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Umweltstandards - ihre Funktion in der globalen Umweltpolitik

Vortrag auf der Internationalen Konferenz "Globale Umweltpolitik - Nachhaltige Entwicklung,
Ethik, Umweltmonitoring - Erfahrungen und Perspektiven",
St. Petersburg, Russland, 30. August - 2. September 2000


Abstract

Grenzwertfestlegungen gehören in den allgemeinen Kontext einer präventiven Umweltpolitik. Sie stellen quantitative Konkretisierungen von Umweltqualitätszielen dar, sind aber selbst keine Ziele, sondern sie erzeugen eine Differenz erlaubt/nicht erlaubt oder tolerabel/ nicht-tolerabel. Die Politik bestimmt mit der Grenzwertfestlegung über ihre eigenen Aktivitäten bzw. Nichtaktivitäten. Wird der Grenzwert über- oder unterschritten, kommen jeweils andere Maßnahmen oder Programme in Gang.

Grenzwerte sind keine Natur- sondern Kulturphänomene. Damit ist gemeint, dass Grenzwerte gesellschaftliche Normen sind, die durch politische Entscheidungen festgelegt werden. Im Gegensatz zu rechtlichen Normen oder traditionellen Sitten und Gebräuchen basieren Grenzwerte auf wissenschaftlicher Erkenntnis und sind dadurch in ihrer konkreten Gestaltung abhängig vom Stand der Wissenschaft. Dadurch werden sie dynamisiert und ihre empirische Erkenntnisbasis ändert sich mit dem Fortschritt des wissenschaftlichen Erkenntnisprozesses.

Gleichwohl lassen sie sich nicht allein naturwissenschaftlich begründen, da weder die genauen Wirkungsmechanismen hinreichend bekannt sind noch bei Schädigungen eine Grenze angegeben werden kann, ab der die Auswirkungen nicht schädlich sind (krebserzeugende Strahlungen und Chemikalien). Diese naturwissenschaftliche Unentscheidbarkeit gibt Raum für gesellschaftliche Wertungen und Kontroversen. Sie müssen durch politische Festlegungen bis auf weiteres entschieden werden. Bei der Grenzwertfestlegung sind Wissenschaft und Politik wechselseitig aufeinander angewiesen.

Grenzwertpolitik ist nicht neutral. Sie greift in den Markt ein und begünstigt oder benachteiligt, je nach dem wie die Grenze gezogen wird. Diese dadurch erzeugten Ungleichheiten können damit kompensiert werden, dass Grenzwerte immer unter Revisionsvorbehalt stehen. Angesichts der Tatsache, dass man bei ihrer Festlegung mit einer Gemengelage von kurzfristigen und langfristigen Effekten zu tun hat, mit marktabhängigen betriebswirtschaftlichen Bedingungen, mit ökologischen Störungen und einem Wissensstand, der sich von heute auf morgen ändern kann, werden Grenzwerte immer nur als vorläufig geltend in Kraft gesetzt. Damit ermöglicht sich die Politik zu lernen und gegensätzliche Interesse im Laufe der Zeit auszugleichen.

Grenzwertpolitik ist konstitutiv auf demokratische Entscheidungsverfahren angewiesen. Bei kognitiver Unsicherheit und gesellschaftlichen Interessengegensätzen können Entscheidungen nur aufgrund allgemein akzeptierter Verfahren verbindlich getroffen werden, an denen Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit gleichermaßen beteiligt sind.


Gotthard Bechmann
Forschungszentrum Karlsruhe
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Stand: 26.02.2001 - Kommentare und Bemerkungen an: info@itas.kit.edu