Christoph Revermann

Europäische Wissensgesellschaft – Potenziale des eLearning

Berlin: trafo verlag 2009, Network – Cultural Diversity and New Media, Vol. 12, ISBN 978-3-89626-707-8, 264 Seiten, 22,80 EUR
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EINFÜHRUNG

eLearning ist en vogue! Die Vielfalt an Fachkongressen, Tagungen, Programmen, Prospekten und Publikationen ist kaum noch zu überschauen. Hintergrund ist die immer bedeutender gewordene Hinwendung zur sogenannten "innovativen Bildungstechnologie" und zum Paradigma des "Lebenslangen Lernens". Allerorten steht virtuelles Kommunizieren, Entwickeln, Lehren, Lernen und Forschen im Fokus zahlreicher Initiativen und Projekte. Die Bedeutung von eLearning für die Veränderungen der Bildungs- und Forschungslandschaft sowie der Wissensgesellschaft im globalen Wettbewerb, aber auch für die Entwicklung von Unternehmen und ihrer jeweiligen Kommunikations- und Organisationskultur ist allgemein anerkannt. Von der umfassenden und nachhaltigen Implementierung der eLearning-Instrumentarien erhofft man sich vor allem

In den vergangenen Jahren hat sich das eLearning unter inhaltlichen und technischen Gesichtspunkten kontinuierlich weiterentwickelt, und sein Einsatz ist in allen Bildungsbereichen intensiviert worden. Dabei entstanden nicht nur neue Lehr- und Lernangebote, es wurden auch neue Bildungs- und Lernkonzepte sowie Organisationsformen erprobt und entsprechende Hardware und praktikable Lernmaterialien erstellt. Die Erstellung von komplexen multimedialen, computer- und vor allem webbasierten Lehr- und Lernmodulen wurde ebenso vorangetrieben wie die Weiterentwicklung und mobile Nutzung der neuen elektronischen IuK-Technologien. Diese eröffnen dem Bildungswesen zugleich neue Perspektiven. Die Potenziale einer computer- und netzgestützten lebensbegleitenden Aus- und Weiterbildung sind daher schon seit einiger Zeit auf nationaler und internationaler Ebene Gegenstand intensiver Analysen sowohl der zugrunde liegenden Theorie und Konzeptionen sowie der praktischen Anwendungen. Vor allem die mit dem Internet verbundenen "Web-Dienste" stellen neuartige Möglichkeiten für Lernende und Lehrende einerseits sowie für Entwickler und Anbieter von entsprechenden Instrumentarien andererseits dar.

eLearning bietet vielseitige Nutzungspotenziale sowohl in der Grund- als auch in der Aus- und Weiterbildung. Die Besonderheit des eLearning als ein breit einsetzbares und stark individualisierbares Lerninstrument impliziert, dass neben dem jeweiligen Lernkontext auch die besonderen Voraussetzungen der Nutzergruppe bei der Konzipierung bzw. Anpassung des Instruments zu berücksichtigen sind. Mit der Verbesserung der Einsatzmöglichkeit stellt sich insbesondere die Frage, inwieweit eine Zielgruppendifferenzierung von eLearning-Angeboten bei der Angebotsentwicklung oder dem Einsatz eine Rolle spielt.

Lebenslanges Lernen als neues Paradigma

Eine übergreifende Fragestellung ist die Einbindung des eLearning in das Konzept "Lebenslanges Lernen", dass sich in den letzten Jahren zu einem zentralen Topos sowohl in politischen als auch in wissenschaftlichen Debatten und zu einem neuen Paradigma in der Bildungsdiskussion entwickelt hat. Lebenslanges Lernen soll die Menschen befähigen, eigenständig über ihre gesamte Lebensspanne hinweg zu lernen. Damit entspricht dieses Konzept den Anforderungen der Wissensgesellschaft, in der die Ressource Wissen eine zentrale Voraussetzung für Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit ist. Für den Einzelnen gewinnt lebenslanges Lernen im Blick auf die persönliche Lebensgestaltung in Arbeit und Beruf, aber auch für andere Lebensbereiche, z. B. in der Familie, in Freizeit und Kultur sowie Politik, zunehmend an Bedeutung. In diesem Kontext stellt das eLearning ein wichtiges Instrument zur Unterstützung von Lernprozessen dar, das insbesondere eine Individualisierbarkeit der Lerninhalte und einen flexiblen Umgang mit Lernzeiten und -orten ermöglicht. Damit ist eLearning ein besonders geeignetes Werkzeug, um je nach Lebensphase und Lernsituation kontext- und zielgruppenspezifischen Besonderheiten und Anforderungen gerecht zu werden.

