutzgebieten allgemein für eine Region können in zahlreichen Dimensionen erfolgen, von wirtschaftlichen Effekten im engeren Sinne über infrastrukturelle bis hin zu ökologischen Folgen. Aber auch der Tourismus für sich genommen kann tatsächlich und potenziell Ursache für zahlreiche Impulse in Regionen mit Großschutzgebieten in ökonomischer, ökologischer und sozialer Hinsicht sein.

Die positiven Folgen ("regionaler Nutzen") ergeben sich u.a. durch Steuereinnahmen, die Schaffung einer Infrastruktur und von Arbeitsplätzen. Als besonders wichtig sind die Veränderungen der Zahlungsströme und die Wertschöpfung anzusehen: Der Tourismus als Wirtschaftsfaktor kann große Beiträge zur Wertschöpfung in einer Region liefern, die vor allem durch die Ausgaben der Besucher und Urlauber zustande kommen. Regionsexterne Fördermittel aus den EU-Strukturfonds und -Förderprogrammen sowie Landes- und Stiftungsmittel können die regionale Standortqualität erheblich verbessern und die Attraktivität der Region, z.B. für Wirtschaftsunternehmen, steigern.

Von wesentlicher Bedeutung sind auch die Aspekte Erhalt von Kulturlandschaften und Stabilisierung von Ökosystemen: Vor allem in BR und NRP wird eine Strategie der Mischung von Extensivierung, Landschaftspflege, integriertem und ökologischem Landbau und Flächenstilllegungen zum Erhalt einer historisch gewachsenen vielfältigen Kulturlandschaft als Produktions- und Erholungslandschaft verfolgt, während vor allem NLP und BR zur Stabilisierung und Regenerierung des Nährstoff- und Wasserhaushalts sowie zum Arten- und Biotopschutz beitragen. Sie erfüllen die Funktion klimatischer Ausgleichsräume und von Rückzugs- und Quellgebieten für Tier- und Pflanzenarten.

Trotz der zahlreichen Impulse für die Region, die der Tourismus im Zusammenspiel mit Großschutzgebieten bewirken kann, sollte seine Bedeutung für die regionale Wirtschaftsentwicklung (ebenso wie die der Großschutzgebiete) letztlich realistisch eingeschätzt werden. Dazu gehört u.a. auch, dass nicht in allen Regions-Typen Effekte in gleichem Umfang erzielt werden können. Beispielsweise dürften die positiven Effekte in strukturschwachen Regionen mit wenig entwickelter touristischer Infrastruktur geringer ausfallen als in agrar-touristischen Gebieten mit diversifiziertem Tourismusangebot. Dementsprechend wären die Strategien unterschiedlich zu bestimmen. Während es im ersten Fall um die Entwicklung des lokalen touristischen Sektors ginge, müsste man sich im zweiten Fall eher um eine Differenzierung und Ökologisierung des Angebots bemühen.

Nachhaltigkeit und Regionalentwicklung

Im Rahmen der Diskussionen über die Entwicklung und Implementierung eines Tourismus unter konsequenter Berücksichtigung von Natur- und Umweltschutzgesichtspunkten versprechen sich viele, insbesondere periphere Regionen und solche innerhalb oder in der Nähe von Großschutzgebieten, von den Möglichkeiten eines "nachhaltigen Tourismus" auch die Chance zu einer "nachhaltigen Regionalentwicklung" insgesamt. Eine Verknüpfung von regionalem (nachhaltigem) Tourismus, Naturschutz und regionaler (nachhaltiger) Entwicklung in diesem Sinne kann die darauf bezogenen Hoffnungen dann erfüllen, wenn entsprechende Leitbilder entwickelt und konkrete, auf die Region bezogene Maßnahmen eingeleitet bzw. umgesetzt werden. Ein solchermaßen integrativer Ansatz erfordert Konzepte und Instrumentarien, die aus verschiedenen beteiligten Bereichen zusammengeführt werden, so z. B. aus Naturschutz- und Landschaftspflege, aus Tourismus und Marketing und aus Landwirtschaft, Raum- und Regionalplanung (s. hierzu Kap. V).

