Armin Grunwald

Converging technologies for improving human performance -
Ein neuer Schritt der Kontingenzerhöhung und seine Konsequenzen für die Wissenschaft

Vortrag auf dem Workshop der Lomonossow-Universität. Moskau, Russland, 19.10.2006


Abstract

Der wissenschaftlich-technische Fortschritt erweitert die Handlungsmöglichkeiten des Menschen und vermindert die Abhängigkeit vom Vorgegebenen. Dadurch werden bislang bestehende Grenzen aufgelöst oder durchlässig. In der damit verbundenen Zunahme der Kontingenz entstehen einerseits neue Entscheidungsfreiräume, andererseits aber auch Orientierungsprobleme. Dies zeigt sich zurzeit deutlich in der Debatte um die technische Verbesserung des Menschen durch „Converging Technologies“ (Roco / Bainbridge 2002), in der menschlicher Körper und Geist zunehmend als gestaltbar erscheinen.

Im Zusammenhang mit diesen Hinausschiebungen der Grenzen menschlicher Handlungsmöglichkeiten spielt visionäre Zukunftskommunikation eine besondere Rolle. Zukunftskommunikation ist einerseits Medium und Katalysator, in dem sich die Kontingenzsteigerung und die Auflösung bislang bestehender Grenzen vollziehen. Andererseits wird visionäre Kommunikation auch verwendet, um angesichts dieser Kontingenzsteigerung neue Orientierungen zu schaffen (Grunwald 2006b). Denn es müssen in der Situation aufgelöster oder „aufgeweichter“ traditioneller Grenzen neue Orientierungen zum Handeln und Entscheiden bestimmt werden, die wiederum als Grenzen (z. B. der technischen Verbesserung des Menschen) thematisiert werden können. Dabei werden in dem hier gewählten Fallbeispiel „natürliche“, auf der der biologischen Verfasstheit des Menschen beruhende bisherige Grenzen durch selbst gesetzte und vom Menschen veränderliche Grenzen ersetzt. Grenzen des Könnens werden zu Grenzen des Dürfens. Der gesellschaftliche Umgang mit sich auflösenden traditionellen und neu zu findenden Grenzen kann daher als eine Art „Management“ im Umgang mit Grenzen menschlichen Handeins bezeichnet werden.

Vor diesem Hintergrund wird in diesem Beitrag schließlich gefragt, welche Rolle die TA in diesem „Grenzmanagement“ spielen kann und soll, und welcher, vor allem methodischer, Voraussetzungen die Schaffung neuer Orientierungen bedarf. Neue analytische und reflexive Umgangsformen mit entsprechenden Mustern und Elementen von Zukunftskommunikation sind erforderlich, z. B. zur Aufdeckung der kognitiven und normativen Gehalte futuristischer Visionen. Erst dadurch können ihre Potentiale zur Orientierung einer offenen demokratischen Gesellschaft ausgeschöpft werden. Technikfolgenabschätzung und weiteren verwandten Formen der Reflexion über wissenschaftlich-technische Entwicklungen wachsen angesichts einer durch konvergierende Technologien veränderten conditio humana neue Aufgaben zu.


Erstellt am: 22.11.2006 - Kommentare an: webmaster