Gerhard Banse, Siegfried Wollgast (Hrsg.)

Philosophie und Wissenschaft in Vergangenheit und Gegenwart

Festschrift zum 70. Geburtstag von Herbert Hörz   [Bild]

Berlin: trafo 2003 (Abhandlungen der Leibniz-Sozietät, Bd. 13), ISBN: 3-89626-454-0, 505 Seiten, 42,80 Euro
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Vorwort: Zur Person von Herbert Hörz

Beim Studium der Hörzschen Bibliographie offenbart sich ein bisheriges Lebenswerk, das in großer Gedankenfülle mehrere Wissensgebiete umfasst. Philosophie, Naturwissenschaft und Geschichte sind als Wissenschaften in einer eindrucksvollen Weise miteinander verbunden.

Herbert Hörz, Jahrgang 1933, also einer Generation angehörend, die die Grauen des Krieges noch voll erfassen konnte, brach wie viele seiner Zeitgenossen auf, um Neues mitzugestalten für eine gerechtere Gesellschaft. Philosophie und Physik waren seine Studienfächer in Jena und Berlin von 1952 bis 1956, und diese Kombination wurde prägend für sein wissenschaftliches Werk. Als Philosoph über die Grenzen zur Naturwissenschaft blickend, widmete er sich einem Gebiet, dessen Umfang riesengroß erscheint. Die Bewältigung wäre ohne ständigen Einsatz nicht gelungen, das "carpe diem" des Horaz ist bewusst oder unbewusst immerwährender Begleiter von Herbert Hörz gewesen. In den Gratulationsbeiträgen dieses Bandes drückt sich das Echo auf sein Wirken in aller Deutlichkeit aus.

Die Promotion erfolgte 1960 an der Humboldt-Universität Berlin mit der Dissertation "Zur philosophischen Bedeutung der Heisenbergschen Unbestimmtheitsrelationen". Die mündliche Prüfung dazu erfolgte damals noch als Rigorosum, das innerhalb einer Woche abzulegen war, H. Hörz wählte Philosophie und Physik als Fächer. Auch die Habilitation 1962 ist dem Brückenschlag zwischen Philosophie und Naturwissenschaft gewidmet mit dem Thema "Philosophie und Quantenmechanik". Der mit der Habilitation verbundene Vortrag zur Erlangung der "venia legendi" hatte den Titel "Philosophische und physikalische Raum-Zeit-Auffassung".

Bereits 1956 Assistent, 1957 Aspirant, 1959 Oberassistent, gelangte er schnell zu höheren Verpflichtungen als Dozent 1962 und 1965 als Professor mit Lehrauftrag für philosophische Probleme der Naturwissenschaften am Philosophischen Institut der Humboldt-Universität Berlin. Im Jahre 1968 wurde er zum ordentlichen Professor berufen.

Dem hervorragenden Wissenschaftler wurden bald verantwortliche Positionen in der Wissenschaftsorganisation übertragen. 1966 Prodekan und 1967/68 Dekan der Philosophischen Fakultät der Humboldt-Universität, war er 1968 bis 1972 Direktor der Sektion Philosophie an der Humboldt-Universität und von 1972 bis 1989 Leiter des Bereiches "Philosophische Fragen der Wissenschaftsentwicklung" am Zentralinstitut für Philosophie der Akademie der Wissenschaften der DDR, 1982 bis 1990 stellvertretender Direktor für Forschung des Philosophieinstituts. Als Kreisvorsitzender der Gewerkschaft Wissenschaft an der Akademie der Wissenschaften von 1977 bis 1982 war er Mitglied des Präsidiums der AdW, von 1989 bis 1993 schließlich Vizepräsident für Plenum und Klassen der AdW. Von 1993 bis 1995 beschäftigte er sich als Mitarbeiter der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften mit den Helmholtz-Editionen.

H. Hörz erhielt zahlreiche internationale Einladungen. 1972 weilte er zu einer Gastprofessur in Moskau, in den Jahren 1995 und 2001 als Gastprofessor in Graz. Einladungen zu Vorträgen führten ihn in die USA, nach China, Japan und in Länder Ost- und Westeuropas. Er war bis 1995 Mitglied im Editorial Board von "Philosophy and Biology" (Kanada) und ist Mitglied im Beirat der "Zeitschrift für Wissenschaftsforschung", Graz. Von 1979 bis 1991 fungierte er als Mitglied des Internationalen Vorbereitungskomitees für die jährlichen Tagungen der Wissenschaftsforscher Europas in Deutschlandsberg.

