Technikfolgenforschung.
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Zur Einleitung

Problemorientierte Forschung:

Zwischen Politik und Wissenschaft Gotthard Bechmann, Günter Frederichs

1. Technikfolgenabschätzung als "problemorientierte Forschung"

Die klassische Vorstellung, Technikfolgenabschätzung (TA) sei in einem instrumentellen Sinn wissenschaftliche Politikberatung (Pinkau 1991), hat an Plausibilität verloren, jedenfalls soweit sie das Bild des Gebens und Nehmens wissenschaftlicher Informationen beinhaltet. Schon Alvin Weinberg (1972) hat darauf hingewiesen, daß die Wissenschaft auf viele Fragen keine Antworten geben kann. Inzwischen sind auch die Beschreibungen einer "Politisierung der Wissenschaft" und einer "Verwissenschaftlichung der Politik" populär geworden, und man findet reichhaltig Gelegenheit, entsprechende Gemengelagen von Wissenschaft und Politik zu beobachten, in denen ein beratender Einfluß der einen Seite auf die andere kaum zu erkennen ist. Nur selten gelingt es, die jeweilige wissenschaftliche "Botschaft" und deren politische Umsetzung zu identifizieren, wenn sie in Expertenstreits zerredet wird und eindeutig zuzuordnende politische Handlungen ausbleiben.

Ist damit der Technikfolgenabschätzung ihr Leitbild abhanden gekommen? Oder gar der Adressat? Die nicht abbrechende Diskussion immer neuer TA- Konzepte könnte man als Indiz dafür nehmen, daß man immer noch oder immer wieder auf der Suche nach der "eigentlichen" Idee von TA ist. So werden z.B. in Holland ("constructive TA") oder in Dänemark ("proactive TA") neue TA-Konzepte propagiert (Hack 1995), und es wird die traditionelle TA-Forschung als "reaktive Berichts-TA" ironisiert, die zu spät in dem Entwicklungsprozeß einer Technologie ansetze und zu hohe Erwartungen hinsichtlich ihrer politischen Wirkung habe. Das "Kontrolldilemma der Technologieentwicklung" von Collingridge (1980) wird herangezogen, um die traditionelle TA zu verorten: Zwischen dem Prognoseproblem in der Frühzeit einer Technologie, wenn es um die Früherkennung von Folgen geht, und dem Machtproblem, wenn es zum späteren Zeitpunkt eher um deren Anerkennung geht, habe sich die traditionelle TA in der Nähe des Machtproblems angesiedelt (Gloede 1994). Sie vertraue dabei auf die Stärke des Arguments. "Constructive TA" und "proactive TA" möchten dagegen zu einem möglichst frühen Zeitpunkt in den sozialen Prozeß einer Technologieentwicklung eingreifen, und sie sehen die Möglichkeiten einer Einflußnahme in Form der direkten Beteiligung am "seamless web" der Technologie (Bijker et al. 1987).

Immerhin bleibt in diesen wie in den meisten anderen Fällen der TA- Diskussion der alte Impetus bestehen: Man möchte eine "bessere" Politik mit den Mitteln der Wissenschaft erreichen. Auch das Einwirken einer konstruktiven TA auf das "nahtlose Gewebe" sozialer Interaktionen ist Politik im Namen der Wissenschaft. Obwohl die alte Formel von der wissenschaftlichen Politikberatung nicht mehr so naiv verwendet werden kann, wie es vielleicht einmal der Fall war, so scheinen doch die dahinter stehende Problemauffassung (die unzureichende Informiertheit politischer Entscheidungen) und der Lösungsansatz (Ausschöpfung von Wissenschaft) nach wie vor ein Movens der TA-Bewegung. Die genannten Diskussionen in Holland und Dänemark wie auch die Aktivitäten auf EU-Ebene (European Commission 1995) zeigen, daß diese Motive offenbar noch nicht verschwunden sind, trotz der ebenfalls nie erlahmenden Abwehr und Destruktion (wie z.B. im Fall OTA). Angesichts der Dringlichkeit alter (z.B. Umweltproblematik, Nord-Süd-Konflikt) und neuer Problemlagen (z.B. Klimawandel) wäre es ja auch verwunderlich, wenn sich die Politik nicht einer der wichtigsten, zumindest teuersten, gesellschaftlichen Ressourcen bedienen würde.

Wenn es aber heute evident geworden ist, daß TA sich nicht auf ein rein instrumentelles Verhältnis zur Politik reduzieren läßt, dann möchte man natürlich wissen, ob sich im Licht der über zwanzigjährigen TA-Erfahrung nicht auch ebenso evidente Hinweise auf einen anderen Sinngehalt ergeben. Der vorliegende Aufsatz stellt diese Frage, wie in dieser Einleitung schon begonnen, in den größeren Rahmen des Verhältnisses von Wissenschaft und Politik. Denn die Praxis von Technikfolgenabschätzungen zeigt, worüber sich der theoretische Diskurs erst mühsam verständigen muß: die thematische Bindung an Technologien wird immer wieder verlassen, die Projekte gehen oft über rein technologiebezogene Fragestellungen hinaus und die Ansätze und Probleme überschneiden sich vielfach mit denen anderer Forschungsbereiche, so etwa mit denen der Risikoforschung und der Umweltforschung.

Hier wird der Zusammenhang einer Entwicklung sichtbar, die seit dem Zweiten Weltkrieg zunehmend an Konturen gewonnen hat und heute als ein neuer Typus wissenschaftlicher Forschung in Erscheinung tritt. Er läßt sich, wie im folgenden dargestellt werden soll, als "problemorientierte Forschung" gegenüber der Grundlagenforschung und der angewandten Forschung abgrenzen. Man spricht von einem Funktionswandel der Wissenschaft seit 1945, der erst heute voll zum Tragen kommt.

2. Das Verhältnis von Wissenschaft und Gesellschaft im Wandel

Beginnend mit dem "Manhattan-Projekt", dem Bau der Atombombe, hatte die zunehmende Integration der Wissenschaft in dem Bereich der Politik begonnen. Es bildete sich ein Scientific Establishment (Price 1965), das im Verlauf der Jahre eine bedeutende Rolle im Prozeß der Politikformulierung spielte. Die Wissenschaftler beschränkten sich nicht mehr allein auf die Vermittlung von harten "facts", gewissermaßen auf die Analyse klar erfaßbarer empirischer Sachverhalte, sondern sie beteiligten sich auch an der Definition, Analyse und Lösung von sogenannten "Big Problems", wie sie Weinberg einmal genannt hatte.

"Big Problems" sind z.B. Fragen der nationalen Sicherheit, des Ausbaus des Wohlfahrtsstaates, der Entwicklung von Technologieprogrammen (Weinberg 1972). Wissenschaft übernimmt damit die Aufgabe, auf politische Ziele und soziale Bedürfnisse eine Antwort zu geben. Wissenschaftliche Darstellung praktischer Zusammenhänge, unter Einschluß prognostischer Leistungen, wird zunehmend für politische und soziale Innovationen benötigt, nachdem sich das Sekundärfolgesyndrom (nicht intendierte Folgen) zu einer unübersehbaren Größe ausgeweitet hat. Schließlich übernahmen Wissenschaftler auch dort eine wichtige Interpretationsfunktion, wo nach gegenwärtigen Standards wissenschaftlichen Wissens nur nicht überprüfbares Wissen zu erlangen ist, sei es in Bezug auf die Entwicklungsbedingungen der Gesellschaft oder in der Analyse möglicher Krisen oder Umbrüche des sozialen Prozesses. Diese mehr oder weniger plausiblen Deutungen gehen in das Hintergrundwissen der politischen Entscheidungsträger ein und bilden einen Orientierungsrahmen für alternative politische Strategien. Mit anderen Worten, die Wissenschaft verläßt ihre Labors und mischt sich in die öffentliche Debatte ein. "Effective policy making required fast what scientists believed they had to offer: objective shifting of the facts, balanced visions, thougthful reflection and the mobilization of the best wisdom and highest competence" (Wood 1964, S. 64).

