Christopher Coenen

Konvergierende Technologien und Wissenschaften
Der Stand der Debatte und politischen Aktivitäten zu "Converging Technologies"

TAB-Hintergrundpapier Nr. 16, März 2008
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ZUSAMMENFASSUNG

großes Bild Die letzten zwanzig Jahre waren nicht nur durch einschneidende politische Ereignisse, spektakuläre wissenschaftlich-technische Durchbrüche (z. B. in den Life Sciences) und Innovationen (z. B. durch das Internet) gekennzeichnet. Sie erscheinen im Rückblick zugleich als eine Periode, in der weitreichende Technikvisionen wieder einmal in Teilen der Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit ernsthafte Beachtung gefunden haben. In den laufenden Diskussionen über die Visionen, die sich an Feldern wie der Nanotechnologie und der Hirnforschung entzündeten, sagen Mahner wie Optimisten grundlegende Veränderungen der Gesellschaft, Kultur und "menschlichen Natur" voraus.

In diesem Kontext steht auch die Debatte zu "Converging Technologies" (CT), die bisher vor allem durch forschungspolitische Akteure und Experten verschiedener Fachrichtungen vorangetrieben wird. Sie ist Teil des umfassenderen politisch-gesellschaftlichen Diskurses zu Nano-, Bio-, Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT), Hirnforschung, "Künstlicher Intelligenz" (KI), Robotik und den relevanten Wissenschaften. Unter dem Begriff "Konvergenz" wird eine Zunahme von Synergieeffekten bis hin zu einem Zusammenwachsen dieser Felder prognostiziert und die politische Förderung von Forschung und Entwicklung (FuE) in den Überschneidungsbereichen gefordert.

Die erste CT-Initiative wurde im Jahr 2001 in den USA im Rahmen von Aktivitäten zu gesellschaftlichen, rechtlichen und ethischen Aspekten der Nanotechnologie gestartet, unter maßgeblicher Beteiligung der National Science Foundation sowie des Handelsministeriums und unterstützt z. B. von Teilen der Militärforschung. Besonderheiten dieser Initiative, die trotz ihres nichtoffiziellen Charakters oft als eine offizielle US-Initiative angesehen wird, haben zum Teil sehr kontrovers geführte Diskussionen ausgelöst. Auch Massenmedien, Nichtregierungsorganisationen (NRO), Unternehmen und andere gesellschaftliche Akteurgruppen griffen das Thema vereinzelt auf. Zu analytischen Zwecken lassen sich unterscheiden

Die politischen Aktivitäten zur CT-Thematik in den USA weisen eine Vielfalt von Bezügen zu den neueren Diskussionen über weitreichende Technikvisionen auf. Dabei ist die Konvergenzdebatte durch verschiedene Eigentümlichkeiten gekennzeichnet, die als gesellschaftlicher Hintergrund der wissenschaftlich-politischen Aktivitäten zu konvergierenden Technologien und Wissenschaften Beachtung verdienen: Zum einen betrifft dies den ausgeprägt normativen und (zumindest aus europäischer Perspektive) eher ungewöhnlichen Charakter der einschlägigen politischen Aktivitäten in den USA, zum anderen deren Rolle in einer weltanschaulichen Auseinandersetzung, in der Vertreter eines internationalen futuristischen Milieus, christlich-konservative Akteure und andere Gruppen aufeinander treffen. Die Debatten über die wissenschaftlich-technologische Entwicklung sind hier durch scharfe Gegensätze, polemische Zuspitzungen und oft fantastisch wirkende Heils- und Schreckensvisionen gekennzeichnet. Eine Voraussetzung für einen angemessenen politischen und gesellschaftlichen Umgang mit der Konvergenzthem atik ist eine vertiefte Analyse und Bewertung dieses visionären Diskurses.

Nicht unabhängig, sondern oft in Abgrenzung vom visionären Diskurs findet die Konvergenzthematik aber auch in anderen politischen, wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Zusammenhängen Beachtung. Konvergenzkonzepte sind von wachsender Bedeutung für forschungspolitische Aktivitäten auf EU-Ebene und in verschiedenen Staaten. Dabei spielen, was bei dieser Thematik unvermeidbar sein dürfte, visionäre Aspekte ebenfalls eine Rolle. Die meisten Initiativen distanzieren sich jedoch von einigen der visionären Ideen, die von der US-Initiative zu den CT und in ihrem Umfeld vertreten werden. Vieles ist jedoch noch im Fluss. Während sich zwar die sozial- und geisteswissenschaftliche Debatte über Konvergenz in den letzten Jahren zunehmend thematisch aufgefächert und CT gewissermaßen als Thema etabliert hat, erscheint der Verlauf der Aktivitäten zur politischen Verankerung von Konvergenzkonzepten eher uneinheitlich. Hinsichtlich der möglichen Entwicklung einer deutschen Strategie ist es auf jeden Fall angebracht, neuere und laufende einschlägige politische Aktivitäten auf EU-Ebene und in anderen Ländern zu berücksichtigen.

Konvergenzkonzepte und ihre politische Verortung

Wenn Verschiedenes "konvergiert", nähert und gleicht es sich einander an, neigt sich einander zu oder läuft zusammen. "Konvergenz" in den genannten (und anderen ähnlichen) Bedeutungen ist, wie auch der Gegensatz "Divergenz", seit Langem ein Fachausdruck verschiedener Disziplinen.

Zur unmittelbaren Vorgeschichte der neuen Konvergenzkonzepte gehören vor allem die Diskussionen zu medien- und informationstechnologischen Konvergenzprozessen, aber die US-amerikanischen Initiatoren der ersten CT-Initiative schöpften bei der Entwicklung ihres Konzepts auch aus anderen wissenschaftlichen und politischen Quellen. Insgesamt gesehen hat es den Anschein, dass sich die Verbreitung der neueren Konvergenzbegriffe innerhalb des naturwissenschaftlich-technischen Bereichs immer noch in engen Grenzen hält. Das dürfte auch darin begründet sein, dass diese Konzepte zumeist immer noch unterbestimmt und zu allgemein sind, um mit ihrer Hilfe konkrete Fragestellungen und Projektideen in Bezug auf das Zusammenwirken spezifischer FuE-Bereiche generieren zu können. Viele laufende politisch-wissenschaftliche Aktivitäten zur CT-Thematik zielen daher auf konzeptionelle Klärung oder auf Konkretisierung in Bezug auf relativ engumrissene Forschungsbereiche und potenzielle Anwendungsfelder.

