KIT-Logo G. Banse / A. Grunwald (Hrsg.)

Technik und Kultur
Bedingungs- und Beeinflussungsverhältnisse

Karlsruhe: KIT Scientific Publishing 2010, Reihe: Karlsruher Studien Technik und Kultur (Band 1), 242 Seiten, 42,00 Euro, ISBN: 978-3-86644-467-6
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Einführung

Am 06. und 07. März 2008 trafen auf Initiative der Herausgeber des vorliegenden Bandes an der Universität (TH) Karlsruhe Wissenschaftler und Praktiker aus Philosophie, Technikphilosophie und -geschichte, Soziologie, Kultur-, Kunst und Medienwissenschaft von verschiedenen Universitäten und Hochschulen, der Siemens AG, des Zentrums für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe (ZKM) sowie des Instituts für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) des Forschungszentrums zusammen. Ziel war eine disziplinenübergreifende (interdisziplinäre) Standortbestimmung unter dem Thema „Technik und Kultur – Bedingungs- und Beeinflussungsverhältnisse“. Im Rahmen des Fachgesprächs mit Impulsvorträgen diskutierten die Teilnehmer zunächst über allgemeine Begriffsklärungen von „Technik“ und „Kultur“. Der Bogen der Diskussion spannte sich dann von neueren Ansätzen in Philosophie und Kunst bis hin zu konkreten Beispielen der Verwobenheit von Technik und Kultur, so etwa zur Bedeutung von Elektrizität in der Gesellschaft. Um die Vorträge zu publizieren, wurde ein „zweistufiges“ Verfahren gewählt: Alle nach dem März-Treffen eingereichten Beiträge wurden allen Autoren übergeben und dann im Rahmen eines Autorentreffens (im Dezember 2008) beraten. Im Nachgang konnten dadurch manche Überlegung präzisiert oder konkretisiert, Missverständnisse beseitigt und Querverbindungen oder -verweise hergestellt sowie die Geschlossenheit des Gesamtmanuskripts verbessert werden. Am Rande des Dezembertreffens wurde auch über das „Wie?“ der Publikation gesprochen, was zur Gründung der Reihe „Karlsruher Studien Technik und Kultur“ im Universitätsverlag Karlsruhe führte. Mit dem vorliegenden Band, der auch einen Überblick über weiterhin zu Bearbeitendes gibt, wird diese Reihe eröffnet.

Gerhard Banse und Robert Hauser geben in ihrem Beitrag einen Überblick über die wechselseitigen Beziehungen zwischen Technik und Kultur und gehen auf theoretische Reflexionen dieser Beziehungen ein. Erläutert werden Problemstellungen, die sich im Laufe der Menschheitsgeschichte ergaben, sowie kurz unterschiedliche Verständnisse von Technik („enge“ und „weite“ Technikverständnisse). Es wird eine Spezifizierung des Kulturbegriffes vorgeschlagen, um so das Zusammenwirken und die wechselseitige Beeinflussung von Technik und Kultur (besser) beschreiben zu können. Hinsichtlich Technik-Entstehung und Technik-Verwendung wird dieser Zusammenhang exemplarisch aufgezeigt.

Der Begriff „Technik“ ist – so Günter Ropohl in seinem Beitrag – in seinen möglichen Bedeutungen nach wie vor sehr vielfältig. Sei es nun die Menge der künstlich erschaffenen Gegenstände, ein spezifisches Können, ein besonderes Wissen, eine bestimmte Form des Handelns oder die Quintessenz menschlicher Weltbemächtigung – es scheint nicht ganz klar zu sein, ob es sich um Mehrdeutigkeiten, gar bloße Äquivokationen handelt, oder ob sich die verschiedenen Begriffsbedeutungen auf einen übergeordneten „Reflexionsbegriff“ beziehen lassen. Der Beitrag unterscheidet eine nominalistische und eine essenzialistische Begriffsstrategie und warnt vor zu weit gehenden Schlüssen aus begrifflichen Betrachtungen.

Eine Sichtung der Ansätze zum Kulturverständnis nimmt Christoph Hubig vor. Er zeigt, dass die prädikative / attributive Verwendung von „Kultur“ / „Umwelt“ / „kultürlich“ vielfältig und kategorial inhomogen ist. Auch ist kein „Inbegriff“ (Edmund Husserl) von „Kultur“ ersichtlich, weil kein „gemeinsames Interesse“ der Begriffsverwendung auszumachen ist, das einen solchen begründen könnte. Vielmehr divergieren die Interessen entsprechend den Abgrenzungsversuchen zwischen Kultur und Zivilisation, Kultur und Lebenswelt sowie Kultur und System. Sein Vorschlag zur Systematisierung orientiert sich an der jeweils zugrunde liegenden Abgrenzung zu „Natur“, die entweder prädikativ, als logisches oder als transzendentales Reflexionsverhältnis gefasst wird. Die Unterscheidung von oder zwischen Gegenständen, Verfahren, Gegebenheiten etc. wird überführt in eine an diesen.

