Integrative Forschung zum globalen Wandel

Reinhard Coenen (Hrsg.): Integrative Forschung zum globalen Wandel. Herausforderungen und Probleme. Frankfurt am Main und New York: Campus 2001 (Reihe Gesellschaft - Technik - Umwelt. Veröffentlichungen des Instituts für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse)


Inhaltsverzeichnis

Einführung

Reinhard Coenen

Dieses Buch dokumentiert die Vorträge und eingeladenen Diskussionsbeiträge der Tagung »Transsektorale Forschung zum Globalen Wandel«, die am 27. und 28. Januar 2000 in Bonn stattfand und vom Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse des Forschungszentrums Karlsruhe gemeinsam mit der Akademie für Technikfolgenabschätzung in Baden-Württemberg, Stuttgart, und der Europäischen Akademie zur Erforschung von Folgen wissenschaftlich-technischer Entwicklungen, Bad Neuenahr - Ahrweiler, veranstaltet wurde. Die Tagung wurde aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert.

Anthropogene Eingriffe in die Umwelt, so hieß es im Tagungsprogramm,

Um die Probleme und Herausforderungen für transsektorale Forschung zum Globalen Wandel zu illustrieren, standen im Mittelpunkt der Tagung drei ausgewählte breit angelegte Forschungsansätze bzw. -projekte, die versuchen, einen solchen transsektoralen Forschungsansatz umzusetzen:

Diese Projekte bzw. Forschungsansätze werden im vorliegenden Band vorgestellt und durch eingeladene Diskussionsbeiträge kritisch kommentiert und ergänzt.

Als Einführung in das Thema der Tagung und des Buches beschäftigt sich in Teil I des Buches der Beitrag von Armin Grunwald »Integrative Forschung zum globalen Wandel - Herausforderungen und Probleme« mit spezifischen methodischen Herausforderungen und der Qualitätsabsicherung integrativer Forschung bzw. transsektoraler Forschung zum globalen Wandel. Ausgehend vom Erkenntnisinteresse der Global Change-Forschung, die Mechanismen globaler menschlicher Einwirkungen aufzudecken, die Rückwirkungen dieser Einwirkungen auf menschliche Handlungsweisen zu erforschen und vor allem - Handlungsweisen zu einer Bewältigung der Herausforderungen des globalen Wandels bereitzustellen, muss Forschung, die das leisten soll, so Armin Grunwald, integrativ oder integriert sein, relativ zu ökonomischen Sektoren, klassischen Disziplinen, kulturellen Vorstellungen und Dimensionen einer nachhaltigen Entwicklung. Die Erbringung dieser Integrationsleistungen stellt eine Reihe von methodischen und organisatorischen Herausforderungen für die Forschung dar, von denen Armin Grunwald u. a. folgende behandelt:

In der Folge beschäftigt sich Armin Grunwald mit der Frage der Qualitätssicherung integrativer bzw. transsektoraler Forschung. Er argumentiert, dass die Qualitätskriterien disziplinärer Forschung natürlich eingehalten werden müssen, damit integrierte Forschung nicht zu »science light« verkommt; die Qualität disziplinärer Beiträge sei jedoch eine notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für die Qualität integrativer Forschung, sie müsse sich zusätzlich an außerwissenschaftlichen Kriterien orientieren. Dabei entscheide sich die Qualität integrierter Forschung bereits am Anfang der Forschung und zwar bei der Problemdefinition, der Zerlegung in relevante Forschungsthemen, bei der Abgrenzung des Untersuchungsgegenstands sowie bei der Modell- und Methodenwahl. Die hier zutreffenden Relevanzbeurteilungen würden maßgeblich zum Erfolg eines Projekts hinsichtlich der Lösung gesellschaftlicher Probleme beitragen.

Die Beiträge in Teil II des Buches beschäftigen sich mit dem Syndrom-Konzept.

