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Herausforderung des bestehenden Geldsystems im Zuge seiner Digitalisierung - Chancen für Innovation?

Malte Krüger und Hugo Godschalk
Karlsruhe: Forschungszentrum Karlsruhe 1998
(Wissenschaftliche Berichte FZKA 6160)

Gutachten der PaySys GmbH für das ITAS-Projekt »Technikfolgenabschätzung zu elektronischen Zahlungssystemen für digitale Produkte und Dienstleistungen im Internet (PEZ)«



Vorwort

Geld, Zahlungsverfahren und Geldordnung haben sich im Laufe der Geschichte immer wieder gewandelt. Die Ablösung der DM durch den Euro ist gegenwärtig die am intensivsten diskutierte Veränderung. Weniger, aber dennoch beachtliche Aufmerksamkeit erregt die Ausdifferenzierung der Zahlungsmittel und Zahlungsverfahren, die nicht zuletzt durch die Informationstechnik ermöglicht wurde und die im Zuge des elektronischen Handels neue Varianten hervorbringt. Blickt man auf die letzten 50 Jahre, die Zeit der DM zurück, so bildeten sich zuerst im Zusammenhang mit der flächendeckenden Verbreitung von Girokonten bargeldlose und beleglose Formen des Zahlungsverkehrs heraus. Zahlungen mit Scheck und Kreditkarte haben inzwischen eine weite Verbreitung gefunden und der Zugriff auf das eigene Konto mittels Bank- oder Eurocheque-Karte am Geldautomaten und am Händlerterminal ist nicht mehr wegzudenken. Online-Banking, elektronische Geldbörsen auf Chipkarten, elektronische Zahlungssysteme im Internet und elektronisches Netzgeld heißen die Innovationen, die derzeit aktuell sind. Welche Folgen diese neueren Entwicklungen auf das bestehende Geldsystem, seine Leistungsfähigkeit und Stabilität haben, ist die Frage des vorliegenden Gutachtens. Wenn man die Antwort vorschnell geben wollte, dann lautete sie: Entwarnung. Drohende Gefahren sind augenblicklich nicht zu erkennen.

Die entscheidende Leistung des Gutachtens liegt aber nicht darin, aufgeschreckte Gemüter zu beruhigen, sondern die Geldinnovationen in einen komplexen Erklärungszusammenhang zu stellen. Überzeugend ergibt sich aus dem Gutachten, daß die Geldinnovationen nicht allein technologisch bedingt sind, sondern in einem Wechselspiel mit anderen Faktoren stehen. Wir wollen an dieser Stelle nicht das Gutachten referieren - das bietet die Zusammenfassung schon -, sondern vier Punkte herausstellen, die die differenzierte Sicht der Autoren belegen und in denen wir wichtige Erträge des Gutachtens sehen.

  1. Private Formen des Geldes wie sie in den Tauschringen, den LETS (Local Exchange Trading Systems) oder Barter-Systemen vorkommen, verdanken ihr Entstehen nicht den Informations- und Kommunikationstechnologien, könnten aber durch die neuere Informationstechnologie ihre Effizienz erhöhen und dadurch womöglich einen neuen Schub erfahren.
  2. Die neueste Informationstechnik steht nicht nur im Dienste der neuesten Zahlungssysteminnovationen, sondern ist gleichermaßen geeignet, ältere Zahlungsverfahren attraktiver und effizienter zu machen - man denke z.B. an die Bequemlichkeiten des Bargeldbezugs am Geldautomaten oder an das Telefon- und Home-Banking.
  3. Die Interessen und Motive, die im Innovationsprozeß zusammen und gegeneinander wirken, prägen den Charakter der Innovationen. Beispielsweise mag das strategische Interesse, unliebsame, womöglich branchenfremde Konkurrenz fernzuhalten, neben dem ökonomischen Motiv der Senkung von Transaktionskosten rangieren. Im Extremfall könnte es sogar im Interesse bestimmter Parteien liegen, sich an die Spitze der Innovation zu setzen, um von dieser Position aus radikalere Innovationen abzubremsen. Die Autoren warnen in diesem Sinn auch vor voreiligen Regulierungsansätzen zum Erhalt der herkömmlichen Geldordnung, die mögliche wünschenswerte Innovationsprozesse verhindern könnten.
  4. Die oben angesprochene "Entwarnung" heißt nicht, daß man mit dem Thema fertig wäre. Eher ist davon auszugehen, daß die durch den Einsatz von Computer- und Netztechnologie erwartete deutliche Verbilligung der Transaktionskosten im Geldsystem das Potential für die Aufweichung des staatlichen Geldmonopols latent in sich trägt. Ob dies dann eher als Gefahr oder Chance gesehen wird und für wie wahrscheinlich man eine solche Entwicklung hält, darüber sind sich die Autoren untereinander letztlich auch nicht einig.