In Deutschland hat die Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung im Jahre 2004 ein Strategiepapier zum lebenslangen Lernen vorgelegt. Danach umfasst lebenslanges Lernen alles formale, nicht-formale und informelle Lernen an verschiedenen Lernorten von der frühen Kindheit bis einschließlich der Phase des Ruhestandes. Dabei wird Lernen verstanden als konstruktives Verarbeiten von Informationen und Erfahrungen zu Kenntnissen, Einsichten und Kompetenzen. Diese Definition des lebenslangen Lernens hebt auf folgende Sachverhalte ab:

Spezifische Modalitäten einer Wissensgenerierung

Politik, Bildungseinrichtungen und Unternehmen versuchen, die entwickelten Ansätze zur Unterstützung des lebenslangen Lernens in ihre Aus- und Weiterbildungskonzepte zu integrieren. Hierzu sind bereits vielfältige nationale, EU-weite – insbesondere themenspezifische – Aktionsprogramme aufgelegt worden. Beispiele für solche Aktionsprogramme zu eLearning sind:

Durch die Integration von eLearning in die Bildungsangebote auf breitester Ebene werden neue institutionelle und nichtinstitutionelle Lernsituationen und Lernorte, vielfältige Lerninhalte, Lehr- und Lernmedien, Lehr- und Lernmethoden in das Blickfeld gerückt. Dies ist allein auch schon deshalb notwendig, weil im Hinblick auf lebenslanges Lernen und gesellschaftliches Wissensmanagement der Bedarf an substanzieller Information und Beratung zu effizienten eLearning-Methoden sowie technischen und personalen Ressourcen stark und kontinuierlich wächst. Damit jedoch das eLearning einen optimalen Beitrag zu persönlichen und gesellschaftlichen Lernprozessen leisten kann, müssen eLearning-Produkte und -Methoden auf individuelle bzw. gruppenspezifische Modalitäten einer Wissensgenerierung und ebensolche Formen eines adäquaten Abrufens von Wissen und Erfahrung zugeschnitten sein. Diese Methoden sind in hohem Maße kontext- und akteursspezifisch.

Ohne eine solche konsequente akteursspezifische Umsetzung von didaktischen Konzepten würden die eLearning-Instrumentarien eine Ansammlung von Informationstechnologien und isolierten Lern/Lehrprogrammen bleiben. Idealerweise sollte sich eine größtmögliche Schnittmenge aus den personalen Aspekten von Weiterbildung bzw. lebenslangem Lernen als Grundbedürfnis und den Notwendigkeiten einer globalisierten Wissensgesellschaft ergeben, um das Erlernte und das generierte Wissen gemäß jeder Akteurs- und Altersgruppe abrufen und spezifisch einsetzen zu können.

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Obwohl mittlerweile in Deutschland wie auch in vielen anderen Industrieländern die generelle Ausstattung der Haushalte, der Schulen und Hochschulen mit Computern und breitbandigem Internetzugang zu einer %-Versorgung tendiert, und laut einer Studie des Hochschul-Informationssystems (HIS) deutlich über 90 % der Studierenden über einen eigenen Internetzugang sowie einen eigenen Laptop verfügen, deutet insgesamt gesehen jedoch wenig darauf hin, dass sich umfassendes bzw. ausschließliches (reines) eLearning in den kommenden fünf oder zehn Jahren beispielsweise an unseren Hochschulen etablieren wird. Zweifellos wird man in der Weiterbildung und Fernlehre auf virtuelle Lernformate und komplette Online-Kurse zurückgreifen. Doch grundsätzlich sind es eher pragmatische Motive wie Bequemlichkeit und nicht die didaktischen Möglichkeiten und Vorteile, die als Gründe für die Nutzung von eLearning genannt werden. So steigen beispielsweise auch in den USA Angebot und Nachfrage bei Onlinekursen, mit denen sich die für die akademische Laufbahn benötigten Credits erwerben lassen, rasant, aber ein damit verbundener Anstieg der Lern- und Lehrqualität ist nicht zweifelsfrei zu erkennen.

