technik.kontrovers 2016

  • type of event:

    Themenabende

  • place:
    Karlstraße 11, 76133 Karlsruhe
  • date:

    2016

Was kostet die Bohne? Wie messbar sind bio, billig, fair und Co.?

Donnerstag, 20. Oktober 2016, 18 Uhr

Wieviel fairer Lohn steckt in meinem Handy, wieviel hochwertiger Biodünger in meinem Mittagessen und wie groß ist der regenerative Anteil in meinem Kraftstoff? Kurz: Wie umweltfreundlich sind die Produkte, die wir täglich konsumieren, und wie sozialverträglich ist ihre Herstellung? Diese Fragen standen im Mittelpunkt des siebten Themenabends in der Reihe technik.kontrovers, bei dem ITAS-Wissenschaftler mit dem Publikum über Methoden und Tücken der Nachhaltigkeitsbewertung diskutierten.

Bereits vor Beginn der Veranstaltung wurden die Zuschauer darum gebeten mit ihren Smartphones oder vom Institut gestellten Tablets die Entscheidungskriterien ihres Kaffeekaufs (Umweltauswirkungen, soziale Auswirkungen, Preis, Geschmack) zu gewichten, bevor der Moderator Dominik Poncette mit einer Einführung in das Thema Nachhaltigkeit in den Abend einstieg.

Der erste Referent des Abends, Tobias Domnik, begann mit einer anschaulichen Erklärung des Begriffs „System“ anhand des sich durch den ganzen Abend ziehenden Beispiels des Kaffee Kochens. Unter anderem kam hier neben Kaffeebohnen, Kaffeemaschine und Filter auch selbstausgedrucktes Wasser und ein Entkalker zum Vorschein. Er referierte über die techno-ökonomische Systemanalyse, die Waren, Dienstleistungen, Prozessketten und Technologien in ihre Kostenkomponenten zerlegt. Die Kosten können so genauer unter die Lupe genommen werden. So zeigte er zum Beispiel wie sich eine enorme Lohnerhöhung für die Arbeiter im Kaffeeanbau auf den brasilianischen Durchschnittslohn auf die Endkosten des Kaffees für den Verbraucher auswirken.

Jens Buchgeister stellte die Produkt-Ökobilanz vor, die den gesamten Lebensweg eines Produktes in seine Teilprozesse zerlegt und die damit verbundenen Umweltauswirkungen ermittelt. So kann für ein Verpackungsmaterial das Recycling leichter sein, jedoch die Herstellung energieaufwändiger. Mit der Methode lassen sich dann beispielsweise verschiedene Optionen der Lebensmittelherstellung von konventionell bis Bio vergleichen – etwa im Hinblick auf ihre CO2-Bilanz oder die Emission anderer Schadstoffe. Aber auch andere Faktoren wie die Knappheit von Rohstoffen, Flächen und Süßwasser können berücksichtigt und verglichen werden.

Manuel Baumann sprach die dritte Säule der Nachhaltigkeit an: den sozialen Aspekt. Bei der von ihm vorgestellten sozialen Lebenszyklusanalyse werden die verschiedenen Auswirkungen (Menschenrechte, Arbeitsbedingungen, Zugang zu Infrastruktur, etc.) auf die an der Herstellung beteiligten Personen verglichen. Die teilweise nicht ausreichende Datenlage in den genutzten Datenbanken erschwert den Prozess.

Zum Ende hin wurden die häufigen Zielkonflikte der Themenfelder thematisiert: Ist ein Produkt ökologisch nachhaltig, ist es gleichzeitig sehr teuer und möglicherweise nicht mehr konkurrenzfähig. Zudem hat der Käufer eines biologischen Produkts noch keine Gewissheit darüber wie die Arbeitsbedingungen und das Lohnniveau der Arbeiter bei den einzelnen Prozessschritten waren.

Auch das Ergebnis der anfangs erwähnten Abstimmung ist nicht zu kurz gekommen. Im voll besetzten Raum wurden die Umweltauswirkungen als am wichtigsten betrachtet. Am wenigsten wichtig war den anwesenden Zuschauern der Preis. Ob die Gewichtung beim Griff ins Supermarktregal die Gleiche ist oder ob sich der ein oder andere doch vom Thema hat beeinflussen lassen, bleibt sein oder ihr persönliches Geheimnis. Auch bei der anschließenden Diskussion kam der Punkt auf, dass aufgrund des eigenen Geldbeutels sich die theoretische Präferenz und die praktische Durchführung häufig voneinander unterscheiden. Wir bedanken uns bei allen Zuschauern für die tolle Beteiligung und die anregenden Redebeiträge!


