Gesellschaft als Kontext der Wissenschaft: neue Formen wissenschaftlicher Produktion

Bechmann, G.
Vortrag auf der Tagung „Die Identität Europas in der Wissensgesellschaft“, Inter-University Dubrovnik.
Dubrovnik, Kroatien, 17. - 19.09.2003


Abstract

Die gegenwärtige Debatte um Veränderungsprozesse des Wissenschaftssystems in der Wissenschaftssoziologie ist geprägt von der Auseinandersetzung um die These, dass sich ein neuer „Modus der Wissensproduktion“ herausbildet. Die stärkere Einbindung der Wissenschaft in den gesellschaftlichen Kontext und die Forderung nach praktischer Relevanz sind demnach Ausdruck der gewandelten gesellschaftlichen Funktion der Wissenschaft und gleichzeitig Ausgangspunkt der wissenschaftlichen Reflexion über ihr Verhältnis zur Gesellschaft. Besondere Aufmerksamkeit gilt dabei der Rolle der Wissenschaft im Regulierungsprozessen sowie Versuchen der unmittelbaren wirtschaftlichen Nutzung wissenschaftlichen Wissens, die nicht zuletzt die Stärkung von Eigentumsrechten und andere Formen der Kommodifizierung beinhaltet.

Veränderungen der Wissenschaft zeigen sich auch im Entstehen neuer staatlicher und privatwirtschaftlicher Forschungsorganisationen und in neuen Verwendungsweisen des Wissens (z. B. in Form unmittelbarer Entscheidungsbezüge und massenmedialer Beobachtung). Darüber hinaus sind neue Muster der institutionellen Integration der Wissenschaft in die Gesellschaft durch hybride Organisationen oder lose Netzwerke der Kooperation zu beobachten. Diese Entwicklung ist in ihren Erscheinungsweisen unterschiedlich beschrieben und interpretiert worden. Einige Autoren sehen hier den Beginn einer „post-normal-science“, andere identifizieren einen „Triple Helix“ von Universitäts-, Industrie- und Staatsforschung als zukünftiges Modell der Wissenschaft. Im Vortrag wird die These vertreten, dass der zentrale These, dass die Kontextualisierung der Wissenschaftsproduktion das eigentlich Neue der im Entstehen begriffenen Wissensgesellschaft darstellt. Wissen, und insbesondere wissenschaftlichen Wissens, wird demnach in gesellschaftlichen Bereichen produziert, die nicht mehr dem Wissenschaftssystem mit seinen universalen Normen angehören. Entsprechend findet auch eine Transformation des normativen Fundaments wissenschaftlicher Forschung statt, nicht mehr Wertfreiheit und Interesselosigkeit ist das Ziel, sondern Fragen der Angemessenheit, der Ethik, der sozialen Akzeptanz und der Anwendbarkeit spielen eine immer stärkere Rolle bei der Bewertung von Wissen und Forschung.



Erstellt am: 19.08.2004 - Kommentare an: Gotthard Bechmann