Wolfgang König bezieht sich in seinem Beitrag auf Kultur als Determinandum der Technik. Hierzu prüft er die Leistungsfähigkeit dreier Kulturbegriffe: „Kultur“ als Gesamtheit der Künste, als System von Bedeutungen und als Totalität der menschlichen Hervorbringungen. Abschließend stellt er die Konzepte „Innovationssysteme“ und „Innovationskulturen“ sowie „Technikstile“ und „Technikkulturen“ vor, welche den weiten Kulturbegriff für die Technik operationalisieren.

Technik als Determinandum für Kultur zu verdeutlichen ist Anliegen der Darlegungen von Peter Janich. Dazu beschäftigt er sich mit dem Sprachgebrauch speziell für das Verhältnis von Technik und Kultur und zieht in die Betrachtung den so genannten „linguistic turn“ mit ein. „Kultur“ wird dargestellt als vielfältiges Aufgabengebiet, in dem Technik nicht vorkommt (bzw. erst in dem Moment, in dem Technik alt ist und ins Museum wandert). Aufgezeigt wird ebenfalls die Herkunft der Begriffe Technik und Kultur. Im zweiten Teil wendet sich der Beitrag kritisch dem Naturalisierungsprogramm der Kultur in den Naturwissenschaften zu. Technische Praxen als Grundlagen der Forschung werden dort auf eine rein naturwissenschaftliche Perspektive reduziert. Abschließend geht Janich auf die Technikförmigkeit der Kultur ein.

Für Innovationsplaner eines Unternehmens muss gelten – so Dietmar Theis in seinem Beitrag –, dass es nicht nur eine Zukunft geben kann, die in der Gegenwart angelegt ist, sondern dass in der Regel mehrere Zukünfte beachtet werden sollten. Dabei geht es vor allem um Fragen der Techniknutzung im Zusammenhang mit Bedürfnissen und kulturellen Mustern, um Akzeptanz und Ausbreitung neuer Techniken sowie um die Rolle der Technik in Zukunftsentwürfen und Utopien. Im Beitrag wird vorgestellt, wie das Unternehmen Siemens AG in Bezug auf „Pictures of the Future“ vorgeht.

Die Dualität in Technikdiskussionen von Technisierungshoffnungen auf der einen und Technisierungsbefürchtungen auf der anderen Seite mag aufgrund ihrer Gleichzeitigkeit irritierend sein. Aus diesem Grund geht Armin Grunwald semantischen Fragen im Kontext des Technisierungsbegriffs nach. Es werden Überlegungen angestellt, inwieweit eine begriffliche Analyse dazu beitragen kann, das Verständnis der Technikdebatten zu verbessern. Der Beitrag bleibt im Rahmen begrifflicher Überlegungen, er analysiert den Begriff der Technisierung semantisch und pragmatisch, geht über zur These der Technisierung als Bedingung von Kultur sowie als Gefährdung von Kultur und versucht schließlich, diese beiden Seiten dialektisch zusammenzuführen.

In seinem Beitrag befasst sich Andreas Böhn mit Aspekten von Form und Funktion von Zeichen, d. h. mit dem sprachwissenschaftlichen Teilbereich der Semiotik. Es wird der Zusammenhang zwischen formalen Strukturen und Funktionen im Hinblick auf das Signifikat, also das Zeichen, gesehen. Ein Messer etwa ist etwas, das schneidet, und es besteht aus einer Klinge und einem Stiel. Im weiteren Verlauf des Beitrags wird Bezug genommen auf durch Technik entstehende neue Produkte, welche z. B. die gleichen Eigenschaften wie andere Signifikate besitzen, ihrer Oberkategorie aber nicht so einfach zuzuordnen sind.

Die Überlegungen von Andreas Metzner-Szigeth zu Kultur und Technik in Bezug zur menschlichen Selbstverwirklichung werden in einer dreistufig angelegten Vorgehensweise entfaltet. Erstens wird eine Thematisierungsstrategie und Reflexionsrahmung nachvollzogen, die mit den Mitteln der begrifflichen Explikation von „Kultur“ und „Technik“ arbeitet und die die wechselseitigen Bezugnahmen der Bedeutungsmomente und Sinngehalte dieser Begriffe ermittelt. Zweitens geht es um eine andere Thematisierungsstrategie und Reflexionsrahmung, die danach fragt, wie Kultur und Technik entstanden sind, und welche Funktionen sie erfüllen, um vor diesem Hintergrund ihr Verhältnis zu entschlüsseln. Drittens werden Kultur und Technik mit Blick auf die ihnen zugerechnete Eigenschaften, als Zwecke zu gelten bzw. als Mittel zu fungieren, hinterfragt und als „Medien“ menschlicher Selbstverwirklichung charakterisiert.

