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Einleitung

Reinhard Coenen, Thomas Petermann
Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS),
Forschungszentrum Karlsruhe

Dieser Band der Schriftenreihe des Instituts für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) enthält die Reden und wissenschaftlichen Vorträge der Tagung »25 Jahre Technikfolgenabschätzung in Deutschland«, die am 17. und 18. Juni 1998 im Wissenschaftszentrum Bonn stattfand.

Der Anlaß der Tagung war ein doppelter: Zum einen begann im Jahre 1973 mit einer parlamentarischen Initiative zur Errichtung eines Parlamentarischen Amtes zur Bewertung technologischer Entwicklungen durch die damalige Oppositionsfraktion CDU / CSU eine intensive Debatte zur Institutionalisierung der Technikfolgenabschätzung in Deutschland. Zum anderen war Anlaß der 65. Geburtstag von Professor Herbert Paschen, der in diesem Jahr vom Deutschen Bundestag mit der Erstellung eines Gutachtens zur Institutionalisierung der TA beauftragt wurde und der damit - und in der Folge - entscheidende Impulse für die Entwicklung der TA in Deutschland gegeben hat. Ziel der Tagung war es, eine Bilanz von 25 Jahren TA zu ziehen sowie einen Ausblick auf zukünftige Herausforderungen bei der gesellschaftlichen Gestaltung der wissenschaftlich-technischen Entwicklung zu versuchen.

Die Rednerliste vereinte deutsche und ausländische Weggefährten von Professor Paschen; deren Beiträge und die Diskussionen demonstrierten eindrucksvoll die Interdisziplinarität der Technikfolgenabschätzung. So hob Professor Jischa in seinem Vortrag hervor, daß es neben der TA kein Wissenschaftsgebiet gebe, in dem Vertreter der »Zwei Kulturen«, der Natur- und Ingenieurwissenschaften einerseits sowie der Geistes- und Gesellschaftswissenschaften andererseits, auf eine so selbstverständliche Weise und ohne grundsätzliche Dialogprobleme auf einer Tagung zusammenkämen.

Ausführlich würdigten alle Referenten die Lebensleistung von Prof. Paschen. Mit seinem Namen sei die erfolgreiche Entwicklung der Technikfolgenabschätzung in Deutschland, aber auch in Europa, eng verbunden, betonte Bernd Neumann (MdB), Frau Bundesministerin Edelgard Bulmahn würdigte die erfolgreiche Rolle des von Prof. Paschen - als besondere Einheit des ITAS - geleiteten Büros für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag in der Politikberatung. Ihm ist deshalb auch dieses Buch gewidmet, durch dessen Inhalt dieses Vorwort den Leser leiten möchte.

In ihren Beiträgen in Teil I, »Technikgestaltung als Zukunftsaufgabe«, heben sowohl Edelgard Bulmahn als auch Bernd Neumann hervor, daß die Technikfolgenabschätzung in Deutschland ein wichtiges Instrument der Politikberatung sei, auf das die Politik weder verzichten könne noch verzichten wolle. Ihre Bedeutung werde aufgrund der Tatsache noch wachsen, daß Forschung und Technologie zunehmend ins Zentrum der Zukunftsgestaltung rückten - TA werde dadurch zum einem wichtigen Instrument der gesellschaftlichen Innovationspolitik. Frau Bulmahn vergleicht die Technikfolgenabschätzung dabei mit einer Brille, die sich der von Geburt an leicht kurzsichtige Mensch nicht nur deshalb aufsetzt, um die Gefahren des Weges, die Steine und Fallen besser zu erkennen, sondern auch, um eine bessere Alternative zu ergreifen, wenn sich eine solche bietet. Bernd Neumann sieht in der Technikfolgenabschätzung ein Navigationsinstrument, um zwischen einem naiven Fortschrittsoptimismus auf der einen Seite und einem ebenso naiven wie fragwürdigen Kultur- und Technikpessimismus auf der anderen Seite den richtigen Kurs zu finden. Frau Bulmahn sieht aber nicht nur die Politik als Adressaten der TA, sondern plädiert dafür, daß auch die Universitäten und Hochschulen und die Industrie sich ihr stärker öffnen sollten. Weiterhin hebt sie die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern sowie Verbraucherinnen und Verbrauchern in TA-Prozessen hervor. Prof. Popp weist in seinem Geleitwort auf eine weitere Rolle für die TA hin: Sie sei nicht nur Instrument der Politikberatung, sondern auch ein Instrument des wissenschaftsinternen Suchprozesses zum Aufspüren neuer Chancen und zum Aufzeigen damit verbundener Risiken.