Auch wenn eine Vielzahl von wissenschaftlich-technologischen FuE-Feldern in der CT-Debatte thematisiert worden ist, so ist doch die ursprünglich von der Initiative in den USA vorgenommene Fokussierung auf vier Felder weiterhin vorherrschend. Bei diesen Feldern handelt es sich um die Nano-, Bio- und Informationstechnologien sowie die Kognitionswissenschaft ("cognitive science"), nach den englischen Bezeichnungen zumeist "NBIC" abgekürzt. Obwohl bereits die CT-Initiative in den USA an verschiedenen Stellen betont hatte, dass es bei den Konvergenzprozessen auch um die entsprechenden Nano-, Bio- und Informationswissenschaften und im Fall der Kognitionswissenschaft auch um die Hirnforschung und Neurotechnologien gehe, hat sich der Ausdruck "konvergierende Technologien" (statt "konvergierende Wissenschaften und Technologien") eingebürgert. Allerdings sind schon allein die vier NBIC-Felder durch ein hohes Maß an Inter- und Transdisziplinarität und technologischer Konvergenz gekennzeichnet. Die "NBIC"-Fokussierung, wo sie überhaupt durchgehalten wird, ist somit nur scheinbar relativ konkret.

Ein anderer Weg wurde daher mit der auf EU-Ebene entwickelten und 2004 veröffentlichten Agenda "Converging Technologies for the European Knowledge Society" (CTEKS) eingeschlagen. Zwar finden auch in dieser die NBIC-Felder besonders starke Beachtung. Dies geschieht aber vor dem Hintergrund eines weitgefassten CT-Konzepts, bei dem es – ohne strikte inhaltliche Festlegung, welche Konvergenzprozesse besonders relevant sind, und unter Betonung des hinsichtlich gesellschaftlicher Anwendungsfelder offenen Charakters der CT – um die vielfältigen Wechselwirkungen und gegenseitigen Befruchtungen zwischen einer großen Zahl von Wissenschaften und Technologien geht (einschließlich auch der Geistes- und Sozialwissenschaften).

Auch außerhalb der USA wurde die Konvergenzthematik ansatzweise forschungspolitisch verortet. In Deutschland fand seitens des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) bereits eine Anbindung der CT-Thematik an den FuE-Bereich Mikrosystemtechnik ("Converging Technologies for Smart Systems Integration") statt, in dem verschiedene Konvergenzprozesse, vor allem zwischen den NBIC-Feldern, verstärkt Beachtung finden sollen. In Kanada und Spanien erhielten Foresight- und Pilotprojekte zur Konvergenzthematik staatliche Förderung. Auch in Afrika, Asien und Lateinamerika sind diverse Aktivitäten festzustellen.

Insgesamt gesehen sind die politischen Aktivitäten zur Konvergenzthematik immer noch weitgehend auf Foresight und Technikfolgenabschätzung, Konferenzen, die sozialwissenschaftliche und ethische Begleitforschung zur Nanotechnologie sowie auf einzelne Ansätze in verschiedenen naturwissenschaftlich-technologischen Bereichen beschränkt. Die wichtigste Ausnahme ist hier die EU. In ihrem neuen siebten Forschungsrahmenprogramm wurde unter dem Label "Konvergierende Wissenschaften und Technologien" eine ganze Reihe von Projektförderungen angekündigt, vor allem im Bereich Nanowissenschaften und -technologien.

Visionen und gesellschaftliche Konfliktpotenziale

Von einer Konvergenz der Technowissenschaften auf der Nanoskala werden hinsichtlich zentraler gesellschaftlicher Anwendungsfelder fundamentale Verbesserungen, aber auch erhebliche Gefahren erwartet. Gegensätze, die oft als Polaritäten von "Utopien" und "Dystopien" verstanden werden, prägen z. T. auch die forschungspolitischen Diskussionen. Der apokalyptische und der optimistische Futurismus teilen dabei größtenteils die Annahmen zu den Zukunftsmöglichkeiten der wissenschaftlich-technischen Entwicklung und schaukeln sich gegenseitig hoch.

Das Thema CT spielt in Bezug auf diese Diskussionen eine besondere Rolle. Schon die (um 2000 erfolgte) Aufwertung der Nanotechnologien und -wissenschaften zu einem zentralen, disziplinenübergreifenden Feld der Forschung und politischer Förderung wurde von einer Debatte über weitreichende Visionen begleitet. Die erste, in eben diesem Zusammenhang entstandene CT-Initiative wurde ab 2003 zudem in den sog. US-amerikanischen "Kulturkampf" ("culture wars") über bioethische Fragen verwickelt, u. a. weil seitens des gemeinhin als wertkonservativ eingestuften Bioethikrats des US-Präsidenten Kritik an ihr laut wurde. Im Mittelpunkt stand dabei die enge Kopplung des CT-Konzepts dieser sog. NBIC-Initiative mit Visionen zu einem weitreichenden "Human Enhancement", also einer Technisierung des menschlichen Körpers und einer fortschreitenden Verschmelzung des menschlichen Geistes mit Maschinen.

Starke Kräfte innerhalb der NBIC-Initiative suchten im gleichen Zeitraum ein offenes Bündnis mit der kleinen, aber international organisierten futuristischen Bewegung der "Transhumanisten". Diese ist in letzter Zeit zu einem bevorzugten Angriffsziel wertkonservativer und anderer Kritiker geworden. Die Erwartungen der Transhumanisten und auch einiger Schlüsselfiguren der NBIC-Initiative reichen bis hin zu Visionen einer sog. "Enhancementgesellschaft", die z. B. auch durch eine Freigabe des "Gendopings" und bisher illegaler Drogen befördert werden könne, und kulminieren in der Hoffnung auf eine Überwindung des Todes mit wissenschaftlich-technischen Mitteln. Vor allem durch diese Besonderheiten der Initiative weist die CT-Debatte einen hochgradig visionären Charakter und einen Fokus auf das Thema "Human Enhancement" auf.