Von den zahlreichen Auszeichnungen und Ehrungen sollen genannt werden: 1973 die Wahl zum Korrespondierenden Mitglied und 1977 zum Ordentlichen Mitglied der Akademie der Wissenschaften der DDR, die jetzt den Namen Leibniz-Sozietät trägt und deren Präsident Herbert Hörz seit 1998 als Nachfolger des nunmehrigen Ehrenpräsidenten Samuel Mitja Rapoport ist. 1982 wurde er Korrespondierendes Mitglied der Akademie der Pädagogischen Wissenschaften der DDR. Er erhielt 1972 den Nationalpreis der DDR und 1990 den Friedrich-Engels-Preis der Akademie der Wissenschaften der DDR. Die Pädagogische Hochschule Erfurt-Mühlhausen ernannte ihn 1989 zum Doktor honoris causa. Er ist Mitglied der European Academy of Science, Arts and Humanities in Paris.

Herbert Hörz ist Wissenschaftsphilosoph und Wissenschaftshistoriker. Die von ihm bearbeiteten Forschungsfelder erstrecken sich auf Philosophie, Methodologie, Erkenntnistheorie und Geschichte der Wissenschaften, auf die philosophische Entwicklungstheorie, auf interdisziplinäre Beziehungen zwischen Natur-, Technik-, und Sozialwissenschaften. Er ist mit der Edition der Korrespondenz von Hermann von Helmholtz befasst. Zahlreiche seiner Publikationen wurden auch in anderen Ländern übersetzt und herausgegeben, so in der Sowjetunion, in der Tschechoslowakei, in der Volksrepublik China, in Japan und in den USA.

H. Hörz hat, ausgehend von der philosophischen Verallgemeinerung Naturwissenschaftlicher - namentlich physikalischer - Erkenntnisse, umfassend das Verhältnis der marxistischen Philosophie zu den Naturwissenschaften untersucht. Eine wissenschafts- und bildungspolitische Umsetzung erfuhren die von ihm gewonnenen Erkenntnisse durch den Aufbau leistungsfähiger Forschungsgruppen und durch die Einrichtung von Spezialkursen zu philosophischen Fragen der Mathematik, der Natur- und Technikwissenschaften an Universitäten und Hochschulen der DDR. Spezielle Hochschullehrbücher und weitere Lehrmittel dazu basieren weitgehend auf der von Herbert Hörz ausgearbeiteten Konzeption zum Verhältnis von marxistischer Philosophie und Naturwissenschaften. In diesem Verständnis waren die auf diesem Gebiet lehrend und forschend tätigen Wissenschaftler - jedenfalls in der Mehrzahl - "Hörzianer", was sich weniger auf das Bekanntmachen neuer Forschungsresultate bezog, sondern in erster Linie auf die Art und Weise der Problembestimmung und -lösung, was natürlich Unterschiede in den Auffassungen und wissenschaftlichen Meinungsstreit einschloss.

H. Hörz ging es stets um ein konzeptionelles Verständnis der Funktionen der Philosophie für die Einzelwissenschaften und umgekehrt. Er wandte sich gegen eine eklektische Reflexion physikalischer u.a. einzelwissenschaftlicher Sachverhalte. Auf der Basis der von ihm entwickelten Konzeptionen konnten so wichtige Probleme wie das Verhältnis von Materie und Bewusstsein, der dialektische Determinismus, die Materiestruktur im Lichte neuester naturwissenschaftlicher Erkenntnisse sowie gnoseologische und methodologische Fragen der Naturwissenschaften neu analysiert werden. Ein neuer Zugang ergab sich auch zur Entwicklungsproblematik. Nicht nur die Bewegungs- und Entwicklungsprozesse von Strukturen, sondern auch die Strukturen von Bewegungs- und Entwicklungsprozessen konnten dabei in ihrer Dialektik schärfer gefasst werden. Eine wesentliche Rolle spielte dabei das Verständnis der fundamentalen Bedeutung statistischer Gesetze und die Erforschung des Verhältnisses von dynamischen und statistischen Gesetzen. Später untersucht H. Hörz generell den Zufall.