Nachhaltigkeit ist käuflich... oder?

Donnerstag, 23. Juni 2016, 18 Uhr

Die Politik soll regulieren, Hersteller ressourcenschonend produzieren, Konsumenten bewusst kaufen. Doch wie groß ist die Verantwortung des Einzelnen? Sollen wir bewusster konsumieren oder den Druck auf die Politik erhöhen? Wenn Billigmodeläden mit Papiertüten werben und Biotrauben um die halbe Welt gereist sind – wo fängt nachhaltiger Konsum an?

Im voll besetzten Foyer des ITAS begann der Abend mit den Positionen der ITAS-Wissenschaftler Jürgen Kopfmüller und Richard Beecroft sowie des Institutsleiters Armin Grunwald.

Armin Grunwald plädierte dafür, dass die Verantwortung nicht einfach bei den Konsumenten abgeladen werden darf. Umweltfreundliches Konsumieren macht Arbeit, setzt teilweise Verzicht voraus – kurz: es sollen Opfer erbracht werden und das eigentlich private Handlungsfeld wird politisch aufgeladen. Deshalb appelliert der Institutsleiter an die politische Bürgerverantwortung. Die politischen Rahmenbedingungen müssten in eine Richtung bewegt werden, damit der ganz normale Konsum nachhaltig wird.

Jürgen Kopfmüller fehlte in dieser Teilung der Verantwortung ein entscheidender Faktor: die Unternehmen. Diese können zum einen die Folgen und die Art wie die Produkte hergestellt werden, zum anderen aber auch die Kaufentscheidungen durch Marktmacht und Werbung beeinflussen. Für Produzenten heißt das, klassische Zielorientierungen wie Gewinn-, Kapitalrendite- oder Marktanteils-Maximierung zu hinterfragen und zusätzliche Maßstäbe in unternehmerisches Handeln einzubauen. Aber auch passende Rahmenbedingungen für verantwortliches Handeln für alle Teilnehmer des Marktes sieht er als notwendig an.

Richard Beecroft findet die Idee, ein so großes Ziel wie eine nachhaltige Gesellschaft mit Geld kaufen zu wollen, absurd. Seiner Ansicht nach sollen wir uns nicht in die reine Konsumentenrolle drängen lassen, sondern kreative Lösungsansätze entwickeln. Wir sollten nicht einfach in Rollen wie „Konsument“ oder „politscher Bürger“, sondern als Menschen handeln und eine Kultur der Nachhaltigkeit leben. Richard Beecroft betont, dass politische Rahmenbedingungen nur dauerhaft tragbar sind, wenn sie mit Leben gefüllt werden.

Zwei wichtige Aspekte, die in der darauf folgenden Podiumsdiskussion angesprochen wurden, sollen an dieser Stelle aufgegriffen werden. Auf die Frage des Moderators nach einem für Bürgerinnen und Bürger nutzbaren Begriff für Nachhaltigkeit antwortete Armin Grunwald, dass es, ähnlich wie bei der Frage nach Gerechtigkeit, leichter ist zu empfinden, was nicht nachhaltig ist. Zudem wurde in der Diskussion betont, dass die Entwicklung einer Kultur der Nachhaltigkeit Zeit brauche und durch viele verschiedene kleine Handlungen und Aktionen entstehe.

Im Anschluss wurde das Podium geöffnet und einzelne Leute aus dem Publikum und die Referenten diskutierten gemeinsam. Es wurden Fragen aufgeworfen wie, ob eine Einschränkung des Konsums das Innovationspotential bremst oder ob wir die Richtung der Innovationen ändern müssen, sodass diese helfen, den Verbrauch der endlichen Ressourcen zu senken. Als Beispiel wurden Entwicklungen genannt, die die Reparatur vereinfachen sollen. Ein weiteres Thema war, wie für Unternehmen Anreize geschaffen werden können, nachhaltiger zu produzieren. Wir bedanken uns an dieser Stelle bei allen, die den Schritt auf das Podium gewagt und für eine spannende Diskussion gesorgt haben.


Hightech statt Gehstock. (Wie) wollen wir altern?

Mittwoch, 13. April 2016, 18 Uhr

Der demografische Wandel hat Deutschland fest im Griff – wir leben immer länger. Diese eigentlich sehr erfreuliche Entwicklung bringt auch Herausforderungen mit sich: Denn Altern geht eben auch mit dem Verlust körperlicher Fitness oder geistiger Kräfte einher. Der Alltag älterer Menschen gestaltet sich früher oder später meist beschwerlich, viele sind auf professionelle Pflege angewiesen.