Ein Großteil der sich abzeichnenden gesellschaftlichen Konfliktlinien ist bisher auf die akademische Diskussion beschränkt. Gleichwohl sind einige der Auseinandersetzungen schon jetzt von einer gewissen politischen Relevanz. Neben Protestaktionen (vor allem in Frankreich) und Aktivitäten einzelner NRO sind vor allem die Auseinandersetzungen zwischen religiösen Kräften und transhumanistischen oder libertären Aktivisten und Akademikern zu nennen, die vor allem in den USA stattfinden. Offenkundig rücken zudem die Auswirkungen wissenschaftlich-technologischer Konvergenzprozesse auf das Verhältnis von Natur und Technik, von Gewachsenem und Artifiziellem ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Dabei kommen konkurrierende Verständnisse der "menschlichen Natur" und der Conditio Humana zum Tragen. Insbesondere das gegenseitige Sichhochschaukeln des religiösen und transhumanistischen Aktivismus könnte hier verschärfend wirken. Die Spannbreite der Kritik reicht aber von ökologiebewegten und globalisierungskritischen Beiträgen über Auseinandersetzungen mit Konzepten "menschlicher Natur" und ihrer Bedeutung für Grundlagen der Demokratie (wie die Menschenrechte) bis hin zu den dezidiert religiösen Argumentationen, in denen posthumanistische und andere technofuturistische Vorstellungen als Ausdruck menschlicher Überheblichkeit und einer Abwendung von Gott (oder als "Hybris") gedeutet werden. Eine Voraussetzung zur Realisierung dieser posthumanistischen Visionen sind technische Umbauten und Ergänzungen des menschlichen Leibs (z. B. durch neuartige Implantate), durch die bisher grundlegende körperliche und geistige Grenzen (und damit die Spezies Mensch) "transzendiert" werden sollen. Neben diesen im engeren Sinn transhumanistischen Vorstellungen ist eine weitere Voraussetzung die Entwicklung einer KI menschenähnlicher oder übermenschlicher Qualität, die an der Seite oder sogar anstelle der Menschheit zur Lenkerin der Evolution wird. Der Posthumanismus erscheint in diesem Kontext als eine (auch ideengeschichtlich) abgrenzbare intellektuelle Strömung und soziokulturelle Bewegung, die in der einen oder anderen Form die Schaffung nichtmenschlicher und dem Menschen kognitiv überlegener Wesen anstrebt.

Auf ein breiteres gesellschaftliches Interesse, über die Feuilletons und akademische Kreise hinaus, dürften aber weiterhin vor allem bioethische Themen stoßen, die bei größeren Teilen der Bevölkerung Beachtung finden oder bei denen bestimmte Gruppen (z. B. Körperbehinderte oder Schwangere) von wissenschaftlich-technologischen Entwicklungen besonders stark betroffen sind.

Zusammenfassend lässt sich hier feststellen, dass hinsichtlich der Kritik an den Promotoren der Konvergenzvisionen und diverser "Human-Enhancement"-Technologien grob zwei Hauptstoßrichtungen festzustellen sind:

Weitere oft angesprochene politische Aspekte sind die Relevanz militärischer Nutzungsmöglichkeiten neuer Technologien sowie die Technikfixiertheit und der Technikdeterminismus einiger Strategien. Kritische bis hin zu polemischer Beachtung haben in verschiedenen akademischen Zusammenhängen auch politische sowie ideen-, wissenschafts- und technikgeschichtliche Aspekte der Konvergenzthematik und des Posthumanismus gefunden.

Konvergenzprozesse in Forschung und Entwicklung

Bisher ist die Forschung zur Konvergenzthematik auf die konzeptionellen Unklarheiten und die weltanschaulichen Aspekte der CT-Debatte fokussiert. Es wurde nur vereinzelt versucht, verschiedene FuE-Felder aus der Konvergenzperspektive systematisch und übergreifend zu untersuchen. Die Sichtung des Forschungs- und Diskussionsstandes in der expliziten Befassung mit Konvergenzprozessen ergibt aber, unter Berücksichtigung einschlägiger Studien zu einzelnen Bereichen der NBIC-Felder, ein erstes Bild der Relevanz dieser Prozesse in FuE und für die Forschungs- und Innovationspolitik.

Auch wenn die szientometrische Forschung zu dieser Frage noch am Anfang steht, gibt es Anzeichen dafür, dass die neuen Konvergenzkonzepte zwar an verschiedene wissenschaftliche Konzepte anschließen, sich ihre bisher ohnehin geringe Verbreitung aber vor allem auf die politischen Aktivitäten und die nichtnaturwissenschaftliche Begleitforschung zum Thema zurückführen lässt. Nur in den Feldern Nanowissenschaften, Nanotechnologien, IKT und biomedizinische Technologien werden sie häufiger verwendet. Die neuen Konvergenzbegriffe bzw. Abkürzungen wie NBIC und CT tauchen vereinzelt auf Konferenzen verschiedener naturwissenschaftlicher "communities" und in Projektanträgen an politische Institutionen auf sowie – (soweit online ersichtlich) weit häufiger als in naturwissenschaftlicher Literatur – in der politikberatenden Ethik, Begleitforschung und in sonstigen sozial- und geisteswissenschaftlichen Arbeiten.

Unabhängig von der Frage nach der Relevanz der neuen Konvergenzkonzepte ist offenkundig, dass in Wissenschaft und Technik immer wieder Prozesse vonstatten gehen, bei denen durch neue Überschneidungen oder Fusionen verschiedener Felder oder Disziplinen auch neue FuE-Bereiche mit eigenen Entwicklungspfaden entstehen. Bibliometrische Analysen haben zudem ergeben, dass in den letzten zehn Jahren Publikationen zu FuE in den Überschneidungsbereichen der NBIC-Felder deutlich zugenommen haben. Die durch die Nanotechnologiediskussion beförderte Konjunktur von Begriffen, die ein zunehmendes Verwischen der Grenze von Technik und Natur, von Unbelebtem und Belebtem anzeigen, kann als ein weiteres Anzeichen für die weite Verbreitung von NBIC-Konvergenzen angesehen werden.