Klaus Henning, als Vertreter des VDI, hebt in seinem Beitrag »Gute Technikbewertung ist Technikgestaltung von morgen« hervor, daß Technik primär von Ingenieuren gestaltet wird und daß deshalb Technikbewertung, die ohne Ingenieure durchgeführt wird, keinen Sinn macht und wenig Wirkung hat. Dies ändere aber nichts an der Notwendigkeit, TA als interdisziplinären Prozeß zwischen Natur- und Ingenieurwissenschaften und Geistes- und Sozialwissenschaften zu organisieren, wie dies im Rahmen der Arbeit des VDI auch der Fall sei. Er sieht allerdings in der zunehmenden Delegierung von TA in Akademien und außeruniversitäre Forschungsinstitute die Gefahr der Entfernung von der Praxis. Für die Technikgestaltung der Zukkunft fordert er ein neues Denken, das sich an verschiedenen strategischen Prinzipien orientieren sollte, u.a. den Prinzipien der zukünftigen Veränderbarkeit, der rückgekoppelten Systeme, der wegsparenden Technologien. Als zukünftige Anforderungen für Technikgestaltung und -bewertung postuliert er ein neues Verständnis vom inhaltlichen Prozeß der Technikgestaltung als soziotechnische Systemgestaltung, von der Ingenieurarbeit als interdisziplinär orientierte Gestaltung komplexer Systeme und von Organisationsformen der Technikbewertung, die Kommunikation und Konsensfindung ermöglichen sowie die Notwendigkeit einer integrativen Konzeption von Forschungs-, Technologie- und Bildungspolitik.

Ruud Smits von der Universität Utrecht, Niederlande, geht zunächst auf den Wandel der Technikfolgenabschätzung ein. Sie habe sich von der Rolle des ›Wachhundes‹ in den 70er Jahren mit dem Anliegen, auf Langzeit- und insbesondere negative Folgen der Technik hinzuweisen, emanzipiert und weiterentwickelt zu der Rolle des »Spürhundes«, der herauszufinden versucht, wie neue Technologien wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Zielen dienen können. Diesen Wandel sieht er parallel zu Veränderungen in der Innovationspolitik, weg von einem angebotsorientierten hin zu einem nachfrageorientierten Ansatz, der durch TA in besonderem Maße unterstützt werden kann. Die europäische Krankheit, zwar wissenschaftlich-technisch hervorragende Optionen entwickelt zu haben, diese aber nicht in erfolgreiche Produkte und Dienstleistungen umgesetzt zu haben, führt er auf die Dominanz angebotsorientierter Innovationspolitik in vielen Ländern Europas zurück. Seiner Ansicht nach hat TA im Innovationssystem eine wichtige Funktion als Mittler zwischen den am Innovationsprozeß Beteiligten, indem sie Informationen darüber bereitstellt, »was möglich ist« (Angebotsseite) und »was nötig ist« (Nachfrageseite) und damit einen wertvollen Beitrag zum Brückenschlag zwischen Angebot und Nachfrage leistet. Unentbehrlicherweise aber sei es auch ihre Aufgabe, die Konsequenzen von technologischen Optionen auf Arbeitsmarkt, Umwelt und Gesellschaft zu analysieren. Schließlich hebt er hervor, daß nationale Innovationssysteme länderspezifische Unterschiede aufweisen, die sich in Unterschieden in den jeweiligen nationalen TA-Konzepten, TA-Institutionalisierungsformen und TA-Inhalten widerspiegeln; eine gesunde Vielfalt, so Ruud Smits, die nicht nur für die Vitalität und Kreativität der TA von Bedeutung sei, sondern auch dazu beitragen könne, die Wirksamkeit von TA in den einzelnen Ländern zu erhöhen.