Zunächst stellen Schellnhuber et al. in ihrem Beitrag »Syndrome & Co. - Qualitative und semiquantitative Ansätze in der Forschung zum Globalen Wandel« das Syndrom-Konzept als einen Ansatz vor, die Komplexität der vielfältigen Wechselwirkungen zwischen Natur und Zivilisation zu erfassen. Mit quantitativen mathematisch-physikalischen Computermodellen, z. B. in der Klimaforschung, seien große Erfolge erzielt worden, so die Autoren, daher werde jetzt in der Global Change-Forschung der Versuch unternommen, das »Unquantifizierbare« zu quantifizieren. Dabei werde der Fortschritt in der Methodik der formalen qualitativen Modellierung ignoriert. Hier setzt das Syndrom-Konzept an, das im zweiten Abschnitt des Beitrages zunächst allgemein am Beispiel des Sahel-Syndroms dargestellt wird. Syndrome werden dabei als Krankheitsbilder bzw. nicht-nachhaltige Entwicklungen beschrieben, die durch das Zusammenwirken verschiedener Symptome bzw. Trends (syndromerzeugende Ursachen- und Wirkungsmuster) an bestimmten Orten bzw. in bestimmten Regionen entstehen können. In den folgenden Abschnitten 3 und 4 werden dann zwei mathematische Konzepte vorgestellt, die es erlauben, qualitative und unsichere Zusammenhänge zu formalisieren, und zwar qualitative Differentialgleichungen und Bayessche Vermutungsnetze. Im 5. Abschnitt des Beitrags wird demonstriert, wie das Konzept der qualitativen Differentialgleichungen zur weiteren Formalisierung des Syndrom-Konzepts angewendet werden kann, wobei zwei Aspekte (1) die systematische Verallgemeinerung von in detaillierten Fallstudien identifizierten riskanten Ursachen- und Wirkungsmuster und (2) die Identifikation von nicht-nachhaltigen Trajektorien bzw. Syndromen, die von solchen riskanten Ursache-Wirkungsmustern verursacht werden, im Vordergrund stehen. Als Beispiel dient hier wieder das Sahel-Syndrom. Schließlich wird im 6. Abschnitt eine Methode (Self-Organized Maps SOM) eingeführt, die es erlaubt, im Falle des Vorliegens großer Datenmengen und geringen Zusammenhangwissens rein datenbasiert Muster zu identifizieren, so zum Beispiel für Klassen gleichermaßen klimatisch verwundbarer Regionen, was beispielhaft für Gemeinden in Nordrhein-Westfalen demonstriert wird. Der Beitrag, so die Autoren, zeige insgesamt, dass qualitative und semi-quantitative Ansätze zur Beschreibung komplexer Dynamiken wie der des globalen Wandels ein noch schlummerndes Potential darstellen, das es möglichst bald zu nutzen gelte.

Hartmut Graßl beginnt seinen Diskussionsbeitrag »Der Syndromansatz als Mittel, vernetzte Hemmnisse nachhaltiger Entwicklung zu überwinden« mit zwei Behauptungen: Erstens, ohne die Erforschung des globalen Wandels könne es keine nachhaltige Entwicklung geben, das müsse man in die Köpfe der Entscheidungsträger auf der oberen Ebene bringen. Zweitens, Klima mache Böden, und diese prägten unsere Kultur. Er geht dann auf die Entstehung der Idee für das Syndromkonzept im WBGU ein und stellt als Grundthese des Syndromkonzepts dar, dass komplexe globale Umwelt- und Entwicklungsprobleme auf eine überschaubare Anzahl von Degradationsmustern zurückgeführt werden können. Da Symptome bzw. Trends verschiedenen Teilen der Natur und Atmosphäre zugeordnet werden könnten, sei der Syndromansatz per definitionem transsektoral und auch integrativ. Er fordert darüber hinaus die Einbeziehung der Akteure in die Forschung, wie es die Schweiz in ihren transdisziplinären Forschungsprogrammen praktiziere. Er verweist darauf, dass der Weg zu Syndromen nicht eindeutig sei; wenn andere Personen damals im WBGU dabei gewesen wären, hätte es mit großer Wahrscheinlichkeit eine andere Liste mit Syndromen gegeben. Es genüge aber nicht Syndrome sauber zu erforschen, sondern die eigentliche Kunst sei es, die Hemmnisse für eine nachhaltige Entwicklung zu verkleinern, welche die Syndrome provozieren. Die sich hierbei auftuenden Widerstände zeigt er am Beispiel einer erforderlichen Wende in der Klimapolitik auf. Abschließend fordert er deshalb ein transdisziplinäres Forschungsprogramm für ein oder mehrere Syndrome, das nicht nur die Diagnose, sondern auch die Therapie oder zumindest Therapievorschläge umfassen müsse.

