Armin Grunwald

Fortschritt in modernen Hochtechnologien - Planbarkeit und ihre Grenzen

Vortrag im Institut für Philosophie, Wissenschaftstheorie, Wissenschafts- und Technikgeschichte: Herausforderung Technik. Technische Universität Berlin, 07.11.2006


Abstract

Der Begriff der Technikgestaltung fand in den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts Eingang in die wissenschaftliche Diskussion über das Verhältnis von Gesellschaft und Technik. Die gestalterisch-aktive Sicht auf Technik erscheint im Nachhinein fast anachronistisch in einer Zeit, in der die offen gestaltungsskeptischen Ideen von Niklas Luhmann große Zustimmung fanden. Ausgehend von dem niederländischen CTA (Constructive Technology Assessment, Schot 1992) und den ebenfalls niederländischen Ausgangsüberlegungen zu SCOT (Social Construction of Technology, Bijker et al. 1987) waren die Bücher „Shaping Technology - Building Society“ (Bijker u. Law 1994) und "Managing Technology in Society" (Rip et al. 1995) bahnbrechende Publikationen in dieser Richtung. In Deutschland wurde parallel dazu die Technikgeneseforschung entwickelt (Dierkes 1997). In den letzten Jahren stehen die Felder Informationsgesellschaft, Lebenswissenschaften und Nachhaltigkeit im Mittelpunkt von Überlegungen zur Technikgestaltung.

Im Begriff der Technikgestaltung drückt sich die Erwartung aus, dass die Gesellschaft (wer auch immer das ist) Technik nach Maßgabe von Zielen und Werten aktiv und bewusst gestalten kann und nicht einer Eigendynamik der Technik oder einer „blinden Evolution“ ausgeliefert ist. Es ist die Annahme, dass der Lauf der Technik sich nach menschlichen Zielsetzungen zu richten habe statt dass Mensch und Gesellschaft sich an eine eigendynamisch ablaufende Technik anzupassen hätten. Ausgangspunkt ist häufig ein gewaltiger Bedarf an Technikgestaltung in gesellschaftlicher Hinsicht. Die Nebenfolgenproblematik von Technik in Bezug auf Umwelt und Gesellschaft, die Risiken von Technik, die immer weitere Hinausschiebung der Grenzen des Technischen, z. B. auch im Hinblick auf die technischen Eingriffe in den Menschen und seine Entwicklung, schließlich die Nachhaltigkeitsdiskussion zeigen deutlich, dass seitens der Gesellschaft ein Bedarf an Technikgestaltung unzweifelhaft vorhanden ist.

Daraus folgt aber noch nicht, dass dieser Bedarf auch erfüllt werden kann. Die skeptischen Worte von Luhmann, bezogen auf die Möglichkeiten der Steuerung gesellschaftlicher Prozesse über Ethik, lassen sich auf die Möglichkeit der Technikgestaltung übertragen: „Jedenfalls reicht der politische Bedarf allein nicht aus und ebenso wenig der gute Wille derjenigen, die sich darum bemühen“ (Luhmann 1990, S. 42). Aus dem Bedarf folgt nicht die Möglichkeit zu seiner Befriedigung: aus dem Wunsch nicht die Wirklichkeit, um an den Titel dieses Buches zu erinnern. Es ist eine alte Streitfrage, ob und inwieweit die Technikentwicklung gesellschaftlich gestaltbar ist oder nicht vielmehr einer immanenten Eigendynamik folgt (technologischer Determinismus). Die technische Entwicklung könnte schließlich auch bloße Evolution ohne einen Gestalter und ohne Gestaltungsmöglichkeiten sein. Das vorliegende Buch ist der Frage gewidmet, wie die skeptischen Einschätzungen der Möglichkeit von und die Anforderungen an eine Technikgestaltung überein zu bringen sind oder wie zwischen ihnen zu entscheiden ist.

Vor diesem Hintergrund wird die Frage gestellt, ob Hochtechnologie gegenwärtig überhaupt nach gesellschaftlichen Maßstäben gestaltbar ist. Hierzu wird die Theorie der Gestaltbarkeit herangezogen, die der Autor vor einigen Jahren vorgelegt hat. Das Fallbeispiel der Betrachtung ist die Nanotechnologie. Wesentliche These ist, dass Gestaltung nicht im Hinblick auf eine Determinierung technischer Entwicklung nach gesellschaftlichen Zielen erfolgen kann, sondern dass die gesellschaftliche Gestaltung sich eher auf die adäquate Beachtung der Nebenfolgenproblematik bezieht. So gesehen, besteht die wesentliche Technikgestaltung unter gesellschaftlichen Aspekten im Bereich der Nanotechnologie darin, dass die Problematik des Nichtwissens über mögliche toxische Effekte von Nanopartikeln erkannt und öffentlich thematisiert worden ist, und vor allem, dass dies Folgen in Bezug auf eine offensive Förderung entsprechender Forschung zur Schließung der Wissenslücken gehabt hat.


Erstellt am: 10.11.2006 - Kommentare an: webmaster