Obwohl zum Teil – wie in der Nano- und Konvergenzdebatte – gleichsam forschungsexterne Gründe für die Genese und Weiterentwicklung von neuen "Etiketten" vorliegen dürften (z. B. auf Förderung und Investitionen abzielende Strategien), ist unübersehbar, dass eine Reihe durch Konvergenzprozesse entstandener oder emergierender FuE-Bereiche unter all den verschiedenen Etiketten immer wieder auftaucht. Dabei handelt es sich vor allem um Beispiele aus der Grundlagenforschung und in frühen FuE-Phasen, dennoch wird eine Zunahme anwendungsorientierter Konvergenzen oft erwartet oder zumindest als erstrebenswert eingeschätzt.

Relevante FuE-Bereiche sind hier u. a. Gehirn-Maschine-Schnittstellen und Implantate, bildgebende Verfahren in der Hirnforschung, natürliche Sprachverarbeitung und Spracherkennung, künstliche neuronale Netzwerke sowie Mustererkennung und "Computer Vision", Bioinformatik, "Computational Biology", nichtinvasive Techniken zur Diagnose und Überwachung des Gesundheitszustands, invasive, im Körper zum Einsatz kommende "Biodevices", Biometrie, Biomimetik, "Virtuelle-Realität"-Anwendungen für biologische Systeme, Nanobiotechnologie und -medizin, Künstliche Intelligenz, Nanoelektronik, Nanophotonik sowie die Bereiche Simulation und Modellierung. Besonders starke Auswirkungen von NBIC-Konvergenzprozessen werden für die vielfältigen Anwendungsbereiche der Mikrosystemtechnik, für das Gesundheitswesen, den militärischen Bereich und die IKT-Industrie erwartet.

Aus Sicht der Bionik lässt sich durch NBIC-Konvergenzprozesse sowohl eine Zunahme der Nutzung bionischer Prinzipien feststellen als auch ein Hinausgehen über diese: Mit dem Aufkommen der "neuen Bionik" im Kontext von NBIC-Konvergenzen und anderen Entwicklungen (wie der "Synthetischen Biologie") wird aus dem Lernen von der Natur und ihrer Imitation für die Herstellung unbelebter Artefakte zunehmend ein Bauen neuer Brücken zwischen Belebtem und Unbelebtem oder eine Modifikation natürlicher Prozesse und Strukturen für Designzwecke bis hin zur Vision einer technischen Erschaffung biologischer Entitäten gleichsam "von Grund auf".

Im neurotechnologischen Feld stehen z. T. bereits seit Langem eingeführte neuroprothetische Hilfsmittel für Personen mit Behinderungen neben Neuentwicklungen (insbesondere für den Ersatz sensorischer Leistungen) sowie Ansätzen und Visionen zur Realisierung komplexer Mensch-Maschine-Schnittstellen, die sozusagen das biologische System Gehirn direkt mit informationstechnischen Systemen koppeln sollen. Neue Hirn-Maschine-Schnittstellen, Prothesen zur Kompensation sensorischer Einschränkungen und Verbesserung motorischer Fähigkeiten sowie Visionen zu kognitiv leistungssteigernden Implantaten gehören zugleich – insbesondere vor dem Hintergrund der "Human-Enhancement"-Thematik – zu den zentralen Themen der CT-Debatte. Es wird vermutet und in den USA z. T. auch als innovationspolitisch relevant eingeschätzt, dass besonders effektive, zukünftige Technologien zur Verbesserung kognitiver Fähigkeiten Neuroimplantate (trotz ihrer Risiken) auch für sensorisch oder psychisch unbeeinträchtigte Menschen attraktiv machen könnten. Aus NBIC-Konvergenzperspektive erscheinen verschiedene Neurotechnologien als avancierte Formen der BIC-Konvergenz, bei denen eine Integration nanotechnologischer und -wissenschaftlicher Elemente für möglich gehalten wird. Die Neurotechnologien können so als ein Schlüssel zum Verständnis der CT-Debatte begriffen werden, insbesondere wenn man sie innerhalb eines weitgefassten Konzepts der Kognitionswissenschaften situiert.

Auch wenn einige sehr ambitionierte Projekte der Militärforschung, insbesondere in den USA, auf ein radikales "Human Enhancement" durch Nutzung und Förderung von NBIC-Konvergenzen abzielen, bleibt festzuhalten, dass sich gerade viele der Visionen, die in ethisch-gesellschaftlichen Debatten am umstrittensten sind, entweder noch in einer sehr frühen Forschungs- oder Entwicklungsphase befinden oder gar gänzlich fantastisch anmuten.

Internationale Vergleiche zur relativen Stärke im CT-Bereich stehen vor besonderen Schwierigkeiten, nicht nur aufgrund der Unklarheit vieler Konvergenzkonzepte, sondern auch wegen der großen nationalen und weltregionalen Unterschiede in der Forschungspolitik und in den Innovationssystemen. In ersten Untersuchungen speziell zur Konvergenzthematik wurde daher eine ganze Reihe von Vorbehalten gemacht, insbesondere was die Interpretation der vor allem mit szientometrischen Analysen, Foresight-Metastudien und Experteninterviews gewonnenen Daten und Einschätzungen betrifft. Mit der gebotenen Vorsicht kann in Bezug auf Konvergenzprozesse zwischen den vier NBIC-Feldern zum einen festgestellt werden, dass die Wissenschaft in der EU Schwächen beim Wirkungsgrad der Publikationen hat (gemessen an Literaturverweisen auf diese) und dass die Forschungsförderung suboptimal organisiert ist. Innerhalb der EU hat Deutschland hinsichtlich der meisten NBIC-Konvergenzbereiche eine führende Stellung.

Generell spiegeln sich auch hinsichtlich der CT die typischen Stärken, Schwächen und Herausforderungen der europäischen FuE- und Innovationslandschaft wider, wie z. B. eine leistungsfähige Forschung, Probleme bei der Kommerzialisierung von wissenschaftlich-technischen Neuerungen oder die verstärkte Konkurrenz durch die emergierenden Wirtschaftsmächte vor allem Asiens. Angesichts der Schlüsselrolle der Nanotechnologie für neue Konvergenzprozesse ist bemerkenswert, dass Europa im Bereich der öffentlichen Förderung von FuE kompetitiv ist, aber die Industrie einen relativ geringen Anteil an FuE-Investitionen z. B. im Vergleich zur US-Wirtschaft hat.

