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Juliane Jörissen Produktbezogener Umweltschutz und technische Normung. Zur rechtlichen und politischen Gestaltbarkeit der europäischen Normung Schriftenreihe: Völkerrecht - Europarecht - Staatsrecht hrsg. v. Prof. Dr. Dr. A. Bleckmann, Band 20 Carl Heymanns Verlag KG |
Vorwort National unterschiedliche Anforderungen an Produkte stellen technische Handelshemmnisse dar, die den freien Waren- und Güterverkehr in Europa behindern. Die Vereinheitlichung der Produktanforderungen ist daher eine wesentliche Voraussetzung für die Vollendung des Binnenmarktes. Nachdem sich die ursprünglich gewählte Methode einer direkten Harmoniserung durch Detailregelungen auf Gesetzesebene als nicht praktikabel erwies, entschloß sich die EG mit der Einführung der sog. "Neuen Konzeption" im Jahr 1985 einen alternativen Weg der Rechtsangleichung zu beschreiten, der in erster Linie auf Selbstregulierung der Wirtschaft setzt. Dabei beschränkt sich der europäische Gesetzgeber auf die Fixierung allgemeiner Sicherheitsanforderungen an Produkte und verweist zu deren Konkretisierung auf technische Normen, die von den europäischen Normungsgremien CEN/CENELEC in eigener Verantwortung erarbeitet werden. Zwangsläufig muß die zunehmende Übertragung von Entscheidungskompetenzen auf die europäische Ebene mit einem Verzicht der nationalen Gesetzgeber auf die Festlegung eigener Güte-, Sicherheits- und Umweltstandards für Produkte einhergehen. Im Kontext der neuen Harmonisierungskonzeption wiegt ein solcher Verzicht allerdings um so schwerer, als die Präzisierung der Anforderungen zum Schutz wichtiger Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit und Umwelt weitgehend in das Ermessen privater Verbände gestellt wird. Nach Auffassung der Kritiker ist zudem die Betrachtung öffentlicher Belange wie der des Umweltschutzes verfahrensmäßig nicht hinreichend sichergestellt. Befürchtet wird daher, daß die europaweite Harmonisierung der Produktanforderungen zu einer Absenkung des national erreichten Umweltschutzniveaus führen könnte. Auf der anderen Seite wird gerade in der breitflächig, über heterogene Produktlinien hinweg angelegten Normung auch eine Chance für die Integration von Umweltschutzaspekten in eine Vielzahl industrieller Produkte und Verfahren gesehen. Wenn es gelänge, die Ideee des produktintegrierten Umweltschutzes in der europäischen Normung zu verankern, könnte die Harmonisierung, obwohl sie vornehmlich der Vollendung des Binnenmarktes dient, auch eine wichtige Rolle für die Realisierung einer ökologischen Produktpolitik spielen. Vor diesem Hintergrund wurde das Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) 1993 auf Anregung des Bundestags-Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit mit der Durchführung einer Technikfolgenabschätzung zum Thema "Umweltschutz und Europäische Normung" beauftragt. Im Rahmen der ersten Projektbearbeitungsphase, die das Ziel hatte, ausgehend von einer ausführlichen Bestandsaufnahme und Schwachstellenanalyse der europäischen Normung mögliche Untersuchungsschwerpunkte für eine Hauptstudie aufzuzeigen, wurden zwei externe Gutachten vergeben. Auftragnehmer waren das Institut für Europäische Umweltpolitik, Bonn und das Katalyseinstitut, Köln. Die erste Phase des Projekts wurde im April 1994 mit der Vorlage eines Zwischenberichts abgeschlossen, in dem die Fortführung der Studie mit folgenden drei Schwerpunkten empfohlen wurde: Im Juni 1994 stimmte der Bundestag dem Vorschlag des TAB zu. In der zweiten Phase des Projekts wurden zu den genannten Schwerpunkten fünf Rechtsgutachten an folgende Gutachter vergeben: Aufgabe der Gutachter war es vor allem, rechtspolitische Vorstellungen zu entwickeln, wie die Berücksichtigung von Gemeinwohlbelangen in der Normung sichergestellt und die demokratische Legitimation der Normen erhöht werden könnte, ohne ihre Effizienz für die Wirtschaftsharmonisierung in Europa einzuschränken. Die Rechtsgutachten wurden ergänzt durch eine empirische Erhebung von Stellungnahmen und Reformvorschlägen bei den normungsbeteiligten und -interessierten Kreisen (Industrie, mittelständische Unternehmen, Umweltverbände, Gewerkschaften, Normungsgremien, EG-Kommission, Europa-Parlament). Dieser Auftrag wurde erteilt an Dipl. Verw.-Wiss. Uwe Brendle, nova-Institut für politische und ökologische Innovation, Köln. Zentrale Ergebnisse der Gutachten wurden am 12. Oktober 1995 in einem ausgewählten Kreis von Fachleuten aus Politik, Verwaltung, Wissenschaft und Wirtschaft, aus den Normungsorganisationen und den Umweltverbänden zur Diskussion gestellt. Zur Vorbereitung dieses Workshops hat das TAB ein ausführliches Thesenpapier erstellt, in dem vor allem übereinstimmende und kontroverse Standpunkte der Gutachten herausgearbeitet wurden. Der hier vorgelegte Abschlußbericht zum TA-Projekt "Umweltschutz und europäische Normung" faßt die wesentlichen Ergebnisse aus dem gesamten Projektverlauf zusammen. Die Verantwortung für die Auswahl und Interpretation der übernommenen Positionen liegt ausschließlich bei den Autoren des Berichts. Der Aufbau des Berichts ist wie folgt angelegt: Er geht zunächst
auf die überragende Bedeutung harmonisierter europäischer
Normen sowohl für die zügige Vollendung des Binnenmarktes als
auch für die Verwirklichung einer proaktiven Technik- und Umweltpolitik
ein (Kap. I). Sodann werden die Hintergründe und die wesentlichen
Elemente der neuen Konzeption erläutert (Kap. II). Kapitel
III beschreibt Aufbau und Tätigkeit der europäischen Normungsorganisationen,
das Normaufstellungsverfahren sowie den aktuellen Strukturwandel der Normung
und faßt schließlich die kritischen Einwände gegen
die Normungspolitik der EU zusammen. Kapitel IV gibt eine Überblick
über die rechtlichen Rahmenbedingungen, in die der Prozeß der
europäischen Normung eingebettet ist. In Kapitel V werden die
innerstaatlichen Rechtswirkungen der harmonisierten Normen näher untersucht
und darauf aufbauend der Frage nachgegangen, ob eine Delegation
von Quasi-Rechtsetzungsbefugnissen auf private Verbände mit
den Prinzipien des Gemeinschaftsrechts und der Deutschen Verfassung in
Einklang zu bringen ist. In Kapitel VI werden die von den Gutachtern
erarbeiteten Reformvorschläge ausführlich dargestellt und einer
kritischen Würdigung im Hinblick auf ihre praktische Durchführbarkeit,
Effizienz und Akzeptanz unterzogen, wobei auf die Ergebnisse des
TAB-Workshops zurückgegriffen wird. In Kapitel VII wird abschließend
der Frage nachgegangen, welche Handlungsmöglichkeiten der nationalen
Politik zur Verfügung stehen, um die Ausgestaltung der europäischen
Normung und ihrer Rahmenbedingungen im Interesse einer solchen Reform zu
beeinflussen. |