Der politische Entscheidungsprozeß stellt sich nun als ein Zusammenspiel von Wissenschaftlern, professionellen Interessenvertretern, Verwaltungsfachleuten und Politikern dar, wobei die letzte Entscheidungsmacht dem Politiker vorbehalten bleibt, dem Wissenschaftler aber zunehmend Definitionsmacht und Lösungskompetenz zuwachsen.

Aber nicht nur im Rahmen des politischen Prozesses, sondern auch in der Öffentlichkeit übernehmen Wissenschaftler eine einflußreiche Rolle. In den großen Kontroversen um neue Technologien (Kernkraft, Gentechnik) traten einige von ihnen als wissenschaftliche "Entrepreteurs" auf, die versuchen, mit Hilfe ihrer wissenschaftlichen Autorität und anhand formaler Methoden der Kritik an den Risiken und Folgen einer zunehmenden Technologisierung der Gesellschaft zu widersprechen (Nelkin 1987). Es entstehen Felder der problemorientierten und angewandten Forschung, die sich von dem harten Kern der Grundlagenforschung ausdifferenzieren und eigenständige Orientierungen, Karrieremuster und Organisationsformen aufbauen.

Diese Entwicklung wird noch verstärkt und erhält eine neue Qualität, indem die Umwelt zum wissenschaftlichen politischen Thema und zugleich zum gesellschaftlichen Handlungsfeld wird. Es zeigt sich, daß Umweltpolitik ohne wissenschaftliche Analyse nicht auskommt. Die Politik hängt sowohl bei Definitionen der Probleme als auch bei der Gestaltung von Lösungsstrategien konstitutiv von wissenschaftlichem Wissen ab. Nur mit Hilfe der Wissenschaft können Umweltveränderungen gemessen werden, läßt sich Umweltqualität bestimmen und kann man Ursachen und mögliche Lösungen für die Umweltproblematik formulieren. Die Wissenschaft beteiligt sich in diesem Zusammenhang nicht nur an der Diagnose, sondern sie nimmt - freiwillig oder von der Gesellschaft zugeschrieben - auch die Rolle des Mahners wahr. Die Warnung vor nicht-indentierten Folgen und Prognosen künftiger Gefahren und Risiken wird zum legitimen Bestandteil ihrer Tätigkeit. Sie wird zur Frühwarninstanz für die Gesellschaft (Bechmann/Gloede 1991; Bechmann 1994).

Die gesellschaftliche Thematisierung der ökologischen Problematik seit nun gut zwanzig Jahren bedeutet für die Wissenschaft zweierlei: Zum einen ergeben sich für sie neue Tätigkeitsfelder, die interdisziplinäre Zusammenarbeit erfordern, es werden neue Themen kreiert, und nicht zuletzt werden große Mengen von Fördermitteln erschlossen. Zum anderen steigt der Bedarf an wissenschaftlicher Beratungskapazität. Nicht nur die Politik, auch Unternehmen und Verbände, sofern sie sich mit Umweltpolitik und ökologischer Regulierung befassen, müssen auf wissenschaftlich erzeugtes Wissen zurückgreifen. Der Aufstieg der Wissenschaftlergemeinde zu einer neuen Elite in gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen ist gleichsam der Ausdruck für die neuartigen und komplexen Aufgaben, die sich der Gesellschaft aufgrund ihrer eigenen Entwicklung stellen, nämlich die Regulierung der komplexer werdenden sozialen Beziehungen und die Regulierung des Umwelt- und Naturbezuges.

Indem aber die Wissenschaft diese neue Rolle übernommen hat, sieht sie sich mit zwei Problemen konfrontiert, die das traditionelle Selbstverständnis der Wissenschaft, rational und wertfrei zu sein, in Frage stellen:

  • Sie stößt in Anwendungsbereiche vor, in denen sogar diejenigen Interdependenzen, die sich noch erfassen oder gar technisch erzeugen lassen, nicht mehr beherrschbar sind. Im Unterschied zur "normal science", wo sich die Wissenschaft nur solche Fragen stellt, die sie mit ihren Mitteln beantworten kann, muß man heute erkennen, besonders deutlich auf dem Gebiet der Umweltforschung, daß die Wissenschaft an nachweisbare Grenzen ihrer Analyse- und Prognosefähigkeit stößt. In neuartiger Weise entsteht gewußtes Nichtwissen.
  • - Mit der Integration in den politischen Regulierungsprozeß verliert die Wissenschaft ihre Unschuld, die sie durch die Norm der Wertfreiheit so lange propagandistisch verteidigt hatte. Wertfreiheit bedeutet unter anderem auch Objektivität der Erkenntnis. Was wissenschaftlich gewußt wird, ist bis auf weiteres, d.h. bis auf Widerlegung, unbezweifelbares Wissen, das für alle gilt. Der Konsens der Wissenschaftsgemeinde ist hier das Kriterium. Genau dies läßt sich in den neuen Anwendungsbereichen nicht mehr aufrechterhalten. Wissen, obwohl von Wissenschaftlern produziert, mit wissenschaftlichen Methoden erzeugt, stellt sich schnell als kontextgebunden, als unsystematisch gewonnen, als schnell revisionsbedürftig und vor allem als selektiv heraus. Mit anderen Worten: Es ist umstritten.

Mit diesen Beobachtungen stellt sich die Frage, wie sich der neue und expandierende Bereich der Wissenschaft verstehen läßt. Hierzu liegen einige wichtige Untersuchungen vor, die versuchen, das Phänomen einer "problemorientierten Forschung" näher zu bestimmen.

3. Charakterisierung und Abgrenzung einer "problemorientierten Forschung"

Die Entstehung einer "problemorientierten Forschung" kann man als Antwort des Wissenschaftssystems auf neue Anforderungen betrachten, die von Seiten der Gesellschaft an die Wissenschaft gestellt werden (Nowotny 1993). Es ergeben sich immer mehr Problembereiche, die von der Wissenschaft, oder mit ihrer Hilfe, definiert worden sind. Es entstehen "transdisziplinäre" Forschungsteams, das heißt Forschungsteams, die sich nicht mehr innerhalb der wissenschaftlichen disziplinären Struktur beschreiben lassen, die in Zusammenarbeit mit gesellschaftlichen Gruppen wissensbasierte Lösungsstrategien entwickeln. Was sind nun aber die charakteristischen Merkmale dieser problemorientierten Forschung, die gewissermaßen einen neuen Typ von Forschung darstellt?

Schaut man in die Literatur, so tauchen Begriffe wie "mandated Science" (Salter 1988), "postnormal Science" (Funtowicz/Ravetz 1993) "science in action" (Latour 1987) oder "science for policy" (Jasanoff 1990) auf. So unterschiedlich diese Beschreibungen im Detail sein mögen, stimmen sie doch in der grundlegenden Charakterisierung einer problemorientierten Forschung überein.