In seinem Diskussionsbeitrag »Regenwürmer - Ein Vortrag über Syndrome in der Global Change-Forschung« beschäftigt sich Carlo Jaeger zunächst mit virtuellen Geschichten und stellt die Frage, was wäre gewesen, wenn es am Ende des Mittelalters, als in Europa große Teile der Wälder gerodet wurden, keine Regenwürmer gegeben hätte. Es wäre keine Humusschicht entstanden und die Ernährung einer wachsenden Bevölkerung wäre nicht möglich gewesen. In den Tropen, wo Regenwürmer wegen der klimatischen Bedingungen nicht existieren können und nach der Rodung von Wäldern somit keine Humusschicht entsteht, führt, so Carlo Jaeger, das Roden der Tropenwälder im Zusammenwirken mit anderen natürlichen und sozialen Ursache-Wirkungsmustern zum sogenannten Raubbau-Syndrom. Syndrome resultierten immer aus einem Zusammenwirken natürlicher Gegebenheiten, institutioneller Dynamiken und historischer Umstände. Nach seiner Definition sind Syndrome vernetzte, semiquantitative Nachhaltigkeitshemmnisse, und er wirft die Frage auf, ob man nicht auch der Frage nachgehen müsse, ob es spezifische Konstellationen von natürlichen, sozialen und institutionellen Faktoren gebe, die Nachhaltigkeit fördern. In Europa habe eben die Rodung der Wälder nicht zum Raubbau-Syndrom geführt, weil es eine günstige Konstellation von natürlichen Faktoren (Regenwürmer, ein günstiges Klima) und gesellschaftlich-institutionellen Faktoren (bäuerliche Familienbetriebe, Eigentums- und Allmende-Rechte) gegeben habe. Als Name für solche Konstellationen oder Muster nachhaltigkeitsfördernder Faktoren schlägt er Morphismen vor, und sein Votum ist die Untersuchung von Syndromen durch die Untersuchung von Morphismen einer nachhaltigen Entwicklung zu ergänzen.

Günter Mertins geht in seinem kurzen Diskussionsbeitrag »Typische Ursachen/Wirkungsweisen von Landnutzungsänderungen - Einige generelle Überlegungen« der Frage nach, ob sich typische überregional-invariante Ursache-Wirkungsmuster von Landnutzungsänderungen identifizieren lassen. Damit würde die Ebene der regionalen Risikobeschreibung durch Syndrome verlassen. Gelänge es, solche typischen Ursache-Wirkungsmuster zu identifizieren, so eröffneten sich dadurch Grundlagen für qualitative Prognosen über Folgen von Landnutzungsänderungen (Syndromwirkungen) und für präventive Maßnahmen zur Begrenzung der Folgen von Landnutzungsänderungen (Syndrombegrenzung).

Teil III des Buches widmet sich Transekten als integrativem Forschungsansatz in der Global Change-Forschung.

In seinem Beitrag »Transekte - Möglichkeiten und Grenzen integrativer Umweltforschung - Das Beispiel AQUA-GLOWA« stellt Eckart Ehlers das Transekte-Konzept als einen Ansatz für integrative Forschung vor. Transekte können vor allem als räumlich und mehr noch als ökologisch differenziertes Hilfskonstrukt bzw. als methodisches Instrument zur Definition kompatibler Untersuchungsräume verstanden werden, in denen vergleichbaren Frage- und Problemstellungen nachgegangen werden kann. Er beschreibt dann die Transekte-Idee als Grundlage des AQUA-GLOWA-Projekts. In diesem würden Flusseinzugsgebiete in verschiedenen Ökosystemen mit vergleichbarer Größe auf einem Nord-Süd-Gradienten von der Elbe über die Donau bis hin zu nicht spezifizierten Flusssystemen in den Tropen unter vergleichbaren Frage- bzw. Problemstellungen untersucht. Hierbei bestehe die Aufgabe darin, die Verbindung zwischen den durch die Natur gegebenen Gesetzmäßigkeiten des Wasserhaushalts und den sozioökonomisch gewünschten und gesellschaftlich notwendigen Bedürfnissen nicht nur konzeptionell in Einklang zu bringen, sondern auch die Untersuchung von Wechselwirkungen zwischen diesen zum zentralen Gegenstand des Projekts zu machen. Im Projekt betreffen diese Wechselwirkungen u. a.