Dass beim heuristischen Versuch der Übertragung der Hörzschen Gesetzes- und Entwicklungskonzeption auf neue Bereiche Fragen und Probleme auftraten, war nicht verwunderlich, sondern gewollt. Er hatte nie den Ehrgeiz, abgeschlossene, möglichst unangreifbare Theorien zu entwickeln. Sein Bestreben war und ist darauf gerichtet, die Bestimmung und Lösung wichtiger Fragen der Wissenschaft und der gesellschaftlichen Praxis mit den Mitteln der Philosophie förderlich zu unterstützen. H. Hörz war und ist ein "untrüglicher Blick für das Wichtige, Neue, Zukunftsweisende" eigen. "Er konnte mit seinen Büchern zum Verhältnis von moderner Atomphysik und Philosophie [...] direkt in die weltweite Diskussion um Kausalität, Determinismus und Zufall eingreifen. [...] Zusammen mit K.-F. Wessel leistete er einen wichtigen Beitrag zur modernen Entwicklungsproblematik [...], gab eine neue Sicht auf das philosophische Verständnis von Zeit. [...] Er vermochte eine Wissenschaftsphilosophie zu entwickeln, die einerseits den sozialhistorisch-ökonomischen Prozess der Wissenschaftsentwicklung differenziert berücksichtigte, ohne die Auffassung von der Wissenschaft als allgemeiner Arbeit zur Leerformel zu degradieren, die aber andererseits auch die konstruktive Autonomie wissenschaftlichen Denkens voll einbezog; [...] Schließlich war sich H. Hörz der sozialwissenschaftlichen und anthropologischen Konsequenzen seines dialektischen Determinismusansatzes wohl bewusst, wie seine Abstecher in Rechtswissenschaften, Psychologie und Pädagogik beweisen." So hat er sich z.B. wiederholt zu Problemen der Persönlichkeitsentwicklung, des Schöpfertums und den Bedingungen seiner Entwicklung geäußert. Ebenso zur Ethik. Ein weiterer Zweig der Hörzschen Untersuchungen bildeten bzw. bilden philosophische Fragen der Wissenschaftsgeschichte. Gerade Werner Heisenberg, Hermann von Helmholtz, oder auch Albert Einstein, Max Planck und Jacques Monod hat er eingehend behandelt. Irn Jahre 1966 erschien sein Buch "Werner Heisenberg und die Philosophie". Für DDR-Verhältnisse wohl ungewöhnlich war, dass Herbert Hörz das Manuskript seines Buches Werner Heisenberg zur Durchsicht übersandte. Er schrieb dazu in einem Brief: "Sicher erwarten Sie keine einfache Wiederholung Ihrer Auffassungen. Ich habe meinen Standpunkt dazu dargelegt, auch polemisiert und Beziehungen zur dialektisch-materialistischen Interpretation der Ergebnisse der modernen Physik dargelegt. Mit manchem werden Sie vielleicht nicht einverstanden sein. Ich hoffe jedoch auch bei der Polemik den Boden sachlichen Argumentierens nicht verlassen zu haben". Werner Heisenberg antwortete darauf u.a.: "Es hat mich gefreut, zu sehen, dass Sie an vielen Stellen herausgefunden haben, was mir wirklich wichtig ist und dass Sie meine Meinung dort richtig wiedergegeben haben. Auch dort, wo Sie selbst anderer Meinung sind, haben Sie meinen Ansichten, so scheint mir, volle Gerechtigkeit widerfahren lassen."

Der vorliegende Band endigt mit der Bibliographie der bisherigen Arbeiten von H. Hörz. Auch daher verzichten wir auf weitere Wertungen. Doch m.E. ist gerade Herbert Hörz' wissenschaftliches Werk ein Paradigma für die Auffassung: "Was von der DDR-Philosophie übrig bleiben wird, wenn sich die giftigen Dämpfe ideologischer Verdächtigungen endlich verzogen haben, sind einige ihrer soliden philosophie- und wissenschaftshistorischen sowie ihrer wissenschaftsphilosophischen und logischen Beiträge."

Das wissenschaftliche Leben in der Leibniz-Sozietät hat Herbert Hörz durch viele Vorträge und Diskussionen bereichert, was in den "Sitzungsberichten" und in "Leibniz-intern" dokumentiert ist. In den Beiträgen wird seine philosophische Orientierung deutlich, die sich auf die Untersuchung philosophischer, erkenntnistheoretischer und ethischer, darunter dialektischer und materialistischer Aspekte in der historischen und aktuellen Wissenschaftsentwicklung erstreckt. Besonders hervorzuheben ist die von H. Hörz vorangetriebene Begründung einer neuen Aufklärung unter den gegenwärtigen Bedingungen.

Wir wünschen unserem Präsidenten noch viele Jahre in Gesundheit und Schaffenskraft.

Steinförde, im März 2003
Lothar Kolditz




Stand: 04.09.2003 - Kommentare an:     Gerhard Banse