Die verstärkte Förderung multidisziplinärer Einrichtungen sowie neue Richtlinien und Programme für die Förderung felderübergreifender FuE könnten für die EU angezeigt sein, wobei die Konvergenzperspektive womöglich von Nutzen wäre. Innovationen ließen sich in Europa wahrscheinlich relativ leicht im Gesundheitsbereich realisieren, wobei IKT eine zentrale Rolle zu spielen hätten. Hier und anderswo könnte Europa die wissenschaftliche Spitzenposition in bestimmten Nischen einnehmen. In der Kognitionswissenschaft hat Europa gegenüber den USA den bisher allerdings kaum genutzten Vorteil, dass hier eine Vielzahl von theoretischen Ansätzen und Spezialisierungen existiert, weshalb bei der Förderung dieses Schlüsselfelds der NBIC-Konvergenz besondere Chancen bestehen. Auch nationale Konvergenzstrategien, z. B. Kanadas, setzen an vorhandenen Vorteilen mit dem Ziel an, diese auszubauen. Generell wird in der CT-Debatte vielfach gefordert, sich an den spezifischen gesellschaftlichen Bedarfen und Problemlagen zu orientieren, um Konvergenzprozesse zielgerichtet fördern zu können.

Politische Initiativen und Aktivitäten

Bei forschungspolitischen Aktivitäten, die sich explizit auf konvergierende Wissenschaften und Technologien beziehen, ist global gesehen mittlerweile die EU eindeutig der Hauptakteur. Dabei fand auch eine weitgehende Loslösung von den inhaltlichen Besonderheiten der NBIC-Initiative in den USA statt, insbesondere hinsichtlich der Betonung des "Human Enhancement". Mit dem siebten Forschungsrahmenprogramm der EU hat sich das Konvergenzkonzept zu einem Schlüsselelement in der Förderung zu Nanowissenschaften und -technologien entwickelt und in anderen Bereichen (vor allem IKT und emergierende Technologien für die Informationsgesellschaft) an Bedeutung gewonnen. Daneben ist die EU inzwischen anscheinend auch am aktivsten, was die Förderung nichtnaturwissenschaftlicher Forschung zur Konvergenzthematik betrifft, also die sog. Begleitforschung. Unter den Nationalstaaten zeichnet sich Deutschland dadurch aus, dass es als erster Staat nach den USA eine Projektförderung konkret zur Erforschung und Weiterentwicklung naturwissenschaftlich-technischer Konvergenzprozesse beschlossen hat. Bemerkenswerte forschungspolitische Aktivitäten zur Entwicklung einer nationalen Konvergenzstrategie haben vor allem in Kanada und Spanien stattgefundenen. In Indien haben sich Spitzenpolitiker, z. T. in enger Anlehnung an das visionäre Programm der US-amerikanischen NBIC-Initiative und die Ideen des Nanofuturismus, äußerst euphorisch über die Zukunftsperspektiven der CT geäußert. In Südafrika (wie auch in Deutschland) hat die NBIC-Konvergenz als Zukunftsthema Eingang in nationale Strategiedokumente zur Nanotechnologie gefunden.

Perspektivisch dürfte von den internationalen Entwicklungen für die deutsche Politik vor allem von Interesse sein, in welchem Maß die Aufwertung des Konvergenzkonzepts auf EU-Ebene sich konkret in Fördermaßnahmen und weiteren konzeptionellen Aktivitäten niederschlagen wird. Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass in den USA – seitens der NBIC-Initiative oder durch einen neuen Treiber – die Konvergenzthematik über die derzeit laufenden, eher engbegrenzten Aktivitäten hinaus wieder verstärkt aufgegriffen wird (z. B. im Fall eines Regierungswechsels, nach dem dann z. B. auf konservativ-religiöse Bedenken gegen weitreichende Konvergenz- und "Human-Enhancement"-Visionen womöglich weniger Rücksicht genommen werden müsste).

USA

Die US-amerikanische NBIC-Initiative zur Konvergenz entstand im Rahmen der politischen Aktivitäten zu ethischen, gesellschaftlichen und rechtlichen Implikationen der Nanotechnologie, einem Feld, in dem die Frage des Umgangs mit futuristischen Visionen von Anfang an eine zentrale Rolle spielte. Neben den gesetzten Akzenten im Definitions- und Gegenstandsbereich, die vor allem hinsichtlich des Verständnisses von "Cognitive Science" einige Fragen aufgeworfen haben, sind es vor allem die bereits angesprochenen politisch-kulturellen Aspekte, unter denen die NBIC-Initiative als eigentümlich erscheint. Offensichtlich ist aber, dass die Initiative das Ziel verfehlt hat, zu einer offiziellen politischen Initiative auf dem Niveau z. B. der nationalen Nanotechnologieinitiative (NNI) zu werden.

Die Analyseergebnisse zeigen auch, dass die NBIC-Initiative ihren Zenit in den Jahren 2003 und 2004 bereits überschritten hat. Wichtige beteiligte Institutionen, z. B. aus der Militärforschung, haben sich zurückgezogen, und bei ihren beiden Hauptstützen, der National Science Foundation und dem Handelsministerium, haben personelle Wechsel dazu geführt, dass besonders aktive Mitglieder der Initiative ausschieden oder an Einfluss verloren haben. Auch die Anziehungskraft der Initiative auf renommierte Naturwissenschaftler ist anscheinend geringer als anfangs zu erwarten war. In ihren jüngsten und derzeit geplanten Publikationen gewinnen zudem offenkundig Beiträge aus dem Spektrum des organisierten Transhumanismus an Bedeutung. Forschungsförderung unter explizitem Bezug auf das NBIC-Konzept oder ähnliche Konvergenzkonzepte, die schon in der Hochzeit der NBIC-Initiative ein eher geringes Ausmaß hatte, findet derzeit, soweit ersichtlich, nur in wenigen Aktivitäten der National Science Foundation (vor allem zur Nanogrundlagenforschung, wissenschaftlichen Kooperation und Nanobegleitforschung) statt.