Die Vorteile des Transekte-Konzepts sieht Eckart Ehlers u. a. darin, dass dieser Ansatz auf regionalen Maßstabsebenen mit Forschungsansätzen auf übergeordneten Maßstabsebenen verbunden werden könne und so einen Ansatz für die Lösung von Skalierungsproblemen der Global Change-Forschung biete. Weiterhin könne der Transekte-Ansatz das Systemverständnis verbessern und zu verallgemeinerbaren und transferierbaren Ergebnissen führen und die Entwicklung von Handlungsoptionen ermöglichen, die dem Leitbild einer nachhaltigen Entwicklung in unterschiedlichen Natur- und Kulturräumen angemessen Rechnung tragen können. Er verweist darauf, dass Transekte-Ansätze nicht neu sind, sondern in der globalen Umweltforschung verbreitete Organisationsstrategien sind, und erläutert dies an zwei Beispielen, am TOGA Observing System und am CLIVAR Programm (Climate Variability and Predictability Programme). In seinem abschließenden Kapitel geht er schließlich auf die Möglichkeiten und Grenzen des Transekte-Ansatzes als Hilfsmittel für integrativ-holistische Umweltforschung ein. Hierbei spricht er auch die Zusammenarbeit zwischen Natur-, Sozial- und Geisteswissenschaften an und diskutiert drei Problemfelder, die im Zentrum von gemeinsamen Bemühungen um methodische Kompatibilität und Kooperation stehen müssen: Erstens unterschiedliche Gegenständlichkeiten, zweitens kompatible Methodik und drittens die Problematik der Maßstabsebenen.

In seinem Diskussionsbeitrag »Integrative Methodik zur Planung einer nachhaltigen Entwicklung von Landschaften« erläutert Alfred Becker Ziele, Vorgehensweise und Methoden des GLOWA-Elbe-Projekts. Einleitend stellt er die Bedeutung des Wassers als Naturressource heraus und verweist auf das Wasser als Hauptkomponente des globalen Wasserkreislaufs und aller an ihn gekoppelten Stoffkreisläufe mit ihrer klimabestimmenden Wirkung. Das sich zeigende verstärkte Interesse an Untersuchungen auf der regionalen Skala (ca. 100.000 km2) rühre daher, dass sich in ihr viele der sich vollziehenden Veränderungen adäquater erfasst werden können als auf der globalen Ebene und dass auf der regionalen Ebene auch die Maßnahmen zur Sicherung einer nachhaltigen Entwicklung untersucht und durchgeführt werden können. Das Elbegebiet als internationales großes Flussgebiet (148.000 km2) biete sich geradezu für solche Untersuchungen an. In diesem Gebiet gebe es vielfache wasserverfügbarkeitsabhängige und ökologische ebenso wie sozioökonomische Probleme sowie Wasser- und Landnutzungskonflikte, die einen integrativen und transsektoralen Lösungsansatz erfordern. Als grundlegendes Prinzip des GLOWA-Elbe-Projekts, an dem 18 Forschungsgruppen beteiligt sind, hebt er den partizipativen Ansatz hervor, d. h. die Einbeziehung aller Betroffenen (Stakeholder, Landeigentümer, Umweltschützer, interessierte Bürger und Entscheidungsträger in Politik und Wirtschaft, Regionalplaner etc.) in den Forschungsprozess. Diese Beteiligung erfolge auf allen Untersuchungsebenen, u. a. bei der Abstimmung der Forschungsziele, der zu untersuchenden Handlungsalternativen, der Entwicklung von Szenarien für die Region sowie der Selektion der Kriterien für die spätere Bewertung. GLOWA-Elbe werde vier Hauptanalyseschritte umfassen:

Christian Bernhofer behandelt in seinem Diskussionsbeitrag »Die Atmosphäre - nur Randbedingung des globalen Wandels?« die Rückkopplung zwischen Atmosphäre und Erdoberfläche, auf deren Analyse bei der Simulation des Globalen Wandels, die von festen Klimabedingungen ausgeht, zwangsläufig verzichtet werden müsse. Es bestehe bisher offenbar kein Konsens darüber, ob die Atmosphäre als Randbedingung oder als etwas, mit dem tatsächlich Interaktion stattfindet, behandelt werden müsse. Interaktionen gebe es zweifellos, die Frage sei, auf welchen zeitlichen und räumlichen Skalen sie zu untersuchen seien. Im Folgenden behandelt er dann an Beispielen die mögliche Bedeutung von Rückkopplungsprozessen zwischen Landoberfläche und Atmosphäre, verdeutlicht das Problem unterschiedlicher räumlicher und zeitlicher Skalen bei Modellen zur Untersuchung der Auswirkungen des globalen Wandels und zeigt mögliche Strategien zum Umgang mit der Skalenproblematik bei der Analyse der Landoberflächenrückkopplung auf, ein überzeugender Ansatz fehle aber bisher.