Als erstes muß problemorientierte Forschung von der Grundlagenforschung unterschieden werden. Die problemorientierte Forschung ist auf Probleme zentriert, die im Bereich der Gesellschaft entstehen, während die Grundlagenforschung, deren Modell das Wissen um seiner selbst ist, auf kein anderes Stimulanz als das der Forschung selbst antwortet (de Bie 1973). Mit dieser Bestimmung ist Mehrfaches impliziert.

Problemorientierte Forschung ist issue-abhängig. Je nachdem, für wie relevant ein Problem von der Politik, der Öffentlichkeit oder Wirtschaft angesehen wird, steigen die Forschungskapazitäten, die Gelder und die Zahl der Stellen. Problemorientierte Forschung hängt somit von gesellschaftlichen Werten und deren Wandlung unmittelbar ab. Sie muß darum bemüht sein, daß ihre Problemdefinition auf der Agenda der großen Systeme prioritär wird. Das hat Auswirkung auf die Rolle und den Handlungsspielraum des Forschers. Es wird nicht nur der Typ des Gelehrten gefordert, sondern Wissenschaftler werden zu Managern. Sie erzeugen öffentliche Aufmerksamkeit und verstehen, diese auf ihr Forschungsgebiet zu lenken (Ingram u.a. 1992, S. 46). Wissenschaft wird teilweise zum politischen Wagnisunternehmen mit einem hohen Risiko zu scheitern. Hinzu kommt, daß diese Art der Forschung unter Zeitdruck steht und in Projektform betrieben wird.

Problemorientierte Forschung kann nicht warten, bis die Grundlagen dieses Gebietes geklärt sind, um dann auf dem Boden gut bewährter Theorien Daten zu sammeln und Ratschläge zu erteilen. Ganz im Gegenteil, sie muß auch bei ungeklärter theoretischer Basis versuchen, aufgrund von wissenschaftlichen Methoden zu hinreichend plausiblen und argumentativ vertretbaren Lösungen zu kommen. Wo die Grundlagenforschung Zeit hat, steht die problemorientierte Forschung unter Entscheidungszwang.

Problemorientierte Forschung ist notwendigerweise interdisziplinär oder sogar transdisziplinär. Man kann nicht erwarten, daß die gesellschaftlichen Problemlagen sich an die Wissenschaftsdisziplinen anpassen lassen. Gerade hier zeigt sich die hohe Selektivität der disziplinär organisierten Wissenschaft. In den Einzeldisziplinen wird durch den steten Fortgang der "normal science" immer mehr hochspezialisiertes Wissen angehäuft, auf disziplinenübergreifende Fragestellungen reagiert man jedoch meist hilflos mit Problemeingrenzungen. Die Erwartung an die Aufgabe der problemorientierten Forschung ist es hingegen, gesellschaftliche Problemlagen in wissenschaftliche Fragestellungen zu übersetzen und ihre Lösungen interdisziplinär zu organisieren.

Problemorientierte Forschung unterscheidet sich aber auch von der angewandten Forschung. Obwohl hier die Differenzen nicht auf den ersten Blick so klar zu Tage treten wie zur Grundlagenforschung, so zeigt sich doch, daß die angewandte Forschung stärker auf das Kriterium der Nutzanwendung bezogen ist. Anwendung bedeutet, daß erworbenes Wissen zur Lösung von Fragestellungen benutzt wird, die in der Praxis vorgegeben sind und auch im Rahmen einer bewährten Praxis Lösungen erwarten lassen. In den meisten Fällen handelt es sich um eine einfache Repetition: Analytische Modelle, konzeptuelle Schemata, Techniken und Instrumente werden auf eine konkrete Problemsituation angewandt. In der angewandten Forschung wird ferner das Wissen klientenspezifisch aufbereitet, ihm fehlt der Bezug zur Öffentlichkeit. Hier herrschen noch direkte Beziehungen zwischen Auftraggeber und Wissenschaftler vor. Man könnte fast von einem instrumentalen Verhältnis sprechen.

4. Die charakteristischen Probleme problemorientierter Forschung

Ihre Abhängigkeit vom politisch-öffentlichen Entscheidungsprozeß und ihr Bezug zur Erfassung und Durchdringung gesellschaftlicher Problemlagen schafft für die problemorientierte Forschung spezifische Voraussetzungen, die diesen neuen Typus von Forschung charakterisieren.

4.1 Die inhärente Unsicherheit

Das erste und vielleicht auch wichtigste Kennzeichen ist der Umgang mit Unsicherheit. Unsicherheit kann sich auf mehrere Dimensionen im Umgang mit Wissen beziehen.Unsicherheit kann zunächst, und hier treten auch die schwierigsten Probleme auf, Unsicherheit der Wissensbasis bedeuten (Salter 1988, S. 199).

Phänomene wie Waldsterben, Klimawandel, aber auch Gentechnologie oder Aids sind neu, komplex, in ihren Auswirkungen variabel und bisher noch wenig verstanden. In diesen Fällen gibt es noch keine gut fundierten Theorien oder erprobten Erkenntnisse, auf die eine problemorientierte Wissenschaft zurückgreifen kann. In diesem Fall muß die Basis für belastbare Argumentationen mit Hilfe von eigenem Forschungsdesign und durch das Zusammentragen von anderen Disziplinen geschaffen werden. Die bevorzugten Mittel sind hierbei Computersimulation oder Expertenbefragungen, Statistiken und ad-hoc-Theorien (Funtowicz/ Ravetz 1990). Gleichwohl bleibt diese Unsicherheit inhärent bestehen, da problemorientierte Forschung nicht nur mit komplexen und neuen Fragestellungen konfrontiert ist, sondern auch eingebunden in einen Beratungs- und Entscheidungsprozeß. Sie steht somit auch unter Zeitdruck und Entscheidungszwang. Sie kann nicht warten, bis alle Fragen wissenschaftlich geklärt sind, sondern es muß auch bei ungeklärten Sachlagen entschieden werden (Collingridge/Douglas 1984).

Aus diesem Zwang zur Entscheidung rührt eine zweite Unsicherheit. Man kann sie praktische Unsicherheit nennen. In vielen Fällen kann die Wissenschaft keine eindeutige Antwort auf praktische Fragen geben. Ob ein bestimmtes Pestizid für die Allergie kausal verantwortlich ist, oder ob der Ausstoß von CO2 wesentlich zum Waldsterben beiträgt, läßt sich nicht eindeutig entscheiden. Gerade wenn eindeutige Kausalitäten von Entscheidern oder Richtern verlangt werden, muß die Forschung meistens schweigen oder auf weitere Forschung verweisen (Ladeur 1995).

Eine dritte Unsicherheit läßt sich als methodologische Unsicherheit kennzeichnen. Methodologien entstehen gewöhnlich innerhalb von Disziplinen in bezug auf die Entwicklung von Theorien oder das Erzeugen von Daten. In beiden Fällen herrscht im Bereich der problemorientierten Forschung chronischer Mangel, so daß sie eigene methodische Standards entwickeln muß (Fuller 1993).