In Teil II, »TA in internationaler Perspektive«, stellt Joseph F. Coates, einer der Begründer und Pioniere der TA , die seiner Ansicht nach desaströse Situation der TA in den USA nach der Schließung des Office of Technology Assessment (OTA) des amerikanischen Kongresses dar. Nach seiner Analyse haben zur Schließung des OTA keine Gründe geführt, die mit seiner sehr erfolgreichen und kompetenten Arbeit zu tun gehabt haben, sondern vielmehr der Aktionismus einer politisch unerfahrenen, auf Deregulierung und Reduzierung des Staatseinflusses bedachten neuen republikanischen Mehrheit im Kongreß. Coates sieht angesichts neuer komplexer technologischen Entwicklungen weiterhin einen hohen Bedarf an wissenschaftlich fundierten Beratungsdienstleistungen der Art, wie sie vom OTA erbracht wurden, aber von anderen Serviceeinrichtungen des Kongresses nicht geleistet werden können. Er hält es deshalb für nicht ausgeschlossen, daß das OTA wieder neu ins Leben gerufen wird. Dabei ist anzumerken, daß das OTA rechtlich gesehen nicht aufgelöst, sondern nur dessen Finanzierung eingestellt wurde. Coates beschäftigt sich dann mit verwandten Analyse-Konzepten, dem Social Impact Assessment und dem Environmental Impact Assessment, die er als partielle TA charakterisiert. Während das Social Impact Assessment in den USA ebenfalls eine Schattenrolle spiele, sei das Environmental Impact Assessment zu einem rechtlichen und zum Teil wirkungsvollen Standardinstrument gereift. Initiativen ehemaliger OTA-Mitarbeiter eine private TA-Einrichtung, das Institute for Technology Assessment (ITA) zu gründen, müßten als gescheitert angesehen werden; die Technikfolgenabschätzung, so Coates in seinem Resümee, sei in den USA auf dem Tiefstand, westeuropäische Staaten und Kanada hätten längst die Führung übernommen.

Josée van Eijndhoven, die Leiterin des Rathenau-Instituut, der parlamentarischen TA-Einrichtung der Niederlande, erinnert daran, daß der TA-Ansatz des OTA - die umfassende, unparteiische und wissenschaftlichen Ansprüchen genügende Analyse und die Entwicklung von politischen bzw. technologischen Optionen unter Einbeziehung aller Interessengruppen - zunächst einen starken Einfluß auf die TA in Europa, insbesondere auf die parlamentarische TA, gehabt habe; in der Folge hätten sich aber eigenständige Ansätze und Ausprägungen entwickelt. Das TAB kommt nach Josée van Eijndhoven dem analytisch orientierten Ansatz des OTA noch am nächsten, während insbesondere in den Niederlanden und Dänemark Interaktion und öffentliche Debatte zu einem relativ wichtigen Bestandteil von Technikfolgenabschätzung geworden seien. Die Differenzierungen und Diversifizierungen führt sie auf länderspezifische politisch-kulturelle Unterschiede der internationalen TA-Szene, aber auch auf die unterschiedlichen Erwartungen der verschiedenen Auftraggeber zurück.

Für Josée van Eijndhoven kann TA nicht als ein in erster Linie wissenschaftliches Unterfangen betrachtet werden, sondern ist zwischen Wissenschaft und Politik anzusiedeln. Das heißt ihrer Ansicht nach aber nicht, daß TA weniger strengen Qualitätsstandards zu unterwerfen sei, vielmehr müßten neben wissenschaftlichen Standards auch andere Qualitätskriterien angewendet werden, wie z. B. Angemessenheit, Effektivität und Legitimation. Weiterhin beschäftigt sie sich mit dem Prozeßcharakter der TA und der Art der Probleme, denen sich TA gegenüber sehen kann. Bei gut strukturierten Problemen sei das klassische TA-Muster adäquat, aber bei sehr vielen zentralen politischen Problemen handele es sich um schlecht strukturierte Probleme, die gekennzeichnet seien durch Komplexität, Unsicherheit, Polarisierung und unterschiedliche Wahrnehmung. Der TA-Prozeß müsse deshalb sehr sensibel sein und weniger vorgefertigte wissenschaftliche Lösungen, sondern eher Klarstellungen der Positionen im politischen Diskurs herausarbeiten. TA solle sich deshalb nicht auf die Problemlösung konzentrieren, sondern vielmehr auf den Prozeß, der hinter der Problemstellung bzw. Problemdefinition steckt. Den derzeitigen Stand der parlamentarischen TA sieht sie als noch nicht ausgereift an; auch fehle es noch an einer vertieften Reflexion über die Erfolgsfaktoren von TA, damit diese auch die nächsten 25 Jahre erfolgreich überleben könne.

