Thomas Petermann, Reinhard Grünwald

Stand und Perspektiven der militärischen Nutzung unbemannter Systeme

Berlin: Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) 2011, TAB-Arbeitsbericht Nr. 144
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EINLEITUNG

Unbemannte Systeme (UMS) sind wiederverwendbare Fahrzeuge, die keinen Bediener tragen, und zu Land, zur See, in der Luft - autonom oder ferngesteuert - Missionen durchführen. Aufgrund der Trennung von Bediener/Steuerer und System bieten sie die Möglichkeit, sich bei einem Einsatz der Einwirkung feindlichen Feuers zu entziehen oder das Betreten gefährlichen Terrains zu vermeiden, zugleich aber aus der Distanz aufzuklären, den Gegner zu erkennen und ggf. zu bekämpfen. Wichtige Dimensionen des Fähigkeitsspektrums der Streitkräfte - wie Nachrichtengewinnung und Aufklärung, oder Wirksamkeit im Einsatz - können gesteigert, verbesserte oder neuartige Optionen auf dem Gefechtsfeld erschlossen werden. Im Kontext von robusten Militäreinsätzen ebenso wie bei internationalen friedenserhaltenden Missionen, gerade aber auch in asymmetrischen Bedrohungslagen, senken solche Systeme insbesondere das Risiko für die Soldaten im Einsatz. Auch erhofft man sich durch die Substituierung bemannter durch unbemannte Systeme Kostensenkungen bei Material und Personal. Es werden aber auch Bedenken vorgebracht, dass durch die Option, Einsätze ohne Risiko für die Soldaten durchzuführen, in einer Krise die Hemmschwelle bezüglich eines Einsatzes abgesenkt wird (z. B. Schörnig 2010, S. 5) oder das Risiko einer kriegerischen Auseinandersetzung - z. B. infolge eines Unfalls oder eines Versehens - steigt.

UMS sind bereits in zahlreichen Streitkräften eingeführt und kommen in wachsendem Umfang zum Einsatz. Die Streitkräfte der USA beispielsweise verfügten im Jahr 2000 über weniger als 50 unbemannte fliegende Systeme, acht Jahre später war der Bestand auf weit über 6.000 Einheiten angewachsen (GAO 2008, S. 7). Alles deutet daraufhin, dass sich diese Entwicklung weiter intensivieren wird. In den kriegerischen Auseinandersetzungen im Kosovo, im Irak und in Afghanistan wurden und werden UMS in z. T. erheblichem Umfang eingesetzt. Aus der Sicht der Streitkräfte wurde dort der Nachweis erbracht, dass sie gerade in asymmetrischen Bedrohungslagen und Auseinandersetzungen die Informationslage durch Aufklärungsmissionen verbessern, die operativen Möglichkeiten erhöhen und helfen, das eigene Personal besser zu schützen. Erst in den letzten Jahren sind fliegende UMS zunehmend auch zu Waffenträgern geworden. Aufgrund ihrer geringen Geräusch- und Radarsignatur sind sie schwer zu entdecken. Einige Typen können lange über einem potenziellen Ziel kreisen, dieses sehr präzise aufklären und selbst verzugslos bekämpfen. Diese Erfahrungen mit unbemannten Systemen als "Kampfkraftverstärker", aber auch als eigenständiges Waffensystem haben dazu geführt, dass weltweit intensive Forschungs- und Entwicklungsanstrengungen unternommen werden, um die Eignung solcher Systeme bereits in naher Zukunft zu verbessern. Politische und militärische Konzepte und Planungen lassen erkennen, dass Zahl und Fähigkeiten von UMS signifikant erweitert und gesteigert werden sollen. Damit ist zu erwarten, dass die Integration von UMS in die Streitkräfte und die Übernahme einer wachsenden Zahl kritischer Missionen im Einsatz weiter dynamisch voranschreiten.

Die technologischen Fortschritte, die Forschung, Entwicklung und Nutzung solcher Systeme ermöglicht haben sowie zukünftig in Aussicht stellen, eröffnen auch zahlreiche nichtmilitärische Anwendungsperspektiven. Neben einem militärisch geprägten Weltmarkt dürften sich deshalb weitere Märkte entwickeln: für zivile hoheitliche (z. B. polizeiliche) Anwendungen sowie für privatwirtschaftliche Nutzung. Insbesondere für zivile Sicherheitstechnologien werden interessante und lukrative Marktsegmente erwartet, bei allerdings teilweise scharfem Wettbewerb. Deren Erschließung setzt aber voraus, dass eine Reihe noch bestehender technischer und regulatorischer Hindernisse beseitigt wird.

