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Elektronische Kommunikation im Projekt Elektronische Zahlungssysteme (PEZ) - Auswertung zum Diskussionsforum EZI-L und Dokumentation des Newsletters EZI-N

Ulrich Riehm und Knud Böhle
Karlsruhe: Forschungszentrum Karlsruhe
(Wissenschaftliche Berichte FZKA 6207, Juli 1999)


Teil 1: Auswertung zum Diskussionsforum EZI-L

1   "E-Mail-Listen" als Gegenstand der Forschung

Was liegt näher, als im Rahmen eines Forschungsprojektes über den elektronischen Handel und über elektronische Zahlungssysteme im Internet, das Internet auch selbst als Kommunikationsmedium zu nutzen. Erfahrungen mit E-Mail-Listen aus dem angelsächsischen und deutschsprachigen Raum zeigen, daß solche "Listen" für den schnellen Informationsaustausch, für die Klärung von Sachverhalten, aber auch für eine tiefergehende argumentative Diskussion durchaus nützlich sein können. [1] Im Rahmen unseres Projektes (PEZ, Projekt elektronische Zahlungssysteme im Internet) reiften entsprechende Überlegungen zum Einsatz des Internets als Kommunikationsmediums im Laufe des Jahres 1997 und wurden im Oktober 1997 mit der Etablierung der E-Mail-Liste EZI-L (Elektronische Zahlungssysteme im Internet - Liste) in die Tat umgesetzt. EZI-L (mit dem Newsletter EZI-N) wurde so zum integralen Bestandteil des Forschungsprojektes.

In diesem Teil des vorliegenden Berichts werden die Erfahrungen mit diesem neuen Element ausgewertet und reflektiert. In der retrospektiven Analyse der Entwicklung von EZI-L fragen wir nach dem Charakter der entstandenen Kommunikation und der Bedeutung, die eine solche Liste im Rahmen eines Projektes zur Technikfolgenabschätzung (TA) haben kann.

Analysen von E-Mail-Listen gibt es bereits in größerem Umfang. [2] Auf drei Studien aus dem deutschsprachigen Raum aus jüngster Zeit gehen wir zunächst kurz ein, um die verschiedenen methodischen und inhaltlichen Zugänge aufzuzeigen und in diesem Kontext den eigenen Ansatz zu verdeutlichen.

Bei Hofmann [3] steht eine methodische Frage im Vordergrund. Welche Einsichten vermittelt die teilnehmende Beobachtung einer E-Mail-Liste für die Rekonstruktion einer Gruppenkommunikation im Vergleich zum retrospektiven und qualitativen Interview? Hofmann untersucht diese Frage am Beispiel der E-Mail-Liste "IPng". IPng (was für "Internet Protocol next generation" steht) ist die E-Mail-Liste der gleichnamigen Arbeitsgruppe der Internet Engineering Task Force (IETF). Die E-Mail-Liste schafft den Arbeits- und Kommunikationszusammenhang für diese Gruppe zwischen den gewöhnlich vierteljährlich stattfindenden Tagungen. Dies markiert sogleich einen Unterschied zu EZI-L, die als offene Diskussionsliste weder eine institutionelle Einbindung kennt noch einem verbindlichen Arbeitsauftrag verpflichtet ist. Hofmann liefert mit ihrer Analyse neben einer Antwort auf die methodische Frage gleichzeitig ein interessantes Beispiel für die "Technikgenese" von Internet-Standards. Die Teilnahme an einer E-Mail-Liste eröffnet wertvolle und neue Sichtweisen auf die Gruppenkommunikation. Die Möglichkeit "teilnehmender Beobachtung" (ohne sichtbare Präsenz, das sogenannte "Lurking") läßt in "real-time" die sich entwickelnde "mäandernde" Debatte nachvollziehen, während demgegenüber im qualitativen Interview eher die selektive Rekonstruktion eines Beteiligten (oder auch einer Gruppe von Beteiligten) präsentiert wird, und der Interviewte auf den arrangierten Charakter der Interviewsituation in seinen Äußerungen reagiert. Hofmann behauptet nicht, daß E-Mail-Listen als Datenquelle anderen Quellen überlegen wären. "Die Differenz zwischen den beiden Fenstern (E-Mail-Liste und Interview, d. Verf.) auf die Binnenwelt des Internet liegt nicht in ihrer Abbildungstreue, sondern in der Art und Weise, wie sie die Wirklichkeit repräsentieren". Interviewaussagen heben eher kausale Zusammenhänge zwischen Sachverhalten hervor und bieten damit Antworten auf "Warum-Fragen" an, während die Analyse der Kommunikation von E-Mail-Listen, so Hofmann, eher Antworten auf phänomenologisch inspirierte Fragen nach dem "Wie" erlaubt. Beide Methoden verhalten sich demnach komplementär zueinander.