Die Beiträge in Teil IV dieses Buches kreisen um das Verbundprojekt der HGF »Global zukunftsfähige Entwicklung - Perspektiven für Deutschland«.

Zunächst stellt Reinhard Coenen dieses Projekt vor. Konstitutiv für das Projekt seien (1) die gleichrangige und integrierte Behandlung der ökologischen, ökonomischen, sozialen und institutionellen Dimension des Leitbilds der nachhaltigen Entwicklung, (2) die Betrachtung von (technologischen) Effizienz- und Konsistenzstrategien zur Erreichung einer nachhaltigen Entwicklung, ohne Suffizienzaspekte zu vernachlässigen, sowie (3) gesellschaftliche Aktivitäts- bzw. Bedürfnisfelder, wie »Bauen und Wohnen«, »Mobilität« etc. als zentrale Analysefelder, in denen es darum gehe, Möglichkeiten aufzuzeigen, die jeweiligen Bedürfnisse nachhaltiger als bisher zu befriedigen. Die Operationalisierung des Leitbilds einer nachhaltigen Entwicklung erfolge im Vorhaben in mehreren Stufen. Zunächst seien in einer Vorstudie ausgehend von konstitutiven Elementen des Leitbilds - den Postulaten der inter- und intragenerativen Gerechtigkeit, dem anthropozentrischen Charakter sowie der globalen Perspektive - drei generelle Ziele nachhaltiger Entwicklung formuliert worden, die sodann in 26 Handlungsleitlinien bzw. Regeln konkretisiert worden seien. Hierbei sei eine Einteilung in sog. »Was-Regeln«, die substantielle Mindestanforderungen für eine nachhaltige Entwicklung beschreiben, sowie in »Wie-Regeln«, die notwendige gesellschaftliche Rahmenbedingungen zur Erfüllung dieser Mindestanforderungen ansprechen, vorgenommen worden. In einer nächsten Stufe seien Nachhaltigkeitsindikatoren vorgeschlagen worden, mit deren Hilfe die Einhaltung dieser Nachhaltigkeitsregeln überprüft werden könne. Das Spezifikum des sog. integrativen Ansatzes des HGF-Projekts sei, dass Ziele und Nachhaltigkeitsregeln dimensionsübergreifend formuliert worden seien und nicht aus der Binnensicht einzelner Dimensionen.

Im Folgenden stellt Reinhard Coenen dann die verschiedenen Arbeitspakete des Vorhabens vor. Dies sind einerseits die Aktivitäts- bzw. Bedürfnisfelder »Mobilität«, »Bauen und Wohnen«, »Landwirtschaft und Ernährung« sowie »Freizeit und Tourismus«, deren Nachhaltigkeitsrelevanz für Deutschland er verdeutlicht, andererseits Schlüsseltechnologien, wie Biotechnologien, regenerative Energietechnologien, Material-, Mikro- und Nanotechnologien sowie Informations- und Kommunikationstechnologien, deren Potentiale für die Erreichung einer nachhaltigen Entwicklung analysiert würden. Darüber hinaus umfasse das Vorhaben sog. Querschnittsarbeitspakete, die die Integration der Arbeiten zu den Aktivitätsfeldern und Schlüsseltechnologien sicherstellen sollen. Zur quantitativen Integration würden im Vorhaben die Input-Output-Analyse und umweltökonomische Simulationsmodelle angewendet. Ziele des Vorhabens, so Reinhard Coenen, seien

Da den Diskussionsrednern umfangreiches Material zum HGF-Projekt, so ein Bericht zum integrativen Konzept des Projekts (Jörissen et al. 1999) und eine ausführliche Projektbeschreibung, zur Verfügung gestellt wurde, setzen sich die Diskussionsbeiträge direkt und in kritischer, aber konstruktiver Weise mit diesem auseinander.