Wie aber könnte die Realität des elektronischen Lehrens und Lernens im Bildungsalltag zukünftig aussehen? In jedem Fall sollten die Schulen und Hochschulen nicht nur passiv zusehen, wie eLearning und Internet weiter diffundiert. Vielmehr müssen sie diesen Prozess aktiv gestalten. Dabei hätten sie sich an zwei Prämissen auszurichten: An den Wünschen, Erwartungen, Fähigkeiten und Handlungsweisen der Lernenden, Auszuboldenden und Studierenden sowie an den aktuellen Herausforderungen, die mit Stichworten wie Bologna, Bildungsmarkt, Globalisierung und Informationsgesellschaft umrissen werden können. Beides zusammen sollte zu entsprechenden Strategien führen. eLearning ist keineswegs ein "Selbstläufer", sondern muss mit innovativen Konzepten – und mit erheblichen kontinuierlichen Anstrengungen verbunden – möglich gemacht werden. Dies setzt vielerorts einen pragmatisch orientierten Neuansatz voraus: Von "best practice" zu "good enough practice", vom Innovativen aus Forschungssicht zum Nützlichen aus Alltagssicht, von der Angebot- zur Nachfrage-Orientierung, vom eLearning zum serviceorientierten E-Campus. Erfolgsentscheidend für einen systematischen und professionellen IT-Einsatz in Ausbildung, Forschung und Lehre – auch im Sinne eines zentralen Dienstleisters – werden dabei weniger die eingesetzten IT-Systeme sein als vielmehr die dahinter stehenden Ideen, Personen und Strategien.

Europäische Wissensgesellschaft – Potenziale des eLearning

Eine umfassende Implementierung von eLearning hat sich insbesondere an der konkreten Frage zu orientieren: "Wo schafft der Einsatz von eLearning einen wirklichen Mehrwert gegenüber herkömmlichen Methoden und Inhalten von Lehre und Lernen?" Der Zusatznutzen kann beispielsweise in neuen Inhalten oder einer höheren Effizienz des Lernens bestehen. Neben den Formaten und Inhalten der Lehre werden sich aber auch die didaktischen Ansprüche an die Lehrenden verändern. Hier könnte das Motto lauten: "from teaching to learning". In den USA wird der Diskurs zum Thema eLearning unter dem Schlagwort "learning without limits" noch zugespitzter als in Europa geführt. Der Einsatz von eLearning gilt dort als sehr wünschenswert, weil spezifische Schranken weiter hinaus geschoben oder überwunden werden können. Räumliche Faktoren verlieren mit eLearning an Bedeutung, da die Technik eine Vernetzung von Menschen ermöglicht, die in der Präsenzlehre nicht erreicht werden können. Hier können sich die Bildungsträger (insbesondere auch die Hochschulen) durch eLearning-Angebote neue Zielgruppen erschließen.

Diese Aspekte stellen auch wesentliche Bausteine der mit den Bologna-Reformen verbundenen europäischen Bildungsoffensiven im Kontext des Lebenslangen Lernens dar; die Möglichkeiten und Modalitäten des eLearning spielen hier eine herausragende Rolle. Auf jeden Fall sind Gemeinsamkeiten zwischen den Zielen des Reformprozesses und den Potenzialen des eLearning zu konstatieren. Bologna soll zum Beispiel die Mobilität der Lernenden und Studierenden fördern, eben das gehört zu den großen Versprechungen des eLearning. Und es ist heute theoretisch möglich, von jedem Ort der Welt digitale Lehrangebote abzurufen. Modularisierung und Transparenz sind ebenfalls Stichworte, die sowohl im Kriterienkatalog von Bologna stehen als auch das eLearning charakterisieren. Das von Bologna geforderte Selbststudium ist eLearning ohnehin immanent.