Doch wie viel kann und soll die Technik hier weiterhelfen und wollen wir überhaupt altern? Diese Frage wurde beim technik.kontrovers Abend „Hightech statt Gehstock“ zwischen drei fiktiven Charakteren, dem Technikliebhaber Dr. math. Friedrich Müller, der Soziologin Dr. Martina Mareke, die von Technik in der Pflege nichts hält und Dr. ing. Ray de Grey, der das Altern und den Tod gleich ganz abschaffen will, in einem Rollenspiel kontrovers diskutiert. Dr. math. Friedrich Müller wurde dargestellt von Johannes Hirsch, Claudia Brändle spielte Dr. Martina Mareke und Martin Sand schlüpfte in die Rolle des Dr. ing. Ray de Grey. Die drei Nachwuchswissenschaftler beschäftigen oder beschäftigten sich in ihrer Arbeit am ITAS mit der Technisierung des Lebens im Alter und der Pflege oder noch visionären Ansätzen biologische Alterungsprozesse zu kontrollieren oder sogar anzuhalten. Die fiktive Zuspitzung dieser drei Charaktere ermöglichte es den Wissenschaftlern typische Positionen in den Debatten um Technik und Altern prägnant für das Publikum heraus zu arbeiten und darzustellen.

Dr. math. Friedrich Müller, Jahrgang 1950, begleitet seit den Anfängen vor über 10 Jahren die Entwicklung im Bereich AAL (Ambient Assisted Living). Auch heute schon nutzt er selbst diese Systeme. In seinen Ausführungen stellte er unterschiedliche Assistenzmöglichkeiten, wie Roboter, die die Pflegekräfte unterstützen, vor und zeigte diese in kurzen Filmen. Er möchte ältere Menschen vor unnötigen Risiken schützen und die Lebensqualität im Alter durch technische Maßnahmen verbessern. Den Ansichten von Dr. ing. Ray de Grey, der es möglich machen will, unendlich zu leben, steht er, mild formuliert, sehr skeptisch gegenüber. Die Erfolge der Biogerontologie sind ihm zu gering und er sieht die Gefahr einer Überpopulation, ganz besonders an den heute schon übervölkerten Wiesen in Schwimmbädern. Außerdem überlebten bei einem ewigen Leben nicht nur die genialen Köpfe sondern auch die Schurken, warf er in der Diskussion ein.

Den Standpunkt der Soziologin Dr. Martina Mareke findet er jedoch auch nicht besser. Sie soll sich endlich dem Zeitgeist öffnen und akzeptieren, dass die Zukunft mit Technik besser zu gestalten ist.

Dr. Martina Mareke arbeitet heute mit den Schwerpunkten Lebenslaufforschung, soziale Aspekte der demographischen Entwicklung, sowie Gesundheit und Pflegebedarf im Alter an der Universität Rostock. Sie findet es schrecklich, dass Ihre Kollegen das Altern verteufeln oder Senioren mit allen möglichen „Überwachungstechnologien“ ausstatten wollen. Technologien schränken die Lebensqualität ein und können Unfälle auch meist nur erkennen und nicht verhindern, wie die von ihr als Beispiel angeführte Sensormatte. Ihrer Ansicht nach sind die Probleme, die Senioren heutzutage haben vor allem auf einen Mangel an Rücksichtnahme zurückzuführen. So sollte beispielsweise die soziale Teilhabe verbessert werden, aber durch Engagement von Menschen, nicht durch Technik! In ihren Ausführungen betont sie, dass Altern auch etwas Positives ist, da mit höherem Alter zum Beispiel die Gelassenheit und die Weisheit zunehmen.

Auch ein ewiges Leben sieht sie als keine besonders gute Idee. So müssten sich die Menschen ständig einer sich verändernden Gesellschaft anpassen mit völlig unterschiedlichen Herausforderungen. Da kann man seines Lebens auch müde werden. Zudem können sich diese Möglichkeiten nur privilegierte Menschen leisten. Die Vorstellung eines unendlichen Lebens führe zudem zu Stagnation und Antriebslosigkeit, da das Ende fehle, so argumentierte Frau Dr. Mareke.