Europäische Union

Das Konvergenzkonzept hat mit dem siebten Forschungsrahmenprogramm auf der strategisch-programmatischen Ebene und in der Projektförderung an Bedeutung gewonnen hat, da

Es ist davon auszugehen, dass die gezielte Förderung wissenschaftlich-technologischer Konvergenzprozesse, vor allem zwischen den NBIC-Bereichen, verstärkt unter Bezug auf das Konzept erfolgen wird. Auf EU-Ebene wird, insbesondere vonseiten der für Nanowissenschaften und -technologien Zuständigen, ein besonderer Bedarf für die Weiterentwicklung einer umfassenden gesellschaftlich-politischen Vision zu den CT gesehen, angebunden an zentrale Leitbilder der EU-Politik (z. B. zur Wissensgesellschaft oder Lebensqualität). Aufbauend auf den vorangegangenen konzeptionellen Aktivitäten der CTEKS-Expertengruppe und anderer Akteure untersuchen dementsprechend mehrere jüngst abgeschlossene und laufende Projekte soziale, ökonomische und ethische Aspekte wissenschaftlich-technologischer Konvergenzprozesse. In der auch durch Aktivitäten der Europäischen Kommissionen angestoßenen ethisch-politischen Diskussion über CT und "Human Enhancement" und der geförderten Begleitforschung ist die ganze Spannbreite von Auffassungen vertreten, von Transhumanisten bis hin zu religiösen Wertkonservativen.

Noch offen ist, inwieweit das Konvergenzkonzept über den Nano-, Foresight- und IKT-Bereich und die ethische Forschung hinaus von Bedeutung sein wird und ob durch den Einfluss der Aktivitäten auf EU-Ebene die internationale CT-Debatte den bisherigen Fokus auf "Human Enhancement" verlieren wird. Ebenfalls noch offen ist die Zukunft des häufig auch auf EU-Ebene genutzten NBIC-Konzepts: Ob und, wenn ja, wie die Kognitionswissenschaft sozusagen zur gleichberechtigten Partnerin der drei anderen Felder werden kann (und soll), ist noch weitgehend unklar. Konkretisierungs- und vor allem Handlungsbedarf besteht hinsichtlich des bereits in der CTEKS-Agenda gemachten Vorschlags, durch die systematische Einbeziehung weiterer wissenschaftlich-technologischer Perspektiven und gesellschaftlicher Gruppen die Debatte und Aktivitäten zu den CT auf eine breitere Basis zu stellen.

Deutschland

Deutschland weist auf politischer Ebene und über diese hinaus relativ weitentwickelte Positionen zur Konvergenzthematik und CT-Debatte auf. Es lässt sich feststellen, dass

Diese Befunde, von denen der Letztgenannte noch empirisch näher geprüft werden müsste, zeigen, dass das Thema Konvergenz in Deutschland angekommen ist. Fraglich bleibt aber, ob die CT-Debatte zum Anlass genommen werden sollte, den gesellschaftlichen Dialog über Wissenschaft und Technik (und insbesondere über das Thema "Human Enhancement") politisch zu befördern, und inwieweit die neuen Konvergenzkonzepte Anlass dafür geben, forschungs- und innovationspolitische Strategien zu hinterfragen. Beim derzeitigen Stand der politisch-wissenschaftlichen Debatte und Forschung würden offizielle deutsche Aktivitäten hier voraussichtlich ein hohes Maß an Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Bei der politischen Beurteilung, ob dies wünschenswert ist, wären neben den im engeren Sinn forschungspolitischen Fragestellungen auch die gesellschaftlichen, ethischen und kulturellen Facetten der Thematik im Auge zu behalten.

Handlungsoptionen und mögliche Forschungsbedarfe

Bisher gibt es keine Anhaltspunkte für einen dringenden politischen Handlungsbedarf beim Thema "Konvergierende Wissenschaften und Technologien". Die CT-Debatte könnte allerdings zum Anlass für politische Aktivitäten genommen werden, vor allem auf der Ebene strategischer forschungs-, bildungs- und technologiepolitischer Fragen, in der Begleitforschungsförderung sowie eventuell in Bezug auf bestimmte, stark inter- oder transdisziplinäre FuE-Bereiche.

Grundsätzlich stellt sich aber weiterhin die Frage nach einem möglichen politischen Nutzen des Konvergenzkonzepts: In der deutschen Forschungslandschaft und -förderung haben alle sog. konvergierenden Technologien und Wissenschaften bereits ihren festen Platz. Auch inter- und transdiziplinäre Aspekte und felderübergreifende Technologieentwicklung finden dabei Berücksichtigung. Die Recherche- und Analyseergebnisse zu europäischen und anderen CT-Initiativen legen hier lediglich nahe, die eigenen Strategien periodisch vor dem Hintergrund internationaler Aktivitäten zur Konvergenzthematik zu überprüfen. Schon allein der eigentümlich weltanschauliche und visionäre Charakter der Konvergenzdebatte, insbesondere in den USA, sollte Anlass zu einer sorgfältigen Abwägung sein, bevor eine Neuausrichtung in der Forschungs-, Bildungs-, Wissenschafts- und Technologiepolitik auf die CT-Thematik erfolgt. Mit der Verankerung des CT-Konzepts in einem Teilbereich der Mikrosystemtechnik hat die deutsche Forschungspolitik schneller und konkreter auf den schillernden Diskurs über Konvergenz reagiert als dies wohl in allen anderen Nationalstaaten der Fall war.

Folgende politische Handlungsoptionen, die sich direkt auf das Konvergenzkonzept und die CT-Thematik beziehen, seien hervorgehoben:

Bei allen vier Optionen ist zu berücksichtigen, dass insbesondere vonseiten US-amerikanischer Akteure das Konvergenzkonzept in einer posthumanistisch-futuristischen Richtung stark normativ aufgeladen wurde. Selbst wenn, wie bei den ersten beiden Handlungsoptionen, eine Konzentration auf im engeren Sinn naturwissenschaftlich-technische FuE ohne besonderen "Human-Enhancement"-Bezug erfolgt, erscheint daher eine Auseinandersetzung mit den visionären Aspekten der Konvergenzdebatte und deren historischen Traditionslinien sowie weltanschaulichen Aspekten angezeigt.