Aus dem vorliegenden Gutachten, das im Auftrag des Projekts "Technikfolgenabschätzung zu elektronischen Zahlungssystemen für digitale Produkte und Dienstleistungen im Internet" (PEZ) von der Firma PaySys, Frankfurt, erstellt wurde, sprechen wirtschaftswissenschaftliche Kompetenz und die Praxiserfahrung in der Beratung von Finanzdienstleistern. Besonders verdienstvoll ist der offene Blick der Autoren auch auf Innovationsstränge und Zahlungssystemalternativen, die in der öffentlichen Diskussion nicht ausreichend wahrgenommen werden.

Das Gutachten ist ein Baustein im Projekt PEZ, das teilfinanziert durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) vom Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) des Forschungszentrums Karlsruhe (FZK) durchgeführt wird. Fragen des Bedarfs und der Akzeptanz von neuen elektronischen Zahlungssystemen, Fragen nach unterschiedlichen Entwicklungsoptionen und Innovationschancen sowie Fragen der politischen Regulierung stehen im Vordergrund. PEZ hat hierzu eine breit angelegte Befragung von Experten aus den involvierten bzw. betroffenen Branchen und Bereichen vorgenommen. Der Endbericht des Projekts, der die Auswertung des Interviews enthält, erscheint als FZKA-Bericht 6161. Weitere Informationen zu dem Projekt, seinem projektbegleitenden Newsletter EZI-N und dem Diskussionsforum EZI-L sind im Internet erhältlich.

Oktober 1998

Knud Böhle und Ulrich Riehm

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Zusammenfassung

Das vorliegende Gutachten wurde im Auftrag des Projekts "Technikfolgenabschätzung zu elektronischen Zahlungssystemen für digitale Produkte und Dienstleistungen im Internet", kurz PEZ, erstellt. Es stellt die Frage nach den Folgen der derzeit stattfindenden Geldinnovationen für die herkömmliche Geldordnung: Wird die Geldordnung herausgefordert, gar bedroht; aber auch: welche Innovationschancen tun sich auf?

Im ersten Teil des Gutachtens werden vier Ansatzpunkte unterschieden, von denen aus das staatlich regulierte Zentralbankmonopol für die Geldschöpfung prinzipiell in Frage gestellt wird: privates Geld innerhalb geschlossener Benutzergruppen (Tauschringe, LETS, Barter, Bonussysteme); digitales Geld mit den Varianten Karten- und Netzgeld; Nichtbanken als Geldemittenten; die Wettbewerbsvariante des "free banking". Schon hier wird deutlich, daß die Innovationen nicht nur technisch aufgefaßt werden dürfen, sondern auch anderer (z.B. organisatorischer oder geldpolitischer) Art sind. Danach wird untersucht, welche Bedeutung die neuen Informations- und Telekommunikationstechnologien für die Geldinnovationen haben. Dabei wird u.a. darauf hingewiesen, daß diese sowohl Katalysator dieser Innovationen sind, gleichzeitig aber auch die herkömmlichen Zahlungssysteme effektivieren. Letzteres schmälert die Chancen der neuen Geld- und Zahlungsformen. Es folgt eine Diskussion der Gefahren für die Stabilität der Geldordnung, z.B. die Geldfälschungen oder eine eventuelle Zahlungsunfähigkeit eines Geldemittenten. Das Thema Substitution von Bargeld durch elektronisches Geld und Konsequenzen für die Seigniorage wird ebenfalls behandelt. Im großen und ganzen werden die Risiken auf absehbare Zeit durch die staatliche Geldpolitik als beherrschbar angesehen. In zwei Szenarien werden mögliche Entwicklungspfade des Geldwesens beschrieben: Das erste Szenario geht von der Vorstellung eines natürlichen Geldmonopols aus; das zweite Szenario stellt die Möglichkeiten und Vorteile der Auflösung des Geldmonopols, u.a. bedingt durch die Effektivierung der Transaktionsabwicklung durch die Computer- und Netztechnik, in den Vordergrund. In einem weiteren Teil des Gutachtens werden die unterschiedlichen Motive und Interessen für die Geldinnovationen analysiert und darauf verwiesen, daß mit einem schnellen, radikalen Umbruch nicht zu rechnen ist, da die Innovationen im Geldsystem langwierige Prozesse sind. Schließlich wird die Frage aufgeworfen, ob digitales Geld zur Hortung (Speicherfunktion des Geldes) geeignet sei, und die Antwort lautet nein. Drei Fallstudien schließen das Gutachten ab: die erste schildert ein elektronisches, nicht-staatliches Geldsystem ("Goldene Krone"), das in Rußland im Bereich von Unternehmensverbünden zum Einsatz kommt; in der zweiten Fallstudie wird der bereits 1934 in der Schweiz gegründete WIR-Wirtschaftsring vorgestellt; bei der dritten Fallstudie geht es um das "CityCard"-Konzept in Eichstätt, in dem Bonuspunkte für Einkäufe bei den Vertragsunternehmen vergeben werden.

