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Chancen und Gefahren der Informationstechnik (Thesen)

Vortrag in Dresden, 15. April 2000


Prof. Dr. Gerhard Banse
Forschungszentrum Karlsruhe
Institut für Technikfolgenabschätzung
und Systemanalyse (ITAS)
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  1. Da eine aufzählende Darstellung der Beziehungen von Informatik und Gesellschaft in eine "schlechte Unendlichkeit" (HEGEL) führen würde, wird von drei Beispielen ausgegangen:

  2. Für die Informatikanwendung ist der Leitbildbegriff insofern bedeutsam, weil bei der Entwicklung, Gestaltung und Nutzung von IuK ein bestimmtes Menschenbild unterstellt wird - nicht so sehr abstrakt-philosophisch (das wohl auch), sondern ganz konkret: der PC-Nutzer, der Maschinen-Konstrukteur, die Bankfachfrau, der Redakteur, die Sekretärin usw. Ist sich der Entwickler von Soft- und Hardware, der "Architekt" von IuK-Lösungen eigentlich immer im klaren darüber, dass er mit seinem Produkt ganz entscheidend die Mensch-Technik-Beziehungen prägt, je nach - bewusst oder auch unbewusst - verfolgter Konzeption Stärken des Mensch zu unterstützen und Schwächen zu überbrücken in der Lage ist, aber auch umgekehrt, Stärken unterdrückt und Schwächen potenziert? Es ist viel stärker zu berücksichtigen, dass Informatikgestaltung Eingreifen in Arbeits-, Produktions-, Lebens- und Qualifikationsprozesse bedeutet.

    Welche fatalen Konsequenzen es haben kann, wenn dem "Know the user!" - wie es WILFRED HANSEN bereits 1971 gefordert hat - als Prinzip der Informatikgestaltung nicht höchste Priorität zukommt, zeigen vorrangig technikzentrierte Sicherheitskonzepte in komplexen technischen Systemen. Insgesamt bedeutet eine weder technizistische noch abstrakt-humanistische Sicht auf die Zuverlässigkeit des Menschen in Mensch-Maschine-Systemen "nicht nur eine Rehabilitierung des Menschen selbst, d. h. die Würdigung und Inanspruchnahme seiner schöpferischen Potenzen, sondern erschließt auch ein bedeutendes Potential für die Optimierung technischer Systeme" (CARL GRAF HOYOS).

    Damit ist zumindest die Problematik eines Leitbildes angedeutet, das man als sozialverträgliche und humanorientierte Informatikgestaltung umschreiben könnte, denn Gestaltung hat viel damit zu tun, wie etwas auf menschliche Weise gemacht wird, wie es zu einer Symbiose von technisch Möglichem und sozial bzw. individuell Wünschenswertem kommt. Dass die größere Schwierigkeit darin besteht, aus diesem abstrakten Leitbild konkrete Leitsätze und Gestaltungsregeln abzuleiten, sei nur erwähnt.

  3. Die für die Informatik relevanten Beziehungen von Mensch und Computer lassen sich sowohl auf einer sehr allgemeinen philosophisch-theoretische Ebene, aber auch mit Blick auf reale Problemsituationen beschreiben. Mein Zugang ist der über die wachsende Bedeutung der Information für Individuum und Gesellschaft und die damit verbundene Notwendigkeit der rationellen Informationshandhabung i.w.S. Der Mensch braucht Informationen, d. h. Widerspiegelung oder Repräsentation von Sachverhalten in spezifischer Form, als Grundlage seines Verhaltens und Handelns, für die Erklärung natürlicher, die Antizipation und Nutzung technischer, die Gestaltung organisatorischer sowie die Orientierung gesellschaftlicher Prozesse. Die Vielfalt und Vielzahl der in einem bestimmten Zusammenhang und Zeitabschnitt anfallenden Informationen erzwingt zu ihrer sinnvollen Nutzung und rationellen Verarbeitung die Schaffung und Nutzung entsprechender technischer, genauer informationeller Systeme.

    Die damit verbundene mögliche Vervielfachung der geistigen Kräfte des Menschen kann man - in Analogie zur industriellen Revolution des 18. / 19. Jhs., die eine Revolution der Arbeitsmittel, genauer: der (Hand-)Werkzeuge war - als "Revolution der Denkzeuge" bezeichnen. Technik ermöglichte dem Menschen stets eine verbesserte Einwirkung auf die natürliche und gesellschaftliche Umwelt. Sie erhöhte nicht nur die Effektivität menschlicher Arbeitsprozesse, sondern sie ermöglicht auch die Durchführung von Tätigkeiten oder die Herstellung von Produkten, die der Mensch mit seinen "natürlichen" Organen durchzuführen oder herzustellen nicht in der Lage wäre. Informationelle Technik ordnet sich hier zwanglos ein, denn sie erweist sich als effektivitätssteigerndes Mittel; sie verstärkt ganz wesentlich die Möglichkeiten des menschlichen Gehirns und der menschlichen Intelligenz (soweit man informationsverarbeitende Prozeduren im Blick hat). In diesem Sinne kann man Computer mit ROSS ASHBY auch als Intelligenzverstärker bezeichnen. Genau mit dieser Aussage sind aber gravierende Probleme verbunden, von denen lediglich zwei herausgehoben werden sollen:

  4. Mit der gewachsenen Problemsicht auf Chancen und Risiken der Technik verbindet sich so auch die Diskussion um die Sozial- und Humanorientierung der Technikgestaltung, die von der grundsätzlichen Prämisse der Technikgestaltbarkeit ausgeht (denn ansonsten hätte die Aufforderung zur humanen, sozialen und ökologischen Orientierung der Technikgenese keinen Sinn). Methoden und Verfahren zur Technikgestaltung basieren - ausgesprochen oder unausgesprochen - auf mindestens folgenden weiteren Prämissen:

    Damit zusammenhängende Probleme werden im Grundsatz-, Verantwortungs-, Werte-, Prognose-, Pluralismus-, Diskurs- und Realisierungsdilemma zusammengefasst und am Prognose-Dilemma verdeutlicht: [4] Gestaltbarkeit der Technik und Gestaltungsräume ihrer Entwicklung - wie weit oder wie eng sie auch sein mögen - bedingen zugleich eine Offenheit der Technikentwicklung, womit prinzipiell Unbestimmtheiten zukünftiger Entwicklungspfade oder -richtungen, Chancen und Risiken, möglicher und wirklicher, erwünschter und unerwünschter, vorhersehbarer und unvorhersehbarer Folgen verbunden sind. Durch methodisches Vorgehen, gepaart mit Phantasie und Intuition kann sicherlich Wissenszuwachs erreicht und der Bereich des Unerwünschten und Unvorhergesehenen eingegrenzt werden - eine ex ante-Erfassung aller möglichen Folgen und Wirkungen erweist sich jedoch als Illusion. Gestaltbarkeit der Technik bedingt so auch prinzipielle Unbestimmtheiten hinsichtlich der Realisierung ihres Sozial- und Humanpotentials.

    Das entbindet aber keineswegs davon, diese geringen Möglichkeiten weiter auszuloten und vor allem zu nutzen. Dabei geht es vor allem um Prinzipien für Richtung und Rahmen der Gestaltungsmöglichkeiten und -notwendigkeiten neuer Technik. Diese Gestaltungschancen müssen zu (bewusst auferlegten) Gestaltungszwängen werden, denn das Charakteristische bei diesen neuen Techniken ist, dass das Maß der Chancen, der Freiheiten zunimmt - und damit auch die Verantwortung der Akteure für Planung und Einsatz neuer Technik.

  5. Fazit: Informatik ist für Individuum und Gesellschaft Chance und Herausforderung zugleich: Chance, das Leben lebenswerter zu gestalten; Herausforderung, die individuellen und gesellschaftlichen Bedingungen zu schaffen, damit diese Chance umfassend verwirklicht und wahrgenommen werden kann. Damit sind dann vielfältige Konsequenzen für Wissenschaft und Forschung, für technische und praktische Intelligenz, für Aus- und Weiterbildung im Bereich der Informatik verbunden.

    Dabei gilt folgende Sinnbestimmung, die BERTOLT BRECHT vor knapp fünfzig Jahren als Mahnung und Verpflichtung im Leben des Galilei gab: "Ich halte dafür, dass das einzige Ziel der Wissenschaft darin besteht, die Mühseligkeit der menschlichen Existenz zu erleichtern".


[1] Zemanek, H.: Hat die Informatik den Computer im Griff? Mobilisierung zur Stabilisierung. In: Langenheder, W.; Müller, G.; Schinzel, B. (Hrsg.): Informatik cui bono? Berlin, Heidelberg u. a. 1992, S. 20ff.

[2] Dickson, G. R.: Computer streiten nicht. In: Simon, E. (Hrsg.): Maschinenmenschen. Berlin 1980, S. 30ff.

[3] Zuse, K.: Der Computer mein Lebenswerk. München 1970.

[4] Dilemmata (Dilemma - griech.: "Zwangslage") werden hier eingeführt als Voraussetzungen, Defizite, Probleme und Hemmschwellen, die in gleichgewichtiger Weise Einfluss auf die Problemlösung haben.


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Stand: 16.03.2000 - Bemerkungen und Kommentare bitte an: info@itas.kit.edu