Eine vierte Unsicherheit ist die ethische bzw. normative Unsicherheit. Die Entscheidungen über Risiken, Gefährdungen, öffentliche Probleme sind nicht nur Entscheidungen über Wissensinhalte, sondern sie legen auch Standards fest, die die Betroffenheit von Menschen bestimmen (Ungar 1992). Grenzwerte sind neben der Festsetzung von Schutzniveaus gleichzeitig auch Festlegung von Belastungen, die es zu ertragen gilt. Wenn Wissenschaft in diesen Prozeß der Normung an entscheidender Stelle miteinbezogen ist, bestimmt sie also auch über normative Muster. Aber Werte und Präferenzen sind in der Gesellschaft umstritten und nicht eindeutig festlegbar. Welchem Grenzwert soll man folgen und welche Implikationen hat er für das Leben der Menschen? Wer wird dadurch benachteiligt, wer wird bevorzugt? Das sind sowohl kognitive wie normative Fragen, auf die es keine sicheren Antworten gibt. Je nach Stand der wissenschaftlichen Forschung wird eine unterschiedliche Lösung gefunden (Beck 1986; Jamieson 1992; Jasanoff 1987).

Zusammenfassend kann die inhärente Unsicherheit der problemorientierten Forschung in den Worten von Funtowicz/Ravetz dadurch charakterisiert werden, daß die Fakten ungewiß, die Werte umstritten, die Gefahren und Risiken hoch sind, aber die Entscheidung dringend ist (1993, S. 744).

4.2 Die Hypothetizität des Wissens

Ein weiteres Merkmal, aufgrund dessen sich die problemorientierte Forschung von der traditionellen Forschung unterscheidet, ist ihre Rolle, die sie im politischen Regulierungs- und Entscheidungsprozeß spielt. Das übliche Verständnis des Zusammenhangs von Politik und Wissenschaft geht von einer klaren Trennung beider Bereiche aus. Die Wissenschaft liefert das Tatsachenwissen, die Politik trifft die wertbezogenen Entscheidungen. Wissenschaft ist durch ihre Neutralität und Wertfreiheit gekennzeichnet, die sich auf die Feststellung von Fakten und dem Erzeugen von Kausal- bzw. Gesetzeswissen erstreckt, während die Politik die Bewertungen trifft und über Wertkonflikte entscheidet. Dieses traute Bild getrennter Welten, die alle friedlich miteinander harmonisieren, ist spätestens mit der Debatte um nicht-intendierte Folgen technologischer Entwicklungen und seit der Kontroverse um ökologische Vorsorge obsolet geworden. Von der Wissenschaft wurde jetzt nicht nur Fachwissen verlangt, sondern Prognosen über künftige Ereignisse, die es zu verhindern gilt. Sheila Jasanoff gibt eine präzise Beschreibung dieser Veränderung: "These preventive policies placed unprecedented demands on the capacity of science to predict future harm. Fed by images of impending environmental disaster, the public turned to sience for more sophisticated methods of identifying and measuring risk. Science responded with a new emphasis on toxicological testing and increased use of predictive mathematical models. But this shift of scientific attention to the unknown, and possibly unknowable, effects of technology highlighted the intuitive, subjective and uncertain underpinnings of much of the advice that scientists provide to government. Moreover, the increasingly adjudicatory style of decision-making in the United States forced scientists to articulate their reservations about their technical assessment and generated questions about the coherence or reliability of policy-relevant science" (1987, S. 201).

Mit der Untersuchung von Nebenfolgen von Großtechnologien und mit der Bestimmung der Umweltrisiken bei Großvorhaben und langfristigen Planungen stößt die Wissenschaft auf Grenzen, die sie selbst als prinzipiell unüberwindbar nachweisen kann. Die Komplexität und die Vielfalt sich überlagernder kausaler Zusammenhänge und Kreisprozesse ist analytisch nicht zu bewältigen, weil die Problemorientierung ceteris paribus- Annahmen verbietet, mit denen sich die Grundlagenforschung zur Not behelfen kann. Kleinste Abweichungen der Ausgangsdaten voneinander, die aufgrund von Meßungenauigkeiten unvermeidlich sind, führen bei nichtlinearen Zusammenhängen zu quantitativ und qualitativ völlig verschiedenen Prognosen. Diese an sich schon lange bekannte Tatsache wird in ihrer ganzen Tragweite erst jetzt im Zusammenhang mit der problemorientierten Forschung gewürdigt, in der die wissenschaftliche Tradition, mit Linearitätsannahmen zu arbeiten, an Wert verliert. Solche Nachweise prinzipieller Grenzen der Analyse und Prognose führen dazu, daß das sichere Bewußtsein wissenschaftlich abgesicherter Faktizität zunehmend durch das Bewußtsein einer prinzipiellen Hypothetizität der Wissenschaft ersetzt wird (Häfele 1993). Aufgrund wissenschaftlicher Methodik kann zwar die Beliebigkeit eingegrenzt, nie aber wirklich auf sichere Aussagen reduziert werden. Weder mit Simulationsmodellen noch mit statistischen Verfahren wird man alle möglichen Kausalbeziehungen analysieren können.

Der Glaube an die Verläßlichkeit des Wissens, das instrumental für die politische Entscheidung eingesetzt wird und das die Politik entlastet, wird somit in dreifacher Hinsicht fragwürdig: In sachlicher Hinsicht steht problemorientiertes Wissen unter dem Damoklesschwert der Hypothetizität. Die größer werdenden Entscheidungshorizonte heutiger Planungen und Entscheidungen sowie die kürzer werdenden Innovationszeiten führen zu einer Ablösung traditioneller Trial- and Error-Verfahren, die eine sukzessive Anpassung technischer Systeme an situative Erfordernisse ermöglichen. Sie werden ersetzt durch wissenschaftlich ausgearbeitete Langfristplanung und probabilistische Risikoanalysen, die nur noch hypothetische Annahmen über die Wirklichkeit machen können.

Praktische Erfahrungen und empirische Forschung werden zunehmend durch Modelle, Szenarien, Idealisierungen ersetzt. Empirisches Wissen wird durch subjektive Wahrscheinlichkeitsannahmen verdrängt. Schadenspotentiale und Schadenswahrscheinlichkeiten können nicht mehr durch Erfahrungen, durch Versuch und Irrtum ermittelt, sondern müssen gedanklich antizipiert werden, da Tests nicht im ausreichenden Maße durchgeführt, Beobachtungen oder Experimente nicht beliebig wiederholt werden können oder sogar nicht durchgeführt werden dürfen.

In sozialer Hinsicht zeigt sich, daß die Wissenschaft durch den Expertenstreit an Autorität einbüßt. An den Produkten der Hochtechnologie macht sich zunehmend ein gesellschaftsrelevantes Syndrom aus Mißtrauen und Unsicherheit fest, das politischen Konfliktstoff enthält. Bei jedem neuen Unglücksfall entladen sich die aufgestauten Spannungen und lassen die öffentliche Meinung explodieren. Das technische Risiko ist in den letzten zwanzig Jahren zum Kristallisationspunkt gesellschaftlicher Unsicherheiten und Ängste geworden. Der Fortschrittsglaube selbst ist an seine Grenze gestoßen und schlägt um in Mißtrauen gegenüber den tragenden Institutionen der wissenschaftlichen Welt. Die Delegitimation der Experten ist nur eine Folge dieser Entwicklung, eine andere zeigt sich im Legitimitätsverlust staatlicher Entscheidungsverfahren.