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort IX

1 Einleitung 1

2 Herausforderung des bestehenden Systems: vier Varianten 2
2.1 Privates Geld innerhalb geschlossener Benutzergruppen 2
2.1.1 Die ideelle Variante: Tauschringe, Green Money, LETS-Bewegung 3
2.1.2 Die kommerzielle Variante: Barter 7
2.1.3 Die kommerzielle Variante: Loyalty-Tokens 9
2.2 Digitales Geld 11
2.2.1 Geldkarten und Kartengeld 11
2.2.2 Netzgeld 15
2.2.3 Exkurs: Internationale Mobilität des Geldes 19
2.3 Nichtbanken als Geldemittenten 19
2.4 Die Wettbewerbsvariante ("Free Banking") 21

3 Die Bedeutung neuer Technologien 23

4 Politische Rahmenbedingungen 30

5 Macht versus ökonomisches Gesetz - Verliert die Politik an Bedeutung? Zwei Szenarien 34
5.1 Szenario 1: Der Vorteil einer einzigen Recheneinheit 35
5.2 Szenario 2: Chancen für parallele Recheneinheiten durch technologiebedingte Kostensenkungen 36

6 Innovationsursachen 38

7 Zeithorizont 41

8 Fazit 41

9 Sonderfrage: Ist digitales Geld zur Hortung geeignet? 43

10 Fallstudien 44
10.1 Elektronisches Geld in Rußland: Zolotaya Korona (die "Goldene Krone") 44
10.2 Der WIR-Wirtschaftsring in der Schweiz 45
10.3 "CityCard plus": Wie Bonuspunkte zu Geld werden 47
10.4 Lokale Austausch- und Handelssysteme: Das LETSystem 48

11 Literatur 50

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Abbildungsverzeichnis

1 Internationale Zahlung mit digitalem Geld 18
2 Die Entwicklung von Geldausgabeautomaten und ec-Terminals in Deutschland 24
3 Die Relation von Bargeld und Sichteinlagen zu M3 24 4 Die Relation von Bargeld und Sichteinlagen zum BIP 25
5 EFTPOS- und Kreditkartenumsätze 26
6 Substitution von Bargeld und Sichteinlagen durch elektronisches Geld 28
7 Schema des elektronischen Zahlungsverkehrs in Bratsk 44

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Verzeichnis der Tabellen

1 Ebenen des Geldsystems und Ordnungsprinzipien 39
2 Die Entwicklung des WIR-Wirtschaftsrings 46
3 Die Verbreitung von Tauschringen im Jahr 1997 48

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Digital Money: A Challenge for the Current Monetary System?

Abstract

This study was prepared for the project "Technology Assessment of Internet Payment Systems for Digital Products and Services". It analyses the consequences of current monetary innovations for the existing monetary order. Do current innovations have to be interpreted as a challenge, even a threat, or rather as an opportunity?

The first part of the study looks at four major challenges for the current publicly regulated central bank monopoly: private money within limited groups ("barter", corporate barter, LETS, bonus points), digital money (card based and network money), non-banks as money issuers, free banking. This enumeration shows already that financial innovation is not just a technical matter. It also has organisational and political properties.

In the second part, the new information and telecommunication technologies and their impact on monetary innovations is analysed. As is pointed out, these new technologies can serve as a catalyst for new forms of payments but at the same time they can also make traditional means of payment more efficient. The latter effect diminishes the prospects of payment innovations.

In the third part, the effects of financial innovation on the stability of the monetary system are discussed. The topics included in this section are counterfeiting, bankruptcy of an e-money issuer, substitution of cash and seigniorage. The basic finding is that, in the near future, potential hazards will be controllable by the monetary authorities.

Further developments are sketched out in two scenarios. In the first scenario the idea of money as a natural monopoly is emphasized. This leads to the conclusion that the ability of central banks to conduct monetary policy and determine short-term interest rates will not be diminished. The second scenario is based on the idea that lower transaction costs may lead to a dilution of the monetary monopoly, promoting competition between various monies (denominated in different media of account).

The fourth part of the study discusses the diverse incentives for financial innovation. It is argued that financial innovation will be an evolutionary rather than a revolutionary process. In a separate chapter, the question is raised whether e-money is suitable for hoarding. The answer is "no".

Finally, three case studies are presented. The first describes an electronic private payment system used by groups of firms in Russia ("Golden Crown"); the second describes the "WIR-Wirtschaftsring", a private "barter" association which was founded in Switzerland in 1934; the third case study deals with the "CityCard" concept tested in the small German town of Eichstätt which involves highly liquid bonus points.


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Stand: 21.12.1998 - Kommentare und Bemerkungen an: Knud Böhle