Nicht zuletzt zwingt Bologna die Bildungseinrichtungen, sich mit ihrer Gesamtorganisation auseinander zu setzen. Hier kann auch die in den letzten Jahren begonnene Strukturreform ein Motor für eLearning sein und Möglichkeiten eröffnen, den Einsatz Neuer Medien an den Hochschulen zu fördern. Gelungene Beispiele hierfür gibt es inzwischen etliche, sie lassen sich allerdings nicht beliebig auf andere Hochschulen und Angebote anderer Bildungsträger übertragen. Für ein attraktives und relevantes eLearning-Angebot ist vielmehr eine individuelle Anpassungs- und Entwicklungsstrategie unabdingbar.

Grundsätzlich können sich die Potenziale des Bologna-Prozesses und des eLearnings gegenseitig verstärken. Damit dies gelingt, sind jedoch auf jeder Stufe die Bildungseinrichtungen und auch deren Verantwortliche und Leitungen noch wesentlich mehr gefordert, in eLearning auch ein relevantes praktisches und strategisches Thema und Instrument einer innovativen Entwicklung und eines "Bildungsprozesses" zu sehen. Diesbezüglich geht die Schere zwischen Passivität auf der einen Seite und ambitionierter Aufbruchstimmung auf der anderen Seite derzeit noch häufig auseinander. Dies liegt allerdings nicht zuletzt an mit eLearning verknüpften falschen Leitbildern. Wo die tatsächlichen Potenziale des eLearning liegen, bedarf einer stetigen und sehr viel weitergehenderen kritischen Sichtung und Reflexion, und zwar sowohl hinsichtlich strategischer und konzeptioneller Überlegungen als auch der praktischen Entwicklungserfahrungen angesichts der vielen und (national und international) uneinheitlichen Konzepte für die Umsetzung und Implementierung von eLearning in den Schulen, Ausbildungsstätten, Hochschulen und Weiterbildungseinrichtungen.

Vielfalt der Ansätze – Deutschland im internationalen Vergleich

Angesichts des internationalen Bildungsmarketings– bei dem die Initiativen in den verschiedenen Bildungsbereichen zumeist unabhängig von eLearning-Aktivitäten durchgeführt werden – sowie der vielfältigen EU-Bemühungen, aber auch international zunehmender Vernetzungen –, ist es zunehmend von Bedeutung, die Marktpotenziale sowie die Förderstrategien anderer Nationen bzw. in den Nationen zu kennen und von den dortigen Erfahrungen beim Einsatz von eLearning, bei der Kompetenzentwicklung oder auch der Realisierung von Innovationspotenzialen profitieren zu können.

Wo die einzelnen Staaten hinsichtlich der Entwicklung und Implementierung von eLearning stehen, versuchte die Economist Intelligence Unit in Kooperation mit IBM erstmalig für 2003 und 60 Staaten in den Kategorien education, industry, government und society zu ermitteln. Die Staaten, die das E-Learning-Readiness-Ranking anführen, zeichnen sich durch einige Gemeinsamkeiten aus: ein hoher IKT-Verbreitungsgrad, Bildungssysteme, die auf eine sehr frühzeitige Bildungsförderung und diesbezügliche Integration von eLearning-Instrumentarien setzen, intensives Bildungsmarketing und eine Lernkultur, die Regierungen, Gesellschaft und Wirtschaft umfasst, d. h. öffentlicher und privater Sektor arbeiten hier oftmals eng zusammen, es finden zahlreiche Gemeinschaftsprojekte und intensive Kooperationen zwischen Unternehmen, Verbänden, Regierungseinrichtungen und auch Bildungsinstitutionen selbst statt. Die in der Weltwirtschaft führenden Nationen USA, Japan und Deutschland belegen im ELR-Ranking die Ränge 3, 23 und 17; Wirtschaftskraft allein scheint offensichtlich kein entscheidender Faktor für die Implementierung von eLearning zu sein.

