Exklusiv oder inklusiv? Internet für alle und für alles

Riehm, U.; Krings, B.-J.

Vortrag auf der 4. Österreichischen TA-Konferenz "TA'04 Exklusive Technik? Neue Technologien zwischen erweiterten Handlungsspielräumen und eingeschränktem Zugang".
Wien, Österreich, 07.06.2004


Abstract

Das Internet ist weder „exklusiv“ noch „inklusiv“. Für die einen erweitert es die Handlungsspielräume, andere schließt es von Informations-, Kommunikations-, Transaktions- und Unterhaltungsmöglichkeiten aus. Wenn die unterschiedlichen Zugangs- und Nutzungschancen des Internets mit sozialen Merkmalen wie Geschlecht, Bildung, Rasse, Einkommen, Alter etc. in Zusammenhang gebracht werden können, dann spricht man auch von sozialer Ungleichheit. Unter dem Stichwort „digital divide“ werden diese Phänomene in Bezug auf Kommunikationstechnologien und insbesondere das Internet diskutiert. Dabei geht es in dieser Diskussion nicht allein um eine momentane Bestandsaufnahme, bei der man zeigen kann, dass z. B. in Deutschland im Jahr 2003 Frauen nur zu 42,1 % „online“ sind und Männer zu 58,8 %, sondern es geht um die Frage, ob über die Zeit die Ungleichheit zwischen den sozialen Gruppen zu- oder abnimmt. So stieg die Differenz der Online-Anteile von Frauen und Männern in Deutschland von 13,7 % im Jahr 2001 auf 16,7% im Jahr 2003.

Mittlerweile gibt es eine Reihe von Studien, die nicht nur nach den Internet-Nutzern und -Nutzerinnen fragen, sondern auch nach den Internet-Nicht-Nutzerinnen und -Nutzern (TNS-Emnid (N)Onliner Studie, ARD/ZDF-Offline-Studie, Pew Internet & American Life Project, UCLA Internet Project u.a.). Eine Auswertung zeigt, dass eine Orientierung an einem bipolaren Modell der Nutzung und der Nicht-Nutzung verfehlt ist. Es kommen nicht nur neue „Onliner“ im Zeitverlauf hinzu, sondern es werden aus „Onlinern“ auch wieder „Offliner“ („Dropouts“). Die Auffassung, dass der „Offliner“, die „Offlinerin“ unwillig, unerfahren, technikabstinent und innovationsfeindlich sei, lässt sich pauschal nicht aufrechterhalten. Eine genauere Auswertung der vorliegenden Studien soll Aufschluss über den derzeitigen Wissensstand zur Nicht-Nutzung und den „Dropouts“ geben und die Einheitlichkeit oder Widersprüchlichkeit der Trends aufzeigen.

Die in wissenschaftlichen und gesellschaftspolitischen Kontexten erhobene Forderung nach einem „Internet für alle“ bringt zum Ausdruck, dass die unterschiedlichen Formen sozialer Ungleichheit im Zugang sowie der Nutzung des Internets nicht akzeptiert werden sollen. Diese Forderung könnte als eine gesellschaftliche Fürsorgepolitik interpretiert werden, der die Auffassung zu Grunde liegt, dass die Informationstechnologien bzw. das Internet im Zuge der gesellschaftlichen Entwicklung zur „Informations-“ oder „Wissensgesellschaft“ das zentrale Medium der gesellschaftlichen Integration repräsentieren. Das „Internet für alle“ wird zum „Internet für alles“. Allen soll die Chance eröffnet werden, durch Qualifizierung, öffentliche Zugangsstellen, „barrierefrei“ und nutzungsfreundlich gestaltete Softwaresysteme etc. über das Internet Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu erlangen.

Gleichzeitig werden angesichts der Informatisierung der Gesellschaft sowie der ökonomischen Zwänge der Globalisierung herkömmliche Nutzungsmöglichkeiten eingeschränkt. Schon heute gibt es Ortschaften und Stadtteile, die beispielsweise über keine Apotheke, Post, Bank oder Bibliothek verfügen. Eine Reihe von Informations- und Transaktionsangebote sind nur noch über das Internet zugänglich. Diese Entwicklungen zeigen, dass nicht nur individuelle Handlungsmöglichkeiten eröffnet, sondern dass auch gesellschaftliche und soziale Räume geschlossen werden. Damit besteht die Gefahr, dass die individuell begründete Entscheidung zur „Nicht-Nutzung“ in besonderem Maße zu sozialen Ausgrenzungen führen kann. Die Techniknutzung aber gesellschaftlich zu erzwingen, bedürfte einer besondere Legitimation. Das „Internet für alle und für alles“ sollte nicht dazu führen, dass die bestehenden Wahlmöglichkeiten über die Art der gesellschaftlichen Teilhabe auf eine technikdominierte Variante reduziert wird.

Der Kerngedanke lautet vielleicht wie folgt:

Der Zugang zum Internet ist kein Selbstzweck. Mit der Internet-Nutzung werden Erwartungen, Nutzen, Teilhabe verbunden. Der Gap liegt also nicht in der Nutzung des Internets für sich, das wäre abzeptabel: niemand muss gezwungen werden oder dazu hinbefördert werden, ein Auto zu fahren, einen Fernseher zu haben, einen Anrufbeantworter zu nutzen, einen PC sein eigen zu nennen, das Internet zu nutzen. Unakzeptabel ist aber, dass bestimmte Gruppen davon ausgeschlossen werden, Informationen zu erlangen, günstig und einfach einkaufen zu können, mit ihrer Bank in Verbindung zu treten, mit anderen zu kommunizieren etc. Der Gap wird eher geschlossen, wenn verhindert wird, dass der Zugang zu diesen „Diensten“ nur noch über das Internet erfolgt, sondern es verschiedene Zugangskanäle gibt. Der Gap wird nicht geschlossen, wenn die Orientierung darauf ausgerichtet ist, dass alle Dienste über das Internet erreichbar sein sollen und deswegen auch alle das Internet nutzen können müssen.



Erstellt am: 31.03.2004 - Kommentare an: Ulrich Riehm