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Alles anders? Zum Handel mit digitalen Gütern am Beispiel der Musik- und Buchbranche

Vortrag auf dem 2. Fachgespräch "Produktion und Distribution im E-Commerce: Motor oder Störfaktor?" im Rahmen der TAB-Veranstaltungsreihe "Innovationsbedingungen des E-Commerce" am 4. April 2001 in Berlin


Abstract

Beim elektronischen Handel sind grundsätzlich zwei Bereiche zu unterscheiden: der Handel mit herkömmlichen Gütern und der Handel mit digitalen Gütern. Nur bei digitalisierbaren Gütern kann der Handel vollständig elektronisch abgewickelt und die Güter elektronisch ausgeliefert werden.

Digitale Güter weisen einige besondere ökonomische Eigenschaften auf. Sie sind teuer herzustellen, aber preiswert zu reproduzieren. Ihre Erstellungskosten für das erste Exemplar sind relativ hoch, danach sich die Vervielfältigungs- und Distributionskosten aber eher gering. Weitere Eigenschaften digitaler Güter sind ihre Weiterverarbeitbarkeit und damit die Möglichkeit, individualisierte Produkte weitgehend automatisch zu erzeugen. Digitale Güter kennen keine eigene Existenzweise. Sie sind auf eine technische Infrastruktur und ein Endgerät für ihre Darstellung angewiesen. Digitale Güter sind typische Erfahrungsgüter, deren Wert für den Konsumenten erst durch ihren Gebrauch erkennbar wird.

Im Internet-Buchhandel werden bisher überwiegend gedruckte Bücher gehandelt, digitale Güter spielen hier bisher nur eine geringe Rolle. Bei dem Konzept "Books on demand" liegt eine digitale Kopie eines Buches vor, aber keine vorproduzierten Buchexemplare. Ein Buch wird erst gedruckt, wenn eine Bestellung eines Kunden eingeht. Dies spart Lagerkosten. Es ermöglicht des weiteren die Individualisierung von Büchern nach den Anforderungen einzelner Leserinnen oder Leser. Diese Bücher müssen aber noch per Paketpost körperlich ausgeliefert werden.

Elektronische Bücher dagegen haben diese körperliche Form nicht mehr. Sie werden digital über elektronische Leitungen distribuiert. Die Rezeption erfolgt am Bildschirm. Zwei Varianten elektronischer Bücher sind zu unterscheiden: spezielle Lesegeräte oder Lesesoftware für handelsübliche Computer. Um das Kopieren elektronischer Buchtexte zu verhindern, wurde ein Verfahren entwickelt, bei dem der Buchtext nur auf einem eindeutig identifizierbaren Gerät lesbar ist. Dies hat zwei problematische Implikationen: Die Nutzungsrechte werden stark reglementiert, und es wird zentral registriert und auf Dauer gespeichert, wer welche Bücher für welches Gerät gekauft hat.

Der Download von Musik ist bereits zu einem Massenphänomen geworden. Allein über die Musiktauschbörse Napster sollen im Februar 2001 die unvorstellbare Zahl von drei Mrd. Tauschvorgänge getätigt worden sein. Was der Musikindustrie an Umsatz dadurch entgeht, ist schwer zu beziffern. Die kauffähige Nachfrage entspricht in keinem Fall der digitalen Distribution von Musiktiteln im Internet. Untersuchungen belegen sogar, dass Napster-Nutzer im Verhältnis zu anderen Gruppen mehr CDs kaufen. Der Musik-Download hätte dann eine besondere Werbefunktion. Die Versuche, Fortschritte in der Reproduktionstechnik von Medien juristisch oder technisch einzudämmen, haben sich bisher immer als wenig erfolgreich erwiesen. Es bedarf anderer Strategien dieser Herausforderung zu begegnen. Dabei sind Umschichtungen in den Wertschöpfungsstufen vermutlich unumgänglich.

Von der Digitalisierung in Produktion und Handel betroffen sind in erster Linie der gesamte Bereich der "Content-Industrien" (Bücher, Zeitungen, Filme, Rundfunk etc.) sowie die Dienstleistungsbranchen. In diesen Branchen arbeiten in Deutschland etwa 6 Millionen Beschäftigte. Unter der Annahme, dass das Digitalisierungspotential vollständig ausgeschöpft würde, ergab eine Modellrechnung des DIW (im Auftrag des TAB) einen Substitutionseffekt von etwa einer Million Beschäftigte. Dieser müsste mit neu entstehenden Arbeitsplätzen gegengerechnet und auf eine Zeitspanne bezogen werden, in dem dieser absehbare Wandel in der Beschäftigungsstruktur stattfindet. Wenn diese Zeiträume momentan auch nur schwer abschätzbar sind, ist doch klar, dass die fortschreitende Digitalisierung einen Strukturwandel in den betroffenen Branchen auslösen wird.


Ulrich Riehm
Forschungszentrum Karlsruhe
Institut für Technikfolgenabschätzung
und Systemanalyse (ITAS)
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Stand: 11.04.2001