Nanokonvergenz und Mikrosystemtechnik

Bei der ersten Handlungsoption, also der weitgehenden Beschränkung der Konvergenzperspektive auf die Nanogrundlagenforschung und die systemanwendungsorientierte Mikro-Nano-Integration, ginge es vor allem um die Fortführung und den Ausbau bisheriger einschlägiger Aktivitäten des BMBF. Angeraten erscheinen weiterhin die Auswertung ähnlicher Aktivitäten außerhalb Deutschlands, insbesondere auf EU-Ebene und in den USA, und die weitere Vernetzung. Fraglich erscheint noch, wie ohne Berücksichtigung der umfassenden Aspekte der CT-Debatte die angestrebte verstärkte Einbeziehung der Kognitionswissenschaft und Neurotechnologien sinnvoll möglich sein wird. Hier böte es sich an, zuvor

Zu den Vorteilen eines an der Mikro-Nano-Integration und der Entwicklung von "Smart Systems" orientierten Ansatzes gehören die starke Anwendungsbezogenheit, der relativ hohe Grad an Konkretkeit und die Anknüpfung an eine etablierte FuE-Tradition. Offen erscheint aber, ob man sich mit der verstärkten Einbeziehung der Kognitionswissenschaft einen Gefallen tut. Als warnendes Beispiel kann hier die US-amerikanische NBIC-Initiative gelten. Aus diesem ist auf jeden Fall zu lernen, dass der erhoffte Schub durch die Einbeziehung des "Human Potential" nur auf der Basis tatsächlicher kognitionswissenschaftlicher Expertise angestrebt werden sollte. Gerade bei dem in Deutschland gewählten Fokus der "Smart Systems Integration" wäre es zudem sinnvoll, auch weitere sozial- und geisteswissenschaftliche Forschungsergebnisse und -ansätze verstärkt zu berücksichtigen.

Multi-, Inter- und Transdisziplinarität

Bei der zweiten Handlungsoption stellen sich zum Teil ähnliche Herausforderungen, vor allem in Bezug auf die Abstimmung bestehender stark interdisziplinärer und transdisziplinärer Forschungsförderprogramme mit einer etwaigen neuen Konvergenzinitiative. Hier böte es sich überdies an, die Aktivitäten zur Evaluation bereits erfolgter oder existierender Programme und Aktivitäten zur Förderung von Multi-, Inter- und Transdisziplinarität sowie felderübergreifender Technologieentwicklung unter der Konvergenzperspektive zu intensivieren, auch unter Einbeziehung der EU-Ebene. Ähnlich wie ansatzweise in Spanien und Kanada erfolgt, sollte zudem in Vorbereitung einer größeren CT-Initiative eine Bestandsaufnahme der deutschen FuE-Landschaft aus Konvergenzperspektive erfolgen, auch durch eine innovationsorientierte Einbeziehung der Sozial- und Geisteswissenschaften in naturwissenschaftlich-technologische Konvergenzprozesse (also über traditionelle "Begleitforschung" zu ethischen, rechtlichen und gesellschaftlichen Aspekten hinaus).

Eine entscheidende Voraussetzung für eine sinnvolle Nutzung des Konvergenzkonzepts dürfte eine Weiterentwicklung sein, die über die bisher oft oberflächlichen, eher rhetorischen Ansätze der US-amerikanischen und einiger anderer CT-Initiativen hinausgeht. Eine Möglichkeit ist ein disziplinen- und technologieneutrales Konvergenzkonzept, wie es vom Ansatz her bereits auf EU-Ebene in der CTEKS-Agenda vorgeschlagen wurde. Ein solches hätte den Vorteil, dass nicht von vornherein bestimmte FuE-Gebiete im Fokus ständen und andere, womöglich hochinnovative und sozioökonomisch relevantere Gebiete vernachlässigt würden. Es sollten verstärkt Versuche unternommen werden, Konvergenzen zu hierarchisieren, wobei z. B. "Kernwissenschaften" (wie Chemie und Physik), breite FuE-Felder (wie z. B. die Biotechnologie) sowie etablierte, neue und emergente FuE-Bereiche stark inter- und transdisziplinärer Natur zu unterscheiden und erst danach die vielfältigen Konvergenzen systematisch zu analysieren wären.

Bei einer solchen Analyse, die ggf. auch eine Reorganisation der Forschungsförderungsfelder anleiten könnte, böte es sich zudem an, zwischen verschiedenen Arten von Konvergenz zu unterscheiden: "Schwache" Konvergenzen, bei denen FuE-Ergebnisse aus anderen Gebieten nur "Hilfsmittelcharakter" haben, wären von Konvergenzen per Inspiration (im Sinne konzeptionell-theoretischer Befruchtung) und jenen "starken" Konvergenzen zu unterscheiden, bei denen sich neue FuE-Bereiche mit eigenen Entwicklungspfaden herausbilden und Erkenntnisse oder Kompetenzen aus mehreren Gebieten unmittelbar in Innovationen eingehen. Leitbild könnte eine problemorientierte, sach- und bedarfsbezogene Konvergenzförderung sein, bei der

Obwohl deren Durchführung z. T. kritisch zu bewerten ist, ließe sich hier an Aktivitäten der EU und anderer Akteure zu neuen und emergierenden FuE-Bereichen anknüpfen. Verstärkte Anstrengungen zur Information und Einbeziehung der Öffentlichkeit und der Wissenschaft in ihrer ganzen Breite (einschließlich nichtnaturwissenschaftlicher Disziplinen) erscheinen angezeigt.

Human Enhancement

Bei der dritten Handlungsoption, auf die z. B. auch in einem abgeschlossenen Projekt des TAB zur Hirnforschung hingewiesen wurde, läge der Schwerpunkt auf den sog. "Human-Enhancement"-Technologien (HET). Deren Potenziale und Risiken wären systematisch auszuloten, unter Einschluss übergeordneter Fragen zu Menschen- und Gesellschaftsbildern. Gerade hier erscheint auch ein frühzeitiger gesellschaftlicher Dialog wünschenswert, der bisher nur vereinzelt und selten unter Berücksichtigung der Konvergenzperspektive stattfindet.