Die nordeuropäischen Länder sind dagegen unter den ersten neun Plätzen zu finden. Mobile Kommunikationsmöglichkeiten und Breitbandverbindungen unterstützen dort neben kulturellen Neigungen, dem insgesamt größeren IKT-Interesse, den Bildungssystemen und Regierungsinitiativen die fortgeschrittene Entwicklung in Nordeuropa. Auch in Bildungsvergleichsstudien wie PISA schnitten Finnland und Schweden (wie auch Großbritannien, Schweiz, die USA und Australien) i. d. R. gut ab, während Deutschland eher im OECD-Durchschnitt liegt. Auf Platz 2 bzw. 3 des ELR-Ranking liegen Kanada und die USA. Hier mögen eine ausgeprägte Internetkultur und eine gewisse Tradition lebenslangen Lernens eine Rolle spielen. Insbesondere auch im tertiären Sektor ist die eLearning-Integration weit fortgeschritten. Dementsprechend stark ist in den USA der "virtuelle Universitätsmarkt", aber auch im Schulbereich und bei einer großen Zahl privater eLearning-Anbieter zeigt sich die intensive Nutzung der IKT. Viele hoch positionierte Länder zeichnen sich auch hinsichtlich der IKT-Infrastrukturen allein durch herausragende Bedingungen aus.

Im Bildungsbereich gibt es auch in Deutschland zahlreiche Maßnahmen zur Integration von IKT und eLearning, die jedoch vielfach erst später ansetzten als in den übrigen Ländern, weniger zielführend und zielgruppenorientiert erscheinen und vor allem nur relativ wenig vernetzt sind. Hinderlich für kohärente, effizienz- und effektivitätsorientierte Strategien ist aber nicht nur die föderale Struktur Deutschlands mit einem zwischen den Ländern differierenden und in den einzelnen Ländern jeweils wiederum sehr stark differenzierenden Bildungssystem. Die generellen Schwierigkeiten bei der Einbindung und Förderung von Benachteiligten, von Kindern und Jugendlichen aus einkommensschwachen Familien oder mit Migrationshintergrund in das Bildungssystem, die Problematik langwieriger Reformbemühungen im Bildungsbereich – im deutlichen Gegensatz z. B. zu Finnland, England, USA – wirken sich auch auf die Entwicklung und Implementation von eLearning nachteilig aus.

Einzubeziehen ist auch die internationale Orientierung in Deutschland insgesamt. Während Australien, USA, Finnland und England sich weltweit Anregungen zu holen scheinen und selbst auf auswärtige Märkte zielen (insbesondere Australien), bemüht sich Deutschland erst allmählich im Rahmen von Initiativen (iMove, High Potentials) um den internationalen Bildungsmarkt: Doch auch hier bleibt eLearning weitgehend ausgegrenzt. Fast alle Entwicklungen zur virtuellen Lehre, die lange Zeit meist eher als Forschungsobjekte denn als Bildungsangebote und ggf. marktfähige Produkte betrachtet wurden, sind deutschsprachig. Dies hat zur Folge, dass beispeilsweise den Hochschulen selbst die internationale Verbreitung schwer fällt, und zudem auch gerade Großunternehmen, die international tätig sind und eLearning oft bereits in die Personalentwicklung implementiert haben, zum Teil eher auf ausländischen Content zurückgreifen. Hohe Kosten in den ersten Jahren, Fehlschläge bei Modellprojekten, Schwierigkeiten bei der Umsetzung wie z. B. Akzeptanzprobleme u.ä. gab und gibt es in allen Ländern, doch wurden dort die Erkenntnisse offensichtlich (besser) genutzt, Lösungswege gesucht und erfolgreich angegangen.

Positiv beurteilen lassen sich in Deutschland sicherlich die inzwischen angelaufenen Aktivitäten auf allen Ebenen des Bildungswesens, in der Wirtschaft – unter Beteiligung von Politik und Gesellschaft – sowie die Vielfalt an Initiativen, das Engagement von Einzelnen wie auch bundesweite Programme. Die öffentliche und private Hand hat in Infrastruktur, in die Entwicklung und Implementation von eLearning investiert und auch einiges vorangebracht. Dabei wären allerdings ein Rahmenwerk und ein gemeinsames koordiniertes Vorgehen sinnvoll gewesen. Hier wären Verbesserungen erforderlich und eine Strategie zugrunde zu legen, die beispielsweise auch die Grundlagen für eGovernment schafft, Initiativen wie "Internet für alle" und "Überwindung des digital divide" umfasst sowie von der Primarstufe bis zum tertiären Sektor allgemein- und berufsbildend ansetzt. Auch die Synergieeffekte einer Zusammenarbeit mit der Privatwirtschaft müssten noch besser genutzt und es sollte jeweils internationaler gedacht und gehandelt werden.