GIR-L ist die E-Mail-Liste der Online- und Internetforscher in Deutchland (German Internet Research-List). Im Beitrag von Bosnjak u.a. [4] geht es um die Teilnehmerinnen und Teilnehmer an GIR-L sowie um die dort stattfindende Kommunikation und deren Bewertung. Die Autoren bedienen sich, anders als Hofmann, der Methode der Befragung. [5] Diese Befragung beinhaltet einen Teil zur soziodemographischen Zusammensetzung der Listenteilnehmer, einen Teil zum Interesse an der Online-Forschung und einen Teil zu den Nutzungsformen der E-Mail-Liste und ihrer Einschätzung durch die Befragten. Es zeigte sich dabei u.a., daß nur 20 Prozent der Befragten alle Beiträge der Liste lesen, während die Übrigen die Beiträge nur mehr oder weniger selektiv verfolgen. Unter den Befragten, die vermutlich eine besonders motivierte und interessierte Gruppe der Teilnehmer der Liste insgesamt darstellen, hatten 57 Prozent selbst auf Beiträge anderer geantwortet und 30 Prozent hatten selbst eigene Themen in die Liste eingebracht ("gepostet", wie es im Jargon gelegentlich heißt).

Stegbauer und Rausch [6] wiederum wählen methodisch einen dritten Ansatz. Statt teilnehmender, qualitativer Analyse oder Befragung verwenden sie die formalen Daten der "E-Mail-Header", die im Mail-Server gespeichert werden, und unterziehen diese einer sogenannten Blockmodellanalyse [7] . Sie beanspruchen damit, Neuland in der Analyse von Beziehungsstrukturen zu betreten. Inhaltlich sind sie interessiert an den kommunikativen Beziehungen der Beteiligten. Eines ihrer Ergebnisse ist, daß im Gegensatz zur formalen Gleichheit der Teilnehmer keine gleichverteilte Kommunikation stattfindet, sondern "Multiloge" (in Anlehnung an Monolog und Dialog; Tuttilog müßte dann wohl die gleichverteilte Kommunikation genannt werden) innerhalb gut abgrenzbarer Kommunikationsblöcke. Die These von der Aufhebung des Raums in der computervermittelten Kommunikation stellen sie in Frage, nachdem deutlich wurde, daß geographische Herkunft ein nicht unbedeutender Faktor für die Bildung der Kommunikationsblöcke darstellt.

In der hier vorgelegten Untersuchung von EZI-L werden ebenfalls die formalen Daten des "E-Mail-Header" verwendet, allerdings ergänzt um einen vierten methodischen Ansatz (neben teilnehmender Beobachtung, Befragung und "E-Mail-Header"-Analyse), nämlich der Inhaltsanalyse der einzelnen Beiträge. Inhaltlich richtet sich das Interesse auf die Entwicklung der Teilnehmerschaft und ihrer Aktivität und auf die Art der Beiträge und ihre Vernetzung. Das geht teilweise über die ähnlich gelagerten Fragestellungen bei Bosnjak u.a. sowie Stegbauer und Rausch hinaus, verzichtet aber auf die bewertende Einschätzung der Liste durch eine Teilnehmerbefragung wie bei Bosnjak u.a. und die spezifische Ausrichtung auf Beziehungsnetze bei Stegbauer und Rausch.