Insbesondere mit Blick auf die EU-Ebene und auf laufende Aktivitäten der Bundesregierung wäre es unangebracht, das Konvergenzkonzept auf Technologien zur Steigerung menschlicher Leistungsfähigkeit und zur "Verbesserung" menschlicher Eigenschaften zu beschränken. Da die infrage stehenden Technologien (z. B. im Bereich der neuroelektrischen Schnittstellen) aber einen relativen hohen Grad an Konvergenz aufweisen, wäre eine Einbettung des Themas in Aktivitäten zu den CT denkbar. "Human Enhancement" könnte so als ein Aspekt der CT-Entwicklung betrachtet werden. Dabei sollte dann auch systematisch untersucht werden, welche medizinisch-therapeutischen Potenziale diese Technologien haben und welche Folgen es hätte, wenn man – wie vereinzelt in den USA politisch gefordert – HET als einen Wachstumsbereich mit Blick auf nichttherapeutische Luxus-, Lifestyle- oder Massenanwendungen förderte.

Angezeigt erscheint überdies, in der Analyse stärker zwischen den verschiedenen HET zu differenzieren: Zum einen sollten eher konventionelle pharmazeutische und chirurgische "enhancements" von sich abzeichnenden bzw. emergierenden sowie von rein visionären Möglichkeiten "radikalerer" Art unterschieden werden. Zum anderen bieten sich bestimmte Aspekte als Schwerpunktthemen an, insbesondere HET zur Kompensation von Behinderungen und militärische Nutzungsperspektiven, einschließlich der bereits laufenden Aktivitäten im Bereich der Militär- und Sicherheitsforschung (insbesondere der USA). Bei diesen beiden möglichen Schwerpunkten handelt es sich nicht nur um die Bereiche, in denen konkrete Forschungs- und Förderaktivitäten bisher zumeist angesiedelt sind, sondern es stellen sich dort auch die dringlichsten ethischen und gesellschaftlichen Fragen. Konzeptionell unterscheiden ließen sich zum einen Werkzeuge oder Hilfsmittel (z. B. Nachtsichtbrillen) von mit dem Körper fest verbundenen oder implantierten Geräten, zum anderen langfristige oder dauerhafte Verbesserungen der Leistungsfähigkeit von kurzfristigen Leistungssteigerungen (z. B. durch Drogen). Zum "Human Enhancement" im engeren Sinn würden dann nur langfristig wirksame oder dauerhafte, auf Verbesserung abzielende Modifikationen der menschlichen Leistungsfähigkeit zählen, die durch wissenschaftlich-technisch ermöglichte Eingriffe in den menschlichen Körper bewerkstelligt werden.

Gesellschaftlicher Diskurs über Wissenschaft und Technik

Bei der vierten Handlungsoption ginge es um die Stimulierung, Bereicherung und Ausweitung des gesellschaftlichen Diskurses über Wissenschaft und Technik insgesamt, wobei die Konvergenzperspektive als strukturierendes Element eingeführt würde.

Neben den Ideen, die auf EU-Ebene zur systematischen Ausweitung der Konvergenzdiskussion entwickelt wurden (z. B. Vorschläge in der CTEKS-Agenda), könnten auch verschiedene Instrumente und Konzepte der Technikfolgenabschätzung zum Einsatz kommen. Eher handlungsunterstützenden und orientierenden Charakter hat dabei das Instrument der Visionsanalyse und -bewertung ("Vision Assessment"), das vor allem der politisch-gesellschaftlichen Selbstverständigung, aber auch dem politischen "Management" von Visionen dienen soll. Zur politisch-wissenschaftlichen Organisation und Stimulierung des gesellschaftlichen Diskurses über Wissenschaft und Technik bestehen verschiedene, z. T. bereits seit Längerem erprobte Verfahren, Methoden und Konzepte der Technikfolgenabschätzung und Foresight. An einschlägige Projekte der Bundesregierung, auf EU-Ebene und in anderen Zusammenhängen ließe sich anknüpfen. Erstrebenswert erscheint auch die verstärkte Berücksichtigung von sozial- und geisteswissenschaftlichen Feldern, die in der forschungspolitischen Diskussion und wissenschaftlichen Politikberatung eher selten Berücksichtigung finden. Schließlich wäre es sinnvoll, auch die Politikberatung und Forschung zu ethischen Aspekten der verschiedenen konvergierenden Technologien und Wissenschaften zu berücksichtigen, deren Bedeutungszuwachs sich in den letzten Jahren nicht nur im politisch-institutionellen Bereich niedergeschlagen hat, sondern auch in einer fortschreitenden Ausdifferenzierung (neben Bio- und Informationsethik nun auch Neuro- und Nanoethik).

Insbesondere bei dieser – aber auch bei der dritten – Handlungsoption könnte der Deutsche Bundestag als Forum und Brennpunkt politisch-gesellschaftlicher Diskussionen zweifellos eine wichtige (und dann international wohl auch relativ stark beachtete) Rolle spielen. Die aufgezeigte große Vielfalt thematischer Aspekte und weltanschaulicher Konflikte, die der CT-Debatte zu Eigen ist, lässt dabei aber eine vorsichtige Vorgehensweise angezeigt erscheinen. Die Erkenntnisse laufender Forschungen zur Konvergenzthematik und zu angrenzenden Themen wie "Human Enhancement" und "Synthetische Biologie" sollten Berücksichtigung finden. Eine Verzahnung solcher Aktivitäten mit denen anderer europäischer Parlamente sowie die verstärkte Einbeziehung politikberatender Institutionen (einschließlich der Ethikräte) erscheinen angezeigt. Von besonderer Bedeutung dürften hier die weitere Stimulierung des transatlantischen Austauschs und die Einbeziehung nichtwestlicher Akteure in die bislang durch die USA und Europa geprägte Konvergenzdebatte sein, insbesondere auch beim Thema "Human Enhancement", bei dem ja zumindest die einschlägigen Visionen Grundlagen menschlicher Existenz und Gesellschaften berühren.

Optionen zur Forschungsförderung

An dieser Stelle wird lediglich auf solche Forschungsbedarfe hingewiesen, die sich unmittelbar im Zusammenhang mit den aufgezeigten Handlungsoptionen ergeben. Zu nennen sind hier

Das so erarbeitete Orientierungswissen trüge nicht nur zur Klärung der Frage bei, ob ein neues Konvergenzparadigma eine solide wissenschaftlich-technologische Basis hätte. Gegebenenfalls könnte es auch die politische Operationalisierung neuer CT-Konzepte sowie die Gestaltung und innovationsorientierte Förderung von Konvergenzprozessen unterstützen.

 

Erstellt am: 21.08.2008 - Kommentare an: webmaster