Und genau dieses oben Postulierte verbindet die folgenden Beiträge: Sie beschreiben und analysieren die Implementierungs- und Rahmenbedingungen eines effektiven Einsatzes der eLearning-Instrumentarien, sie verdeutlichen Potenziale, weisen Entwicklungsmöglichkeiten auf und identifizieren die Einsatzbedingungen. Zugleich werden Hemmnisse und Defizite sichtbar gemacht sowie Handlungsnotwendigkeiten und -möglichkeiten erörtert. Zu verweisen ist darauf, dass ein Teil der in dieses Buch aufgenommenen Texte bereits an anderer Stelle publiziert wurde: Das Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) führte in diesem thematischen Kontext von 2004 bis 2007 ein umfangreiches Monitoring "eLearning" durch und erstellte eine Reihe von Berichten; zum großen Teil rekurriert der vorliegende Band auf Inhalte einiger dieser Berichte. Zugleich knüpft dieser Band an frühere Publikationen in der Reihe "eCulture" zum weiten Themenfeld eLearning an.

Der erste Beitrag (Christoph Revermann) thematisiert, dass und wie sich das Verständnis von eLearning in den letzten Jahren stetig verändert hat. Eine ursprünglich stark technologisch geprägte Sichtweise hat sich mit der Einbindung umfassenderer didaktischer Konzepte modifiziert. Dieser stetige Veränderungsprozess erfordert die Berücksichtigung der verschiedenen Formen von eLearning, denn: Das eLearning schlechthin gibt es nicht.

Der folgende Beitrag (Christoph Revermann, Peter Georgieff, Simone Kimpeler) verdeutlicht, dass eLearning das berufliche Bildungswesen insgesamt gesehen stark verändern, andere etablierte Bildungsinstrumente jedoch nicht völlig verdrängen, sondern qualitativ ergänzen wird. Gezeigt wird auch, dass Aufbereitung, Darstellung und Qualität der eLearning- Inhalte die entscheidenden Erfolgsfaktoren sowohl für die Vermittler als auch die Lernenden bilden. Im betrieblichen Alltag wird sich eLearning nur dann nachhaltig durchsetzen, wenn die Akzeptanz und die Implementierung gesichert und die eLearning-Angebote allen Beteiligten den gewünschten Mehrwert bieten. Dazu bedarf es solcher Instrumente, die die Qualität des eLearning-Contents schon bei der Entstehung bzw. im Einsatz gewährleisten, und erst wenn diese Hürden genommen sind, könnte eLearning sein ganzes Potenzial für die berufliche Aus- und Weiterbildung entfalten.

Gegenstand des dritten Beitrags (Christoph Revermann) sind der Entwicklungsstand und die Perspektiven des eLearning an den Hochschulen. Es wird ein Überblick über einige Eckpunkte hochschulischer eLearning-Aktivitäten in Deutschland gegeben, und es werden Länder- und Hochschulprojekte sowie bundes- und länderübergreifende Programme und Projekte vorgestellt. Die Analyse einer sehr umfangreichen und lebhaften eLearning-Szenerie wird ergänzt durch Überlegungen zu den Erfolgen und Defiziten von Förderaktivitäten sowie zum Stand und zu den Anforderungen an eine eLearning-Nutzung, durch die besser als bisher ein wirklicher und nachhaltiger Mehrwert im Vergleich mit herkömmlichen Methoden und Inhalten von Lehre und Lernen erzielt werden kann. Verglichen wird diese bundesdeutsche Situation mit der in ausgewählten Ländern: Finnland, Großbritannien, Schweiz, USA und Australien. Diese zeichnen sich alle dadurch aus, dass man ihnen übereinstimmend einen fortgeschrittenen Stand bei der Implementierung und Nutzung von eLearning zuschreibt. Dies bestätigt sich indirekt durch den Blick auf die eLearning-Aktivitäten im Bereich der Hochschullehre und der Weiterbildung. Hier wird insbesondere eine starke internationale Ausrichtung deutlich. Die genannten Länder holen sich weltweit Anregungen und nehmen aktiv auswärtige Märkte ins Visier. In dieser perspektivischen Spiegelung wird deutlich, dass in Deutschland eine nachhaltige Implementierung von eLearning (noch) nicht überall gelungen und gesichert ist.