Mit der Abnahme verläßlichen Wissens auf der Basis eigener Erfahrung zugunsten eines wissenschaftlich erzeugten hypothetischen Wissens, bei dem man jederzeit auf Revisionen gefaßt sein muß, wird die Glaubwürdigkeit staatlicher Entscheidungen bedroht. Diejenigen, die nach unseren Verfassungsnormen legitimiert sind, im Namen des Allgemeinwohls zu entscheiden, hängen in ihrer Meinungsbildung von Expertengremien ab; diejenigen, die Entscheidungswissen besitzen, sind nicht legitimiert, solche Entscheidungen zu treffen. Ergebnis dieses Prozesses ist der Verlust einer klar geschnittenen Verantwortungsstruktur, die es bei Fehlentscheidungen unmöglich macht, die Verantwortung eindeutig zuzurechnen.

In zeitlicher Hinsicht erzeugt der wissenschaftlich-technische Fortschritt einen Bedarfsüberhang nach Wissen gegenüber der faktischen Wissenserzeugung. In dem Maß, in dem sich die technische Entwicklung beschleunigt und laufend Änderungen verursacht, bedarf jede Entscheidung - bedingt durch die vermehrte Beteiligung unterschiedlicher Instanzen und bedingt durch die Einbeziehung immer weiterer, komplexer Nebenfolgen - zunehmend mehr Zeit.

Während diese Zeit verstreicht, ändern sich die Daten, aufgrund derer überhaupt ein Entscheidungsbedarf entstanden ist. Will man trotzdem zum Abschluß des Entscheidungsprozesses kommen, muß man zum großen Teil diese immer neu anfallenden Daten ignorieren. Die Entscheidung wird auf der Basis fiktiver Tatsachen getroffen. Marquard sieht hierin einen allgemeinen Zug unserer technischen Kultur: die Zunahme des Fiktiven (Marquard 1986). Wo alles im Fluß ist, so Marquard, erzwingt jedes Festhalten an einer Entscheidung die Flucht in die Fiktion. Die Grenze von Realität und Fiktion verschwimmt (Marquard 1986, S. 85-86). Dies führt beim Beobachter zu einem Verlust an Vertrauen in die öffentlichen Entscheidungssysteme, da er von außen die Fiktion durchschauen und als solche anprangern kann. Eine solche Perspektive bleibt dem Entscheider versagt.

Der Umgang mit Nicht-Wissen wird so zur entscheidenden Variablen bei Entscheidungen (Frederichs/Blume 1990). Da wir die Zukunft nicht kennen können, ist es um so wichtiger, wie dieses Nicht- Wissen in öffentlichen Entscheidungssystemen prozessiert wird; daß diese Problemlage noch relativ neu ist, erkennt man daran, daß es bisher hierfür noch keine ausgearbeiteten Theorien gibt, geschweige denn, daß sich schon Verfahren oder Routinen abzeichnen, die diese neuen Unsicherheiten bewältigen können.

4.3 Die Verschmelzung von Fakten und Werten

Die traditionelle Fiktion einer Trennung von Fakten und Werten läßt sich im Rahmen der problemorientierten Forschung nur noch schwerlich aufrecht erhalten. Normative Aspekte durchmischen sich so offenkundig mit faktischen Gesichtspunkten, so daß in vielen Fällen aufgrund strategischer, mit Unsicherheiten belasteter Argumentationen auch der Gutgläubigste nicht mehr an der Behauptung einer Wertfreiheit und Neutralität der Wissenschaft festhalten kann. Die enge Beziehung zwischen der Unsicherheit im Bereich wissenschaftlicher Expertise und ethischen Implikationen ist oben schon angesprochen worden. Gerade bei Entscheidungen über Risiken oder Umweltprobleme, die die Betroffenheit Dritter miteinbeziehen müssen, sind Gewinn- oder Schädigungszumutungen gegenüber anderen von der wissenschaftlichen Faktenanalyse nicht zu trennen. Dies gilt vor allem dann, wenn über den erwartbaren Schadensumfang und mögliche Chancen keine eindeutigen Aussagen möglich sind. Die Frage nach der Sozial- und Umweltverträglichkeit, ein normatives Kriterium, ist somit unweigerlich der wissenschaftlichen Untersuchung mitgegeben. Ebenso, wie bei Grenzwertbedingungen, gibt es keine objektiven Marken der notwendigen Belastungen, unterhalb derer man feststellen kann, ob etwas schädlich oder unschädlich ist. Risikofestlegungen und Grenzwerte sind Ergebnisse von Konsens/Dissens- Prozessen, bei denen mit kognitiven Argumenten widerstrebende Interessen angeglichen und unsichere Sachverhalte entschieden werden müssen (Colglazier 1991; Jones 1991; Funtowicz/Ravetz 1993; Jamieson 1990).

Ein weiteres Moment tritt hinzu, das die saubere Trennung von Werten und Daten verschwimmen läßt: Die mangelnde Prognostizierbarkeit der Auswirkungen neuer Techniken oder der menschlichen Eingriffe in die Natur. Die Risikodebatte hat das weite Feld der hypothetischen Risiken eröffnet, mögliche Schädigungen, die man nicht kennt, aber gleichwohl vermuten kann. Die Debatte um die Gentechnologie ist ein Beispiel, die Probleme der Folgen eines möglichen Klimawandels ein anderes aus der langen Reihe von Beispielen. Die Diskrepanz von Wissen und Handlungsfolgen ist erst gegenwärtig in ihrer ganzen Schärfe bewußt geworden. Hieß es früher, erst Wissen, dann Handeln, so hat sich dies heute umgekehrt: Zuerst Handeln, um später vielleicht etwas zu wissen. Dieser Vorrang des Handelns gegenüber dem Wissen führt zu einer eigentümlichen Verkehrung der Beweislast in der Umweltdebatte. Nicht mehr feststellbare Gefahren und deren Abwehr spielen die zentrale Rolle einer Vorsorgepolitik, sondern Gefahren oder Schäden, die in weiter Ferne liegen, die unbekannt sind, aber theoretisch und logisch nicht ausgeschlossen werden können. Diese Argumente beruhen auf theoretischen Annahmen und möglichen empirischen Beobachtungen, die per Definition vorläufig sind und damit offen für Falsifikationen durch künftige Forschungen (Wynne 1988). Die wissenschaftliche Expertise wird dann spekulativ, und unter den Bedingungen fehlenden Wissens, einer nicht aufhebbaren Unsicherheit, zeigt sich, daß auch wissenschaftliches Wissen mit dem Makel, lediglich Vermutung und ad hoc-Plausibilität zu sein, belastet ist. Nicht umsonst appellieren Experten an das Vertrauen ihres Publikums (Fischer 1990).

5. Zur politischen Funktion einer problemorientierten Forschung

Die im vorigen Abschnitt genannten charakteristischen Probleme problemorientierter Forschung sind in ihrer Grundsätzlichkeit nicht allgemein anerkannt. Im Gegenteil propagieren gerade die mit problemorientierter Forschung befaßten Wissenschaftler und Politiker oft ein idealistisches Bild der Wissenschaft, das die Objektivität und die Wertfreiheit behauptet (Salter 1988, S. 5). Dahinter steht vermutlich die Auffassung, daß die wissenschaftliche Legitimation riskanter Entscheidungen nur auf diese Weise möglich ist. Zwar kann sich niemand mehr der Einsicht verschließen, daß die Wissenschaft mit den genannten Problemen der Unsicherheit, der Hypothetizität und einem normativen Gehalt ihrer Aussagen belastet ist. Es wird aber angenommen, daß es sich um Defizite handelt, die durch verstärkte Forschungsanstrengungen wenn nicht beseitigt, so doch so weit marginalisiert werden können, daß sie vernachlässigbar werden.