Herbert Paschen, Leiter des Büros für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag und bis 1998 Leiter des Instituts für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse, setzt sich in seinem Beitrag mit der Entwicklung der TA seit ihren Anfängen in den späten 60er Jahren auseinander. Auch er arbeitet heraus, wie sich das TA-Verständnis seitdem gewandelt hat. Das frühe TA-Konzept, auch als klassisch oder traditionell bezeichnet, mit seinem in der Praxis nicht gänzlich einzuhaltenden Anspruch auf systematische, umfassende und antizipative Analyse, insbesondere der unbeabsichtigten, negativen und langfristigen Folgen von Technologien, habe als Gesamtkonzept nie größere praktische Bedeutung erlangt; schon das OTA habe sich hiervon rasch abgesetzt. Der bis heute anhaltende Prozeß der Umorientierung und Modifizierung des TA-Konzepts hat nach seiner Einschätzung zu einigen wichtigen Konsequenzen geführt, die das moderne Verständnis von TA prägen: Frühwarnung (Wachhundfunktion) und Chancenauslotung (Spürhundfunktion) sind gleichrangige Aufgaben von TA; gesellschaftliche Probleme, Bedürfnisse und Erwartungen bilden zunehmend den Ausgangspunkt von TA; immer komplexer werdende Technologien erfordern, TA als Prozeß zu organisieren; die Beteiligung betroffener und interessierter Bevölkerungsgruppen und sogar der allgemeinen Öffentlichkeit kann sowohl die kognitive Grundlage wie auch die Legitimität von TA stärken; Technikfolgenabschätzungen stellen wertsensible Analysen dar, deren Ergebnisse von subjektiven Einschätzungen der TA-Analytiker, der Auftraggeber und anderer am TA-Prozeß beteiligten Akteure geprägt sind. Diese Dimensionen werden nach Paschen von der großen Mehrheit der TA-Community geteilt, auch wenn durch Etikettierung wie konstruktive, partizipative oder innovationsorientierte TA einige der Elemente des modernen TA-Verständnis in den Vordergrund gerückt werden.

Anschließend illustriert Herbert Paschen, wie TA in einem spezifischen Kontext, dem von ihm geleiteten Büro für Technikfolgenabschätzung des Deutschen Bundestags, umgesetzt wird, und illustriert an diesem Beispiel, daß die jeweiligen Kontexte und Rezeptionsbedingungen spezifische Anpassungen bzw. Einschränkungen des TA-Konzepts erforderlich machen. Des weiteren beschäftigt er sich mit der politikberatenden Technikfolgenabschätzung in Deutschland und setzt sich mit der Kritik an ihr auseinander; die Dominanz der politikberatenden Technikfolgenabschätzung führt er auf die große Bedeutung indirekter staatlicher Steuerungsmöglichkeit im Bereich der technologischen Entwicklung und Innovation zurück. Wiederum am Beispiel des TAB diskutiert er die Nutzung und Wirkung von politikberatender Technikfolgenabschätzung anhand von Projekten, wobei bei einigen eine mehr oder weniger direkte Nutzung der Ergebnisse nachweisbar ist, während bei anderen indirekte oder konzeptionelle Nutzungen wahrscheinlich erfolgt sind, aber kaum exakt erfaßbar sind. Insgesamt betrachtet er die Erfolgsbilanz des TAB als zufriedenstellend, aber auch als verbesserungsfähig, eine Bewertung, die seiner Meinung nach auch auf die anderen in Europa etablierten parlamentarischen TA-Einrichtungen zutrifft.

Paschen benennt zwei prioritäre zukünftige Aufgabenstellungen für die TA: zum einen die Abschätzung und Bewertung von Potentialen, die technologischen Innovationen in Kombination mit sozio-ökonomischen und organisatorisch-institutionellen Innovationen zur Erreichung der ökologischen, ökonomischen und sozialen Ziele einer nachhaltigen Entwicklung bieten, sowie zum anderen die stärkere Beschäftigung mit grenzüberschreitenden Themen, die infolge der Globalisierung und der Verlagerung von Regulierungszuständigkeiten auf supranationalen Ebenen immer bedeutsamer werden. Schließlich plädiert er für ein Ende der in Deutschland geführten Grabenkämpfe zwischen den verschiedenen konzeptionellen Richtungen, da er die unterschiedlichen Ansätze eher als komplementär denn als konkurrierend betrachtet. Es seien gemeinsame Anstrengungen der TA-Community erforderlich, um einen Beitrag zur Umsetzung des Leitbildes einer nachhaltigen Entwicklung zu leisten.

