Die sozialkonstruktivistische Resignation vor der „Konstruktion“

Grunwald, A.

Vortrag auf der Jahrestagung der Gesellschaft für Wissenschafts- und Technikforschung (GWTF): Was kommt nach dem Konstruktivismus in der Wissenschafts- und Technikforschung?
Berlin, 26. - 27.11.2004


Abstract

Sozialkonstruktivistische Techniktheorien beanspruchen, die soziale Konstruiertheit von Technik empirisch zu belegen und zu erklären. Neben dem Erklärungsanspruch ex post stand von Anfang an der Bezug zur Technikgestaltung ex ante: die Erklärung der Konstruktionsvorgänge wurde als Blaupause für praktische Fragen der „Konstruktion“ angesehen. Das „Social Construction of Technology“ (SCOT) ist, genauso wie die Leitbildforschung und die Netzwerktheorien der Technikentwicklung, gestartet mit der Emphase der Techniksteuerung oder wenigstens -gestaltung.

Die Bilanz sozialkonstruktivistischer Techniktheorien für Gestaltungsfragen ist jedoch ernüchternd. Angesichts der Herausforderungen der „Konstruktion“ sind sie ins Leere gelaufen. Von vielen ist die „Zahnlosigkeit“ erklärender Theorien für praktische Fragen des Gestaltens diagnostiziert worden. Statt zur Gestaltung beizutragen, erschöpft sich sozialkonstruktivistische Technikforschung in retrospektiven Fallstudien und ist ein Papiertiger ohne Gestaltungskraft geblieben. Die erklärende Kraft dieser Ansätze ist nicht zu leugnen, die Hoffnungen in praktischer Hinsicht wurden jedoch verfehlt.

Im Vortrag wird die Frage gestellt, wo die Gründe für dieses partielle Versagen liegen - wurde dem Sozialkonstruktivismus doch sogar vorgeworfen, die Beliebigkeit der Gestaltbarkeit oder einen bloßen Voluntarismus zu vertreten. Die These ist, dass diese Ansätze die grundlegende Verschiedenheit von sozialwissenschaftlicher (beobachtender) Perspektive und den Notwendigkeiten, in praktischen Fragen eine Teilnehmerperspektive einzunehmen, in der gehandelt, entschieden, gesteuert und gestaltet wird, nicht beachtet haben. Auch aus einer unter Erklärungsintentionen erfolgreichen Analyse der Technikentwicklung folgt in keiner Weise, wie bei der nächsten Technikentscheidung entschieden werden solle. Für solche Entscheidungen kommt es auf normative Kriterien, eine individuell oder kollektiv handlungs-, planungs- oder entscheidungstheoretische Perspektive an. Deren Vernachlässigung in sozialkonstruktivistischen Ansätzen hat nur zu einer erklärenden Bestätigung des blinden Weltlaufs geführt, letztlich zur evolutionstheoretischen Resignation des Sozialkonstruktivismus vor den Herausforderungen der Praxis. Als Ausweg aus diesem Dilemma werden Ansätze der inkrementellen Planung und von Theorien des Gestaltens diskutiert.

Gliederung

  1. Rekonstruktionen normativer Defizite sozialkonstruktivistischer Ansätze (Leitbildforschung, Netzwerktheorie, Evolutionäre Techniktheorie)
  2. Die Unergiebigkeit rein deskriptiver Forschung für Gestaltungsfragen
  3. Der Ausweg: Konstruktivismus im neuen Gewand


Erstellt am: 05.10.2004 - Kommentare an:     Armin Grunwald