Über die kommunikationswissenschaftlich orientierte, an der Qualität der Kommunikation in EZI-L interessierten Untersuchungen hinaus, die im nächsten Kapitel ausgebreitet wird, werden in weiteren Kapiteln praktische Erfahrungen im "Management" einer solchen Liste behandelt und der Stellenwert einer E-Mail-Liste im Kontext eines Projektes zur Technikfolgenabschätzung diskutiert.

[1] Man denke etwa an das "Netzforum" ( http://duplox.wz-berlin.de/netzforum ), initiiert durch das WZB (Wissenschaftszentrum Berlin) im Jahr 1994, das seine "Blütezeit" 1995 und 1996 hatte (vgl. Helmers u.a.: Internet... The Final Frontier: Eine Ethnographie. Berlin: 1998, mit CD-ROM, auf der sich auch das Archiv des Netzforums befindet), oder "GIR-L" (German Internet Research-List), die Liste der Online- und Internetforscher in Deutschland ( http://www.online-forschung.de/ , Archiv: http://infosoc.uni-koeln.de/archives/gir-l/index.html ).

[2] Diese Studien gehören in den übergreifenden Forschungsbereich über "Computer Mediated Communication" (kurz: CMC), der sich in den letzten Jahren, nicht zuletzt angeregt durch die Entwicklungen im Internet, etabliert und verbreitet hat. In Riehm: Erfahrung mit der Telekooperation im MISP-Projekt "Telearbeit". In: Zwierlein, E.; Isenmann, R. (Hrsg.): Virtuelle Welten und Teleworking. Aachen: 1998, S. 181-203 werden einige Hinweise auf diese Literatur gegeben. Dort werden auch Erfahrungen im Rahmen eines universitären Seminars, das Mail- und Chatkommunikation mit einbezog, ausgewertet.

[3] Hofmann: "Let A Thousand Proposal Bloom" - Mailinglisten als Forschungsquelle. In: Batinic, B.; Werner, A.; Gräf, L.; Bandilla, W. (Hrsg.): Online Research. Göttingen: 1999, S. 179-199 (hier zitiert nach der CD-ROM-Fassung in Helmers u.a.: Internet... The Final Frontier: Eine Ethnographie. Berlin: WZB 1998)

[4] Bosnjak u.a.: Online-Forschung im deutschsprachigen Raum. Erste Ergebnisse einer Umfrage unter Mitgliedern der ‚German Internet Research' Mailingliste. Mannheim: 1998

[5] Daß die Befragung online (d.h. mit Hilfe eines Fragebogens im WWW) durchgeführt wurde und methodische Aspekte einer Online-Befragung (z.B. Rücklauf nach Mahnungen) ebenfalls eine Rolle spielten, sei hier nur der Vollständigkeit halber erwähnt.

[6] Stegbauer und Rausch: Die Konstitution sozialer Netzwerke durch Threads. In: Batinic, B.; Werner, A.; Gräf, L.; Bandilla, W. (Hrsg.): Online Research. Göttingen: 1999, S. 201-212. Vergleiche hierzu auch Wingert: GOR '98 Tagungsbericht. 1999. Offensichtlich unterscheidet sich der mündliche Vortrag auf der Tagung und der Beitrag für den Tagungsband von Stegbauer und Rausch in seiner thematischen Ausrichtung deutlich. Im mündlichen Vortrag ging es um die Bedingungen, unter denen "Lurker" zu aktiven Teilnehmern werden.

[7] Um das Verfahren nur kurz anzudeuten: die durch einen "Thread" (Thema einer Folge von Beiträgen an die Liste) gestiftete Kommunikationsstruktur wird in paarweise Beziehungen aufgelöst und diese in eine Matrix eingetragen. Diese Matrix wird nach der Theorie der Blockmodellanalyse so umsortiert, daß strukturell ähnliche Akteure blockweise zusammengefaßt werden.


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Stand: 09.03.2000 - Kommentare und Bemerkungen an: ulrich.riehm@kit.edu