In Teil III, »Konzepte, Verfahren und Anwendungsfelder der Technikfolgeabschätzung«, beschäftigen sich Meinolf Dierkes und Katrin Hähner vom Wissenschaftszentrum Berlin zunächst mit den gesellschaftlichen Hintergründen, die zur Entstehung eines Bedarfs an Techniksteuerung und Technikfolgenabschätzung führten, nämlich mit dem Übergang von der Technikbegeisterung Ende der 60er Jahre zu einer ambivalenten Haltung gegenüber der Technik in den 70er Jahren, die zu Technikakzeptanzproblemen führte. Sie deuten diese aber nicht in erster Linie als generellen Verlust des Vertrauens in den wissenschaftlich-technischen Fortschritt, sondern als Vertrauensverlust gegenüber den sozialen Mechanismen der Techniksteuerung. Der Grund dafür, daß eine gesellschaftsbezogene Techniksteuerung überhaupt erforderlich ist, liegt für die Autoren in der unzulänglichen Steuerung durch marktliche oder politische Auswahlprozesse. Die Entwicklung der TA in den 70er Jahren wird als der erste planvolle und zielbezogene Ansatz eingeordnet, diese Defizite zu kompensieren. Trotz aller Kritik an methodischen und konzeptionellen Schwächen der TA-Forschung und der Unmöglichkeit, die Zukunft exakt zu antizipieren, kommen sie zu dem Schluß, daß es im Grunde keine Wahlmöglichkeit für oder gegen Technikfolgenabschätzung gibt - vielmehr existiere ein Spektrum alternativer Ansätze, mit dem TA jeweils sach- und problemadäquat betrieben werden könne.

Die traditionelle TA-Forschung kann als eine Form harter, auf die Beherrschung von Technikfolgen abzielende Techniksteuerung eingeordnet werden, die aber an Grenzen stoße. Ohne die Notwendigkeit der traditionellen TA-Forschung zu leugnen, plädieren die Autoren deshalb dafür, diese durch komplementäre Ansätze der Techniksteuerung zu ergänzen. Einen Ansatz sehen sie in der Technikgeneseforschung, die sich der Erforschung jener Etappe technologischer Entwicklungen widmet, die von der Problemdefinition bis zum ersten verwertungsfähigen Produkt reicht und in der technische Entwicklungslinien gefördert, gestoppt, umgedeutet oder abgebrochen werden. Der technikgenetische Forschungsansatz geht davon aus, daß hauptsächlich vier Faktoren die Entwicklungen in der Phase der Technikgenese beeinflussen, nämlich Konstruktions- und Forschungstraditionen, Konstruktions- und Forschungsstile, Organisations- und Unternehmensstrukturen und nicht zuletzt allgemeine technische Leitbilder. Dierkes und Hähner sehen in der Technikgeneseforschung insofern einen komplementären Ansatz zur folgenbezogenen Techniksteuerung, als dieser darauf abzielt, unterschiedliche mögliche Entwicklungspfade zur Diskussion und damit zur Disposition der handelnden Akteure zu stellen.

Ortwin Renn beschäftigt sich in seinem Beitrag »Diskursive Verfahren der Technikfolgenabschätzung« damit, wie in der Technikfolgenabschätzung mit der prinzipiell nicht aufzuhebenden Ambivalenz und Unsicherheit bezüglich zukünftiger technologischer Entwicklungsrichtungen und ihrer Folgen umgegangen werden kann. Die Probleme der Ambivalenz und Unsicherheit betreffen seiner Auffassung nach sowohl die Technikfolgenforschung, die kognitive Basis der Technikfolgenabschätzung, als auch die Technikbewertung. Expertengeleitete TA als eine Ausprägung von Technokratie oder Expertokratie, die den Umgang mit Ambivalenz und Unsicherheit allein den Experten zuweist, sieht er dabei ebenso als inadäquaten Ansatz wie die dezisionistische oder klientenorientierte TA als Variante der expertengeleiteten TA, bei der die Wissenschaft für die Bereitstellung der harten Fakten zuständig sein soll und der Klient bzw. die demokratisch legitimierten Politiker für die Bewertung. Beide Ansätze stoßen aus verschiedenen Gründen, die Renn im einzelnen diskutiert, auf Kritik in der öffentlichen Wahrnehmung. Deshalb sind für ihn diskursive Prozesse bei der Wissenserfassung und der Wissensbewertung notwendig, in denen Sachfragen auf der Basis nachvollziehbarer Methodik geklärt, die Bewertungsfragen erörtert und die Handlungsfolgerungen konsistent abgeleitet werden müssen. Für die praktische Arbeit der TA unterscheidet er drei Diskurskategorien: den kognitiven Diskurs zur Klärung von Sachfragen, den Reflexionsdiskurs zur Interpretation von Sachverhalten vor dem Hintergrund unterschiedlicher Präferenzen und Werte sowie den Gestaltungsdiskurs zur Bewertung von Optionen bzw. Problemlösungswegen. Solche Diskurse, so Renn, können zwar Ambivalenz und Unsicherheit nicht aufheben, aber Technikanwendern und Technikbetroffenen deutlich machen, worauf man sich bei neuen Techniken einläßt und welche Potentiale sich damit eröffnen.