Die Kooperation der regionalen Akteure, von Entscheidungsträgern der öffentlichen Hand (Kommune), von touristischen Anbietern, der Tourismuswirtschaft und Organisationen vor Ort ist ein wesentliches Element der Förderung regionaler Identität und Eigenverantwortung. Dabei müssen sektorübergreifende Lösungen erarbeitet werden, die Verkehr, Landwirtschaft, Abwasserklärung, touristische Infrastruktur, Wirtschaftsförderung für Handwerk und Gewerbe sowie Bauflächenausweisung als sich gegenseitig bedingende Systemelemente berücksichtigen.

Großschutzgebiete lassen sich in das Konzept der nachhaltigen Regionalentwicklung stimmig integrieren. Sie unterstreichen und verstärken nochmals die ökologische Dimension nachhaltiger Regionalentwicklung. Daneben werden Schutz und Entwicklung der Kulturlandschaft als konstituierendes Element integriert. Die spezifische Attraktivität liegt darüber hinaus auch darin begründet, dass Schutzkonzepte durch Integration in Regionalentwicklung grundsätzlich besser durchsetzbar sind, bei Vergrößerung oder Verbindung von Schutzgebieten intensiv genutzte Gebiete (und Übergangszonen zwischen diesen) ins Blickfeld rücken. Damit kann die Kulturlandschaft mit ihren Nutzungsformen eine größere Rolle spielen, und es können größere, umfassender dimensionierte und sektorübergreifende Strategien entwickelt werden.

Insgesamt deutet sich hiermit auch eine Entwicklung zu einem flexiblen Konzept nachhaltiger Entwicklung an. Die Kulturlandschaft wird zu einem zugleich touristischen, kulturellen und ökologischen Kapital einer Region. Der Kulturlandschaftsschutz wird zu einem konstitutiven Bestandteil der Regionalentwicklung. Regionalwirtschaft und Naturschutz konkurrieren nicht, sondern bedingen sich gegenseitig.

Nachhaltige Regionalentwicklung setzt auf eine größtmögliche ökonomische Unabhängigkeit. Daher sollte der Tourismus in eine weitgehend diversifizierte regionale Wirtschaftsstruktur integriert sein; ein hoher Anteil der Wertschöpfung aus dem touristischen Geschehen sollte der Region selbst zukommen. Touristische Angebote sollten mit den anderen Wirtschaftsbereichen verflochten sein, um auch deren Marktchancen zu fördern. Eine Strategie kann die Verflechtung von verschiedenen Angeboten zu Pauschalreisen in die Region oder die Verknüpfung von landwirtschaftlicher Herstellung und gastronomischer Weiterverarbeitung sein. Ein florierender Tourismus kann zu einer Erhöhung des Auftragsvolumens im regionalen Handwerk, Baugewerbe und im Handels- und Dienstleistungsgewerbe beitragen.

Handlungs- und Forschungsbedarf

In Kapitel VI findet sich eine Zusammenstellung einiger exemplarischer Themen, die Anregungen zum Handlungs- und Forschungsbedarf geben sollen. Dabei werden zum einen grundsätzliche Fragestellungen angesprochen, wie etwa die notwendige Konkretisierung der jeweiligen primären Rolle und Zielsetzung der einzelnen Schutzgebiete und ihrer zukünftigen Aufgaben. Auch wird das Erfordernis aufgezeigt, die nationalen und regionalen Leitbilder für Großschutzgebiete konkret zu formulieren und dabei die relevanten Aussagen internationaler und nationaler Naturschutzabkommen aufzugreifen. Analysiert werden zudem u.a. die Defizite in der Tourismusforschung, speziell zu nachhaltigem in die Regionalentwicklung integriertem Tourismus: Tourismus als Querschnittsmaterie müsste in einer speziellen interdisziplinären und anwendungsorientierten Tourismusforschung seinen Niederschlag finden.

Zum anderen werden stärker praxisorientierte Forschungsfragen thematisiert, wie z. B. das Fehlen einer Übersicht sowie einer Evaluation aller Instrumente und Möglichkeiten, die für die Förderung von Kooperationen zwischen Tourismus und Großschutzgebieten genutzt werden können. Hervorgehoben wird auch die Notwendigkeit, ausgewählte Großschutzgebiete mit verschiedenen Methoden einer umfassenden Bewertung zu unterziehen sowie die Forschung in diesem Bereich auf eine breitere empirische Basis zu stellen. Schließlich wird angeregt, Forschungsaktivitäten auf eine verbesserte Zielgruppenbestimmung auszurichten.