In dem Maße jedoch, in dem die Wissenschaft versucht, diese Fiktion aufrecht zu erhalten, verliert sie an Glaubwürdigkeit. Das tritt in unterschiedlicher Form auf, so z.B., wenn Prognosen gemacht werden, die dann nicht eintreffen. Oder wenn von wertfreier Forschung gesprochen wird, deren implizite Wertsetzungen dann von Rechtsanwälten vor Gericht nachgewiesen werden. Der Fehler tritt auch in Form disziplinärer Hegemonien auf, wenn der Anspruch auf Interdisziplinarität durch eine Projektorganisation unterlaufen wird, in der die Disziplin der Projektleitung den Ausschlag gibt. Die Forschungsergebnisse werden dann sehr schnell durch Gegengutachten relativiert, in denen die Perspektive anderer Disziplinen dominieren. Der Verlust an Glaubwürdigkeit ist die schlechteste Voraussetzung für eine wissenschaftliche Legitimation von Entscheidung unter Unsicherheit.

Die kontrafaktische Idealisierung der Wissenschaft wird um so weniger durchzuhalten sein, je drängender und komplexer die Probleme sind, die zur Entscheidung anstehen. Welchen Sinn hat dann aber noch eine wissenschaftliche Politikberatung? Überraschenderweise ergeben sich die Ansatzpunkte zur Beantwortung dieser Frage durch die Radikalisierung der bisherigen Problem-Diagnose:

1) In dem Maße, in dem sich die Aussagen der Wissenschaft auf Zukünftiges beziehen, kann sie allenfalls noch Abschätzungen über die Gewißheit ihrer Aussagen angeben. Daher bekommt die Rhetorik, das Moment der Überzeugung, einen wichtigen Stellenwert in der wissenschaftlichen Debatte. Damit werden aber wissenschaftliche Aussagen zu Meinungen abgewertet. (Luhmann 1991, S. 228 f.)

2) Problemorientierte Wissenschaft ist in einem kontraproduktiven Sinne reflexiv, indem durch das Wiedereinspeisen von wissenschaftlichem Wissen in den praktischen Prozeß die Bedingungen, Kontexte und Folgen des Entscheidens verändert werden, so daß sich ständig neue Situationen einstellen, auf die sich die Forschung beziehen muß. Man kann daher nicht erwarten, daß ein erhöhter Forschungsaufwand mehr Sicherheit verschafft, sondern, bei genauerer Betrachtung, mehr Unsicherheit (Giddens 1990).

Wissenschaftliche Aussagen, die nur noch als Meinungen angesehen werden können und die überdies die Unsicherheit des politischen Problems nur noch erhöhen - das sind Befunde, die den Anspruch einer wissenschaftlichen Politikberatung vollends sinnlos erscheinen lassen. Tatsache ist jedoch, daß diese so diagnostizierte wissenschaftliche Politikberatung alltägliche Praxis ist, auf die niemand mehr verzichten kann. Der Widerspruch löst sich auf, wenn man die propagierten Erwartungen einer wissenschaftlichen Politikberatung von ihren wirklichen Funktionen unterscheidet. Diese wiederum kann man erst dann verstehen, wenn man das ganze Ausmaß an Unsicherheit begreift, mit dem das politische Handeln konfrontiert ist.

Es ist das Kennzeichen der modernen Gesellschaft, sich dieses Ausmaßes an Unsicherheit zunehmend bewußt zu werden und entsprechend nach Auswegen zu suchen, wie man trotzdem legitime Entscheidungen fällen kann. Die beiden Defizite der problemorientierten Forschung, die Abwertung der wissenschaftlichen Aussage zu einem Diskussionsbeitrag, der auch anders aussehen könnte, und die Veränderung der politischen Diskussion durch eben solche wissenschaftlichen Aussagen, beschreiben genau das, was problemorientierte Forschung bewirkt: Sie setzt den politischen und gesellschaftlichen Diskurs mit wissenschaftlichen Mitteln fort und stellt damit eine unverzichtbare Schranke auf gegen die Gefahr, daß sich angesichts unüberwindbar erscheinender Unsicherheiten Fatalismus verbreitet entweder gegenüber der Willkür partikulärer Interessen oder auch gegenüber Lethargie und Nichtstun (Stehr 1993, S. 15). Über die gesellschaftlichen Klimawirkungen in der zweiten Hälfte des nächsten Jahrhunderts z.B. können wir nahezu nichts wissen, dennoch müssen wir uns damit auseinandersetzen, und zwar in einer qualifizierten Weise, die sich als sinnvoll darstellt.

Der wissenschaftliche Diskurs ist nicht der einzige, der dieser Funktion dient. Salter beschreibt z.B. eine enge Verflechtung des wissenschaftlichen mit dem Rechts-Diskurs und sieht darin ein Charakteristikum der problemorientierten Forschung (dort: "mandated science", a.a.O., S. 6). Aber die spezielle Voraussetzung problemorientierter Forschung für den gesellschaftlichen Diskurs liegt in der Wissenschaftlichkeit. Denn das prinzipielle Nichtwissen führt nicht zu Beliebigkeit im Spektrum der Meinungen, bei denen jeder Horoskophersteller mit der gleichen Legitimität wie ein Wissenschaftler auftreten könnte. Es geht nicht um absolutes Wissen, sondern um vorläufiges, revidierbares Wissen, das jedoch nach rationalen Methoden gewonnen wird, die explizierbar und argumentativ vertretbar sind. Wissenschaftliches Wissen zeichnet sich dadurch aus, daß es anhand anerkannter Methoden gewonnen wird, und daß es prinzipiell von jedem nachvollziehbar ist, der sich der gleichen Methoden bedient. Damit wird noch nicht eindeutiges Wissen produziert, man denke an die Expertenstreits, wohl aber nach demokratischen Regeln kommunizierbares Wissen.

6. Unsicherheit und Diskurse: Strukturen der "problem- orientierten Forschung"

Die Entwicklung einer "problemorientierten Forschung", wie sie in den vorangegangenen Abschnitten beschrieben worden ist, ist noch relativ jung. Dennoch sind Strukturen zu erkennen, die ein Hinweis darauf sind, in welche Richtung die Entwicklung geht, um den Funktionsanforderungen einer sinnvollen gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit Unsicherheit zu gewährleisten.

"Unsicherheit" wird in der modernen Gesellschaft in verschiedenen Kontexten und speziell auch in der wissenschaftlichen Diskussion zunehmend zu einem Thema von neuer Dimensionalität. Das ist vor allem im Zusammenhang mit der Umweltproblematik, mit dem Zusammenwachsen der globalen Gesellschaft, mit den Risiken des technischen Fortschritts und anderen Thematiken der Gegenwart verbunden.