Carl Friedrich Gethmann geht es in seinem Beitrag »Die Rolle der Ethik in der Technikfolgenabschätzung« um die Integration der Ethik in die Fragestellung der Technikfolgenabschätzung. Eine solche Integration erfordere, daß sich die - seines Erachtens weitgehend soziologisch geprägte - TA ändern müsse, die in ihren Ansätzen durch eine naturalistische Handlungsdeutung geprägt sei, folglich ein präskriptives Defizit aufweise und im Skopus der Themenstellung auf das Ingenieurshandeln beschränkt sei. Nach einer kurzen Einführung in die Ethik als einer akademische Disziplin innerhalb der Philosophie entwickelt er dann Umrisse einer Ethik des technischen Handelns, die man in drei Schritten rekonstruieren kann: in der Beschreibung moralischer Konflikte, in der Erfindung und Rechtfertigung verallgemeinerbarer Normen und in der Konstruktion sozialer Institutionen, die die Befolgung dieser Regeln gewährleisten. Abschließend geht Gethmann noch auf eine grundlegende Diskrepanz zwischen soziologisch orientierter TA und der Ethik der Technik ein, die sich im Umgang mit utilitären und trans-utilitären Zwecken manifestiert. Während erstere - nach seiner Einschätzung - unter Einfluß der Ökonomie weithin Zweckhaftigkeit von Handlungen auf Nutzen reduziere, beharre die Ethik der Technik darauf, daß auch Zwecke, die weniger Nutzen als Kosten mit sich brächten, rechtfertigbar seien. Insofern sieht Gethmann die spezifische Leistung der Ethik der Technik darin, nicht nur utilitäre Zwecke zu erörtern, sondern auch über die Rechtfertigung trans-utilitärer Zwecke zu sprechen und damit die ausschließlich ökonomische Rationalität zu überwinden.

Thomas Petermann vom Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag setzt sich in seinem Beitrag »Technikfolgenabschätzung als Politikberatung« einleitend mit der Kritik an der politikberatenden TA auseinander, der schon oft das Ableben prophezeit worden sei. Einer der beliebtesten Kritiktopoi - TA als Expertenveranstaltung - impliziert dabei häufig die Forderung nach einem demokratisierten Prozeß der Technikbewertung. Petermann sieht keine überzeugenden Argumente dafür, wie eine demokratisierte Expertise in äquivalenter Weise die Problemidentifikations- und Problemlösungskompetenzen der Experten substituieren könne, wohl aber Möglichkeiten, neue Formen der politikbezogenen Kooperation von Experten mit Betroffenen, Interessenten und Entscheidungsträgern zu installieren. Im Hauptteil beschäftigt er sich mit Fragen der Umsetzung und Wirksamkeit von politikberatender TA, der oft Folgenlosigkeit vorgeworfen wird. Diese Aspekte seien aber nur sinnvoll vor dem Hintergrund der internen Strukturmerkmale wissenschaftlicher Politikberatung und ihrer Rahmenbedingungen zu diskutieren. Er tut dies in drei Schritten. Erstens analysiert er politikberatende TA als einen sozialen Prozeß zwischen zwei verschiedenen Kulturen, den Beratern und den politischen Entscheidungsträgern. Zweitens setzt er sich mit dem Steuerungsobjekt, den komplexen technologischen Innovationsprozessen, und der Möglichkeit, diese zu steuern, auseinander. Schließlich wendet er sich, drittens, der Frage der Adressaten bzw. des Steuerungssubjekts zu und diskutiert die Grenzen und zunehmend schwindenden Möglichkeiten staatlicher Steuerung und die daraus resultierenden neuen Kooperationsformen in der Steuerung des technischen Fortschritts zwischen Staat und gesellschaftlichen Akteuren. Angesichts der in allen drei Dimensionen erkennbaren Restriktionen der Idee von direkter, schneller und vollständiger Umsetzung von TA in praktisches Handelns, plädiert der Autor für mehr Realismus bei den Kritikern »folgenloser Folgenforschung«.