Dr. ing. Ray de Grey, 1955 in den USA geboren, veröffentlichte zahlreiche Bücher über künstliche Intelligenz und die Beherrschung unserer biologischen Natur. Er sieht die Ideen der Kollegen lediglich als Bekämpfung der Symptome des Problems. Das Altern soll abgeschafft werden, so Dr. de Grey. Dafür sollen endlich mehr finanzielle Ressourcen in Europa freigemacht werden, ganz so wie die Vereinigten Staaten sich seit Beginn des letzten Jahrhunderts der Biogerontologie, also der Erforschung der grundlegenden, biologischen Prozesse des Alterns, widmen. Das wertvolle Geld in die Entwicklung von Assistenzsystemen zu stecken, sieht er als Verschwendung an. Die Betroffenen möchten doch gar nicht erst in die Abhängigkeit solcher Systeme kommen, egal wie gut sie funktionieren. Die gesunden Lebensjahre sollen seiner Ansicht nach verlängert werden, um den Menschen mehr Zeit zu geben, all ihre Lebensträume zu erfüllen. Auch Assistenzsysteme, wie Handys können Leben retten und das sei doch auch nur eine lebensverlängernde Maßnahme. Er wolle das Ganze nur auf die Spitze treiben. Eine Übervölkerung möchte er durch Gesetzte verhindern, so könne dann möglicherweise nicht mehr jeder so viele Kinder bekommen, wie er gerne möchte, dafür wäre es möglich das Leben geliebter Menschen zu verlängern.

Das Aufeinanderprallen dieser drei Standpunkte führte zu einer regen Diskussion, die einige Lacher im Publikum erzeugte und insgesamt eine sehr unterhaltsame Veranschaulichung des Themas war. Im Anschluss an die Präsentation, wurden die Wissenschaftler, die sich hinter den fiktiven Charakteren verbargen, vorgestellt.

Nachdem die drei jungen Wissenschaftler ihre Rollen abgelegt hatten, zeigte ein Stimmungsbild aus dem Publikum, dass die meisten Zuschauer zunächst der Position für soziale Veränderungen, vertreten durch Dr. Mareke, zugeneigt sind. Recht schnell kam allerdings der Hinweis auf, dass die drei idealtypischen Positionen ja nicht als sich gegenseitig ausschließend verstanden werden müssen. Stattdessen könne man auch in der Wahrnehmung des Themas und in alltäglichen und Arbeitskontexten an Verbindungen und Arrangements aus sozialen Veränderungen, verfügbarer neuer Technik und neuen technischen Forschungsrichtungen denken.

In der Diskussion zeigte sich, dass vor allem die Hürden vor der Technik abgebaut werden sollen. Technik soll so einfach wie möglich gestaltet werden und auch die Steuerung soll häufiger über die Sprache möglich sein. Auch den Alltag der Pflegenden können Assistenzsysteme erleichtern, ihr Nutzen muss aber allen Beteiligten dargelegt werden. Nicht das Alter selbst, das durchaus Vorteile mit sich bringt wurde als problematisch angesehen, sondern die Pflegebedürftigkeit. Das Ziel sollte sein, körperlich und geistig gesund zu bleiben bis zum Tod. Ein unendliches Leben wurde nur von wenigen als wünschenswert angesehen. So kamen Einwürfe auf, dass das auch ziemlich egoistisch sei. Ein weiteres Gedankenspiel ging in die Richtung, dass jeder Einzelne mehr Verantwortung für die Folgen seiner Taten übernehmen würde, wenn er diese durch ein unendliches Leben selbst mitbekäme. Dabei blieb aber auch die Frage im Raum, ob trotz technischer Veränderungen auch grundlegende gesellschaftliche Fragen angegangen werden müssten, die etwa das Verhältnis zwischen verschiedenen Generationen und zwischen Arbeits- und Privatleben betreffen, so dass etwa die Pflegearbeit aufgewertet werden könnte oder familiäre Pflege leichter mit dem Beruf vereinbar wird.

Wir danken den Vortragenden Claudia Brändle, Johannes Hirsch und Martin Sand, sowie dem Moderator Karsten Bolz für ihre Mühen und den Enthusiasmus, den sie in diesen Abend und die Vorbereitung steckten. Genauso möchten wir unserem Publikum für die spannende Diskussion danken. Wir freuen uns schon auf den nächsten Abend!


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In der Reihe „technik.kontrovers“ präsentiert das ITAS gesellschaftlich brisante Technikthemen, zu denen am Institut geforscht wird. Die vierteljährlich stattfindenden Veranstaltungen haben das Ziel, vernetzend, interaktiv und vielfältig vorzugehen. Die Forscherinnen und Forscher skizzieren mit kurzen Impulsen unterschiedliche Positionen zur gesellschaftlichen Dimension bestimmter Technikbereiche und suchen damit den unmittelbaren – und gerne auch kontroversen – Austausch mit der Öffentlichkeit.

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