Resümee: Großschutzgebiete als Modellregionen

Die Erhaltung der Natur einerseits und ihre Erschließung für den Besucher andererseits sind zwei Ziele, die auf den ersten Blick schwer miteinander zu vereinbar scheinen. Dies kann aber gelingen, wenn zum einen Touristen und Touristiker sich als Kooperations-Partner der Großschutzgebiete sehen und deren Schutz- und Entwicklungsziele mit tragen. Auch zeigt die Erfahrung produktiver Partnerschaften, dass die Zusammenarbeit von Tourismus und Naturschutz - als Konflikt- und Kooperationspartner - für beide (und für weitere Akteure) positive Effekte zeitigen kann.

Auch in den jüngsten Diskussionen zur Novellierung des Bundesnaturschutzgesetzes wurde deutlich, dass die Idee einer Verbindung von Naturschutz, Tourismus und regionaler nachhaltiger Entwicklung an Bedeutung gewonnen hat. Biosphärenreservate, Naturparke, aber auch Nationalparke thematisieren offensiv die Möglichkeiten, Wirtschaftsentwicklung und Naturschutz miteinander zu verbinden. Diese Tendenz trifft sich mit der grundlegenden Debatte über Nachhaltigkeit, in deren Zusammenhang nunmehr Großschutzgebiete zu Modellregionen für eine nachhaltige Entwicklung erklärt werden. Großschutzgebiete werden in dieser Perspektive zu interessanten Beispielen (oder institutionellen Ausnahmesituationen), die neue Möglichkeiten - auch für andere - demonstrieren. Dabei könnte sich herausstellen, dass von den Entwicklungsbemühungen in den Großschutzgebieten interessante Impulse auch für andere Regionen ausgehen könnten. Auch könnte sich zeigen, dass für viele Schutzgebiete nicht nur der Tourismus, sondern auch andere naturschutzkompatible Dienstleistungen eine interessante Entwicklungsmöglichkeit darstellen können. Großschutzgebiete sollten darüber hinaus - angesichts des (globalen) Strukturwandels, der zu einer ganz anderen Bewertung von z. B. Produktivität oder Standortvorteilen führt - die Rolle ihrer Region aktiv neu zu definieren suchen.

Für die weiteren Perspektiven von Großschutzgebieten wird es entscheidend sein, ob hier ein ökologisch und zugleich sozial verträglicher Tourismus entwickelt werden kann. Geschieht dies nicht, gefährdet der Tourismus seine eigenen Grundlagen - den Naturraum, die regionalen Besonderheiten und das lokale Gesellschaftsgefüge - und damit letztlich sich selbst. Denn Großschutzgebiete sind weder von der natürlichen, sozialen und regionalspezifischen Situation ihres jeweiligen Umlandes losgelöst noch stellen sie einen gänzlich anderen Naturraum dar, der den dort stattfindenden Tourismus völlig anders gestalten würde. Die doppelte Zielsetzung eines ökologisch und zugleich sozial verträglichen Tourismus, nämlich zum einen den Natur- und Umweltschutz in den ausgewiesenen Gebieten zu sichern und zugleich eine regionale Wertschöpfung durch touristische Nutzung zu ermöglichen, lässt sich nur unter konzeptioneller Einbeziehung größerer Gesamtregionen erreichen.

Resümierend lässt sich festhalten, dass Tourismus in Großschutzgebieten als potenziell sozialverträgliche und umweltschonende Nutzung und Entwicklung von Kultur und Natur in Regionen eine Alternative zu flächen- und infrastrukturintensiven Freizeitnutzungen in Form von z.B. Freizeit- oder Ferienparks sein kann. Auch wenn sich diese Effekte nicht von selbst ergeben und ein Interessenausgleich nur durch eine sorgfältige Planung, Einbeziehung aller Betroffenen und flankierende Maßnahmen erreicht werden können, dürfte es sich lohnen, das Modell und die Praxis eines Zusammenwirkens von Tourismus, Naturschutz und Regionalentwicklung im Kontext von Großschutzgebieten als ein - auch ökonomisch - attraktives Konzept weiter auszubauen.




Stand: 28.08.2003 - Kommentare an:     Christoph Revermann