In seinem Resümee stellt er die wesentlichen Herausforderungen für die zukünftige Technologiepolitik (und die TA) heraus: Sie muß erstens die Bedeutung des gesellschaftlichen Kontextes für technologische Entwicklungsprozesse stärker berücksichtigen; notwendig ist ein Systemansatz und die Förderung des Innovationssystems als ganzes. Zweitens ist eine stärkere Kommunikation mit den Adressaten der FuE-Förderung, den anderen Akteuren des Innovationssystems und interessierten gesellschaftlichen Gruppen erforderlich. Drittens ist eine Vernetzung der Technologiepolitik mit anderen sektoralen Politiken notwendig bzw. sie sollte ein integriertes Element sektoraler Politiken sein, wie der Sozial-, der Bildungs-, der Umwelt-, Verkehrspolitik etc. Er sieht die moderne politikberatende TA als gut gerüstet an, um den Anforderungen von Kontextorientierung, Kommunikation, Partizipation und Vernetzung gerecht zu werden.

Michael Jischa von der TU Clausthal-Zillerfeld geht in seinem Beitrag »Technikfolgenabschätzung in Lehre und Forschung« zunächst der Frage nach, warum TA in den Ingenieurwissenschaften verankert werden muß. Dabei analysiert er die Debatte um Umwelt und Entwicklung von Ende der 60er Jahre bis zur UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung von 1992 (UNCED) in Rio und setzt sich mit der Interpretation des Leitbilds der nachhaltigen Entwicklung auseinander, das seiner Meinung nach wegen seiner Unbestimmtheit zwar höchst konsensfähig ist, aber von gesellschaftlichen Gruppen unterschiedlich interpretiert wird. Deshalb sei eine Konkretisierung des Leitbilds dringend erforderlich. Für die Ausbildung von Natur- und Ingenieurwissenschaftlern leitet er aus dem Leitbild die zielführende Frage ab: Wie kann Technik human-, sozial-, umwelt- und zukunftsverträglich gestaltet werden? Diese Herausforderung müsse Konsequenzen für die Lehrinhalte haben, und mit Verweis auf entsprechende Empfehlungen des VDI plädiert er dafür, der Vermittlung von Grundlagenwissen und fachübergreifendem Wissen in der Ingenieurausbildung mehr Gewicht einzuräumen. Im zweiten Abschnitt seines Beitrags, »Wie kann TA gelehrt werden?«, erläutert er exemplarisch, wie er an seiner Hochschule, diese Forderung in Lehrinhalte umsetzt. Die Frage »Welches sind TA-relevante Forschungsthemen?« wird von Jischa dahingehend beantwortet, daß TA bzw. die Technikbewertung einen wesentlichen Beitrag zur Operationalisierung des noch diffusen Leitbilds der nachhaltigen Entwicklung leisten muß, indem sie komplexe dynamische (ökologische, ökonomische, soziale) Systeme mit dem Ziel untersucht, Stabilitätsrisiken zu verringern. Daraus resultiert nach seiner Auffassung Forschungsbedarf insbesondere in den Feldern Nachhaltigkeitsindikatoren, Umgang mit unsicherem, unscharfem und Nichtwissen, (Weiter)entwicklung von Methoden und Instrumenten, Umgang mit Wertkonflikten und Simulation dynamischer Systeme. Jischa sieht in den wissenschaftlichen Bemühungen zur Operationalisierung des Leitbilds der nachhaltigen Entwicklung die Chance, die zwei Kulturen der Natur- und Ingenieurwissenschaften einerseits und der Sozial- und Geisteswissenschaften andererseits zusammenzuführen.

