Der Technikblick auf Partizipation. Eine Geschichte und Folgenabschätzung neuer Kommunikationsräume der Bürgerbeteiligung im Transformationskontext von Digitalisierung, Energiewende und demographischem Wandel

  • Projektteam:

    Kühl, Yasmine (Dissertation)

  • Förderung:

    Friedrich-Ebert-Stiftung

  • Starttermin:

    2014

  • Endtermin:

    (aus ITAS ausgetreten)

  • Forschungsgruppe:

    Innovationsprozesse und Technikfolgen

Projektbeschreibung

Ziel der Forschungsarbeit ist es, gegenwärtige Formate der Bürgerbeteiligung als Ergebnis ideengeschichtlicher Technikkonflikte und Technikvisionen (Kommunikationsutopien) des 20. Jahrhunderts aufzuzeigen als auch methodische Erkenntnisse aus drei im Zeitraum 2014-2016 untersuchten Beteiligungsverfahren im Kontext der Energiewende im Sinne der Technikfolgenabschätzung für eine Politik- und Gesellschaftsberatung fruchtbar zu machen.

Im historischen Teil der Arbeit soll zunächst in einer Einführung in das bekannte historische (aber auch neue) Spannungsverhältnis ‚Technik und Demokratie‘ der Bogen geschlagen werden vom partizipationsgeschichtlichen Kontext Atomkraft als ‚antidemokratische‘ Technik (Ulrich Beck, Robert Jungk) über heute wiederkehrende Aktualität besitzende Selbstberatungsformen als befriedende Lösung von Protestbewegungen bis schließlich hin zu neuen demokratietheoretischen und technikethischen Problemstellungen, welche die Implementierung digitaler Kommunikationsräume aufwerfen können. Informationsethische Fragestellungen werden etwa berührt, wenn sich der ursprünglich an den Staat gerichtete Transparenzanspruch (‚Open Data‘) innerhalb von Beteiligungsverfahren auf den Bürger überträgt. Seit den späten 1990er Jahren haben politische Institutionen, Dienstleister und Forschungsinstitute verschiedene Formen von Konsultationen im Online- und Präsenzbereich erprobt und beforscht. Allen voran das Narrativ des hierarchiefreien, transparenzerzeugenden Cyberspace in der ideengeschichtlichen Prägung (und bis heute fortgesetzten Rhetorik) der ‚Montessori-Kids‘ des Silicon Valley versprach hierbei die ‚technikfideistische‘ Lösung (Oreskes, Morosov) für eine gerechte gesellschaftliche Verständigung bottom-up. Als mithin deutsche Variante von Social Media werden seit Mitte der 2000er Jahre projektierte, crossmediale Beteiligungsformate und Dialogangebote von privaten und zivilgesellschaftlichen Akteuren, etwa der Bertelsmann-Stiftung oder die Diskussionsplattform Adhocracy des Berliner Start-ups Liquid Democracy von Politik und Verwaltung verstanden.

Ausgehend von dieser Bürgern weniger bekannten Zuschreibung, der in Wissenschaftskreisen artikulierten Kritik an einer so entstandenen ‚Partizipationsindustrie‘ (vgl. Bogner 2010; Selle 2011) sowie aufbauend auf Vereinnahmungsvorwürfe vonseiten sozialer Bewegungen gegen die von wirtschaftlichen und staatlichen Akteuren positiv konnotierten Dialoginstrumente (Wilk 2014) wird im TA-Teil der Dissertation vorgeschlagen, Partizipation nicht länger als ‚Lösungstool‘ für Technik- und Infrastrukturkonflikte, sondern als methodischen und demokratietheoretischen Untersuchungsgegenstand, möglicherweise sogar als ‚Technik‘ per se (sozialtechnisches Verfahren, vgl. technology of participation ToP) zu identifizieren. Im Lichte dieser Betrachtung wird anstrebt, eine Beteiligungsethik bzw. informationsethische Folgenabschätzung für medialisierte Kommunikationsräume zu entwickeln. Die aus Theoriearbeit und teilnehmenden Beobachtungen gewonnen Erkenntnisse werden abschließend in die o.g. untersuchten Verfahren rückgespiegelt und Bürgern sowie deren Repräsentanten zur Evaluation vorgelegt. Eine solche Untersuchung der nachhaltigen Wirkung von üblicherweise projektierten Partizipationsverfahren stellt gerade bei langfristigen Raumplanungskonflikten einen notwendigen Beitrag zur Akzeptabilität im Sinne der Verfahrensgerechtigkeit (Grunwald 2010) dar.

Beleuchtet wird neben den für die neue ‚Partizipationslandschaft‘ maßgeblichen Techniktransformationen Digitalisierung und Energiewende zuguterletzt die Verschiebung der Markt- und Diskursmacht zugunsten älterer, partizipationsstarker Kohorten und deren mentalitätsgeschichtlicher Einfluss auf die Entwicklung bestimmter Deliberationsinstrumente, i.e. mit deren Technikeinstellungen und -kompetenzen korrespondierenden Beteiligungsangebote durch private und wissenschaftliche Kommunikations- und Beratungsakteure.

Die Experteninterview-gestützte Dissertation leistet idealiter einen wissenschaftlichen Beitrag zu der für 2018 zu erwartenden ‚Bilanzwelle‘ der 68er-Bewegung – weniger als marktgängige bottom-up history, sondern als angestrebt zukunftsorientierter philosophischer Beitrag zur drängenden Frage der im Sinne des Ideals der ‚Informationsdemokratie‘ notwendigen Selbstberatung unserer Gesellschaft wie auch für die Institution der Technikfolgenabschätzung in ihrer Funktion als (selbstreflexiver) Wächter dieser Prozesse.

Administrative Daten

Referent: Prof. Dr. Armin Grunwald, KIT (ITAS)
Koreferent: Prof. Dr. Rolf-Ulrich Kunze, KIT (ITZ)
Bezugnehmende Projekte: Quartier Zukunft – Labor Stadt
Reallabor 131 – KIT findet Stadt
Doktoranden bei ITAS: siehe Promovieren am ITAS

Kontakt

Yasmine Kühl, M.A.
Karlsruher Institut für Technologie (KIT)
Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS)
Postfach 3640
76021 Karlsruhe