1. BEAUFTRAGUNG

Auf Initiative des Verteidigungsausschusses hat das TAB - gemäß Beschluss des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung - im Rahmen eines TA-Projekts aus verteidigungs-, industrie-, innovations- und forschungspolitischer sowie (völker)rechtlicher Sicht eine Bestandsaufnahme und Folgenabschätzung zu aktuellen nationalen und internationalen Entwicklungen und Perspektiven bei UMS vorgenommen. Dazu wurden zu folgenden Schwerpunkten Recherchen und Analysen durchgeführt sowie Gutachten vergeben:

2. AUFBAU DES BERICHTS

Zu Beginn des vorliegenden TAB-Berichts wird ein Überblick zu den Definitionen und Kategorien sowie der Vielzahl militärischer unbemannter Systeme gegeben. Diesen soll exemplarisch das breite und ausdifferenzierte Spektrum der Systeme und ihrer Missionen veranschaulichen. Die Darstellung konzentriert sich auf die Situation in Deutschland und den Vereinigten Staaten.

Vergleichbar vielen anderen wichtigen wehrtechnischen Trends stehen auch unbemannte Systeme im Zusammenhang mit sicherheitspolitischen und militärischen Strategien und Konzepten. Angesichts des veränderten Aufgabenspektrums der Bundeswehr, in dem der Kampf gegen den internationalen Terrorismus sowie die internationale Konfliktverhinderung und Krisenbewältigung in den Vordergrund gerückt sind, prüfen die Teilstreitkräfte und die Streitkräftebasis, welche unbemannten Systeme in welchen Einsatzkonfigurationen helfen können, das Fähigkeitsspektrum der Bundeswehr als "Armee im Einsatz" zu verbessern und zu erweitern.

In Kapitel III wird - ohne Anspruch auf Vollständigkeit - dargestellt, welche konzeptionellen Vorgaben, mittel- bis langfristige Entwicklungsperspektiven und Fähigkeiten für die Nutzung von UMS durch die Bundeswehr definiert und formuliert werden. Dazu wurde neben zahlreichen Expertengesprächen eine Literatur- und Dokumentenanalyse durchgeführt. Auf dieser Grundlage wurde versucht, aus den öffentlich zugänglichen Quellen ein Bild von den konzeptionellen Überlegungen zu zeichnen, in denen die (Teil-)Streitkräfte die spezifischen Aufgaben- und Leistungsprofile von UMS reflektieren sowie entsprechende Zielvorstellungen und (Fähigkeits-)Anforderungen formulieren. Übergreifend wird erwartet, dass unter den veränderten Sicherheitsbedingungen des 21. Jahrhunderts UMS spezifische Beiträge zur Bewältigung der Herausforderungen einer modernen Friedens- und Sicherheitspolitik liefern werden.

Weltweit werden erhebliche finanzielle Mittel und planerische Anstrengungen in die gezielte Fortentwicklung der technologischen Grundlagen unbemannter Systeme investiert. Dokumente in den USA, wie das "Joint Robotics Program-Master Plan FY2005" für Landroboter, der "Navy Unmanned Undersea Vehicle Master Plan 2004" für unbemannte Unterwasserfahrzeuge oder systemübergreifend die "Unmanned Systems Integrated Roadmap 2009-2034", lassen erkennen, dass die kritischen Technologien unbemannter Systeme vor allem Sensorik, Antrieb/Energieversorgung, Datenverarbeitung und -übertragung, Autonomie, Navigation/Kommunikation sowie Prozessoren sind. Häufig werden Querschnittsfelder, wie neue Materialien, Nano- und Biotechnologie, oder weitere Felder wie Waffentechnologien thematisiert. Fortschritte bei diesen Technologien werden insbesondere angestrebt, weil Systeme mit hoher Missionsautonomie zukünftig von besonderem Interesse sein werden. Die Steigerung von Parametern wie Schnelligkeit, Reichweite, Ausdauer oder Agilität hat ebenfalls hohe Priorität. Steigende Anforderungen an die Sensoren sowie die Bewaffnung kommen hinzu. Je nach Mission und Einsatzszenario sind deshalb deutliche Weiterentwicklungen in bestimmten Feldern erforderlich. Langfristig werden auch Entwicklungsansätze aus der theoretischen Biologie bzw. Methoden der Bio- und Nanotechnologie verfolgt, um insbesondere die für autonome Systeme erforderlichen "intelligenten Funktionen" (z. B. Mustererkennung, Bildfolgenanalysen) zu realisieren.

In Kapitel IV wird ein Überblick des Stands der Technik sowie der möglichen Entwicklungsperspektiven der für UMS relevanten Technologien gegeben. Die relevanten Technologiefelder werden kursorisch beschrieben und hinsichtlich ihrer Relevanz für die Missionen unbemannter Systeme eingeordnet (Kap. IV.1 u. IV.2). In Kapitel IV.3 wird ein Ausblick auf zukünftige Entwicklungen versucht. Dazu werden exemplarisch - auf der Basis einer Abschätzung der Entwicklungsperspektiven relevanter Technologien - unbemannte Systeme für spezifische Einsatzszenarien der Zukunft vorgestellt.