Ausgangspunkt des diesen Band abschließenden Beitrags (Christoph Revermann, Peter Georgieff, Simone Kimpeler) ist die Erkenntnis, dass neben dem jeweiligen Lernkontext auch die besonderen Voraussetzungen der Nutzergruppe bei der Konzipierung bzw. Anpassung des Instruments zu berücksichtigen sind. Am Beispiel der Altersgruppe "Ältere Menschen" wird die Bedeutung zielgruppengenauer Angebotsentwicklung und Einsatzkonzepte für eLearning-Produkte verdeutlicht. In Verbindung mit den Anforderungen einer globalen Wissensgemeinschaft und den Modalitäten des demographischen Wandels hin zu einer immer älter werdenden Gesellschaft wird es dringend erforderlich sein, altersspezifische Ansätze zu praktizieren, insbesondere wenn man es mit dem Postulat des lebenslangen Lernens ernst meint.

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Als Resümee und zugleich Ausblick ergibt sich, dass sich die Art und Weise des Informationszugangs und Lernens in allen Bildungssituationen wandelt und wandeln muss und die Möglichkeiten des eLearning von den Bildungsinstitutionen nicht ignoriert werden dürfen; dies haben die Entwicklungen der vergangenen Jahre verdeutlicht. Durch die zunehmende Verflechtung von Hardware und Internet entwickelt sich auch das eLearning in eine neue Richtung: Weblogs, Podcasts, Wikis und Social Software machen aus dem bisherigen – eher statischen – "WWW" ein web2.0 oder eLearning2.0, dessen Inhalte von den Nutzern selbst gestaltet werden und inzwischen einen hohen Stellenwert besitzen. Solche Entwicklungen sollten (pro)aktiv aufgegriffen und für die verschiedenen Bildungs- und Lernprozesse sowie Bildungsorte spezifisch genutzt werden.

Es kann davon ausgegangen werden, dass die zunehmende Mobilität, häufigeres Lernen zu Hause, die wachsende Bedeutung des lebenslangen Lernens, zunehmend breitbandigerer IKT-Anwendungen in vielen Einsatzbereichen sowie der Einsatz von internetbasierten Lernplattformen insgesamt Auswirkungen auf die verschiedenen eLearning-Bereiche zeigen und insbesondere zu einer Ausweitung des Angebots von webgestützten Lernarrangements führen werden. Von wesentlicher Bedeutung sind daher die Entwicklung von Strategien zur Optimierung der eLearning-Angebote und die Gewinnung von grundlegenden Informationen und detaillierteren Kenntnissen über eLearning-Prozesse in ihren einzelnen Phasen.

Auch wenn zurzeit der öffentliche Diskurs über die Bildungsrelevanz der eLearning- Instrumentarien wieder stärker kontrovers bzw. medienkritisch geführt wird, so sollte eLearning keinesfalls vorschnell als ein Übergangsphänomen betrachtet werden. In vielen Bildungsbereichen wird es sich als eine bedeutsame Erweiterung der Lehr-, Lern- und Bildungsmöglichkeiten herausstellen und sich zeigen, dass eLearning eine interessante Bereicherung oder sogar ein zentrales Bildungselement darstellen kann. Lehrende wie Lernende, Administrationen und Bildungsexperten müssen jedoch selbst dazu beitragen, indem sie Erfahrungen mit den neuen Medien kontinuierlich weitergeben und evaluieren und so zu einer Qualitätssicherung des Lernens und Lehrens mit eLearning-Instrumentarien beitragen.

Berlin, August 2008
Christoph Revermann

 

Erstellt am: 13.05.2009 - Kommentare an: webmaster