Globalisierung ermöglicht – so Marc Hermeking – intensiven weltweiten Austausch von Gütern, Dienstleistungen, Kapital und Informationen. Technische Güter sind hierbei ein wesentlicher Bestandteil. Durch die Unterschiedlichkeit der verschiedenen Kulturen kann es aber bei der Handhabung moderner Technik zu persönlichen und wirtschaftlich-rechtlichen Konflikten kommen. Das Schlüsselwort heißt Interkulturelle Kommunikation: sie befasst sich mit der (sprachlichen) Interaktion zwischen Menschen aus unterschiedlichen Kulturen. Zwar liegt deren Schwerpunkt auf Sprache, mitunter wird aber auch Technik als Bestandteil interkultureller Interaktionen betrachtet. Diese Schnittstellen herauszukristallisieren ist die Intention des Beitrags.

Yannick Julliard geht der Signifikanz der Stromversorgung in der modernen Industriegesellschaft nach und versucht, die Bedeutung der Elektrizität für das Leben in der modernen Gesellschaft zu umreißen. Im Anschluss an empirische Beobachtungen über den prognostizierten Verbrauch elektrischer Energie in den Planungsszenarien der Weltwirtschaft lassen sich technikphilosophische Überlegungen anstellen, weshalb die Elektroenergie eine derart rasche Verbreitung innerhalb der letzten Jahrzehnte erfahren hat. Am Beispiel dieser Alltagstechnik werden neuere philosophische Konzepte, wie etwa das Konzept, Technik sei ein Medium des menschlichen Lebens geworden, überprüft und einer Kritik unterzogen. Der Beitrag schließt mit der Vorstellung der technologischen Textur als eines Modells, das die Verbindung von Technik und Handlungsmöglichkeiten in ihrer geschichtlichen Entwicklung erklärt. Dies geschieht vor allem im Hinblick auf die Eingliederung der technischen Möglichkeiten in das Alltagsleben und die Weiterentwicklung der elektrischen Anwendungen in der Vergangenheit, sowie die zu erwartenden Veränderungen in naher Zukunft, etwa, wenn von der „All Electrical Society“ gesprochen wird. In einem zweiten Schritt lassen sich Fragen nach der Umgestaltung der Energieversorgung erheben. Die verbleibenden Optionen, so die These, sind eng mit der Verwebung der Elektrizität in das Alltagsleben verknüpft und lassen sich ohne Berücksichtigung der technosozialen Zusammenhänge nicht beantworten.

Der grundlegende Gedanke des Beitrages von Oliver Parodi lautet: Technik kann als materielles, institutionelles und geistiges Produkt sowie als materieller, institutioneller und geistiger Prozess unter den Bedingungen von Kultur aufgefasst werden. Nach einigen konzeptionellen Überlegungen zu Technik als kultureller Unternehmung werden im zweiten Teil am Beispiel Wasserbau kulturelle Elemente in Technik konkret aufgezeigt und Verbindungslinien zur abendländischen Geistesgeschichte geknüpft. In den beiden Wasserbaustilen „Massivwasserbau“ und „Naturnaher Wasserbau“ lassen sich höchst unterschiedliche kulturgeschichtliche Weltbildmotive erkennen.

Das Verhältnis von Technik und Kultur ist in der Geschichte der Menschheit immer eng gewesen. Was die heutige Situation so besonders macht, ist die globale und fast gleichzeitige Entwicklung auf der Grundlage digitaler Technik, was – so der Ausgangspunkt für Rafael Capurro – zu digitalen Kulturen innerhalb einer globalen Kultur führt. Dies bedeutet allerdings nicht, dass damit alle kulturellen Unterschiede eingeebnet werden, der „digital divide“ zeigt diese im Gegenteil deutlich an. Alle Phänomene werden heute im Horizont des Digitalen verhandelt, was dazu führt, dass man das Digitale als Wirklichkeitsbegriff, der lokal und global auf unterschiedliche Weise den Horizont bestimmt, sehen kann. In der Philosophie befassen sich mit dem Wirklichkeitsbegriff die Ontologie, die Metaphysik und die Erkenntnistheorie, was in diesem Beitrag weiter ausgeführt und erläutert wird.

Der vorliegende Band wird mit einer Auswahlbibliografie abgerundet. Da diese vor allem auf Zuarbeiten der Autoren beruht, erhebt sie zwar Anspruch auf Relevanz, nicht aber auf Vollständigkeit (vor allem hinsichtlich nicht-deutscher Quellen). Gemeinsam mit den Literaturangaben der einzelnen Beiträge stellt sie einen Fundus an bibliografischen Angaben dar, die zumindest die vielfältigen Facetten wie die lange Geschichte des Denkens über den Zusammenhang von Technik und Kultur aufweisen.

Wir danken den Autoren für ihre Geduld bei der Abfassung der Texte entsprechend den Vorgaben der Herausgeber, Frau Waltraud Laier für die mühevolle Arbeit der Herstellung der Druckvorlage und Frau Melanie Simonidis-Puschmann für ihre Unterstützung bei der Zusammenfassung der Beiträge.

Karlsruhe, 31. Oktober 2009
Gerhard Banse
Armin Grunwald

 

Erstellt am: 12.02.2010 - Kommentare an: webmaster