Michael Jischa stellt in seinem Beitrag »Operationalisierung von Zukunftsfähigkeit durch Technikbewertung« zunächst die Frage, was der »unique selling point« des HGF-Projekts sein könnte bzw. wie es sich von bereits vorliegenden Studien, z. B. der Wuppertal-Studie, der UBA-Studie oder dem Bericht der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestags »Schutz des Menschen und der Umwelt« absetzen könnte, und macht hierzu einige Vorschläge. Gleichzeitig empfiehlt er eine Verknüpfung mit dem Syndrom-Konzept. Bezüglich der Gewichtung der verschiedenen Dimensionen setzt er sich vom HGF-Ansatz ab und räumt der ökologischen Dimension eine vorrangige Position ein, eine gleichrangige Gewichtung brauche eine starke Begründung.

Bei der starken Betonung von Effizienz- und Konsistenzstrategien warnt er vor dem Bumerang-Effekt, der sich darauf bezieht, dass Effizienzgewinne bisher durch Zunahme der Ansprüche und damit der Verbraucher oft kompensiert, sogar überkompensiert worden wären. In den im HGF-Projekt formulierten Nachhaltigkeitsregeln sieht er Fortschritte gegenüber jenen der Enquete-Kommission. Anschließend macht er einige Vorschläge zur Ergänzung des HGF-Ansatzes, insbesondere eine Verknüpfung mit dem Syndrom-Ansatz, wobei er ähnlich wie Carlo Jäger auch empfiehlt, sich nicht nur auf Syndrome mit Krankheitscharakter zu konzentrieren, sondern auch auf solche, die Nachhaltigkeit befördern könnten. Zugleich hätten Syndrome den Vorteil der Problemorientierung. Er schlägt auch einige neue Syndrome vor, u. a. das Bumerang-Syndrom, das Popper-Syndrom und das Externalisierungs-Syndrom. Eine weitere Möglichkeit, das HGF-Projekt unverwechselbar zu machen, sieht er in der Verknüpfung der Nachhaltigkeitsthematik mit der Technikfolgenabschätzung, insbesondere der rationalen Technikfolgenbeurteilung, deren Proponent Armin Grunwald zugleich verantwortlich für das HGF-Projekt sei. Somit könne sich diese dann in der rauen Wirklichkeit bewähren. Anschließend geht Michael Jischa noch auf die inflationäre Benutzung des Begriffs nachhaltige Entwicklung ein. Angesichts der gegenwärtigen Entwicklung bezüglich ökologischer Problemlagen und des Bevölkerungswachstums schließt er sich Meadows an, dass es eigentlich nur noch um »Survival Development« gehe.

Hans-Jürgen Harborth beschäftigt sich in seinem Diskussionsbeitrag »Zum Postulat der Gleichrangigkeit ökologischer, ökonomischer und sozialer Zielsetzungen« mit der Frage, wie die HGF-Projektgruppe in ihrem integrativen Konzept mit der propagierten Gleichrangigkeit der Dimensionen mit Zielkonflikten umgehen könne. Es gebe sicher Fälle von Zielharmonien bzw. Win-Win-Konstellationen, und seiner Meinung nach nicht wenige. Eine Möglichkeit wäre, sich auf diese zu konzentrieren; aber nicht Zielharmonien, sondern Zielkonflikte seien, wie auch das Projektteam hervorhebe, eher der Regelfall. Das Postulat der Gleichgewichtigkeit aller Zielsetzungen sei aber im Falle von Zielkonflikten nicht umsetzbar, denn es gebe keine vernünftige Möglichkeit, kompromissbedingte Zielabstriche zu quantifizieren, um diese zur Entscheidungsgrundlage zu machen. Der Vorschlag der Projektgruppe, eine Hierarchie von Mindestanforderungen zu entwickeln und diese in Konfliktfällen als Entscheidungshilfen zu verwenden, sei ein lohnendes, aber auch ein schwieriges Unterfangen. Dieser Weg sei möglicherweise auch nicht gangbar, so dass man auch weiterhin auf das aus der Jurisprudenz bekannte Verfahren der Güterabwägung zurückgreifen müsse.