Frieder Meyer-Krahmer vom Fraunhofer-Institut für Systemtechnik und Innovationsforschung beschäftigt sich in seinem Beitrag »Technikfolgenabschätzung im Kontext von Innovationsdynamik und Globalisierung« mit der Frage der Globalisierung von Innovation und speziell mit der Internationalisierung von industrieller Forschung und Entwicklung sowie mit den Konsequenzen, die sich daraus für die staatliche Forschungs- und Technologiepolitik und für die TA ergeben. Zunächst erläutert er die neue Qualität der Internationalisierung, die mit dem Begriff »Globalisierung« belegt wurde und sich von der traditionellen Internationalisierung über den Außenhandel unterscheidet: Sie bestehe in grenzüberschreitenden Operationen von Unternehmen zur Ausgestaltung ihrer FuE, ihrer Produktion, ihres Bezugs von Vorleistungen, ihres Marketing und ihrer finanzwirtschaftlichen Aktivitäten. Dies führe dazu, daß sich global operierende Unternehmen kaum noch mit einem nationalen Etikett versehen lassen. Bei seiner Betrachtung der Internationalisierung von FuE und Innovation belegt Meyer-Krahmer mit empirischen Daten den gegenwärtigen Stand der Internationalisierung von FuE, zeigt globale Trends auf und beschäftigt sich mit den Einflußfaktoren und Motiven der Internationalisierung. Die führenden FuE betreibenden internationalen Unternehmen, so zeigt Meyer-Krahmer, verfolgen die Strategie, genau dort präsent zu sein, wo in ihrem Produktsegment bzw. Technologiefeld die weltweit besten Bedingungen für Innovations- und Wissensgenerierung erfüllt sind. Dabei spielen nicht nur das Umfeld für FuE, sondern auch andere Rahmenbedingungen eine Rolle: Standorte seien attraktiv in Regionen oder Ländern, in denen interessante Märkte, hochentwickelte Produktions- und Logistikstrukturen und exzellente Forschungsbedingungen zusammenfallen, so daß dort innovative Kernaktivitäten gebündelt werden können. Solche »Lead Markets« charakterisiert er durch bestimmte Eigenschaften und lenkt den Blick auf die Bedeutung nationaler Innovationssysteme. Eine moderne Forschungs- und Technologiepolitik müsse das ganze Innovationssystem im Blick haben und könne nicht nur in der finanziellen staatlichen Förderung bzw. Subventionierung von FuE bestehen, die zunehmend ihre Treffsicherheit verliere, da nicht sicher sei, ob sie am Standort einkommenswirksam werde. Auch die TA, so Meyer-Krahmer, müsse das Innovationssystem im Blickfeld haben, d.h. nicht nur die Technik, sondern darüber hinaus die marktmäßige, strategische, organisatorische, qualifikatorische, rechtliche und steuerliche Einbettung. Für TA ergäben sich daraus u.a. folgende Folgerungen: Ganzheitlichkeit sei gefragt, die Integration von technik- und probleminduzierter TA erforderlich, Multiakteurs- bzw. Gesellschaftsorientierung seien ebenso notwendig wie Internationalisierung und die Vernetzung verschiedener Communities, z.B. die der TA und des Technology Foresight.

Zur Abrundung des Bandes wurden in einem Anhang noch zwei Beiträge aufgenommen: eine quantitative Analyse der deutschen TA-Landschaft nach 25 Jahren TA in Deutschland sowie ein Beitrag, in dem die parlamentarischen TA-Einrichtungen in der EU mit ihren spezifischen Charakteristika wie rechtliche Grundlagen, organisatorische Einbettung, Finanzierung, Steuerungsarten und -gremien und Arbeitsweisen vorgestellt werden. Er verdeutlicht damit die schon im Beitrag von Josée van Eijndhoven angesprochene Vielfalt bzw. Unterschiedlichkeit der Institutionalisierungsformen der parlamentarischen TA.

Insgesamt belegen die Beiträge dieses Bandes aus verschiedenen Blickwinkeln die Entwicklung und Ausdifferenzierung der Technikfolgenabschätzung seit ihren Anfängen und damit auch ihre Produktivität als Leitbild. Gerade im Lichte weitreichender Ansprüche an einen kreativen und verträglichen Umgang von Gesellschaft und Politik mit der Technik, läßt sich Sinn und Notwendigkeit von TA nur schwerlich bestreiten. Notwendig bleibt sie angesichts komplexer und multikausal determinierter Probleme, diffuser Chancen und Lösungspotentiale sowie strittiger Zwecke, und geeignet ist sie aufgrund ihrer Leitidee: durch einen übergreifenden, prospektiven Ansatz Techniken anhand von Zielen und Interessen besser beurteilbar zu machen. Nicht zuletzt angesichts der Globalisierungstendenzen in Wirtschaft und Gesellschaft und der Anforderungen des Prinzips Nachhaltigkeit an Produktion und Konsum bleibt Technikfolgenabschätzung als Ansatz zur Analyse, Bewertung und Reflexion von Kontexten und Zusammenhängen der Entwicklung von Wissenschaft und Technik gefordert.

Die Herausgeber möchten abschließend den Autorinnen und Autoren für ihre Bereitschaft danken, ihre Beiträge für diese Veröffentlichung zu überarbeiten. Ein besonderer Dank gilt Frau Katja Sprunck. Sie hat es auf das beste verstanden, die unterschiedlichen Textvorlagen unter Berücksichtigung zahlreicher Anforderungen und Wünsche zu bearbeiten und dabei manche Klippe mit Geduld und Einfallsreichtum zu umschiffen.


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Stand: 04.10.1999 - Kommentare und Bemerkungen an: ITAS-WWW-Redaktion