Während das traditionelle Wissenschaftsverständnis in der Reduktion kognitiver Unsicherheit das wissenschaftliche Ziel gesehen hat, verliert dieses Ziel mit der Einsicht in die Unüberwindbarkeit vieler Unsicherheiten zunehmend seine Orientierungsfunktion. An seine Seite tritt ein anderes Ziel, die Erstellung von "Konsenswissen", das mit dem traditionellen Wissenschaftsverständnis nicht kompatibel ist. Dieser Begriff ist vor allem im Zusammenhng mit der internationalen Klimaforschung entstanden - aus der Not heraus, daß die Klimaforscher der Nachfrage der Politik nicht mit eindeutigen Auskünften nachkommen konnten.

Der entscheidende Punkt in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Unsicherheit ist, wie das Mischungsverhältnis von Wissen und Nichtwissen in der jeweiligen Handlungssituation strukturiert ist. Darum greifen Faktenwissen und Wertewissen ineinander, und ihre Trennung wird nur pragmatisch unter den jeweiligen Handlungsbedingungen vollzogen, und dies möglichst auch nur von begrenzter Dauer. Damit zeigt sich aber auch umgekehrt, daß Werturteile nicht rein normativ, gewissermaßen dezisionistisch zu treffen sind, sondern auch kognitive Komponenten aufweisen, die einer rationalen Argumentation zugänglich sind (Fuller 1993). Problemorientierte Forschung ist eben nicht lediglich "angewandte Forschung", sondern immer auch schon Interpretation, Deutung und Wertung (Ravetz 1987).

Auf die Werthaltigkeit von wissenschaftlichem Expertenwissen verweist ein weiteres Moment. Bei der Analyse komplexer Probleme sind immer unterschiedliche Disziplinen beteiligt, die keinen gemeinsamen Forschungsansatz oder eine einheitliche Problemsicht besitzen. Schon die Problemformulierung hängt davon ab, welche wissenschaftlichen Disziplinen als relevant erachtet werden. Welche Fragen prioritär sind, bedarf der Entscheidung, da sonst ein unendlicher Diskurs in Gang gesetzt würde.

Expertenurteile beruhen ferner notwendigerweise auf einer Schließung der Analyse, um in dem praktischen Problembearbeitungsprozeß zu einer Entscheidung zu kommen. Vom Zeitpunkt dieser Schließung, also davon, in welchem Stadium der Forschungsprozeß sich dann befindet, hängen wesentlich die Ergebnisse ab. Fakten werden somit qua Entscheidung erzeugt und können, sobald der Diskurs wiedereröffnet wird, durch neue Forschung verändert werden. Somit hängt im wesentlichen das, was als Fakt oder als anerkanntes Wissen gilt, vom Konsens der Beteiligten darüber ab, daß der Diskurs abgeschlossen wird. Treten neue Teilnehmer hinzu, dann verändert sich die Situation, neue Fakten werden entdeckt, und die Realität ändert sich. Wissen im Rahmen der problemorientierten Forschung ist immer konstruiertes Wissen, das auf Konsens und Unvollständigkeit beruht.

Es ist also nicht nur die wissenschaftliche Unsicherheit das Problem, sondern ebenso herrscht auch eine ethische und normative Unsicherheit vor, nach welchen Kriterien Gefahren- und Risikomanagement zu betreiben sei.

Beide Unsicherheiten erzeugen eine prinzipielle soziale Kontingenz in Bezug auf das, was möglich und auf das, was notwendig zu tun ist. Da man weder über sicheres Wissen verfügt, noch allgemeine und verbindliche Maßstäbe besitzt, um anerkannte und akzeptable Entscheidungen zu treffen, bedarf es der Erzeugung von Konsenswissen. In neuerer Zeit wird hierbei häufig auf eine Prozeduralisierung der Wissenserzeugung zurückgegriffen.

Prozeduralität meint die Rationalität von Verfahren in dem Sinne, daß die gewählten Verfahren und Prozeduren als Garanten für die Rationalität ihrer Ergebnisse stehen. Man kann den Zusammenhang zwischen solchen Verfahren und der Vernünftigkeit ihrer Ergebnisse in verschiedener Weise auffassen. Die Erfüllung bestimmter Verfahrensbedingungen kann als förderlich für das Erzielen vernünftiger Resultate angesehen werden, oder sie kann als notwendige, jedoch nicht hinreichende Voraussetzung für die Akzeptabilität der Verfahrensergebnisse betrachtet werden, und schließlich kann sie auch als hinreichende, konstitutive Bedingung rationaler Entscheidungen schlechthin gelten.

Es würde hier zu weit führen, die gesamte Diskussion um die Prozeduralität der Rationalität aufzunehmen, wichtig für unsere Fragestellung ist jedoch, wie vor dem Hintergrund der Debatte um Risikosteuerung auch ein Ausweg über Prozeduralität gesucht werden kann. Um Konsenswissen zu erzeugen, steht der Diskurs als Verfahren in großem Ansehen. Ohne vorschnell die eine oder andere Diskurstheorie zu vertreten, kann man unter Diskursen soziale Prozesse oder Interaktionen verstehen, die man alltagssprachlich Diskussionen oder - etwas wissenschaftlicher - themenzentrierte Kommunikation nennt.

Zentral für Diskurse ist der Austausch von Argumenten zur Beantwortung von Fragen zur Lösung von Problemen oder zur Klärung strittiger Behauptungen. Mit anderen Worten, die Argumentation steht im Zentrum des Diskurses. Diskurse werden teils durch symbolische Operationsregeln reguliert, teils durch pragmatische Regeln, die für Kommunikation generell oder spezifisch für besondere Kommunikationsformen gelten. Diskurse schaffen oder setzen keine handlungsrelevanten Verbindlichkeiten. Sie können der Entdeckung oder Gewinnung von Einsichten empirisch-kogni- tiver oder normativer Art dienen.

Wissenschaftliche Diskurse kann man nach Rawls als "quasi- reine" Verfahren bezeichnen (Rawls 1979, Kap. 14). Gemeint ist damit, daß Argumentationen durch Gründe strukturiert werden können, aber bedingt durch kognitive Unsicherheiten, sei es durch fehlende Information oder mangelnde Kenntnis von Kausalabläufen, müssen Argumente durch Behauptungen, Plausibilitätsannahmen oder Wertungen konsistent gemacht werden. Im Rahmen dieser Verfahren kann man zwei Diskursformen unterscheiden: Wahrheitsdiskurse, bei denen angegeben werden kann, unter welchen Bedingungen wahrheitsgemäße Aussagen zu erwarten sind (Habermas 1973) und epistemische Diskurse. Renße von Schomberg hat auf eindringliche Weise die Struktur dieses zweiten Diskurstyps erläutert: "Der Diskurs um den Erwerb neuen Wissens kann m.E. rekonstruiert werden im Rahmen eines spezifischen Diskurskonzepts, worin Argumente gerade keine konsenserzwingende Kraft haben. Ich spreche diesbezüglich von einem "epistemischen" Diskurs. Die streitenden Wissenschaftler können sich hier lediglich auf Argumente beziehen, die, wie Analogien, Attestargumente und kontrafaktische Argumente, ein unsicheres und unzureichendes Wissen artikulieren: Plausibilität. Konsense im strengen Sinne werden hier nicht erzielt, weil wegen des Hintergrunds unsicheren Wissens die Wahrheitsbedingungen einzelner Aussagen nicht expliziert werden können. In einem epistemischen Diskurs ist nicht so sehr die Wahrheit von Aussagen kontrovers als vielmehr die Plausibilität von Theorien und Hypothesen, mit denen wir die Erkennbarkeit bestimmter Wissensbereiche behaupten können. Die typischen Argumente epistemischer Diskurse dienen nicht direkt der argumentativen Einlösung von Wahrheitsansprüchen, sondern der kohärenten Konstruktion von Theorien, Hypothesen und Annahmen, mit denen wir Wissensbereiche zuallererst zuverlässig erschließen können. In epistemischen Diskursen ist also die Plausibilität von Erkenntnisansprüchen kontrovers." (Schomberg 1992, S. 262-63)