Karl-Werner Brand bestätigt in seinem Diskussionsbeitrag »Probleme eines normativ-deduktiven Ansatzes - Anmerkungen zum HGF-Projekt ›Global zukunftsfähige Entwicklung - Perspektiven für Deutschland‹« den Ansatz des HGF-Projekts vor dem Hintergrund dreier forschungsstrategischen Kontroversen,

In Bezug auf die erste Kontroverse verfolge das HGF-Projekt primär ein normativ-deduktives Vorgehen. Er sieht bei einem solchen Ansatz die Gefahr, dass die Forschung auf der multidisziplinären Ebene verbleibt und deren Ergebnisse nur additiv miteinander verknüpft werden können. Seiner Ansicht nach reduziert die Problemorientierung die Komplexität und ist eine wesentliche Voraussetzung für eine inter- und transdisziplinäre Organisation des Forschungsprozesses, allerdings nutze das HGF-Projekt im weiteren Verlauf auch das komplexitätsreduzierende Potential der Problemorientierung. Generell sieht er aber hier für das HGF-Projekt noch konzeptionell-methodischen Präzisierungsbedarf. Bezüglich der zweiten Kontroverse ordnet er den HGF-Ansatz als primär top-down ein. Das Verhältnis von Top-down- und Bottom-up-Ansatz betreffe im wesentlichen die Partizipation gesellschaftlicher Gruppen in der Formulierung von Nachhaltigkeitszielen, Indikatoren, Aktionsplänen und Umsetzungsstrategien. Bei einem Top-down-Ansatz befürchtet er Probleme auf der Akzeptanz- und Umsetzungsebene. Die im HGF-Projekt vorgesehene Einbindung gesellschaftlicher Akteure sei vergleichsweise marginal und man müsse klar sehen, dass in diesem Rahmen kein auf unterschiedliche Handlungskontexte zugeschnittenes Handlungs- oder Transformationswissen erarbeitet werden könne, sondern allenfalls ein Wissen über generelle Handlungsoptionen. Bezüglich der dritten Kontroverse ordnet er den HGF-Ansatz als politisches Konkurrenzmodell ein, bei dem von einer bestimmten Interpretation von Nachhaltigkeit ausgegangen wird, die operationalisiert und dann sowohl im diskursiven Feld als auch im politischen Handlungsfeld durchzusetzen versucht wird. Die im Projekt vorgesehenen Diskurse und Panels seien nicht auf das Ziel ausgerichtet, gemeinsame Nachhaltigkeitskriterien und Handlungsziele konsensual auszuhandeln, sondern darauf, die entwickelten Vorgaben in dieser Hinsicht kritisch kommentieren zu lassen und sich im Nachhaltigkeitsdiskurs zu positionieren. Er ist aber der Ansicht, dass die Pluralität verschiedener Positionen im Nachhaltigkeitsdiskurs auf der reflexiven Ebene in das Projekt eingebunden werden könne und solle, damit nicht nur Handlungswissen für eine Position, sondern »wirkliches« Orientierungswissen für das heterogen strukturierte Feld der Nachhaltigkeitsdebatte produziert werde. Das HGF-Projekt solle diese Chance nutzen.

Der Tagungsband - das hofft der Herausgeber mit seiner Einführung deutlich gemacht zu haben - bietet einen guten Einblick in die politischen und wissenschaftlichen Herausforderungen und die noch zu lösenden konzeptionell-methodischen Probleme, denen sich die Global Change-Forschung stellen muss.

Der Herausgeber möchte abschließend den Autoren für ihre Bereitschaft danken, ihre Beiträge für diese Veröffentlichung zu überarbeiten. Ein besonderer Dank gilt Sylke Wintzer. Sie hat es auf das beste verstanden, die unterschiedlichen Textvorlagen unter Berücksichtigung zahlreicher Anforderungen und Wünsche zu bearbeiten und dabei manche Klippe mit Geduld und Einfallsreichtum zu umschiffen.


Kontakt:

Reinhard Coenen
Forschungszentrum Karlsruhe
Institut für Technikfolgenabschätzung
und Systemanalyse (ITAS)
Postfach 3640
D-76021 Karlsruhe
   oder
Hermann-von-Helmholtz-Platz 1
D-76344 Eggenstein-Leopoldshafen

Tel.: +49 (0) 721 / 608 - 22509
Fax: +49 (0) 721 / 608 - 24806

Internet: Homepage von Reinhard Coenen



Stand: 28.11.2001 - Kommentare und Bemerkungen an:     Reinhard Coenen