In einigen politischen und militärischen Dokumenten aus den USA wird das Ziel formuliert, dass bereits im nächsten Jahrzehnt unbemannte Systeme in erheblichem Umfang bemannte Flugzeuge und Landfahrzeuge ersetzen sollen. Angetrieben wird diese Entwicklung nicht nur durch die Zielsetzung eines breiteren, intensivierten und differenzierten Einsatzspektrums von UMS. Vielmehr werden auch erhebliche Einsparpotenziale - jeweils im Vergleich zu bemannten Systemen - erwartet.

Angesichts des globalen Interesses von Staaten an der intensivierten Nutzung von UMS für die Streitkräfte ist es plausibel, von einem stetig weiter wachsenden militärisch geprägten Weltmarkt auszugehen. Es ist aber auch zu erwarten, dass sich innovative zivile Anwendungen schon mittelfristig mindestens zu attraktiven Nischenmärkten entwickeln. In Kapitel V.1 werden zunächst die Märkte für unbemannte Systeme charakterisiert sowie Beispiele für Kosten- und Einsatzvergleiche von bemannten und unbemannten Systemen vorgestellt (Kap. V.2). Danach wird diskutiert,

Die Erfahrung zeigt, dass neue wehrtechnische Systeme, basierend auf modernsten Technologien, sicherheits- und rüstungskontrollpolitisch problematische Folgen mit sich bringen könnten. Sie können Vertrauen gefährden, (krisen)stabilitätsgefährdend wirken oder qualitatives Wettrüsten induzieren. Kritische Entwicklungen bei der Dual-Use-Problematik treten hinzu. Angesichts des jetzt schon bestehenden Umfangs der Produktion und Verbreitung von UMS sind Risiken der Proliferation und Missbrauchspotenziale offensichtlich. Am Markt verfügbare Plattformen können relativ leicht als Waffenträger (auch und gerade für Massenvernichtungswaffen) umgerüstet werden und bieten daher auch Optionen für sogenannte "states of concern" oder terroristische Gruppen. Bereits jetzt sind einige Systeme in Reichweite und Nutzlastkapazitäten manchem Marschflugkörper überlegen.

Der Einsatz bewaffneter UMS zur Bekämpfung von Zielen am Boden wirft schließlich auch aus der Perspektive des Völkerrechts zahlreiche Fragen hinsichtlich einer völkerrechtsverträglichen Nutzung jetziger - und zukünftig zunehmend autonomer - bewaffneter Systeme auf. Bislang gibt es noch wenige Überlegungen hinsichtlich der völkerrechtlichen sowie rüstungs- und exportkontrollpolitischen Relevanz von unbemannten Systemen. Auch ist nicht klar, ob und inwiefern geltendes Vertragsrecht davon berührt ist. In Kapitel VI.1 wird deshalb in einem ersten Schritt eine Einordnung augenblicklicher und erwartbarer zukünftiger Systeme aus Sicht der Rüstungs- und Exportkontrolle vorgenommen. In Kapitel VI.1.2 werden unbemannte Systeme im Licht des Völkerrechts diskutiert. Danach wird erörtert, ob und in welcher Weise UMS in bestimmten Kontexten und Einsatzszenarien spezifische Risiken für das internationale Staatensystem mit sich bringen könnten (Kap. VI.3).

Kapitel VII beschließt den Bericht mit Anmerkungen zum Bedarf an Information und Diskussion sowie einen Ausblick auf Handlungsfelder.

3. ZUSAMMENARBEIT MIT GUTACHTERN

Zur fachlichen Fundierung dieses Berichts wurden die folgenden Gutachten vergeben:

"Sicherheitspolitische und militärische Konzepte und ihre Relevanz für unbemannte Systeme"; Forschungsgesellschaft für Angewandte Naturwissenschaften e.V. (FGAN), Forschungsinstitut für Kommunikation, Informationsverarbeitung und Ergonomie (FKIE), Wachtberg

"Stand und Perspektiven der militärischen Nutzung von unbemannten Systemen", Universität Dortmund; Experimentelle Physik III, Dortmund

"Stand und Perspektiven von Forschung und Entwicklung bei den kritischen Technologiefeldern unbemannter Systeme "; Deutsches Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) GmbH, Rheinmetall Defence Electronics GmbH, Bremen

Zahlreiche Elemente dieser Gutachten sind in den vorliegenden Bericht eingeflossen und als Quelle nachgewiesen. Gespräche mit den Gutachtern haben geholfen, die komplexe Materie zu strukturieren und vermittelbar zu machen. Für die Bereitschaft zur Kooperation und Kommunikation sowie die Qualität der vorgelegten Gutachten bedanken sich die Projektbearbeiter des TAB.

Dank gebührt den Kolleginnen des Sekretariats, Frau Goelsdorf und Frau Kniehase, für die sorgfältige redaktionelle und layouterische Bearbeitung des Berichts sowie Maik Poetzsch, Praktikant und freier Mitarbeiter beim TAB, für seine gründlichen Recherchen und die Unterstützung bei der Berichtserstellung. Die beiden Verfasser tragen aber die Verantwortung für alle Defizite, die dieser Bericht noch aufweist.

 

Erstellt am: 28.10.2011 - Kommentare an: webmaster