Wenn nun gerade epistemische Unsicherheit die eigentliche Schwierigkeit wissenschaftlicher Diskurse ausmacht, muß man vor allem nach der sozialorganisatorischen Form wissensproduzierender oder wissensvermittelnder Diskurse fragen. Man kann zwar, wie dies Habermas tut, primär auf die "quasi-transzendentalen" Voraussetzungen eines Wahrheitsdiskurses reflektieren. Nach Habermas ist nur die Kommunikation wert, Diskurs genannt zu werden, in der eine Problematisierung des Geltungsanspruchs von Sätzen und eine Argumentation mit dem Ziel der Überprüfung stattfindet (Habermas 1971). Die Geltung kann allein im Rekurs auf eine "ideale Sprechsituation" bestimmt werden, die als einziges Motiv die kooperative Wahrheitssuche, d.h. die prinzipiell uneingeschränkte und zwanglose Kommunikation zuläßt, um so zur Verständigung zu gelangen. Verständigung ist hier ein normativer Begriff, der kontrafaktisch bestimmt werden muß (Habermas 1971, S. 201). Diese eigentümliche Mischung deskriptiver Charakterisierung mit der normativen Stilisierung von Diskursen ist vielfach kritisiert werden (Schnädelbach 1977; Giegel 1992): Aus der Sicht epistemischer Diskurse, die mit Unsicherheitsbedingungen zu kämpfen haben, zeigt sich, daß der dort eintretende Dissens nicht ausschließlich als Verletzung von Regeln des Argumentierens erklärt werden kann, sondern daß hier inkommensurable Orientierungssysteme aufeinandertreffen, deren Divergenz auf die logische und korrekte Befolgung verschiedener Regeln und Normsysteme zurückzuführen ist. Selbst Begriffe wie Kommunikation, Verständigung und Argumentation sind in diesem Rahmen noch kontrovers (Lueken 1992). Im Prinzip muß es den Teilnehmern des Diskurses selbst vorbehalten bleiben, darüber zu entscheiden, welche Bedingungen, Regeln und Normen sie dem argumentativen Handeln zugrunde legen müssen oder wollen. Gleichwohl: Will man nicht allein einer idealen Begründung des Diskurses anhängen, dessen idealisierende Bedingungen man nur mit schrägem Blick nach oben und mit schlechtem Gewissen als Norm im faktischen Geschehen befolgen kann, so muß man auch nach den praktischen Bedingungen des empirisch wahrnehmbaren Diskurses fragen. Zweifellos werden in der Gesellschaft Diskurse geführt, manchmal sogar mit erstaunlichem Erfolg und in wenigen Fällen durch Konsens abgeschlossen.

Zwei wesentliche, wenn auch widersprüchliche Bedingungen muß ein real ablaufender Diskurs erfüllen: Offenheit und Schließung (vgl. Bühl 1984, S. 95 ff.). Zum einen nämlich muß der Diskurs so offen sein, daß er neuen Ideen und der Austragung unterschiedlicher Auffassungen Raum gibt; andererseits aber muß ein gewisser Zwang zur theoretischen Integration und zur kontinuierlichen Durcharbeitung des gemeinsamen Wissens ausgeübt werden. Geht man von dieser Problemfassung aus, lassen sich einige organisatorische Kriterien angeben.

Erstens sollte ein fruchtbarer Diskurs eine breite Diversität von Themen, Personen und Standpunkten zulassen. Dadurch wird seine adaptive Kapazität bestimmt, nämlich inwieweit der Diskurs geeignet ist, Unsicherheit und Varietät zu verarbeiten. Hohe Varietät setzt gleichzeitig eine strukturierte Diskursgemeinschaft voraus, die sich nach Regeln organisiert. Zweitens muß die Bereitschaft zur variablen Interaktion vorliegen; die Teilnehmer müssen bereit sein, mit allen und über alle Themen zu kommunizieren. Interdisziplinäre Sichtweisen und interpersonelle Verständigung sind wesentliche Voraussetzungen. Die Vielfalt hat dort ihre Grenzen, wo die kollektive Identität und konstitutive Faktoren der gemeinsamen Orientierung der Mitglieder in Frage gestellt werden (Verfahrensregeln). Auch hier liegt eine wechselseitige Beziehung von Offenheit und Schließung als wesentliche Voraussetzung zugrunde.

Drittens müssen in Diskursen die Wissensfindung und Wissensüberprüfung getrennt werden, ein altes Thema der Wissenschaftstheorie (Popper 1966, S. 6 f.). Bei Wissensfindung geht es um das Entdecken und Konstruieren neuer Wissenselemente, gleich auf welchem methodischen Niveau dies geschieht.

Bei der Wissensprüfung geht es um die Integration des neugewonnenen Wissens in den bestehenden Wissenskorpus, also um Logik, Widerspruchsfreiheit, Generalisierbarkeit, theoretische Relevanz, insgesamt also um Kognition und Akzeptabilität.

Diese drei Organisationsprinzipien - Diversität, Variabilität und Trennung - kann man in unterschiedlicher Ausprägung und Kombination in den verschiedenen Diskursarten - praktische Diskurse, wissenschaftliche Diskurse und kulturelle Diskurse - wiederfinden. Der Diskursgedanke macht eine wesentliche Einsicht problemorientierter Wissenschaft zu seinem tragenden Prinzip, daß wissenschaftliches Wissen immer nur unter hypothetischen Bedingungen gilt, daß es jederzeit abänderbar ist und daß die wechselseitige Steigerung von Konsens und Dissens als wesentlicher Motor der Wissenserweiterung anzusehen ist.

Diskure zielen auf die kognitiven Voraussetzungen von Entscheidungen. Hier stehen Deutungs-, Interpretations- und Bewertungsdivergenzen im Zenrum des Verfahrens. Man muß sich über die Aussagekraft von empirischen Ergebnissen, die Plausibilität von Theorien und Aussagesystemen und auf stringente Argumentationen und Deutungen einigen (Bora, Döbert 1993; Hennen 1994).

Die Schwierigkeiten bei dem Diskurs kann man im sinnvollen Abbruch sehen.Wann ist eine Debatte zu Ende? Wer beschließt sie, mit welchen Argumenten? Kennzeichnend jedoch ist die Selbstreferenz des Diskurses, d.h. seine Fähigkeit zur Selbsttransformation. Die Fähigkeit zur Selbsttransformation besteht darin, daß wiederum im Verfahren - und sonst nirgends - sowohl die Lernbedingungen erzeugt werden, unter denen neue Realitätsannahmen entstehen, als auch die Spezifikation von Konsensbildungsstrukturen, Konsensinhalten und Problemlösungsstrategien. Insoweit kann man davon sprechen, daß das Verfahren Weg und Ziel zugleich ist.

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